Fachkräftemangel bedroht die Energie- und Verkehrswende
"Schon vor der Corona-Pandemie fehlten im Handwerk rund 250 000 Beschäftigte. Lange Wartezeiten als Folge sind jetzt deutlich zu spüren. Im Schnitt wartet man aktuell neun Wochen auf eine Handwerkerin oder einen Handwerker. Damit drohen wichtige Zukunftsprojekte im Wohnungsbau, Energie- und Verkehrsbereich in Leere zu laufen. Diese Fachkräftelücke wird in den kommenden Jahren noch deutlich größer. Denn viele Beschäftigte gehen demnächst in Rente. Es gibt zu wenig Nachwuchs. Und: Allein bis 2027 suchen rund 125 000 Handwerksbetriebe neue Chefinnen und Chefs. Die Politik muss die berufliche Bildung im Handwerk gleichwertig zur akademischen Ausbildung behandeln und finanziell gleichwertig unterstützen und fördern", betont ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber der "BILD".
Hat das Handwerk ausreichend Mitarbeiter?
Wir brauchen deutlich mehr qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker, damit die großen Zukunftsprojekte der Politik umgesetzt werden können. Klima-, Energie- und Verkehrswende werden wir nur mit tausenden zusätzlichen Fachkräften schaffen können. Solarpanels, Windparks, Ladesäulen für E-Autos, energetische und altersgerechte Sanierung, digitale Infrastruktur brauchen beruflich qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker. Das Handwerk macht das Morgen!
Droht ein Scheitern der Vorhaben?
Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass alle Vorhaben etwa beim Klimaschutz und Wohnungsbau ins Leere laufen, wenn die Politik jetzt nicht die berufliche Ausbildung stärkt und wieder mehr Jugendliche dafür gewinnt. Das Bildungsmantra vom Studium als einzigem Königsweg zu beruflichem Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung war ein fataler Irrtum. Das damit verbundene Aufstiegsversprechen gilt längst nicht mehr für alle. Während sich manche Akademiker von einer befristeten Anstellung zur nächsten hangeln, sind qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerkern gefragt wie kaum je zuvor. Allen jungen Menschen kann ich nur raten: lieber ein erfolgreicher Meister als ein prekärer Master.
Wie viele offene Stellen gibt es aktuell im Handwerk und drohen bis 2027?
Nach unseren Schätzungen gab es schon vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg rund 250.000 offene Stellen allein im Handwerk. Diese Fachkräftelücke wird in den kommenden Jahren noch deutlich größer, weil viele qualifizierte Beschäftigte in Rente gehen, gleichzeitig - auch aus demografischen Gründen - nicht genügend Auszubildende für das Handwerk gewonnen werden können. Wenn wir alle dem nicht wirksam entgegenwirken, drohen die Fachkräfteengpässe zum Bremsklötzen beim Klimaschutz, für die Energie- und Mobilitätswende wie auch den Wohnungsbau zu werden.
Tut die Politik genug, um den Fachkräftemangel im Handwerk zu bremsen/zu stoppen?
Politik muss ganz klar noch wesentlich mehr tun, um die Attraktivität der beruflichen Bildung zu steigern. Politik muss die berufliche Bildung als dem zentralen Schlüssel zur Fachkräftesicherung – auch finanziell - gleichwertig zur akademischen Bildung unterstützen und fördern. Wenn anerkannt wird, wie bedeutsam und unverzichtbar das Handwerk für die Modernisierung und Transformation Deutschlands ist, dann wird es auch für junge Menschen wieder attraktiver, Handwerk zum Beruf zu machen und täglich hauptberuflich für Klimaschutz, Energiewende, aber auch die Grundversorgung der Bevölkerung tätig zu sein.
Hat Handwerk aktuell den goldensten Boden aller Zeiten?
Im Handwerk bleibt angesichts aller allgemeinen Unsicherheit eines gewiss: Die Arbeit wird Handwerkerinnen und Handwerkern ganz bestimmt nicht ausgehen. Das Handwerk bietet zukunftssichere und zukunftsrelevante Berufe mit besten Aufstiegsmöglichkeiten schon in sehr jungen Jahren. Allein bis 2027 werden für rund 125.000 Betriebe Nachfolgerinnen und Nachfolger gesucht. Und was vielen jungen Menschen am Herzen liegt: Im Handwerk kann man Klimaschutz zum Beruf machen – in einem der zahlreichen klimarelevanten Berufe. Auch wenn "Klimaschützerin" oder "Klimaschützer" kein Ausbildungsberuf ist: Eine Ausbildung im Handwerk ist der erste Schritt in diese Richtung. Da kann aus dem Protest bei Fridays for Future ganz konkrete, tägliche Klimaschutz-Arbeit werden.