Heizen mit Wasserstoff: Das sind die ersten Ergebnisse der NWR-Studie
Ohne großes Medienaufsehen hat der Nationale Wasserstoffrat (NWR) am 30.6.2022 einen Zwischenbericht zur künftigen Rolle von Wasserstoff im Gasnetz veröffentlicht – also genau einen Tag nach dem Wärmepumpen-Gipfel von BMWK und BMWSB, was sicherlich kein Zufall sein dürfte. Weder Wirtschaftsminister Robert Habeck noch Bauministerin Klara Geywitz hatten dabei Wasserstoff als möglichen Erdgasersatz zur Gebäudewärmeversorgung ausgeschlossen. Während Habeck dabei recht zurückhaltend war, hatte sich Geywitz ausdrücklich für eine allgemeine Technologieoffenheit ausgesprochen.
Zwischenergebnisse der Wasserstoff-Studie
Trotzdem kann man den Zwischenbericht zur „Bottom-up Studie zu Pfadoptionen einer effizienten und sozialverträglichen Dekarbonisierung des Wärmesektors“ als Erinnerung bzw. Mahnung an die Politik verstehen, die Anwendungsfelder von Wasserstoff nicht zu sehr einzuschränken. Und sie sollte möglichst die finalen Ergebnisse der Studie abwarten, die nicht wie ursprünglich geplant im Frühjahr, sondern erst im Herbst 2022 vorliegen werden. Denn in den kommenden Wochen wird die Bundesregierung über wichtige Gesetzesänderungen, wie das Gebäudeenergiegesetz, und andere Weichenstellungen beraten.
In der Kurzfassung der Zwischenergebnisse heißt es:
- Für die erfolgreiche Transformation der Wärmeversorgung sind Vor-Ort-Analysen zwingend erforderlich, da eine energiesystemanalytische Betrachtung auf nationaler Ebene nicht alle lokalen Anforderungen und Restriktionen berücksichtigen kann.
- Bis diese Analysen vorliegen, sind allgemeine politische Schlussfolgerungen zum Beispiel zur zukünftigen Rolle von Gasverteilnetzen ohne wissenschaftliche Grundlage nicht zielführend.
- Bei einer Einführung von verpflichtenden kommunalen Wärmeplänen sollten zum jetzigen Zeitpunkt keine Technologieoption ausgeschlossen werden, insbesondere die Belange der in der Fläche auf Prozesswärme und teilweise auf Prozessgase angewiesenen Industrie- und Gewerbebetriebe sind zu beachten.
- H2 wird in der Prozesswärme eine wichtige Rolle spielen.
- Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Bedarfe der Industrie und der Kraftwerke vor Ort ohne den Erhalt der hierfür notwendigen Gasverteilnetze und deren Umstellung auf H2 schwer zu decken sind.
- Die Weiternutzung nicht betroffener Netzgebiete ist detailliert und im Einzelfall vor-Ort zu prüfen.
- Der Einsatz von H2 zur Raumwärmeerzeugung hängt von den lokalen Gegebenheiten ab.
Nachfolgend werden noch ausgewählte, erste Ergebnisse und Empfehlungen für die kommunale Wärmeplanung dargestellt.
Komplexität des Wärmemarktes beachten
- Eine One-Size-Fits-All-Lösung existiert für den Wärmemarkt nicht, da es innerhalb der vorhandenen Infrastrukturen, der Gebäudebestände und Kundenanforderungen an ihre Wärmeversorgung eine große Bandbreite und damit eine Vielfalt an Kombinationsmöglichkeiten gibt, die in allgemeinen Lösungen aus „Top-Down“-Ansätzen nicht in Gänze widergespiegelt werden können.
- Ein entscheidender Faktor für die Umrüstung eines Gasverteilnetzes auf H2 ist die aktuelle und zukünftige Nachfrage nach Prozesswärme bzw. Prozessgasen. Dies erweist sich insofern als ein erster zentraler Anhaltspunkt in Bezug auf die Weiternutzung der Gasinfrastruktur und somit auch als relevante Fragestellung in Bezug auf die möglichen Alternativen für die im gleichen Gebiet vorhandenen Wohngebäude.
- Sofern also eine Nachfrage aus Gewerbe/Industrie gegeben ist, stellt sich die Versorgungsfrage auch für die dort vorhandenen Wohngebäude in anderer Weise, als wenn dem nicht so ist. Dies ist ein relevanter Grund warum Pauschalaussagen nicht zielführend sind.
- Im weiteren Verlauf der Studie wird geprüft inwieweit H2 für Wohngebäude in Versorgungsgebieten ohne oder mit geringem Industrie-/Gewerbeanteil eine effiziente Dekarbonisierungsoption darstellt.
Bündel an Technologieoptionen notwendig
- Technologische Hauptlösungen für eine erfolgreiche Wärmewende: Wärmepumpe, Wärmenetze, EE-Wärme und Wasserstoff
- Die Transformationspfade müssen alle wesentlichen Technologien als mögliche Lösungsoption beinhalten, um für die lokal/regional sehr unterschiedlich ausgeprägten Versorgungsaufgaben auf Basis der lokalen/regionalen Verfügbarkeiten und Netztopologien unter Einbeziehung aller Gesichtspunkte zu bestmöglichen Lösungen zu gelangen.
Zu den „wesentlichen Technologien“ gehören: Wärmepumpen auf Basis EE-Strom, Fernwärme, Geothermie, Solarthermie, Biomasse und nicht vermeidbare Abwärme, Wasser-/Abwasserwärme, als auch H2 basierte Strom- und Wärmeerzeuger.
- H2 ist neben erneuerbarem Strom wesentlicher Bestandteil der Dekarbonisierung des Wärmemarktes und insbesondere in der industriellen Prozesswärme unabdingbar.
Netzgebundene Versorgung mit Wasserstoff ist wichtiger Baustein
- Um die Klimaziele im Wärmemarkt mittel- und langfristig erreichen zu können, wird H2 sowohl in Fernleitungs- als auch in den Verteilnetzen eingesetzt: zur Deckung von Bedarfen der Industrie und zur gekoppelten Erzeugung von Wärme und Strom in der Fernwärme.
- Es ist für jedes Gasnetz differenziert zu prüfen, ob ein Teil davon - und wenn ja welcher - für die H2-Versorgung der Industrie-/Gewerbekunden bzw. die Fernwärmeerzeugung benötigt wird.
- Ein schneller Zubau von Wärmepumpen in Neubauvorhaben und Bestandsgebäuden zur Versorgung von Wärmenachfragen ist für die Einhaltung der Klimaziele bis 2030 elementar.“
- Die Option H2 sichert das Erreichen der mittel- (ab 2030) und langfristigen Klimaziele in der Industrie und Energieerzeugung (Fernwärme) ab und erweitert den Lösungsraum für die Dekarbonisierung der privaten Haushalte.
- Hierfür ist ein bedarfsgerechter Aus- bzw. Umbau der notwendigen Infrastrukturen zwingend erforderlich.
- Die Versorgung von Wohngebäuden mit H2 darf nicht prinzipiell ausgeschlossen werden und sollte im Lösungsraum erhalten bleiben.
Aufbauend auf die Gas-Brennwerttechnik der Vitodens Familie werden bei Viessmann zur Zeit Brenner-Komponenten sowie die Verbrennungs-, Flammenüberwachungs- und Regelsysteme überarbeitet, um sie an die spezifischen Verbrennungseigenschaften des Wasserstoffs anzupassen. Ziel ist, dass sich die neuen Wandgeräte mit wenigen Handgriffen vom Betrieb mit Erdgas oder Erdgas/Wasserstoff-Gemischen auf reinen Wasserstoff umschalten lassen.
Persönliche Anmerkungen zu den Zwischenergebnissen
Grundsätzlich ist die Einbeziehung aller sinnvoll möglichen Technologieoptionen sowie der Studienansatz, einer Betrachtung von „unten nach oben“, unbedingt notwendig. Zum einen bildet dies die komplexe Welt der Wärmewende und erneuerbaren Gebäudebeheizung wesentlich genauer und praxisnäher ab: mit Blick auf Neubaugebiets- und Quartierslösungen, auf städtische/urbane und ländliche Lagen und unterschiedliche Gebäudetypen. Zum anderen gilt es abzuschätzen, welche Nachteile, Probleme und Abhängigkeiten eine sehr dominante strombasierte Heiztechnologie in Deutschland mit sich bringen könnte.
Des Weiteren gilt es dogmatische Regelungen zu vermeiden. Denn falls Wohn- und Nichtwohngebäude, Handwerksbetriebe etc. am künftigen Wasserstoffversorgungsstrang für ein Industrieunternehmen hängt, könnte diese auch mit H2 zum Heizen versorgt werden – entsprechend verfügbare H2-Mengen, wettbewerbsfähige Preise etc. vorausgesetzt.
Denkbar wäre vielleicht, dass energieintensive Industrieunternehmen in Europa, die selbst Wasserstoff mittels erneuerbarer Energien und Elektrolyse produzieren, eventuell anfallende Überschüsse ins Erdgas-/Wasserstoff-Netz einspeisen und verkaufen könnten.
Mit zunehmender Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in Deutschland wird die Speicherfrage immer dringlicher. Statt z. B. Offshore-Windenergieanlagen abzuregeln, sollte der Öko-Strom zur Wasserstoff-Erzeugung priorisiert verwendet werden – möglichst dicht an der Stromquelle und in Verbindung mit einer Wasserstoff-Pipeline.
Die Studie legt nahe, dass Wasserstoff erst ab 2030 in einer Menge zur Verfügung steht, die für die Wärmewende relevant sein könnten. Um Investitionssicherheit und keine Fehlanreize zu schaffen oder falsche Hoffnungen zu wecken, sollte
- so früh wie möglich das künftige europa- und bundesweite Wasserstoff-Versorgungsnetz so detailliert und verbindlich wie möglich geplant werden
- eine realistische Preisprognose für die Gerätetechnik und den Wasserstoff (zum Heizen) erfolgen
- die Politik bei künftigen Gesetzen und Verordnungen auch Wasserstoff berücksichtigen, z. B. als Erfüllungsoption mit Blick auf den geplanten Erneuerbaren Energieanteil von 65 % beim Einbau neuer Gasheizung (im Gebäudebestand).
Diese Aspekte helfen mit, das künftige Kundenpotential bei der „Stange zu halten“, damit sich eine eventuell politisch gewünschte und sinnvolle Umstellung auf eine Wasserstoffheizung wirtschaftlich und sozialverträglich darstellen lässt.
Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Wendnagel ist Freier Fachjournalist und schreibt seit 2016 regelmäßig Beiträge zu Energiethemen im TGA/SHK-Bereich auf haustec.de.
Der Nationale Wasserstoffrat (NWR)
Der Nationale Wasserstoffrat wurde von der Bundesregierung berufen und handelt als unabhängiges, überparteiliches Beratungsgremium. Der Rat besteht aus derzeit 25 hochrangigen Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Zielsetzung des Nationalen Wasserstoffrates ist es, den Staatssekretärsausschuss für Wasserstoff bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie zu begleiten und zu beraten.
Der Nationale Wasserstoffrat berät den Staatssekretärsausschuss für Wasserstoff durch Vorschläge und Handlungsempfehlungen. Seine Stellungnahmen, Grundlagen- und Informationspapiere sowie Studien entwickelt er in seinen sechs ständigen Arbeits- und Unterarbeitsgruppen, berät und beschließt sie anschließend im Plenum und übermittelt sie danach an den Staatssekretärsausschuss für Wasserstoff.