Weniger Ausbildungsverhältnisse trotz staatlicher Förderung
Alte, Asthmatiker, Menschen mit Herz- und Lungenkrankheiten, Gastwirte, Künstler, Eltern von Kindern im Home Schooling – Corona trifft sie alle besonders hart. Deshalb stehen diese Risikogruppen im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung über die Pandemie. Dabei übersehen Journalisten und Politiker, wie schwer die Krise andere gesellschaftliche Gruppen trifft – etwa Jugendliche, die sich derzeit in Ausbildung befinden oder 2020 eine solche anfangen wollten.
Ende September hatten ausbildende Betriebe bundesweit 530.000 Lehrstellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Das waren neun Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Im Handwerk waren bis Ende Oktober mit rund 128000 Ausbildungsverhältnissen 7,3 Prozent weniger Lehrverträge neu abgeschlossen worden als vor einem Jahr, meldet der Zentralverband des deutschen Handwerks.
Damit hat insgesamt jedes fünfte Unternehmen, das 2019 noch Lehrstellen anbot, diese im laufenden Jahr nicht wieder besetzt, ergab eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende September.
Fast 30.000 Jugendliche ohne Lehrstelle
Zwar suchten 2020 auch acht Prozent weniger Jugendliche einen Ausbildungsplatz, berichtet das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Dennoch waren zu Beginn des Ausbildungsjahres bundesweit noch 29.300 junge Menschen ohne Lehrvertrag.
Die Ausbildungssituation unterscheidet sich dabei von Branche zu Branche erheblich. Wer sich für eine Ausbildung in der Gastronomie, dem Maschinenbau oder der Logistik interessierte, erhielt in diesem Jahr besonders oft eine Absage auf seine Bewerbungen. Betriebe aus diesen Branchen boten 16 Prozent weniger Lehrstellen an als 2019.
Tiefbaubetriebe und viele Bauunternehmen würden dagegen gerne mehr ausbilden, finden aber nicht genügend interessierte Jugendliche. So boten die Betriebe im bundesweiten Durchschnitt elf Prozent mehr Ausbildungsplätze für Baugeräteführer an. Für diesen Beruf interessierten sich 2020 jedoch nur 1,8 Prozent mehr Jugendliche als vor einem Jahr.
In einzelnen Bundesländern ist die Lage besonders schlimm
Der Bundesdurchschnitt lässt auch nicht erkennen, dass sich die Ausbildungssituation in einzelnen Bundesländern auch am Bau und im Handwerk im Zuge der Pandemie erheblich mehr verschlechtert hat als anderswo. In Bayern etwa schlossen Handwerksbetriebe dieses Jahr 8,6 Prozent weniger Ausbildungsverträge mit Jugendlichen ab als noch vor einem Jahr, meldet die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit.
Der Nachvermittlung von Jugendlichen in Ausbildungsplätze kommt damit 2020 eine erheblich größere Bedeutung zu als in früheren Jahren. Dabei unterstütz die Bundesregierung Betriebe mit maximal 249 Beschäftigten, die jetzt noch Lehrlinge unter Vertrag nehmen, im Rahmen des Förderprogramms „Ausbildungsplätze sichern“ mit insgesamt 480 Millionen Euro.
Bis zu 3.000 Euro Prämie für jeden Azubi
So erhalten Unternehmen, die trotz der Pandemie in diesem Jahr genau so viele Jugendliche ausbilden wie in den drei Vorjahren pro Ausbildungsvertrag eine Prämie von 2.000 Euro. Wer 2020 sogar mehr Ausbildungsplätze anbietet als in den Jahren zuvor, erhält pro Lehrling 3.000 Euro.
Die Zahlung der bei der Bundesagentur für Arbeit zu beantragenden Förderung ist jedoch an Voraussetzungen geknüpft. So muss das Lehrverhältnis zwischen dem 1. August 2020 und dem 15. Februar 2021 beginnen und darf nicht während der Probezeit gekündigt werden.
Weitere Bedingung ist, dass der ausbildende Betrieb im ersten Halbjahr 2020 wenigstens einen Monat lang Kurzarbeit angemeldet hatte oder sein Umsatz im April und Mai um wenigstens 60 Prozent gegenüber den gleichen Monaten des Vorjahres eingebrochen ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales denkt eigenen Aussagen zufolge derzeit darüber nach, diese Klausel zu ändern.
Solidarität zahlt sich aus
Die 3000 Euro Förderung erhalten auch Unternehmen, die Lehrlinge von Firmen übernehmen, die in Folge der Pandemie Insolvenz anmelden müssen. Genau so viel lässt sich die Bundesregierung die Unterstützung von Betrieben kosten, die vorübergehend Lehrlinge anderer Unternehmen ausbilden, wenn diese im Zuge der Pandemie Betriebsteile schließen oder die Arbeit dort erheblich einschränken müssen. Anträge auf die Förderung dieser sogenannten Auftrags- oder Verbundausbildung können bis zum 30. Juni 2021 gestellt werden.
Dagegen können Betriebe, die von einem Arbeitsausfall von wenigstens 50 Prozent betroffen sind, nur noch bis zum 31. Dezember diesen Jahres den im Rahmen des Bundesprogramms gewährten Zuschuss in Höhe von 75 Prozent der Ausbildungsvergütung beantragen. Diese wird für jeden Lehrling gewährt, dessen Kurzarbeit wenigstens 50 Prozent beträgt.
Allerdings hat der Bundestag diese Förderung nicht wie die Regeln zur erleichterten Beantragung von Kurzarbeitergeld Ende November bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Ausbildende Betriebe müssen für ihre Lehrlinge daher ab Januar regulär Kurzarbeitergeld beantragen, wenn sie diese weniger arbeiten lassen. Dies geht allerdings erst wenn der Arbeitsausfall wenigstens 30 Tage zuzüglich der Tage angedauert hat, an denen die Azubis Berufsschulunterricht hatten. Bis zum Ablauf dieser Frist, bei einer Fünf-Tage-Woche also in den ersten sechs Wochen, müssen ausbildende Betriebe ihren Lehrlingen auch bei einem Arbeitsausfall die volle Ausbildungsvergütung zahlen.
Mit mehr medialer Aufmerksamkeit für die Belange der Auszubildenden wäre bestimmt mehr drin gewesen.