Tipp vom Anwalt: Herausnahme von Teilleistungen als Kündigung gewertet
Sachverhalt
Der Auftragnehmer (AN) erbringt Ingenieurleistungen sowie Leistungen im Bereich Bau- und Umwelttechnik. Der Auftraggeber (AG) führte für ein Bauvorhaben ein europaweites Ausschreibungsverfahren durch. Es gab fünf ausgeschriebene Lose. Der AG beauftragte den AN mit Rückbau- und Entsorgungsleistungen für die Lose 1 und 2.
Nachdem der AN für Los 2 eine erste Abschlagsrechnung eingereicht hatte, meldete er Mehrmengen, Mehrkosten und einen höheren Separationsaufwand an. Aus der beigefügten Aufschlüsselung ging hervor, dass auf der Baustelle sechsmal mehr Stahl abgeführt werden musste als in der Ausschreibung vorgesehen. Daraufhin untersagte der AG den Abtransport des Stahls und teilte mit, dass er dies selbst übernehmen wolle.
Der AG beglich die Schlussrechnung des AN nicht, woraufhin der AN den AG wegen Kündigung verklagte. Der AG behauptete, dass er keine weitere Vergütung zahlen müsse, da er die Leistungen gemäß § 1 Abs. 3 VOB/B ändern durfte.
Entscheidung
Das Gericht wies die Argumentation des AG zurück. Es stellte fest, dass der verweigerte Abtransport nicht vom Anordnungsrecht des § 1 Abs. 3 VOB/B gedeckt war. Diese Regelung umfasst nur Änderungen des Bauentwurfs. Der Bauentwurf beinhaltet alles, was nach der Leistungsbeschreibung Vertragsinhalt geworden ist. Aus § 1 Abs. 3 VOB/B lässt sich kein Recht zu Änderungen der vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen ableiten.
Die Herausnahme von Teilleistungen zur Selbstübernahme oder zur anderweitigen Vergabe ist nicht von § 1 Abs. 3 VOB/B gedeckt. Der AG hätte eine Teilkündigung aussprechen müssen, verbunden mit den entsprechenden Rechtsfolgen.
Fazit
Die Regelungen der VOB/B gehen von einer Vollkündigung aus. Eine Kündigung kann jedoch auf einen abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung beschränkt werden. Der Begriff eines abgeschlossenen Teils ist eng auszulegen. Leistungsteile innerhalb eines Gewerks gelten nicht als abgeschlossen.
Bei einer Teilkündigung sind die Baumaßnahme oder das Werk meist noch nicht fertiggestellt. Daher muss zunächst der Leistungsstand der bis zur Kündigung erbrachten Bauleistungen festgestellt werden.
Nach § 1 Abs. 3 VOB/B darf der AG Änderungen des Bauentwurfs anordnen, jedoch nur in Bezug auf den bautechnischen Leistungsumfang. Der AG darf keine Anordnungen zur Bauzeit treffen, z. B. Beschleunigungsmaßnahmen verlangen. Nimmt der AG eigenmächtig Leistungen heraus, kann der AN die vereinbarte Vergütung für die Teilleistung abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigem Erwerb verlangen.