Krieg und höhere Gewalt: Was passiert mit Verträgen wenn die Preise weiter steigen?
Rechtsanwalt Matthias Scheible erläutert die Vertragsanpassung wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund höherer Gewalt.
Welche rechtlichen Auswirkungen haben der Krieg und die Wirtschaftssanktionen auf bestehende Verträge?
Die nunmehr eingetretene Situation kann dazu führen, dass bei vielen Verträgen (geschlossen vor dem 24.02.2022) ein Fall des Wegfalls der "großen Geschäftsgrundlage" aufgrund höherer Gewalt/Krieg anzunehmen (§ 313 BGB) ist.
Was ist die "große Geschäftsgrundlage"?
Unter der "großen Geschäftsgrundlage" versteht man die Erwartung, dass sich die grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des betroffenen Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg oder eine (Natur-) Katastrophe ändern werden (RGZ 94, 45; 94, 68 zum Ersten Weltkrieg; BGH, Urteil v. 04.07.1996, Az.: I ZR 101/94). Entscheidend ist, dass das Risiko des Eintritts solcher Ereignisse keiner der beiden Parteien zugerechnet werden kann.
Im Zuge der Bauausführung wird es ggf. dazu kommen, dass sich die ausführenden Unternehmen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine und daraus resultierender Leistungshindernisse (z.B. Materiallieferproblemen/Preissteigerungen etc.) berufen. Auf dieser Grundlage müsste nach Beginn des Ukraine-Krieges und der hierauf folgenden Sanktionen sowie den damit verbundenen, kurzfristig eklatant hohen Preissprüngen die Anpassung des Vertrags verlangt werden können. Es bedarf insoweit zunächst keiner Kündigung des Vertrags. Der Vertrag kann an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Sollte ein Festhalten am Vertrag für eine der Parteien unzumutbar und/oder keine Fortsetzung des Vertrags möglich sein (z.B. unabsehbarer Baustopp), können sich die Vertragsparteien vom Vertrag lösen.
Nachdem der Nachweis von ruinös gestiegenen Materialpreisen oder aber der Nachweis für das vollständige Ausbleiben von Materiallieferungen aktuell dargestellt werden kann, sind begründete Forderungen der Unternehmen nach Vertragsanpassungen etc. nicht auszuschließen.
Zu beachten ist dabei, dass der Ukraine-Krieg für Verträge, welche nach dem 24.02.2022 geschlossen wurden oder werden, grundsätzlich nicht mehr als "unvorhersehbar" einzustufen ist. In Ansehung der aktuellen Situation wird der Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgrund höherer Gewalt/Krieg nur noch dann möglich sein, wenn ein entsprechender Vorbehalt im jeweiligen Vertrag enthalten ist.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass dann derjenige seinen Verzug nicht zu vertreten hat, soweit er durchschwerwiegende, unvorhersehbare und unabwendbare Umstände an der rechtzeitigen Erfüllung gehindert war. Ist es also umstritten, ob die hindernden Auswirkungen (z.B. Corona-Pandemie oder ggf. kriegerische Auseinandersetzungen) einen Werkunternehmer in diesem Sinne vom Verzug entlasten, so hat dieser nachzuweisen, wie sich ein von ihm nicht zu verantwortender Umstand im Einzelnen auf den Herstellungsprozess ausgewirkt und ihn verzögert hat ("bauablaufbezogene Darstellung"), vgl. KG, Urteil v. 24.05.2022, Az.: 21 U 156/21. Ein pauschaler Einwand ohne konkrete Darstellung ist daher nicht ausreichend.
Fazit
Um in der aktuellen Situation den Einwand von "höherer Gewalt" vorbehalten zu können, ist es beim Vertragsabschluss ratsam die Verträge an die bestehende Situation anzupassen. Darüber hinaus ist entsprechend der Rechtsprechung zu pandemiebedingten Verzögerungen es immer ratsam die Verzögerungen im Einzelnen zu dokumentieren, um spätere Forderungen vor Vertragspartner entgegentreten zu können.
Rechtsanwalt Matthias Scheible ist Syndikusrechtsanwalt bei einem Wohnungsbauunternehmen und verfasst Artikel zu rechtlichen Themen auf haustec.de.