Kundenorientierung total oder der Kunde als Tyrann? So finden Sie den goldenen Mittelweg

„Maximale Kundenorientierung“ schreiben sich Handwerksbetriebe seit Jahren groß auf die Fahne. Zu diesem Thema gibt es Seminare, Bücher, Vorträge und Berichte in der Fachpresse. Deutschland ist längst nicht mehr die “Servicewüste“ wie in den 90er Jahren. Serviceleistungen werden im Gegenteil mittlerweile von manchen Kunden ausgenutzt. Kunden erwarten immer mehr, aus Wünschen werden Forderungen an das Handwerk. Je mehr Kundenorientierung angeboten, desto mehr wird erwartet. Wird der Kunde zum Tyrann?
Überzogene Kundenwünsche unter der Lupe:
- Preise, die durch Zusatzarbeiten entstanden sind, werden abgelehnt
- Kunden erwarten zu allen Zeiten die Erreichbarkeit des Handwerkers
- Kunden suchen einen Reklamationsgrund, um die Zahlung der Rechnung zu verzögern
- Sie wünschen außerhalb der Arbeitszeit einen persönlichen Termin vor Ort
- Sie verlangen kostenlose Entsorgung der Alt-Teile
- Aus einer „Enttäuschung“ wird eine „Reklamation“ gemacht
- Sie fordern Gewährleistung nach Ablauf der Garantiezeit
- Auch für Kleinaufträge werden schriftliche Angebote verlangt
V.I.P.-Kunden sind anspruchsvoller als die “Normalos“. Wenn Handwerksbetriebe keine Grenzen aufzeigen, werden die Ansprüche der Kunden weiterwachsen. Noch mehr Kundenorientierung macht zusätzliche Arbeit, kostet Zeit und erhöht die Kosten. Bei schwierigen und seltenen Fällen kann man die Handwerkskammer um Rat bitten.
Beratung ist eine eigenständige Leistung
Beratung ist unverbindlich. Vor-Ort-Beratung auch. Angebote kosten den Kunden nichts – den Handwerker aber. Kundendienstleistungen im Pre-Sales-Bereich sind gratis. Und dann wartet man auf den Auftrag. Bei einer Nachfrage erklärt der Kunde, er habe das Angebot zurückgestellt. Kommt das nicht immer wieder vor? Viele Handwerksbetriebe lassen ihre Kunden für die Erstberatung bezahlen. Bei Erteilung des Auftrags wird dieser Betrag dann verrechnet.
Beratung ist eine eigenständige Leistung, das kann man transparent machen. Der Kunde muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn er einen Auftrag nicht erteilt, denn er hat für die Beratung bezahlt.
Abkehr vom Kundendienst? Ende der Gratis-Serviceleitungen? Keineswegs, es geht um das Nachdenken, über die Grenzen der kostenlosen Leistungen. Wer keinen Mut hat, Kundenforderungen abzusagen (Bad News), weil er die Missstimmung des Kunden fürchtet, wird eine Absage nicht rüberbringen können. Allerdings darf man sich nicht wundern, von Kunden „usgenutzt zu werden, wenn man nicht "Nein" sagen kann.
Manche Kunden wollen vielleicht einfach testen, wie weit sie mit ihren Wünschen gehen können. Schnelle Zusagen von Sonderwünschen des Kunden führen dazu, dass diese als selbstverständlich gesehen werden.
Und: Eine Ablehnung des Handwerkers wird eher angenommen, wenn es einen Erklärungshintergrund für den Kunden gibt. Die Suche nach einer alternativen Lösung oder einem Kompromiss zeigt dem Kunden die Bemühungen des Handwerkers.
Konsequenzen des Kunden halten sich die Waage
Mögliche Folgen bei Absagen:
- Abwanderung zum Wettbewerb.
- Stimmungsmache im Bekanntenkreis gegen die Entscheidung.
- Einholung von Informationen im Netz.
- Eventuell Report über die Ablehnung in einem Bewertungsportal oder schlechte Online-Bewertung
Mögliche Folgen bei Zusagen:
- Langfristige Kundenbindung.
- Erhalt weiterer Kleinaufträge.
- Positive Mundwerbung im Bekanntenkreis.
- Forderungen nach besseren Terminen bei Aufträgen.
Aber: Sind dann alle Aufträge für den Handwerker noch rentabel?
Absagen richtig formulieren
Absagen müssen so verlaufen, dass der Kundesie auch akzeptieren kann. Kunden dürfen sich nicht abgefertigt fühlen. Mit einem allgemeinen „Tut mir leid, es geht nicht“ oder „Ich bitte um Verständnis“ ist es bei Absagen nicht getan. Kunden sehen nur ihre eigene Situation, haben selten Verständnis für den Handwerksbetrieb. Man sollte immer prüfen, ob es Voraussetzungen gibt, unter denen Kundenforderungen erfüllbar sind. Die Zustimmung wird also von Bedingungen abhängig gemacht. Schon die Bemühungen darum werden positiv bewertet. Ansprüche eines Kunden bei Kleinaufträgen dürfen nicht zur Verärgerung beim Handwerk führen. Im Ärger reagiert man nicht richtig.
Ob eine Absage erfolgreich ist, hängt auch von den Beziehungen zum Kunden ab. Eine lange, gute und stabile Beziehung macht es dem Handwerker und dem Kunden leichter, einen Kompromiss zu finden. Beide fühlen sich gerade wegen der guten Beziehung zueinander verpflichtet, eine Lösung zu finden, einen Kompromiss einzugehen.
Viele ältere Kunden möchten sich noch als „König Kunde“ fühlen - eine Vorstellung aus den 90-ern. Aktuell ist der Kunde „Partner‘“, man kommuniziert auf Augenhöhe. Vergleichen Kunden die Leistung mit dem Wettbewerb des Handwerkers, kann auch er Vergleiche vornehmen mit anderen Kunden, die „pflegleicht“ sind. Handwerker beurteilen Kunden meist nach der Wertigkeit: Bei einem A-Kunden, einem Star, ist der Handwerker großzügiger und führt auch Kleinaufträge durch und macht möglichst viele Zusagen.
Unzumutbare Kundenforderung?
Zwischen Angebot, Auftragserteilung und Ausführung der Arbeiten liegen manchmal einige Monate. Einkaufspreise und Lohnkosten haben sich inzwischen erhöht und werden, wie überall, voll weiter gegeben. Das kann nicht reklamiert werden, sofern der Handwerker ausdrücklich die „Laufzeit“ seines Angebots erwähnt. Auftragserledigung zum „alten Preis“ ist nicht zumutbar und muss nicht vorgenommen werden. Auch die minutengenaue Abrechnung der Arbeitszeit ist unüblich. Das Aufrunden auf volle 15 Minuten ist zulässig. (Quelle Peter Meier, Nürnberger Versicherung „Probleme bei der Rechnungsstellung“ 02/21) Der Abzug des Kunden von Mahngebühren ist ein Entgegenkommen des Lieferanten. Handwerker können sich zunächst auf ihre AGB beziehen.
Tipps und Ziele
1. Tipp: Kostenvoranschlag auch für kleinere Aufträge vornehmen.
Ziel: Vermeidung späterer Diskussionen über die Rechnungshöhe einzelner Positionen.
1. Tipp: Berechnung zusätzlicher Arbeiten werden dem Kunden vorher mitgeteilt.
Ziel: Missverständnisse und Diskussionen bei höherer Rechnung ausschalten.
2. Tipp: Für kleinere Arbeiten nicht zwei Personen einteilen.
Ziel: Verhindert Enttäuschung des Kunden über unnötigen Aufwand
3. Tipp: Materialverbrauch exakt abrechnen und Reste zur Verfügung stellen.
Ziel: Misstrauen über zu hohe Mengenabrechnung ausschalten.
4. Tipp: Fahrtkosten und Rüstzeiten in jedem Angebot exakt aufführen.
Ziel: Schafft Transparenz und verhindert Rückfragen bei Rechnungserhalt
5. Tipp: Keine unnötige Arbeit vornehmen, nur um die Stunde voll abzurechnen.
Ziel: Exakte Abrechnung schafft ein positives Image.
6. Tipp: Im Servicebericht alle Felder ausfüllen und unterschreiben lassen.
Ziel: Spätere Beschwerden über die Stundenanzahl aus zu schließen.
7. Tipp: Fahrtkilometer genau nach Routenplaner abrechnen.
Ziel: Schafft Vertrauen, wenn der Kunde die berechneten Kilometer selbst nachprüft.
8. Tipp: Differenzen telefonisch klären, auch wenn der Kunde schriftlich reklamiert.
Ziel: Am Telefon ist im Dialog eher eine Einigung zu erreichen, notfalls über den Kompromiss.
Key Points in Schlagworten
R Ruhe bewahren, sich über den Anspruch des Kunden nicht ärgern
E Erklärungshintergrund liefern für die Nichtanerkennung der Kundenforderung
K Kulanzregelung als Entgegenkommen bei „Starkunden“ vorschlagen
L Lösungen für die Zukunft vorschlagen, um Wiederholung zu vermeiden
A Anteilnahme an der Enttäuschung des Kunden äußern
M Mut haben zu einer Ablehnung der Kundenforderung, zu einem begründeten „Nein“
A Allgemeine Branchenüblichkeiten, die AGB erwähnen
T „Tatsachen“ und „Meinungen“ in der Diskussion unterscheiden
I Innere Einstellung positiv programmieren
O Objektives Beurteilen des Falls vornehmen, sich auf ähnliche Fälle beziehen
N Negative Übertreibungen des Kunden beim Vergleich mit andern überhören