Direkt zum Inhalt
Anzeige
Anzeige
Anzeige
haustec.de
Das Fachportal für die Gebäudetechnik
Ad placeholder
Anzeige
haustec.de
Das Fachportal für die Gebäudetechnik
Ad placeholder
Print this page

Wie aus einer Schwimmhalle Wohnungen werden

Claudia Siegele

Zu Beginn dieser außergewöhnlichen Geschichte über die Rettung eines denkmalgeschützten Volksschwimmbades ein kleiner Exkurs in die Technologie der gekrümmten Schalentragwerke aus Stahlbeton (HP-Schalen): Einfach gekrümmte HP-Schalen sind nur in der Querachse gebogen und ähneln somit der Form eines aufgeschnittenen Zylinders. Ihre doppeltgekrümmten Pendants generieren sich aus einem Segment eines einschaligen Hyperboloids. Deren Form entsteht durch die Rotation einer Hyperbel um ihre Nebenachse – alles klar? Man könnte auch sagen, durch die Rotation einer Geraden um eine zu ihr windschiefen Achse. Der große Vorteil dieser komplexen Form: Trotz doppelter Krümmung kann man solche Tragschalen mit geraden Stahlstäben bewehren und diese sogar vorspannen.

Immer wieder verwechselt werden diese HP-Schalen mit den selbsttragenden Hyparschalen des ostdeutschen Bauingenieurs Ulrich Müther (1934-2007): Sie haben ebenfalls die Form eines hyperbolischen Paraboloids mit allen genannten Vorteilen, mussten aber vor Ort aus Beton gegossen werden.

Hingegen werden die HP-Schalen als Fertigteil im Werk hergestellt, mit dem Lkw zur Baustelle transportiert und müssen dort nur noch eingehoben werden. Entwickelt hat diese Technik der Hallenser Bauingenieur Herbert Müller (1920-1995) im Jahr 1951 im Rahmen eines Wettbewerbes für eine Sporthalle. Mit nur fünf Zentimetern Dicke schafften seine hyperbolisch-paraboloiden Betonfertigteilschalen riesige Spannweiten von bis zu 24 Metern. Es verwundert nicht, dass diese materialsparende und effiziente Bauweise in der gesamten DDR hundertfach genutzt wurde, um Industriehallen und Sportstätten zu überdachen. So auch die 1976 – als sogenannter „Typ B - Bitterfeld“ – gebaute Schwimmhalle in Schwerin-Lankow, unmittelbar neben dem Lankower See gelegen.

Obwohl Denkmal, drohte der Abriss

Obwohl als Baudenkmal anerkannt, bestand die Stadt Schwerin auf den Abriss des seit 2010 leer stehenden und ungenutzten Schwimmbads, das aufgrund seines HP-Schalendachs als wahrlich seltenes architektonisches Erbe der DDR-Baugeschichte anerkannt ist: Es ist das einzige seiner Art in Mecklenburg-Vorpommern, das die Zeit überstanden hat. Und jeder Schweriner, der in diesem Gebäude schwimmen gelernt hat, trägt es in seinem Herzen. Doch die Stadt fand zunächst keinen Investor und sah in dem Abriss die einzig logische Konsequenz. Schnell hatte sich eine Bürgerinitiative gefunden, die den Architekten Ulrich Bunnemann bat, sich des Falls anzunehmen – er war stadtbekannt für sein Engagement für schützenswerte Architektur. Das Projekt kostete ihn eine schlaflose Nacht, und dann war es entschieden: Er kaufte das abgenutzte Gebäude für einen symbolischen Euro.

Tragfähiges und energieeffizientes Nutzungskonzept

Voraussetzung für den Zuschlag war ein tragfähiges Konzept für die Schwimmhalle. Ulrich Bunnemann schwebte der Einbau von 16 Wohnungen vor. Weiterhin eine Praxis sowie der Erhalt und die Weiternutzung eines kleinen Teils des Bades für Reha-Sport und Kinder-Schwimmkurse.

Entlang der beiden teils großflächig befensterten Längsfassaden des Stahlbeton-Skelettbaus aus vorgefertigten Stützen und Riegeln bauten Bunnemann und sein Büro acht barrierefreie Etagen- und acht Maisonettewohnungen ein. Im inneren, niedrigeren Bereich der Halle wurde der größte Teil des Schwimmbeckens abgedeckt und zu Kellern umgenutzt. So entstand eben-
erdig ein großzügiges Foyer als Treffpunkt und Begegnungsraum für die Bewohnerinnen und Bewohner.

Die oberen Etagenwohnungen sind über eine Holztreppe mit Galerie oder über einen Lift zugänglich. Alle neu eingebauten Decken und Wände bestehen aus vorgefertigten Holzbauelementen; die industriell abgebundene Holzkonstruktion musste auf der Baustelle nur noch zusammengesteckt werden. Somit entstand ein Fertigteilsystem im Fertigteilgebäude, dies jedoch mit einem nachwachsendem Rohstoff, und darüber hinaus autark und reversibel. Die schnelle und günstige Fertigbauweise wurde somit an diesem Gebäude zweimal – einmal historisch und einmal zeitgenössisch – durchgespielt.

Möglichst nachhaltig und ressourcenschonend gingen die Planer und Ausführenden auch bei der Dämmung und Energiegewinnung vor. Die Außenwände erhielten eine Innendämmung aus Zellulose, die neuen Fenster sind dreifach verglast. Das Regenwasser, das sich auf der nach innen geneigten Dachfläche sammelt, wird als Grauwasser genutzt, und die PV-Anlage auf dem Dach produziert einen großen Teil der benötigten Energie. Die Wohnungen werden über Infrarotpaneele an den Decken beheizt, das Warmwasser fürs Schwimmbad und das Brauchwasser in den Wohnungen kommt „per Fernwärme“.

Reminiszenzen an alte Zeiten – mit einfachen Mitteln

Die aneinandergereihten, doppelt und gegenläufig gekrümmten HP-Schalen hatten zusätzlich eine Aussteifung und Kassettierung, um noch mehr Material und Gewicht zu sparen. Diese zuvor nicht sichtbare Schalen-Konstruktion wurde nun freigelegt. Aufgrund dieser Inszenierung entfalten die Bauteile jetzt nicht nur ihre statische, sondern auch ihre ästhetische Wirkung.

Betritt man das Foyer, ist unschwer zu merken, dass die Schweriner hier früher ihre Bahnen zogen, planschten und untertauchten: ein alter Startblock und dem originalen Vorbild entsprechende Bodenfliesen erinnern noch daran. Somit behält das Gebäude weiterhin seine Identität für jene, die das Bad noch aus ihrer Kindheit kennen.

Die Jury des Klaus-Dyckerhoff-Preises für Architektur verlieh für das „mustergültige Konzept, das anderen Umnutzungsvorhaben zum Vorbild dienen sollte“ einen Architekturpreis, getreu dem Motto der Stiftung: „Lang lebe der Beton!“

Bautafel

Projekt: Sanierung und Umnutzung der Volksschwimmhalle Lankow in 19059 Schwerin

Bauherr und Architekt: 
Schelfbauhütte, Ulrich Bunnemann, 19055 Schwerin, www.schelfbauhuette.de

Generalunternehmer: 
Schelfbauhütte GmbH & Co. KG, in Zusammenarbeit mit lokalen Firmen und Lieferanten

Tragwerksplaner: Ingenieurgesellschaft Dr. Apitz mbH, 19053 Schwerin, www.dr-apitz.de

Energieberatung: Energiespar-Haus GmbH, 23554 Lübeck, www.energiesparhaus-hh.de

Primärenergiebedarf: 364,20 kWh/(m2a)

Endenergiebedarf: 390,74 kWh/(m2a)

H’T: 0,395 W/(m²K)

CO2-Emissionen: -7,56 kg/(m²a)

Das könnte Sie auch interessieren

Mehr zu diesem Thema
Anzeige
haustec.de
Das Fachportal für die Gebäudetechnik
Ad placeholder