Ein Jahr bei Sto: Neuer F&E-Leiter setzt auf Nachhaltigkeit
Herr Garnier, Sie sind seit knapp einem Jahr bei Sto verantwortlich für Forschung und Entwicklung. Wo konnten Sie neue Akzente setzen?
Sébastien Garnier: Ein wichtiger Aspekt ist für mich das Thema Open Innovation mit Partnern, ob das Kunden, Architekten, Institute, Professoren oder Universitäten sind. Ich glaube, dass wir Innovationen nicht immer alleine stemmen können, sondern dies teilweise mit anderen tun sollten. Inspiration von außen und die Gewinnung von Talenten sind dabei wichtige Punkte. Ein weiterer Aspekt ist das Thema Nachhaltigkeit im Rahmen unserer Strategie 2025: Wir verstärken unsere F&E-Aktivitäten für nachhaltigere Lösungen bei den Rohstoffen, bei den gesamten Systemen und bei dem an Bedeutung gewinnenden Thema Recycling. Dabei müssen wir Qualität und die Performance der Produkte stabil, konstant und kontinuierlich genauso im Griff haben wie den Preis.
Gibt es beim Thema Open Innovation schon erste Ergebnisse?
Wir haben in den vergangenen zehn Monaten viele neue Kooperationen mit Universitäten, Instituten und Start-ups gestartet, teilweise mit ersten Forschungsergebnissen. Das ist für mich schon mal ein super Ergebnis. Diesen guten Start werden wir in den nächsten Monaten und Jahren noch ausbauen.
Was priorisieren Sie im Moment in der Forschung beim Thema Nachhaltigkeit?
Das Recycling sowie der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen stellen eine hohe Priorität dar. Weitere F&E-Aktivitäten bei dem Thema Nachhaltigkeit betreffen auch funktionale Materialien, beispielsweise smarte Fassaden, smarte Materialien, die zusätzlich zu der ursprünglichen Aufgabe eine nachhaltige Funktion besitzen werden. Wenn man eine Beschichtung nimmt für eine Fassade bin ich mir sicher, dass diese Beschichtung morgen nicht nur vor Sonne und Regen schützen wird, sondern dass sie beispielsweise auch Hitze absorbieren oder reflektieren kann, was eine potenzielle Verringerung des Energieverbrauchs bedeuten würde. Die Funktionen der Fassadenbeschichtung werden sich erweitern.
Könnte die transparente Wärmedämmung ein Revival erfahren?
Da ist Potenzial, aber die Performance des gesamten Systems sowie die Herstellungsprozesse und die damit verbundenen Kosten können noch verbessert werden.
Wie stellt sich Sto beim Thema nachwachsende Rohstoffe auf?
Bis 2030 werden wir ungefähr das Doppelte an Dämmung brauchen. Das spielt eine wesentliche Rolle bei unseren Überlegungen. Wir entwickeln Technologien nicht nur, um sie zu entwickeln, sondern der Markt muss sie haben wollen. Darum müssen wir die Entwicklungen gemeinsam mit Partnern, insbesondere Kunden, vorantreiben. Wir haben bereits Produkte im Sortiment, bei denen nachwachsende Rohstoffe in Bindemitteln einen wichtigen Anteil haben.
Und das Thema Recycling mit oder ohne nachwachsende Rohstoffe wird künftig bei der Nachhaltigkeit eine viel wichtigere Rolle spielen. Die baurechtlichen Vorgaben müssen und werden das Thema Kreislaufwirtschaft beschleunigen. Das sind für uns wichtige Ziele in der Forschung und Entwicklung. Es geht auch um die Frage, wie sich Verbindungen in Wärmedämmverbundsystemen wieder lösen lassen und wie eine möglichst sortenreine Trennung möglich ist.
Also liegt der Fokus auf dem Recycling und nicht auf dem Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen?
Der Fokus liegt auf beiden Ebenen. Bei Dämmung aus nachwachsenden Rohstoffen im großen Maßstab gibt es noch Herausforderungen, an denen die Forschung und Entwicklung dran ist. Wo gibt es innovative Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, die bezahlbar und verfügbar sind, und die eine stabile hohe Qualität aufweisen, sind hier wichtige Fragen. Einfache Beispiele für bestehende Herausforderungen sind: Wie stelle ich sicher, dass das Material gegen Schädlinge beständig ist? Wie gehe ich mit dem Thema Feuchtigkeit um? Ist der ganze ökologische Nutzen dahin, wenn diese Materialien zum Beispiel mit Chemikalien behandelt werden müssen?
Sto hatte zum Thema Recycling vor einigen Jahren ein Pilotprojekt mit einer Klett-Lösung vorgestellt. Wird dieser Ansatz noch verfolgt?
Das war ein sehr spannendes Entwicklungsprojekt, bei dem wir viel gelernt haben. Allerdings ist es so, dass die derzeit gültigen technischen Anforderungen reversible Fügungen wie zum Beispiel Klettverschlüsse im Bauwesen noch nicht vorsehen. Wir haben darum entschieden, derzeit auf eine Markteinführung zu verzichten.
Ich würde gerne auf eines der Produkte eingehen, mit dem Sto sehr stark identifiziert wird: die EPS-Isolierung. Das ist als Dämmstoff immer noch sehr umstritten. Wie gehen Sie damit um?
Sto steht nicht nur für EPS. Wir haben VHF-Systeme, Dämmlösungen mit Mineralwolle, Phenolharzen, Polyurethan sowie Mineralschaum auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. Ich kenne aber persönlich kein Massenprodukt, das momentan besser ist als EPS in Bezug auf Qualität, Performance, Verarbeitung und Haltbarkeit. Der Ansatz des Recyclings ist dabei enorm wichtig, um die Wertschöpfungskette mit EPS noch zu verbessern. Außerdem hat EPS einen relativ geringen CO₂-Fußabdruck, verglichen mit anderen Dämmstoffen wie beispielsweise Mineralwolle.
Welche Rolle spielen biomassebilanzierte EPS-Lösungen und was bedeutet das konkret?
Biomassebilanziert bedeutet, dass im Prozess der Erzeugung der Kohlenstoffbausteine für EPS ein bestimmter Anteil Biomasse verwendet wird. Dieser Anteil des EPS ist dann biomassebilanziert. Der Grundstoff für unsere Top 32 Biomass biomassebilanzierte EPS-Platte wird aus Reststoffen aus der Land- und Forstwirtschaft gewonnen. Das reduziert den CO₂-Ausstoß um zwei Drittel. Wenn Sie das mit StoTherm AimS kombinieren, haben Sie eine Systemlösung mit 30 Prozent weniger CO₂.
In welchen Mengen sind diese Reststoffe verfügbar?
Aus heutiger Sicht reichen die Volumina für den Bedarf. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass es keine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion gibt.
Wie können Sie den Primärenergieanteil bei EPS weiter reduzieren?
Recycling! Wie können wir beispielsweise Reste von EPS wieder in den Produktionsprozess einspeisen, oder EPS aus dem Rückbau verarbeiten und als Rohstoff wieder nutzen? Zusammen mit Partnern arbeiten wir an solchen Themen. Ein wichtiger Aspekt ist, den Anteil an recyceltem EPS im Endsystem so hoch wie möglich zu gestalten und gleichzeitig innerhalb des Rahmens der technischen Anforderungen der Normen zu bleiben. Es gibt zwar kein Gesetz, welches den Einsatz von recyceltem EPS begrenzt, aber indirekt gibt es Obergrenzen durch die Normen, die beispielsweise beim Brandschutz erfüllt werden müssen. Obwohl wir also rein technisch gesehen mehr Recyclate einsetzen könnten, müssen wir, um den Qualitäts- und Sicherheitskriterien zu genügen, Schritt für Schritt vorgehen. Mit zehn Prozent Beimischung beispielsweise sind wir momentan auf der absolut sicheren Seite.
Sehen Sie Chancen, das zu steigern?
Ja, definitiv. Wir müssen Erfahrungen in der kompletten Prozesskette damit sammeln, wie sich das Material verhält. Wie oft kann ich es recyceln? Einmal, zweimal, zehnmal? Aus welcher Bauzeit kommt das EPS? Entscheidend ist die Qualität des Endprodukts. Und daher ist es sicher richtig, die Menge des beigemischten Recyclats Schritt für Schritt zu erhöhen.
Wo sehen Sie mögliche Herausforderungen bei hohen Recycling-Anteilen?
Die können zum Beispiel bei der Beständigkeit, der Reaktion auf Feuchtigkeit, bei den mechanischen Eigenschaften auftreten. Wichtig ist auch das ursprüngliche Material. Ein EPS aus den Sechzigern enthält andere chemische Komponenten als heute.
Ich würde gerne nochmals auf das Thema innovative Oberflächen eingehen. Sto hatte Photovoltaik-Lösungen für die Fassade im Programm. Wie geht es damit weiter?
Das technologische Umfeld bei Photovoltaik ist sehr dynamisch. Wir haben deshalb einen neuen Lieferanten und ein neues System, das derzeit in der Erprobungsphase in Österreich und Spanien ist. Es wird wahrscheinlich nächstes Jahr in Deutschland eingeführt. Die Optik wird sich kaum von dem früheren System unterscheiden, aber es wird auf monokristallinen PV-Modulen basieren und recyclebar sein.
Derzeit wird immer öfter über eine PV-Pflicht diskutiert. Lässt sich die Vorgabe auf die Fassade übertragen oder muss sie zwingend über die Dächer erfolgen?
Wir sind ziemlich sicher, dass die Fassade bei dem Thema in Zukunft eine größere Rolle spielen wird, weil das Verhältnis zwischen Dach- und Fassadenfläche bei größeren Gebäuden für die Fassade spricht.
Gibt es auch Ansätze, die in Richtung Hitzeresilienz über die Fassade gehen, zum Beispiel durch Begrünung?
Es gibt viele Ansätze, die an Universitäten publiziert worden sind und noch sehr akademisch sind, aber für den industriellen Maßstab verbessert werden müssen. Daran arbeiten wir. Dazu gehört auch das Thema begrünte Fassaden. Sowohl vertikaler, bodengebundener Bewuchs als auch die horizontale, wandgebundene Bepflanzung gewinnen meiner Meinung nach an Bedeutung. Herausforderungen dabei sind unter anderem Instandhaltung und Kosten. Wenn es gut gemacht wird, ist das sehr nachhaltig. Es erhöht die Biodiversität in den Städten und kann die Oberflächen um zwei bis drei Grad kühlen.
Vor allem in den Innenstädten gibt es viele Gebäude, bei denen man mit EPS nicht zurechtkommt, weil man zu viel Volumen braucht. Gibt es da bessere Lösungen?
Wir hatten schon vor Jahren eine sehr, sehr dünne und supereffiziente Aerogel-Platte. Sie wurde aber relativ wenig verkauft und deshalb aus dem Sortiment genommen.
War sie zu teuer?
Das hat eine Rolle gespielt, die Akzeptanz war nicht da. Die Technologie war ausgereift und gut.
Wäre da nicht ein Putz mit Aerogel einfacher und günstiger?
Forschungsergebnisse und die praktische Umsetzung haben bisher gezeigt, dass Systeme auf der Basis von Dämmplatten den Dämmputzen überlegen sind. Das heißt aber nicht, dass Aerogel weg vom Tisch ist. Es heißt nur: Wir haben ein erstes System gehabt und Know-how generiert. Sto hatte immer wieder Produkte, die ihrer Zeit voraus waren. Wir waren einer der Wegbereiter der Vakuumtechnologie und sind einer der Wegbereiter bei der Aerogeltechnologie.
Wir sind aber auch ein Wirtschaftsunternehmen und nicht nur eine Forschungsabteilung und müssen manches von unserem Know-how manchmal zurücknehmen in die Schublade, weil der Markt noch nicht bereit ist. Es ist aber wichtig, am Ball zu bleiben, die Erfindungen zu schützen und weiter daran zu arbeiten. So ist Sto mit seinen über 80 lebenden Patentfamilien Technologieführer.
Im Moment gibt es beim Thema Energieeinsparen eine Umbruchsituation in allen Bereichen. Ist da nicht auch die Bereitschaft da zu sagen: Ich muss zwar mehr bezahlen, aber ich habe für die Zukunft mehr davon?
Das ist sicher so, dass es ein Umdenken gibt. Bei den Rohstoffen hat die Entwicklung der Energiepreise, aber auch die Ukraine-Krise ganz klar zu mehr lokaler und regionaler Beschaffung geführt. Aber es ist oft auch immer noch eine individuelle Wahl. Wenn Sie im Supermarkt sind und Sie bezahlen mehr für ein gewisses Produkt, ist das Ihre Entscheidung.
Auf der anderen Seite erleben wir seit knapp zwei Jahren eine historische Erhöhung der Rohstoff- und Energiepreise sowie massive Rohstoffengpässe. Es wird immer teurer, zu bauen. Außerdem haben wir einen enormen Bedarf an Renovierung. In Deutschland fallen etwa drei Viertel der Bestandsgebäude in die Energieeffizienzklassen D oder schlechter. Da muss sich was tun. Der Green Deal der EU wird sich mit Sicherheit positiv auswirken.
Gilt das auch für die Dämmung? Da gibt es ja teilweise viel Skepsis, in Deutschland zum Beispiel bei der Bauministerkonferenz?
Wir sehen in Italien oder in Frankreich, wie die nationalen Förderprogramme die Dinge beschleunigen. Wir sind in den vergangenen Jahren in Italien mit unseren Systemen so stark gewachsen wie noch nie, ähnlich ist das in Frankreich. Darüber hinaus muss die Regulierung aber auch klar Stellung beziehen: Produkte mit einer günstigen CO₂-Bilanz – zum Beispiel, weil sie aus lokalen Rohstoffen bestehen – werden bevorzugt oder der Recycling-Anteil muss bei x Prozent liegen.
Ich glaube, dass es da auf europäischer Ebene hingeht. Wichtig dabei ist, dass die Balance zwischen Performance und Preis stimmt und dass wir in Europa profitabel und wettbewerbsfähig bleiben. Ich würde vom Green Deal erwarten, dass diese Themen beschleunigt werden.
Wo arbeitet Sto an Lösungen, um die Vorfertigung in der Sanierung voranzubringen?
Ja, das Thema wird auch an Bedeutung gewinnen. Eine wichtige Rolle spielt die Digitalisierung, die Erfassung von Daten, die Planung und Erarbeitung maßgeschneiderter Lösungen. Wir haben dazu Sto Capture entwickelt, ein tragbares System mit Scanner, das die digitale Erfassung von Gebäuden erleichtert.
Das Interview führten Pia Grund-Ludwig und Claudia Siegele von der Fachzeitschrift der Gebäude-Energieberater. Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie auf der Internetseite des Gebäude-Energieberaters im Dossier Dämmung.