Von der Gefährdungsanalyse zur Risikoabschätzung: 10 Jahre UBA-Empfehlung
Noch 2011 mussten Gefährdungsanalysen für Trinkwasser gemäß § 9 TrinkwV vom Gesundheitsamt angeordnet werden. Doch wie sollte eine solche Gefährdungsanalyse erfolgen? Dazu veröffentlichte das Umweltbundesamt UBA 2012 seine „Empfehlungen für die Durchführung einer Gefährdungsanalyse gemäß Trinkwasserverordnung“. Die UBA-Empfehlung haben bis heute Gültigkeit und kann kostenlos auf der Website des UBA heruntergeladen werden.
Weitere Informationsschriften zur Gefährdungsanalyse veröffentlichten der VDI mit der Richtlinie VDI/BTGA/ZVSHK 6023 Blatt 2 „Hygiene in Trinkwasser-Installationen – Gefährdungsanalyse“ und der BTGA mit dem Praxisleitfaden „Gefährdungsanalyse in Trinkwasser-Installationen“, auf die an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen wird. Bei den nachfolgenden Zitaten handelt es sich um wesentliche Passagen aus der rechtlich verbindlichen Empfehlung des UBA aus dem Jahr 2012.
Was ist eine Gefährdungsanalyse?
Grundsätzlich hat eine Gefährdungsanalyse in Anlehnung an das DVGW W 1001 „Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Risiko- und Krisenmanagement“ zu erfolgen.
Sie soll „... mögliche Gefährdungen für den Normalbetrieb [Anmerkung des Autors: In der Trinkwasser-Installation spricht man von bestimmungsgemäßem Betrieb] der Wasserversorgung ... identifizieren und denkbare Ereignisse, die zum konkreten Eintreten einer Gefährdung führen können, ... ermitteln. Dabei ist an jeder Stelle des Wasserversorgungssystems systematisch zu hinterfragen: ‚Was kann an welcher Stelle passieren?‘ Die Gefährdungsanalyse sollte so konkret wie möglich formuliert und individuell für das betrachtete Versorgungssystem durchgeführt werden.“
Wird so vorgegangen, kann die betroffene Trinkwasser-Installation auf Basis der in der Gefährdungsanalyse ermittelten Ursachen und vorgeschlagenen Maßnahmen zielführend und verhältnismäßig saniert werden. Bei der Sanierung wird gemäß der UBA-Empfehlung zwischen Sofortmaßnahmen sowie mittelfristig und längerfristig umzusetzenden Maßnahmen unterschieden. Hierzu heißt es konkret:
„Dieses Sanierungskonzept ist zwar nicht Teil der Gefährdungsanalyse, gehört aber zu den Maßnahmen, die der Unternehmer und sonstige Inhaber (UsI) ... gemäß TrinkwV ... durchzuführen hat.“
UBA-Empfehlung: Häufige Abweichungen
Ziele gemäß dem Umweltbundesamt sind: „Eine Gefährdungsanalyse soll dem Usl eine konkrete Feststellung der planerischen, bau- oder betriebstechnischen Mängel einer Anlage liefern. Darüber hinaus soll sie darin unterstützen, notwendige Abhilfemaßnahmen zu identifizieren ...“
Diese Ziele sind natürlich nicht zu erreichen, wenn zu wenig Geld, zu wenig Zeit und eine unzureichende apparative Ausrüstung für eine Gefährdungsanalyse von Trinkwasser zur Verfügung stehen. Allerdings kann auch trotz sorgfältiger und fachkundiger Vorgehensweise ein relevanter Mangel für einen qualifizierten Sachverständigen nicht erkennbar sein, wenn z.B. im Rahmen einer Gefährdungsanalyse nicht alle Wände oder Decken geöffnet werden können.
Untersuchungen aus allgemeinen Aussagen
Weiterhin bestehen viele Gefährdungsanalysen zum Großteil aus allgemeinen Aussagen. Diese „Allgemeinplätze“ finden sich vor allem in den jeweiligen Einleitungen und im hinteren Regelwerksteil. Dazwischen gibt es dann einige Seiten mit Fotos und kurzen Ausführungen zu „Standardmängeln“ vor allem aus der Technikzentrale – wie fehlende freie Ausläufe bei Sicherheitsventilen oder fehlende Dämmschalen an Strangabsperrventilen – und Fotos von Räumen mit selten oder nie genutzten Entnahmestellen. Hinzu kommt dann oftmals noch ein Foto einer lediglich saisonal genutzten Außenzapfstelle.
Fehlender hydraulischer Abgleich
Nicht selten wird auch ein fehlender hydraulischer Abgleich der Warmwasserzirkulation bemängelt, weil der Probenehmer ein Thermostat nicht erkannt hat und daher beispielsweise eine Systemtemperatur von 38 °C oder 42 °C annimmt. Dies führt dann zu entsprechenden Fehlinterpretationen – mit zum Teil teuren Folgen.
Wie auch immer objektspezifisch vorgegangen wird, jede Gefährdungsanalyse von Trinkwasser muss mindestens folgende Fragen beantworten, die den Sanierungsumfang maßgeblich bestimmen: Ist die Trinkwasser-Installation systemisch oder lediglich lokal kontaminiert (Bild 2) und ist das Trinkwasser kalt oder warm betroffen – oder beides? Fehlen die Antworten auf diese Basisfragen, muss nachgebessert werden, z.B. in Form einer erneuten Beauftragung eines weiteren Gutachters.
Sachverständige: Qualifikation und Befangenheit
Theoretisch darf ein qualifizierter Betreiber seine Gefährdungsanalyse eigenständig erstellen. Ansonsten kommen „... als Durchführende in den Bereichen Sanitärtechnik und Trinkwasserhygiene qualifizierte Mitarbeiter in Betracht“. Die UBA-Empfehlung listet auf, wer neben ö. b. u. v. Sachverständigen als qualifiziert gilt, und fordert zusätzlich „fortlaufende spezielle berufsbegleitende Fortbildungen“. Diese sollen „eine weitere Vertiefung erkennen lassen“.
Beispielhaft dafür werden Qualifikationen „z.B. nach VDI 6023, (Zertifikat, Kategorie A), Fachkunde Trinkwasserhygiene des Fachverbandes Sanitär Heizung Klima, DVGW-Fortbildungen zur Trinkwasserhygiene etc.“ aufgeführt.
Damit die Durchführung der Gefährdungsanalyse von Trinkwasser wirklich objektiv erfolgt, „muss eine Befangenheit vermieden werden“ (siehe Gastkommentar am Ende des Artikels). Am Ende ist es jedoch allein die Entscheidung des Betreibers, wen er beauftragt. Er hat gemäß der UBA-Empfehlung lediglich zu bedenken:
„Der UsI bleibt in der Verantwortung: Im Falle von Schadensersatzforderungen vor Gericht kann es wichtig sein, die Unabhängigkeit und ausreichende Qualifikation des hinzugezogenen Sachverstandes belegen zu können.“
Welche Hilfsmittel sind sinnvoll?
An dieser Stelle kann nicht auf alle Maßnahmen zur Durchführung und zum Ablauf der Gefährdungsanalyse vollumfänglich eingegangen werden. Einige Aspekte sind jedoch besonders relevant, denn sie ermöglichen dem Auftraggeber schon anhand des Kostenvoranschlags eine Abschätzung der späteren Qualität der Gefährdungsanalyse.
Zeitaufwand
Kernfragen in diesem Zusammenhang sind: Wird ein angemessener Zeitaufwand eingeplant für die Dokumentenbeschaffung und -prüfung, für die Begehung des gesamten Gebäudes und Erfassung wichtiger Betriebsparameter mittels Datenloggern? Wie viele Stunden werden für die Erstellung des Berichts eingeplant? Auch Datenlogger müssen platziert, wieder abgeholt und ausgewertet werden. Datenlogger sind unerlässlich, um gemäß Umweltbundesamt die notwendigen Informationen zum bestimmungsgemäßen Betrieb und zu den Betriebstemperaturen zu erhalten (Bild 3).
Zusätzliche Wasseranalysen
Auch mittels zusätzlicher Wasseranalysen können wesentliche Informationen generiert werden. Allerdings weicht dann die Vorgehensweise bei der Probenahme in aller Regel von den Vorgaben der routinemäßigen Überwachung gemäß DIN EN ISO 19458 Zweck b) und einem Liter Ablauf ab. So sind oftmals auch vergleichende Probenahmen über die Armaturen und über Probenahmeventile an den zugehörigen Eckventilen notwendig. Denn nur so kann häufig festgestellt werden, ob lediglich eine zu selten genutzte Entnahmestelle kontaminiert ist oder systemisch das Trinkwasser warm oder kalt.
Achtung: Oft „täuschen“ kontaminierte Armaturen eine systemische Kontamination im Trinkwasser vor, indem sie auch nach Ablauf von einem Liter noch so viele Legionellen in das nachfolgende Probenahmevolumen von 250 ml abgeben, dass der technische Maßnahmenwert überschritten wird. Für einen solchen Sachverhalt sind wenig plausible Legionellenbefunde in Bezug auf die festgestellten Systemtemperaturen ein guter Indikator.
Umfang der Dokumentation
Ideal wäre für Auftraggeber, Gesundheitsamt und den sanierenden Fachhandwerker unter anderem eine knappe und übersichtliche Auflistung der festgestellten Abweichungen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik (a. a. R. d. T.), deren Bewertung und Fristen für die Sanierung. Das spart den Verantwortlichen während der Sanierung das erneute Lesen aller Seiten der Gefährdungsanalyse und das mühsame Herausfiltern relevanter Sachverhalte.
Insofern bietet sich als Zusammenfassung eine Tabellenform an, wie sie im Water Safety Plan (WSP, auch Wassersicherheitsplan) des UBA exemplarisch dargestellt ist. Sie enthält die „Sofortmaßnahmen sowie mittelfristig und längerfristig umzusetzenden Maßnahmen“. Erweitern ließe sich die Tabelle um zwei weitere Spalten, in die später die Umsetzungstermine der Maßnahmen eingetragen werden (Bild 4).
Diese Tabelle ersetzt jedoch nicht, sondern ergänzt eine möglichst knappe, aber dennoch für den Betreiber als fachlichen Laien gut verständliche Darstellung der Abweichungen von den a. a. R. d. T. Arnd Bürschgens, ebenfalls ö. b. u. v. Sachverständiger für Trinkwasserhygiene, rät dazu, die Abweichungen wie bei einer Mangelanzeige oder Bedenkenanmeldung üblich zu formulieren, sodass die Darstellung „inhaltlich klar, vollständig und erschöpfend die nachteiligen Folgen und die sich daraus ergebenden Gefahren einer zweifelhaften Ausführungsweise konkret darlegt, damit seinem Auftraggeber die Tragweite der Nichtbefolgung des Hinweises ausreichend deutlich wird“ (OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Oktober 2017 – Az.: 22 U 41/17).
Die Zukunft: Risikoabschätzung
Es ist davon auszugehen, dass bereits ab dem 12. Januar 2023 in der neuen TrinkwV der Begriff „Gefährdungsanalyse“ durch den Begriff „Risikoabschätzung“ gemäß WSP des UBA ersetzt wird (Bild 5). Denn damit würde der Gesetzgeber gleichzeitig eine Forderung der EU-Trinkwasserrichtlinie (EU-Richtlinie 2020/2184) erfüllen.
Im WSP ist die Risikoabschätzung der Gefährdungsanalyse nachgelagert. Daraus ergibt sich ein zweiter Vorteil: Nicht jede Abweichung von den a. a. R. d. T. ist so relevant, dass daraus ein wesentliches Risiko entsteht. Daher können die ermittelten Gefährdungen im Hinblick auf relevante Risiken zum Beispiel anhand einer 3 x 3-Risikobewertung gemäß WSP ermittelt werden (Bild 6). Diese Überführung von Gefährdungen in Risiken dient der Begrenzung des Sanierungsaufwandes auf Relevantes und erhöht auch die Akzeptanz von Gefährdungsanalysen.
Fazit
Die bereits seit 2011 geforderten Gefährdungsanalysen sind eine Erfolgsgeschichte, vor allem wenn sie entsprechend der UBA-Empfehlung vom Dezember 2012 durchgeführt werden. Ohnehin sind die heutigen Gefährdungsanalysen ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Risikoabschätzung gemäß WSP.
Um die Akzeptanz heutiger Gefährdungsanalysen nicht zu gefährden, dürfen diese nicht teilpauschalisiert verfasst werden, sondern müssen grundsätzlich objektspezifisch die konkreten Ursachen für die festgestellten Gefährdungen und damit auch indirekt die Maßnahmen zu deren Behebung enthalten.
Gastkommentar:
"Wenn du ein ungutes Gefühl hast, dann lass es sein"
Diese praxisnahe Lebensweisheit meiner Schwiegermutter verdeutlicht eigentlich alles, was der Jurist unter der „Besorgnis der Befangenheit“ zu erkennen vermag und zu bewerten hat. Die Besorgnis ist die Sorge um die erforderliche Unabhängigkeit und Stimmigkeit einer Entscheidung. Es ist die Befürchtung, dass anderweitige persönliche oder wirtschaftliche oder sonstige Interessenlagen auf eine objektivierbare Betrachtung Einfluss genommen haben können.
An erster Stelle stehen hierbei ureigene „Selbsterhaltungstriebe“. Wer im Rahmen einer Gefährdungsanalyse die Qualität einer Planung, Errichtung oder Wartungsleistung beurteilen soll, hierbei aber daran selbst beteiligt war, wird schwerlich aus objektiver Sicht die Gegebenheiten beurteilen können. Menschlich verständlich, aber eben auch abträglich für die Wahrheitsfindung.
Eine abgewandelte Form stellt die persönliche oder wirtschaftliche Nähe zu dem dar, dessen Leistung beurteilt werden soll. Ist es ein alter Wegbegleiter oder ein Familienangehöriger, dann mag die Selbstbetroffenheit direkt nicht gegeben sein, aber doch „über Bande“. Dergleichen schafft ebenfalls kein Vertrauen in die Unabhängigkeit einer ausschließlich der Fachkunde unterworfenen Stellungnahme. Gleiches gilt für den Fall, in dem mit der Auftragsausführung weitere Einnahmemöglichkeiten quasi eingearbeitet werden und zu Folgeaufträgen führen können (sollen?).
Eine andere Variante ist eine bestehende eigene wirtschaftliche Abhängigkeit in einer Dreieckskonstellation. Steht die Beurteilung der Leistung eines Dritten an und besteht zu diesem eine wirtschaftlich enge Bindung in der Gestalt eines Arbeitsverhältnisses oder einer gefestigten Geschäftsbeziehung, dann sind auch hier bereits anfängliche Zweifel an der erforderlichen Entscheidungsfreiheit im Rahmen einer Beurteilung eines Sachverhalts verständlich.
Wie stellt es sich folglich aus der Sicht des um die Wahrheit besorgten Juristen dar, wenn ein Sachverständiger mit eigenem SHK-Unternehmen die Gefährdungsanalyse macht und saniert bzw. regelmäßig seinen „besten Kumpel“ für die Sanierung weiterempfiehlt?
Macht der Sachverständige die Analyse und die Sanierung selbst, dann ist das eindeutig zu eng miteinander verwoben, um aus juristischer Sicht ohne die Besorgnis der möglichen Einbringung eigener wirtschaftlicher Interessen zu sein. Hier könnte sich jemand selbst die Größe und den Umfang einer späteren Beauftragung zur Sanierung „gebastelt“ haben. Wird der „beste Kumpel“ manchmal empfohlen, dann kann dieses aus guter fachlicher Überzeugung erfolgen. Ist die Weiterempfehlung aber ein Selbstläufer oder erfolgen wechselseitig ebenfalls Beauftragungen durch besagten Spezi, dann liegt der Verdacht auf ein kollusives Zusammenwirken sehr nahe.
Was, wenn ein Probenahme-Institut Sachverständige empfiehlt, die dann wiederum ihrerseits umfangreiche weitere Wasseranalysen bei diesem Probenahme-Institut durchführen lassen? Argumentativ lässt sich objektiv feststellen, dass das zwar einerseits Sinn macht, weil diese die Anlage bereits kennen, andererseits kann aber auch hier ein „Geben und Nehmen“ über die fachlichen Erfordernisse leichter verwirklicht werden als in einem Fall, in dem keine derartigen Empfehlungen „Wege geebnet“ haben.
Im Ergebnis ist auszuführen, dass eine Besorgnis dann begründet ist, wenn bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung besteht, dass der Sachverständige der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenübersteht. Nicht erforderlich ist nach der Rechtsprechung, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist; unerheblich ist auch, ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht eines Dritten genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit eines Sachverständigen zu zweifeln.
Hartmut Hardt ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei RA Hardt in Waltrop, www.ra-hardt.de
Dieser Artikel von Dr. Peter Arens erschien zuerst in SBZ-Ausgabe 14/2022. Dr. Peter Arens ist ö. b. u. v. Sachverständiger für Trinkwasserhygiene bei der Handwerkskammer Südwestfalen und Trinkwasserexperte bei Schell in Olpe.