Wasser als Energieträger: So funktioniert die Vakuum-Flüssigeis-Technologie
Wasser und seine ganz besonderen Eigenschaften sind in unserem täglichen Leben noch viel zu wenig genutzt. So schrieb der französische Schriftsteller Jules Verne schon 1870 in seinem Buch Die geheimnisvolle Insel: „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“
Physikalischer Hintergrund
Das Verfahren, welches wir hier beleuchten wollen, beruht auf dem natürlichen Phänomen, dass am Tripelpunkt von Wasser die Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig gleichzeitig vorliegen.
Durch die Verdampfung einzelner Wassermoleküle an der Wasseroberfläche wird der umgebenden Flüssigkeit fast 8-mal mehr Energie entzogen als es zum Vereisen benötigt. Da die Verdampfung bei etwa –0,5 °C im Bereich des Tripelpunktes im Vakuum erfolgt, gefrieren andere Wassermoleküle und bilden Eispartikel. Zur technischen Nutzung dieses Phänomens muss der Wasserdampf mit einem Verdichter aus dem Eiserzeuger abgesogen werden, wie es auch bei anderen Kältemaschinen (hier: Wasserdampf) zur herkömmlichen Kälteerzeugung erfolgt.
Zum Erfinder der Technologie
Diese Technologie ist am Institut für Luft- und Kältetechnik Dresden (ILK) gGmbH als Alternative zu herkömmlichen Kältemaschinen entwickelt und mit dem Deutschen Kältepreis 2016 ausgezeichnet wurden. Das Institut verfügt über eine jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung spezieller Turboverdichter für diese Einsatzbedingungen und konnte deren zuverlässigen Betrieb in zahlreichen Anlagen in den verschiedensten Anwendungen nachweisen. Neben der direkten Nutzung von Wasser als Kältemittel in R 718-Turbo-Kaltwassersätzen mit einer Leistungsgröße bis zu 1 MW werden derartige Verdichter auch in mechanischen Brüden-Kompressionsanlagen zur Meerwasserentsalzung eingesetzt.
Die Anwendungen
• Umweltrelevanz und Effizienz
Das so entstehende Flüssigeis wird ohne Wärmeübertrager und ohne chemische Substanzen hergestellt und ist somit effizienter und vor allem deutlich umweltfreundlicher als herkömmliche Kälteanlagen. Fast alle bisherigen Kälteanlagen stellen die benötigte Kühlung nur in dem Moment zur Verfügung, in dem sie benötigt wird.
• Kälte als Regelenergie
Ganz anders ist es bei der Vakuum-Flüssigeis-Technologie, in der der elektrische Aufwand dann erfolgen kann, wenn Strom (zum Beispiel aus Sonne und Wind) zu viel zur Verfügung steht, um die Kälte später bei Bedarf zu nutzen. Die Solaranlage auf dem Theaterdach produziert über Ihren Stromertrag dann am Tag die Kälte, um sie am Abend zur Klimatisierung zu verwenden.
• Bis zu 7-fach höhere Kühlkapazität pro m³
In diesem Prozess wird durch den Phasenwechsel von Wasser eine erhebliche Verbesserung der Kühlkapazität pro m³ erreicht. Das flüssige Eis (0 °C mit 50 Prozent Eisanteil) speichert siebenmal besser als die mit üblichen Kaltwassersätzen (6 °C/12 °C) gekoppelten Kaltwasserspeicher, wodurch wesentlich mehr Kälteenergie im gleichen Volumen vorgehalten werden kann.
• Vorbild Altvordere
Im Sommer mit Eis zu kühlen ist schon viele Jahrhunderte alt. Bierbrauer nutzten im Winter im See geschnittenes Eis um im Sommer ihr Bier zu kühlen, indem Sie es in gut geschützten Höhlen einlagerten.
• Flüssigeis zum Kältetransport
Die geringe Energiedichte bei üblichen Kaltwassernetzen (bei 6/12 °C ca. 7 kWh/m³) führt zu großen Volumenströmen, großen Rohrquerschnitten und signifikantem Pumpaufwand. Bis zu einem Eisanteil von ca. 25 Prozent kann Flüssigeis bei vergleichbarem Druckverlust problemlos zugemischt und gepumpt werden. Die Energiedichte steigt dabei um 500 Prozent! Entsprechend sinken Rohrquerschnitt und Pumpaufwand.
• Zentrale Kälteerzeugung schafft zentrale Abwärme
Die Abwärme aus vielen kleinen Kältemaschinen kennt keinen Nutzen. Mit der Bündelung durch Kältenetze entsteht eine zentrale Einheit, dessen Abwärme sinnvoll zur Bereitstellung von Warmwasser, Heizung oder anderen niedertemperaturigen Prozessen nutzbar gemacht wird.
Heizen mit Flüssigeis
Diese bisher beschriebenen Eigenschaften lassen sich in vielen heute noch wenig oder gar nicht genutzten Energieversorgungslösungen hervorragend anwenden. So kann auf sehr umweltverträgliche Art auch Seewasser, Flusswasser oder das Wasser aus Talsperren als Wärmequelle für die Anrainer zur Verfügung gestellt werden – zumal alle Gewässer in Deutschland durch die Klimaerwärmung schon ein Grad wärmer wurden.
Am Beispiel vom Zwenkauer See mit seinem 0,176 km³ Wasservolumen entspricht das immerhin ca. 200 GWh pro Kelvin, was dem See bei einem Grad Celsius Abkühlung entnommen würde.
Beim Vakuumeis-Verfahren kann der Wärmeentzug sowohl durch die Abkühlung des Wassers als auch durch ein teilweises Einfrieren erfolgen. Dieser maßgebliche Vorteil erlaubt eine ganzjährige Nutzung des Wassers als Wärmequelle, also auch bei niedrigen Wassertemperaturen bis zum Gefrierpunkt!
Auch hier kommt wieder der Einfluss der großen Schmelzwärme zum Tragen. Erfolgt der Wärmeentzug durch eine Teilvereisung wird auch der notwendige Volumenstrom reduziert, der aus dem Gewässer entnommen und nach Wärmeentzug wieder eingeleitet wird. Folgendes Zahlenbeispiel soll dies verdeutlichen:
- Dem Gewässer sollen 100 kW Wärme entnommen werden.
- Notwendiger Volumenstrom bei Wärmeentzug durch Abkühlung um 6 K, z.B. von 8 °C auf 2 °C: 14,3 m³/h
- Erforderlicher Volumenstrom bei Teilvereisung, z.B. Entnahme 0 °C, Rückgabe mit 0 °C, 40 Prozent Eis: 2,8 m³/h.
- Mit dem Volumenstrom werden auch der Pumpaufwand und die notwendigen Rohrquerschnitte verringert. Dieser Vorteil fällt umso mehr ins Gewicht, je größer die Entfernung zwischen Gewässer und dem Ort der Wärmeverwendung ist.
Vorbild Schweiz
Anders als in Deutschland, wo Seewasserwärmepumpen noch überhaupt keine Rolle spielen, wird die Wärmeversorgung über Großwärmepumpen aus Seewasser in der Schweiz schon über sechs Jahrzehnte erfolgreich betrieben.
Doppelter Nutzen
Da der Wärmetransport auf dem Temperaturniveau des Seewassers erfolgt und der Rücklauf zum See mit 0 °C, kennt diese Art keine thermischen Verluste. Die Transportkapazität ist zweimal höher als in einem herkömmlichen Fernwärmerohr mit 90 °C im Vor- und 70 °C im Rücklauf, was auch den elektrischen Aufwand in Grenzen hält.
Sollte der Rücklauf durch ein Gewerbegebiet, ein Hotel- oder Kongresszentrum verlaufen, kann dort die Kühlung „nebenbei“ erfolgen und muss nicht erst im See wieder regeneriert werden.
Neues Geschäftsfeld für Energieversorger
Diesen doppelten Nutzen sollten sich Energieversorger einmal ruhig überlegen: Die Abwärme aus der verkauften Kühlung, dem Nachbarn als Wärmequelle zu verkaufen ist umweltfreundlich und nützlich für alle Beteiligten.
Synergieeffekte
- Auch stark mineralisierte Wässer wie Grubenwässer lassen sich als Wärmequelle erschließen. Vorteil ist hier v.a. der Wärmeentzug durch Direktverdampfung und die Vermeidung eines grubenwasserbeaufschlagten und damit verschmutzungsanfälligen Wärmeübertragers. Je nach Grubenwasserwassertemperatur ist ein Betrieb ohne Vereisung sinnvoll. Das aus der Kondensation des reinen Wasserdampfes gewonnene Destillat kann ggf. als Nebenprodukt verwendet werden.
- Die Kälteerzeugung, der Transport und die Lagerung erfolgen erstmalig ohne Wärmetauscher – was zu erheblich besserer Nützlichkeit führt.
- Statt Strom aus dem öffentlichen Netz passt Strom aus einer Photovoltaikanlage besonders zur Kälteerzeugung, da die benötigte Gleichzeitigkeitsgrad zwischen Photovoltaik (-überschuss) im Sommer und Kältebedarf sehr hoch ist.
- Zur Seewassernutzung: Schutz unserer Gewässer, besonders unserer Trinkwassertalsperren vor Überwärmung in immer größeren Hitzeperioden ist eine wichtige Aufgabe (Schutz vor Blaualgenbefall), die durch den Wärmeentzug und dessen sinnvolle Anwendung doppelten Nutzen verspricht.
Aussichten
Mit der Vakuum-Flüssigeis-Technologie werden heute ungenutzte Wärmequellen nutzbar, die einen erheblichen Anteil an der Wärmeversorgung unseres Landes ohne Öl, Gas und Kohle übernehmen können. Der Doppelnutzen von Wärme und Kälte gibt beiden Sektoren erhebliche Effizienzgewinne, was heute unter Ressourceneffizienz diskutiert wird. Wasser als unbegrenzt verfügbares Medium hat keinerlei bekannte Risiken und Nebenwirkungen. Es wird nicht verbraucht – es wird genutzt – seit über 5000 Jahren.
Dieser Beitrag von Bernd Felgentreff ist zuerst erschienen in Die KÄLTE + KLIMATECHNIK 08/2020. Bernd Felgentreff ist selbstständiger Berater im Bereich Erneuerbarer Energien und Energieeffizienz.