Haus aufstocken: Wie die Aufstockung von Gebäuden mehr Wohnraum schafft
Ganz Deutschland klagt über den Wohnungsmangel und Mieter fordern angesichts ungebremst steigendem Mietzins die Enteigung privater Immobilienkonzerne. Für Investoren wahrlich kein verlockendes Signal, trotz hoher Nachfrage in den Neubau von Immobilien zu investieren. Andererseits ist ein Ende des Preisanstiegs bei Wohnimmobilien nicht in Sicht und somit verspricht das Betongold weiterhin eine lohnende und zugleich sichere Geldanlage.
Und dann wäre da noch die Ressource Bauland, die ausgerechnet dort, wo Wohnraum am dringendsten nachgefragt wird, nämlich in Metropolen und Ballungsräumen, äußerst knapp bis nicht mehr verfügbar ist.
Dabei gäbe es durchaus genügend Flächen, die für zusätzlichen Wohnraum genutzt werden könnten – und zwar ganz oben, auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern, inmitten vorhandener Infrastruktur und bereits erschlossener Quartiere. (Abb. 1 und 2). Aber welche Pozenziale bietet es, das Haus aufstocken zu lassen?
Dachaufstockung: Erhebliches Wohnraum-Potenzial
Bereits 2016 präsentierten die TU Darmstadt und das Pestel-Institut Hannover eine umfassende Studie[1], die belegt, dass Wohnungen, die „On-Top“ auf Dächern bestehender Gebäude geschaffen werden, die sogenannte Dachaufstockung, durchschnittlich zusätzlich 85m2 an bezahlbarer Wohnfläche bereitstellen können. Und das pro Haus bzw. Dach.
Insgesamt haben die Forscher in ausgewiesenen Regionen mit erhöhtem Wohnbedarf 0,58 Mio. aufstockbare Mehrfamilienhäuser ausgemacht, die ein Potenzial von rund 1,1 bis 1,5 Mio. zusätzlichen Wohnungen mit 84,2 Mio. m2 zusätzlicher Wohnfläche ausweisen.
Die statisch-konstruktiven Untersuchungen und bautypologischen Auswertungen (Abb. 3) ergaben, dass für mehrgeschossige Mehrfamilienhäuser der Baujahre 1950 bis 1989 die konstruktiven Voraussetzungen für Aufstockungen auf dem Dach grundsätzlich gegeben sind – im Mittel können die Gebäude ohne zusätzliche statische Vorkehrungen durch die Dachaufstockung jeweils 1,3 Geschosse Huckepack nehmen. Wie sieht es aber mit der energetischen Effizienz aus, wenn man ein Haus aufstocken lässt?
Aufstockung verbessert energetische Effizienz des Gebäudes
Auch aus energetischer Sicht bringt eine Aufstockung auf dem Dach Vorteile: Die Überbauung der obersten Geschossdecke mit beheiztem Wohnungen reduziert den Energiebedarf der oberen Wohnungen um bis zu 50%. Die neu aufgestockten Geschosse auf dem Haus wiederum weisen gegenüber dem Bestand aufgrund der heutigen höheren energetischen Anforderungen einen weitaus geringen Energiebedarf auf, was die Gebäudeeffizienz insgesamt verbessert. Zumal es bei einer Aufstockung naheliegt, das gesamte Gebäude grundlegend energetisch zu sanieren.
Das schließt auch die bestehende Haustechnik mit ein, da diese ja die aufgestockten Geschosse in der Regel mitversorgen muss. Übrigens ein idealer Zeitpunkt, um das Konzept im bestehenden Haus auf regenerative Energieträger umzustellen oder die bestehende Anlage zumindest um Solarthermie oder eine PV-Anlage zu ergänzen.
Statische Reserven variieren je nach Baualtersklasse
Vorbildliche Beispiele für Nachverdichtungen durch Aufstockungen gibt es zuhauf. Die Bandbreite reicht vom aufgesetzten Staffelgeschoss über 1- und 2-geschossige Aufstockungen bis hin zu 3- und 4-geschossigen Aufbauten. Welches die sinnvolle und wirtschaftlich darstellbare Lösung der Geschossaufstockung ist, hängt von der Grenztragfähigkeit des Bestandes, dessen statisch-konstruktivem Konzept und den zusätzlichen Lasten aus der Aufstockung ab. In anderen Worten: Lässt sich auch ein Altbau aufstocken?
Die statischen Reserven sind zum Beispiel bei den Gebäuden aus der Nachkriegszeit (1950er-Jahre) aufgrund der aufgezwungenen Materialsparsamkeit nicht so üppig wie bei den Gebäuden aus den 1960er-Jahren. Zehn Jahre später waren Bauweise und Ausstattung noch einmal deutlich höher – die Betonbauweise galt bald als das Maß der Dinge, und bei den Mehrfamilienwohnhäusern ab sieben Geschossen zählten Aufzüge im Haus in der Regel bereits zum Standard. Ab 1977 verbesserte sich ganz allmählich auch das energetische Niveau, wodurch in den 1980er-Jahren wieder verstärkt der Mauerwerksbau mit Hochlochziegeln in den Fokus rückte.
In Ostdeutschland überwogen im verdichteten Wohnungsbau hingegen industrielle Bauweisen und standardisierte Gebäudetypen in Fertigteilbauweise (WBS 70, Blockbau Typ P2 …) mit meist ausgereizten Tragreserven, wobei generell für Aufstockungen die Leichtbauweise aufgrund ihrer Vorteile hinsichtlich geringer zusätzlicher Lasten und kurzer Bauzeiten dank Vorfertigung bevorzugtes Mittel zum Zweck ist.
Auch der Modulbau bzw. das serielle Bauen, also die Vorfertigung kompletter Einheiten inklusive Ausbaugewerken, bietet sich für Aufstockungen auf dem Dach an – auch oder gerade auf Nichtwohnungsbauten wie Parkhäusern, Industrie- und Verwaltungsbauten. Nicht jeder Altbau ist also für die Aufstockung geeignet - viele aber dann doch.
Deutschlandstudie 2019: Potenziale von Nichtwohnungsbauten
Genau diese Gebäudetypologien nahm die Deutschlandstudie 2019 [2] ins Visier, um weitere Wohnraumpotenziale im innerstädtischen Bereich auf dem Dach auszumachen. Konservative Annahmen gehen bei dieser Studie davon aus, dass neben den oben genannten Flächenpotenzialen für Aufstockungen bei Mehrfamilienhäusern (1,1 bis 1,5 Mio. Wohneinheiten) weitere 20.000 Wohneinheiten auf Parkhäusern der Innenstädte Platz fänden. Aber auch Büro- und Verwaltungsgebäude wären für die Nachverdichtung geeignet – sei es auch hier durch Aufstockungen (560.000 Wohneinheiten) oder durch Umnutzung leerstehender Bürokomplexe (350.000 Wohneinheiten).
Genug Platz für weitere 400.000 Wohneinheiten böten die großflächigen innerstädtischen Discounter und Supermärkte, würde man deren Bauweise schon in der Planungsphase für zusätzliche Geschosse vorbereiten und die Fläche auf dem Dach hierfür nutzen. Chancen für zusätzlichen Wohnraum böten hier auch die zahlreichen Parkplätze, die in einer Tiefgarage ohnehin sinnvoller untergebracht wären.
In Summe liegt somit auf den dafür nutzbaren Dächern ein Wohnungspotenzial von 2,3 bis 2,7 Mio. Wohnungen brach. Um dieses Potenzial zu heben, wären allerdings vielerorts eine Reihe von bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Vorgaben speziell für Nichtwohnungsbauten neu zu definieren.
Dies würde sich lohnen, denn Nichtwohngebäude machen mit geschätzten 2,5 Milliarden m2 NGF im Vergleich zu Wohngebäuden mit 3,8 Milliarden m2 rund 40% der bebauten Fläche in Deutschland aus.
Haus aufstocken: Zusätzliche Lasten, Brand- und Schallschutzanforderungen
Neben der Tragwerkstruktur sind bei der Aufstockung von Nichtwohngebäuden auch bauphysikalische Aspekte zu berücksichtigen. Unter anderem sind energetische Richtlinien sowie Brandschutz- und Schallschutzanforderungen für die bestehenden Nichtwohngebäude und die neuen Wohnungen zu erfüllen.
Um den Eingriff in das Bestandsgebäude so gering wie möglich zu halten, ist es von Vorteil, das bisherige statische Grundsystem weiter nutzen zu können. Handelt es sich um die Umnutzung eines Bestandsgebäudes in ein Wohngebäude, so ändern sich weder die Lasten aus Eigengewicht noch die standortabhängigen Beanspruchungen aus Wind und Schnee für das Haus.
Die maßgebende Lastveränderung ist infolge der sich ändernden Nutzung, also den veränderten Nutzlasten, gegeben. Wird beispielsweise ein Warenhaus, bei dem eine Nutzlast von 5 kN/m2 angerechnet wird, in ein Gebäude mit Wohnnutzung umgewandelt, wofür nur noch eine Nutzlast von 2 kN/m2 anzusetzen ist, so ergeben sich infolge der geringer anzusetzenden Nutzlasten Traglastreserven. Diese vorhandenen Traglastreserven können beispielsweise für eine Aufstockung herangezogen werden.
Wirtschaftlichkeit von Aufstockungen
Die immobilienökonomische Wirtschaftlichkeit einer Dachaufstockung ergibt sich gerade im innerstädtischen Bereich aus dem vorteilhaften Umstand, dass das Grundstück mit dessen Infrastruktur und Außenanlagen ja bereits vorhanden ist. Je höher also die Baulandpreise, umso höher fällt auch der wirtschaftliche Vorteil gegenüber einem Neubau aus.
Ab einem Bodenrichtwert von 240 €/m² machen sich die Maßnahmen zur Ertüchtigung des Bestandes für eine Aufstockung bezahlt – also zum Beispiel die statische Verstärkung der obersten Geschossdecke. Weitere ökonomische Potenziale der Aufstockung liegen darin, die neuen Wohnungen energetisch so gut auszulegen, dass diese ohne größere Veränderungen an die vorhandene Heizung des Bestandsgebäudes mit angeschlossen werden können.
Weist das Bestandsgebäude ohnehin einen Instandhaltungs- oder einen Modernisierungsstau auf, ergeben sich hier weitergehende synergetische Effekte in der wirtschaftlichen Bewertung der Aufstockung.
Ungeachtet dessen sind Investitionen in Wohnimmobilien auch auf lange Sicht eine sichere Geldanlage. Das belegt auch der Postbank Wohnatlas 2019, für den Experten des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) eine Kaufpreisprognose bis 2030 erstellt haben. Vor allem in und um die urbanen Zentren können Haus- und Wohnungsbesitzer davon ausgehen, dass ihre Immobilie bis mindestens 2030 real an Wert gewinnt. Kommt nun auch noch die Dachaufstockung hinzu, wäre die Wirtschaftlichkeit in vielen Fällen hoch.
Ein Grund für die große Nachfrage am Wohnungsmarkt sind steigende Einwohnerzahlen in und um die Metropolen sowie in Süddeutschland. Insbesondere in den sogenannten „Big Seven“ – den größten deutschen Metropolen und dort allen voran München – prognostizieren die Experten ein Plus von jährlich real 1,81 %. Gleichzeitig hinkt das Bauen von neuen Wohnungen hinterher.
Ausgehend von einem ohnehin hohen Niveau, denn im Schnitt mussten Immobilienkäufer 2018 in der bayerischen Landeshauptstadt 7509 €/m2 berappen.
Haus aufstocken spart Baulandressourcen
Indem man Häuser aufstocken lässt, bietet sich hier auch ökologisches Potenzial – denn anstatt neuen Baugrund auszuweisen und stattdessen den Wohnraum auf bestehende Gebäude aufzusetzen, reduziert den Bedarf an neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen (Abb. 4).
Hier besteht zudem echter Handlungsbedarf, denn mit rund 4,8 Mio. Hektar sind von der deutschen Gebietsfläche rund 14% als Siedlungs- und Verkehrsfläche ausgewiesen. Und zum Zeitpunkt der ersten Deutschlandstudie 2015/2016 kamen pro Tag rund 70ha hinzu.
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung hat sich indes zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis 2020 auf max. 30ha pro Tag zu reduzieren. Jede weitere Aufstockung trägt dazu bei, diesem Ziel näherzukommen. In vielen Kommunen gehören der sparsame Umgang mit Grund und Boden und die Förderung der Innenentwicklung längst zum städtebaulichen Leitbild – oft fehlen bereits schlicht die lokalen Ressourcen für neues Bauland.
Der Studie zufolge können Aufstockungen bei Mehrfamilienhäusern der Baujahre 1950 bis 1989 in Regionen mit erhöhtem Wohnbedarf 150 bis 250 Mio. m2 an Neulandflächen einsparen. Davon ausgehend, dass das ermittelte Potenzial der Dachaufstockung binnen zehn Jahren erschlossen wird, reduziert sich der Flächenbedarf für Gebäude- und Freiflächen um 3 bis 7ha pro Tag.
Geschossaufstockung: Bauweisen und Vorfertigungsgrad
Mit welchen Materialien oder Bausystemen eine Aufstockung auf einem Haus umgesetzt wird, ist prinzipiell nicht entscheidend für die Wirtschaftlichkeit und Ausführbarkeit (Abb. 5). Jedoch kann es bei geringen statischen Tragreserven des Bestandsbaus sinnvoll sein, der Leichtbauweise für die Aufstockung den Vorzug zu geben – sei es in Form von Stahl- oder Holzbausystemen.
Beide Systeme erfüllen bei der Leichtbauweise bei geringem Eigengewicht die geforderten Brand- und Schallschutzeigenschaften und ermöglichen schlanke, leichte und stabile Wand- und Deckenaufbauten. Es sind Stahlleichtbausysteme am Markt, mit denen sogar eine Aufstockung mit zwei Stockwerken ohne zusätzliche Verstärkungen auf dem Haus umsetzbar ist.
Ein gewisser Vorfertigungsgrad ist sicherlich von Vorteil, allerdings muss gerade in Innenstädten die Baulogistik für die Dachaufstockung gewährleistet sein, also die Anfahrt mit Tiefladern und das Aufstellen eines Kranes. Vorgefertigte Lösungen reduzieren bekanntlich auch die Baustellenphase, was für die Akzeptanz der Bewohner bei Aufstockungen auf dem Haus eine Rolle spielen kann.
Gleiches gilt für Aufstockungen auf Nichtwohnungsbauten, um die Belästigungen und Einschränkungen der Mitarbeiter bzw. den Betrieb eines Gewerbes oder Handels möglichst kurz zu halten. Vielfach gewinnt die Architektur eines Gebäudes durch eine Aufstockung, zumal dann, wenn in dem Zuge die gesamte Fassade des Bestandsbaus mit einbezogen wird.
Dieser Artikel von Claudia Siegele ist zuerst erschienen in Gebaeude Energie Berater Ausgabe 05-2019.
Literatur und Quellen
[1] Deutschland-Studie 2015, Wohnraumpotentiale durch Aufstockungen, Technische Universität Darmstadt und ISP Eduard Pestel Institut für Systemforschung e. V., Darmstadt, Hannover, Februar 2016
[2] Deutschland-Studie 2019, Wohnraumpotentiale in urbanen Lagen – Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohnungsbauten, Technische Universität Darmstadt und ISP Eduard Pestel Institut für Systemforschung e. V., Darmstadt, Hannover, Februar 2019