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Solare Gebäude: So werden Städte fit für die Zukunft

Sven Ullrich
Die Überbauung des Zentrums in Tobel ist ein gelungenes Beispiel einer Architektur, die auf die Herausforderungen des Klimawandels reagiert.

Ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung und die Wanderungsbewegungen zeigt einen ganz eindeutigen Trend: Die Urbanisierung schreitet weiter voran. Überall wachsen die Städte und Ballungszentren – auch in Europa. Berlin ist inzwischen auf 3,67 Millionen Einwohner angewachsen. Zum Vergleich: Im Wendejahr lebten in der gesamten Stadt 3,43 Millionen Menschen. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung im Umland, weil Berlin aus allen Nähten platzt.

Die funktionale Stadt hat ausgedient

In Wien ist die Entwicklung – auf Gesamt­öster­reich gesehen – noch drastischer. Die Stadt wächst jährlich um etwa 30.000 Menschen. Inzwischen kratzt sie an der Marke von zwei Millionen Einwohnern. Damit wohnt etwa jeder vierte Österreicher in der Hauptstadt. Das birgt enorme Probleme für die Stadtentwicklung und die Architektur. Der alte Ansatz der funktionalen Stadtgliederung mit ihren separierten Quartieren und weiten Wegen erweist sich nicht nur angesichts kollabierender Verkehrssysteme zunehmend als Sackgasse. Er ist auch mehr Problem als Lösung, wenn es darum geht, Konzepte des urbanen Lebens mit Blick auf die Herausforderungen zu entwickeln, die der Klimawandel bereithält.

Dieser Ansatz, ein Ausdruck des fossilen Zeitalters, taugt für die Energiewende nicht mehr. Hier ist mehr systemische Intelligenz gefragt, als einfach nur Häuser nebeneinander aufzureihen. „Wir brauchen multifunktionale Gebäude“, erklärt Doris Österreicher. Die gelernte Architektin beschäftigt sich schon seit Jahren mit nachhaltiger Stadtentwicklung und deren Architektur mit Blick auf die Nutzung von Energie und Ressourcen.

Die Stadt wird zur Hitzeinsel

So wie die Solarfassade früh in die Planung eines Gebäudes einfließen sollte, müssen die solaren Gebäude von Anfang an in der Stadtplanung mitgedacht werden. „Denn wenn die Möglichkeiten fehlen, in einer Stadt Solararchitektur zu integrieren, liegt das Problem schon bei der Stadtplanung“, betont Österreicher. Doch wie kann eine Stadt der Zukunft aussehen, die das Klima entlastet und weiterhin lebenswert bleibt? Denn das Stadtklima verändert sich. Die Hitzetage werden häufiger – auch in mitteleuropäischen Breiten. Die Städte werden zu regelrechten Hitzeinseln, die sich auch in den Nächten der immer länger werdenden Sommer nicht mehr abkühlen.

Die Folge: Der Bedarf an Kühlung von ­Büro-, Gewerbe- und Wohnräumen wächst. Bisher mussten die Architekten die Gebäude in Mitteleuropa energetisch vor allem auf den Wärmebedarf auslegen. „In Zukunft müssen sie damit rechnen, dass sich das verschiebt, dass der Wärmebedarf immer weiter abnimmt und wir einen steigenden Kühlbedarf haben werden“, beschreibt Doris Österreicher die Aufgaben, die für die Architekten bereitliegen.

Schließlich muss einerseits die Architektur einen größeren Beitrag zu einem verträglichen Stadtklima leisten, etwa in Form von begrünten Dächern und Fassaden. Andererseits muss sie den steigenden Energiebedarf für die Kühlung der Räume mit einplanen.

Eines der ersten Solarquartiere in Deutschland: 50 Reihenhäuser und ein Wohn-und Geschäftshaus, das ­Sonnenschiff, stehen in der Solarsiedlung am Schlierberg in Freiburg.

Bauen für das nächste Jahrhundert

Schließlich muss diese Energie irgendwo herkommen. Dies mit fossilen Brennstoffen abdecken zu wollen, führt in die Sackgasse und treibt die Spirale nur noch weiter an. Dazu kommt noch, dass die gebaute Umwelt keine Investition in die nächsten 20 Jahre ist. Ein Gebäude steht länger – auch wenn die Lebenszeit von Bauwerken im Laufe der letzten Jahrhunderte immer weiter abgenommen hat. Entsprechend müssen sie den Anforderungen der kommenden Jahrzehnte gerecht werden. Und die zentrale dieser Anforderungen heißt, den CO2-Ausstoß zu minimieren und bestenfalls zu eliminieren. Dazu bedarf es weniger der Autarkie eines jeden einzelnen Gebäudes, sondern vielmehr einer verstärkten Kooperation. Miteinander vernetzte Gebäude sind die Zukunft der Stadtplanung.

Hier spielt die Sonne als Energielieferant eine zentrale Rolle – sowohl passiv als auch aktiv. So müssen zunächst die Möglichkeiten der passiven Sonnennutzung und der passiven Bauweise ausgeschöpft werden. Kombiniert mit einer aktiven Nutzung der solaren Energie in Form von Photovoltaikgeneratoren kann das zu Gebäuden führen, die mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. „Der dritte Schritt ist die Flexibilität und dabei steht die Gebäudeoptimierung als vorrangiges Ziel im Mittelpunkt“, sagt Doris Österreicher.

Das ganze Gebäude aktivieren

In Zukunft bedeutet Gebäudeplanung die Integration eines möglichst hohen Anteils an erneuerbaren Energien und die Installation von Gebäudemanagementsystemen. Diese sind ein Muss. Denn andernfalls können keine Lasten gesteuert oder Erträge aus den Solaranlagen optimal genutzt werden. Dazu gehört auch die Speicherung von Energie. Das geht nicht nur in Form von Strom, der in Batterien gesammelt wird, sondern auch in Form von Wärme. Das geht auch mit der Aktivierung des Baukörpers wie das der burgenländische Architekt Andreas Doser im neuen Firmensitz des Windkraftprojektierers Püspök gezeigt hat.

Vier Zentimeter unter der Oberfläche sämtlicher Wände und Decken sind Heizungsrohre installiert, die sonst für Fußbodenheizungen verwendet werden. Durch sie strömt im Sommer permanent kaltes Wasser. Dieses nimmt die Wärme aus den Räumen auf und lagert sie über eine Wärmepumpe, die mit Solarstrom aus Solarmodulen in der Fassade läuft, in einem Speicher ein. Dieser ist im Winter die Quelle für die Wärmepumpe, die dann in entgegengesetzter Richtung läuft. Sie heizt die Räume über die vielen Rohrleitungen in den Wänden und Decken.

Energie intelligent verbrauchen

Die Sektorkopplung ist keine Aufgabe, die der großen Energiewirtschaft vorbehalten bleibt. Sie fängt beim einzelnen Gebäude an. „Energie intelligent verbrauchen, statt dumm zu sparen“, unter diesem Motto hat Timo Leukefeld, Solarprofessor an der TU Bergakademie Freiberg, sein Gebäudekonzept entwickelt, das sogar eine Energieflat­rate für die Bewohner ermöglicht. Er setzt zunächst ebenfalls auf Effizienz. So ist der Baukörper auf dem aktuellen Stand der Technik, was die passiven Effizienzmaßnahmen angeht – auch wenn hier mit Blick auf die graue Energie, die in den Baustoffen steckt, sicherlich noch mehr möglich ist.

Dadurch ist der Heizenergiebedarf drastisch gesenkt. Im Gebäude sind ebenfalls Elektrogeräte verbaut, die möglichst wenig Energie benötigen. Auf diese Weise reichen die im Dach und im oberen Teil der Fassade integrierten Solarmodule aus, um den Energiebedarf im Gebäude weitgehend abzudecken. Wenn sie doch zu wenig Strom liefern, kommt der Rest aus dem Netz.

Die Seestadt Aspern in Wien könnte zur Blaupause für die Stadt der Zukunft werden – auch wenn die Potenziale der Photovoltaiknutzung längst nicht ausgeschöpft sind.

Gut vernetzt

Denn im urbanen Raum ist die Autarkie eines einzelnen Gebäudes gar nicht notwendig. Selbst wenn das Maximum an Fassaden- und Dachflächen für die Photovoltaik in den Städten genutzt wird, gibt es immer wieder verschattete Gebäude ohne Solarenergie. Diese Gebäude leben von der Vernetzung. Denn sie können die Sonnenenergie nutzen, die in benachbarten Gebäuden zu viel vorhanden ist. Auf diese Weise entstehen vernetzte Quartiere, die energetisch als eine Einheit funktionieren. Doris Österreicher nennt mit der Seestadt Aspern ein Vorzeigebeispiel, wie so etwas aussehen kann.

Das ganz neue Quartier auf dem Gelände eines ehemaligen Flugfeldes am Rande von Wien glänzt neben einer modernen Architektur vor allem mit seinen weitreichenden Ansätzen der energetischen Vernetzung. So wurden auf einigen Gebäuden Solaranlagen errichtet. Andere waren aufgrund der sehr dichten Bebauung nicht geeignet. Sie nutzen den Strom, den die benachbarten Gebäude übrig haben.

Die Integration der Photovoltaik in die Fassade setzt eine entsprechende Berücksichtigung in der Stadt­planung voraus, wie hier im Sonnenpark im schweizerischen Wetzikon.

Erneuerbar und smart

Ein intelligentes Netz sorgt in Kombination mit mehreren Speichern dafür, dass das Maximum an Strom im Quartier verbraucht wird. Dazu kommt noch, dass neben den Wohnungen auch Gewerbeflächen entstanden sind. Dort wird der Solarstrom dann verbraucht, wenn die Bewohner des Quartiers nicht zu Hause sind. „Hier wurde versucht, alles miteinander zu verbinden: grün, sozial, integrativ, erneuerbar und smart“, sagt Österreicher. In der Planungsphase wurden schon sehr früh die Potenziale eines modernen Energie­konzepts ausgelotet und später in der Bauphase umgesetzt. Das ist ein erster Ansatz.

Blaupause für die Zukunft

Das Problem: Die Stadtplanung stand schon fest und darauf wurde ein Energiekonzept gesetzt. „Trotzdem hat man versucht, es so smart wie möglich umzusetzen, die Systeme miteinander zu verknüpfen, verschiedene Nutzungskonzepte miteinander zu verbinden und so die Lasten von einem Gebäude zum anderen zu verschieben“, erklärt Doris Österreicher.

Sie plädiert für spätere Projekte dringend dazu umzudenken. Die Stadtgestaltung müsse auf einem vorher ausgearbeiteten Energiekonzept basieren. Nur so würden die passive und aktive Nutzung der Sonnenenergie und die Nutzungsmischung sehr effizient möglich. Dennoch kann der neue Wiener Stadtteil zur Blaupause für die Stadt der Zukunft werden.

Dieser Beitrag von Sven Ullrich ist zuerst erschienen in photovoltaik 9/2020. 

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