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Gefährdungsanalyse: Was bringt die VDI-Richtlinie 6023 Blatt 2 (Entwurf)?

Prof. Dr.-Ing. Jörn Krimmling

Seit der gesetzlichen Pflicht zur regelmäßigen Untersuchung gewerblicher, nicht öffentlicher Großanlagen zur Trinkwassererwärmung auf Legionellen über die Novelle der Trinkwasserverordnung (TrinkwV), hat die Legionellen-Problematik für die Betreiber solcher Anlagen, insbesondere Vermieter von Geschosswohnbauten, an Brisanz gewonnen.

Legionellen sind Bakterien, die beim Menschen u. a. Lungenentzündungen mit möglicherweise sehr schwerem Verlauf hervorrufen können. Dazu müssen sie mit der Lunge in Kontakt kommen, was durch Aerosole über die Atemwege geschehen kann. Das Trinken von legionellenhaltigem Wasser ist hingegen ungefährlich.

Wie groß ist die Legionellen-Gefahr in Deutschland?

In Deutschland wurden im Betrachtungszeitraum 2001 bis 2013 durchschnittlich ca. 500 Erkrankungen pro Jahr, allerdings mit ansteigender Tendenz registriert [1]. Wenn man unterstellt, dass ein Teil dieser Erkrankungen auf eine Ansteckung außerhalb von Gebäuden bzw. auf Reisen zurückzuführen ist (ca. 17%), mutet die Legionellengefahr in Trinkwassersystemen von Wohngebäuden recht abenteuerlich an. Allerdings wird eine Dunkelziffer von 20.000 bis 30.000 Erkrankungen pro Jahr angenommen. Außerdem gibt es besonders exponierte Gebäude mit hohen Hygieneanforderungen, beispielsweise Krankenhäuser, für die bezüglich möglicher Legionellen-Infektionen besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden sollten / müssen.

Legionellen können in einem Temperaturbereich zwischen 20°C und 50°C leben. Optimale Bedingungen, welche zu sehr hohen Vermehrungsraten führen, finden sie bei 30°C bis 45°C. Ab Temperaturen von 60°C werden sie abgetötet. Auf dieser Basis wurde als eine sehr wirksame Bekämpfungsstrategie die thermische Desinfektion entwickelt, bei welcher das Trinkwarmwassersystem beständig auf entsprechend hohen Temperaturen gehalten und periodisch auf Temperaturen über 70°C aufgeheizt wird. Kaltwassersysteme müssen vor unzulässigen Erwärmungen geschützt werden. Außerdem sollte möglichst jegliche Art von Stagnation verhindert werden.

Kann der Betreiber einen Legionellenbefall sicher vermeiden?

Aus der Sicht des Betreibers der Wasserversorgungsanlage stellt sich die Frage, ob er allein durch eigene Maßnahmen sicher einen Legionellenbefall vermeiden kann. Dies muss man grundsätzlich verneinen, denn auch die Nutzer bzw. Mieter müssen sich so verhalten, dass - wahrscheinlich nicht grundsätzlich vermeidbare - Legionellen im Trinkwassersystem nicht zu einer gesundheitlichen Gefahr werden.

Bild 2: Trinkwarmwassersystem: Insbesondere durch die Erfassung der verbrauchten Warmwassermenge entstehen zwangsläufig kritische Bereiche mit günstigen Bedingungen für eine Legionellenvermehrung.

Als kritischer Bereich des Systems ist das letzte Stück Verbrauchsleitung vom Zirkulationssystem bis zur Auslaufarmatur einzuschätzen (Bild 2). Abgesehen von Verwirbelungen und Thermosiphon-Effekten stagniert hier das Wasser zwischen zwei Zapfvorgängen. Diese Rohrleitung sollte möglichst kurz gehalten werden (Beachtung der 3-Liter-Regel nach DIN 1988-200), wobei aber in den meisten Bestandsgebäuden eine gewisse Leitungslänge schon aufgrund der vorgeschriebenen Verbrauchsmessung vorhanden ist. Wird kein Warmwasser abgenommen, kühlt es in diesem Leitungsabschnitt ab, je nach Zeitspanne näherungsweise bis auf Raumtemperatur.

Auf diesen Vorgang hat der Betreiber keinen Einfluss, allenfalls der Mieter könnte durch regelmäßige Warmwasserentnahme günstige Bedingungen für eine Legionellenvermehrung verhindern). Analog zum regelmäßigen Stoßlüften ist dies aber bei vielen üblichen Nutzungsprofilen unrealistisch. Grundsätzlich ist Mietern aber nahezulegen, vor dem Gebrauch der Dusche das warme Wasser ablaufen zu lassen, bis die maximale Temperatur erreicht ist. Bei üblicher Auslegung sollte dies nur wenige Sekunden dauern.

Für den Vermieter bedeutet das letztlich, dass es in seinem System zu einer erhöhten Legionellen-Konzentration kommen kann, obwohl er alle anerkannten Regeln der Technik eingehalten hat.

Bei der turnusmäßigen Legionellen-Untersuchung werden Wasserproben im Bereich des Trinkwassererwärmers (Warmwasserleitung und Zirkulationsleitung in unmittelbarer Nähe des Speichers) und jeweils an den Strangenden (oberste Entnahmestelle im kritischen Bereich in Bild 2) entnommen.

Schon die übliche Verfahrensweise bei der Probennahme wirft Fragen auf. In Mietwohnungen gibt es im Bad im Allgemeinen zwei Entnahmearmaturen: am Handwaschbecken und an der Badewanne bzw. die über einen flexiblen Schlauch angeschlossene Duschbrause. Hygienisch besonders exponiert ist der Duschschlauch bzw. die Dusche, da hier durch die Versprühung des Wassers (Voraussetzung für die Untersuchungspflicht in der Trinkwasserverordnung) die Gefahr eines Kontakts mit den Atemwegen gegeben ist. Die Probe wird nach gängiger Praxis aber am Handwaschbecken entnommen. Die Dusche dürfte auch deshalb problematisch sein, da sie weniger häufig genutzt wird, als die Entnahmearmatur am Waschbecken.

Auch sollte die Probe erst genommen werden, wenn sich die maximal erreichbare Temperatur an der Entnahmestelle eingestellt hat, da das jener Betriebsweise entspräche, die dem Mieter zu empfehlen ist (siehe oben).

Bild 3: Messergebnisse für ein Mehrfamilienhaus.

Analyse eines konkreten Objekts

In einem Wohngebäude mit 38 Wohnungen wurde bei der turnusmäßigen Legionellenuntersuchung an zwei Stellen eine Überschreitung des technischen Maßnahmenwerts festgestellt Bild 3. Beide Proben wurden in Wohnungen entnommen, die jeweils nur von einer Person bewohnt werden. Und beide Mieter sind aus beruflichen Gründen häufig abwesend. Alle Temperaturbedingungen werden eingehalten. An keiner Stelle des Systems wird eine Temperatur von 55°C unterschritten.

Demzufolge kann die Legionellen-Kontamination nur vonseiten der Entnahmestelle bzw. der Wohnung erfolgt sein, da aufgrund der Temperaturen im System Legionellen dort nicht existieren können. Wäre vor der Probennahme in ausreichendem Maße Wasser entnommen worden, hätte höchstwahrscheinlich kein Legionellenbefall gemessen werden können.

Im konkreten Fall wurden die Systemtemperaturen erhöht und es ergab sich bei der erforderlich gewordenen Nachmessung die Situation nach Bild 4.

Wenn Vermieter also sicher sein wollen, dass eine Legionellen-Untersuchung zu keinem negativen Befund führt, sollten sie die Warmwassertemperatur im gesamten System oberhalb von 60°C halten. Dies führt aufgrund der Wärmeverluste zwar zu einem höheren Energieverbrauch für die Trinkwassererwärmung, die dadurch höheren Kosten müssen jedoch die Mieter tragen.

Bild 4: Messergebnisse bei der Nachmessung.

Kritik am Entwurf zu VDI 6023 Blatt 2

Tritt der Fall ein, dass im System eine Legionellen-Konzentration über dem technischen Maßnahmenwert von 100 KBE/100 ml festgestellt wurde, muss der Betreiber gemäß TrinkwV neben einer Meldung an das Gesundheitsamt eine Gefährdungsanalyse veranlassen. Dafür kann er sich allerdings nur eingeschränkt an der im September 2016 als Entwurf neu herausgegebenen Richtlinie VDI/BTGA/ZVSHK 6023, Blatt 2 "Hygiene in Trinkwasser-Installationen - Gefährdungsanalyse" orientieren. Die Richtlinie unterscheidet zunächst zwischen einer ereignisorientierten Gefährdungsanalyse und einer systemorientierten Gefährdungsanalyse.

Leider wird diese, für die Praxis sehr sinnvolle Unterscheidung in der Richtlinie nicht weiter verwendet. Eine ereignisorientierte Gefährdungsanalyse muss der Betreiber bei festgestellter Überschreitung des technischen Maßnahmenwerts laut TrinkwV erstellen. Das Ziel der ereignisorientierten Gefährdungsanalyse ist es, die Ursachen für den unzulänglichen Zustand herauszuarbeiten und Maßnahmen für dessen Beseitigung abzuleiten.

Eine systemorientierte Gefährdungsanalyse hat eher vorbeugenden Charakter und würde den Betreiber über mögliche Gefahren und Wege zu deren Abwendung ins Bild setzen. Gerade für exponierte Objekte, wie Krankenhäuser, empfiehlt sich die turnusmäßige Erarbeitung bzw. Fortschreibung einer solchen vorbeugenden Analyse. Die pauschale Durchführung einer systemorientierten Gefährdungsanalyse birgt die Gefahr, dass zwar ein hoher Aufwand betrieben, Probleme aber nicht stringent erkannt werden.

Die Unterscheidung zwischen den beiden Arten der Gefährdungsanalyse sollte durch eine modifizierte Darstellung von Bild 1 aus dem Richtlinien-Entwurf wie in Bild 5 und Bild 6 vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang muss das Ablaufschema durch die in jedem Arbeitsschritt zu erstellenden Dokumente ergänzt werden, damit die Gefährdungsanalysen auch hinreichend zielorientiert durchgeführt werden können. Letztlich würde dies die Kommunikation mit den Auftraggebern erleichtern, weil deutlicher sichtbar würde, wofür der teilweise erhebliche Aufwand erforderlich ist.

Echte Hilfestellung fehlt

Das Kapitel 5 „Gefährdungsanalyse“ der Richtlinie führt diverse Aspekte auf, die im Rahmen einer solchen Gefährdungsanalyse zu beachten sind. Allerdings geben diese Ausführungen speziell dem Fachmann, der die Analyse erstellen will, nur allgemeine, in aller Regel hinlänglich bekannte Sachverhalte wieder. Insbesondere der Aspekt erforderlicher Messungen sollte konkretisiert werden: Wichtig wären Hinweise auf Messverfahren und Mindestmessgenauigkeiten. Wie soll beispielsweise die Messung des Drucks an der Entnahmestelle genau erfolgen, da im Normalfall dort keine geeigneten Stellen für eine Druckmessung vorhanden sind? Außerdem fehlen in der Richtlinie (oder einem Anhang) konkrete Mängelanalysen und Lösungsansätze, wie sie beispielsweise in [2, 3] beschrieben werden.

Im Anhang A werden Ausführungen zur Qualifikation des VDI-BTGA-ZVSHK-geprüften Sachverständigen gemacht. Mit einer solchen Qualifikationsmaßnahme kann die Befähigung zur Durchführung einer Gefährdungsanalyse nach dieser Richtlinie erlangt werden. Dabei wird der Anspruch erhoben, dass „… zusätzliche, vertiefende Inhalte“ vermittelt werden sollen. Welche das genau sein sollen, wird leider nicht dargestellt und es dürfte auch schwerfallen, solche zu benennen.

Man sollte doch besser davon ausgehen, dass Ingenieure mit einschlägigem Studium in der Lage sind, sich die funktionellen Zusammenhänge selbst zu erschließen. Sie benötigen allenfalls bestimmte Detailinformationen, um praktische Sachverhalte zuordnen zu können. Warum beispielsweise bei potenziellen Sachverständigen mit einer Ingenieurausbildung einer anderen Fachrichtung eine zehnjährige Berufserfahrung anstelle einer fünfjährigen gefordert wird, erschließt sich nicht.

[2] definiert in Abschnitt 5 „Wer führt eine Gefährdungsanalyse durch?“: „[…] es kommen als Durchführende in den Bereichen Sanitärtechnik und Trinkwasserhygiene qualifizierte Mitarbeiter in Betracht, u. a. aus folgenden Unternehmen: […] Planungs- und Ingenieurbüros (Planer) und Handwerksbetrieben des Installationshandwerks (Vertrags-Installationsunternehmen nach AVBWasserV). Von einer ausreichenden Qualifikation kann dann ausgegangen werden, wenn die betreffende Person ein einschlägiges Studium oder eine entsprechende Berufsausbildung nachweisen kann und fortlaufende spezielle berufsbegleitende Fortbildungen eine weitere Vertiefung erkennen lassen (z. B. Fortbildung nach VDI 6023 (Zertifikat, Kategorie A), Fachkunde Trinkwasserhygiene des Fachverbandes Sanitär Heizung Klima, DVGW-Fortbildungen zur Trinkwasserhygiene etc.).“

Insgesamt ist der Anhang A als sehr vage einzuschätzen.

Nicht praxistaugliche Checklisten

Anhang B und C enthalten Checklisten, die zur Dokumentenprüfung und Bestandsaufnahme verwendet werden sollen. Insbesondere beim Anhang B hätte man jedoch unterscheiden sollen, welches unbedingt erforderliche Dokumente sind und welche eher als wünschenswert einzuschätzen wären. Beispielsweise wird für viele Bestandsgebäude kein Protokoll der Spülung und Erstinbetriebnahme vorhanden sein, auch ein Raumbuch ist im Geschosswohnungsbau eher unüblich.

Bei Anhang C ist die gewählte Form der Checkliste kritisch zu sehen. Allerdings betrifft das ein Phänomen, welches bei vielen Richtlinien zu bemängeln ist. Oft unterziehen sich die Autoren von Checklisten nicht der Mühe, einmal zu prüfen, was genau in die einzelnen Checklistenfelder eingetragen werden soll.

Exemplarisch steht dafür C2.5 „Einzelarmaturen“: Im ersten Feld wird die Anzahl abgefragt. Im zweiten Feld der Zustand – und hier beginnt das Übel. Geht man von einem Mehrfamilienhaus aus, gibt es definitiv eine Vielzahl von Entnahmearmaturen, welche in den seltensten Fällen exakt den gleichen Zustand aufweisen werden. Aber welcher Zustand ist überhaupt gemeint? Im Rahmen der Ortsbegehung kann nur der äußere Zustand festgestellt werden (der wird aber im dritten Feld der Checkliste abgefragt: Sauberkeit). Dieser ist aber nicht repräsentativ für den hygienischen Zustand im Inneren der Armatur usw.

Zusammenfassung

Die Blatt 2 der VDI-Richtlinie 6023 könnte ein Hilfsmittel zur Erstellung von Gefährdungsanalysen von Trinkwassersystemen sein. Allerdings ist der Inhalt im Entwurf an vielen Stellen viel zu unkonkret und zu allgemein. Warum für die Richtlinie nicht der komplette Wortlaut des BTGA-Leitfadens [3] verwendet wurde, der sich viel konkreter und praxisorientierter mit dem Sachverhalt auseinandersetzt und praxistaugliche Empfehlungen gibt, erschließt sich nicht.

Literatur

[1] Epidemologisches Bulletin. Berlin: Robert Koch Institut, 30. März, 2015, S. 95, 96. Aufruf am 26. Januar 2017, Download: www.bit.ly/tga1075

[2] Empfehlungen für die Durchführung einer Gefährdungsanalyse gemäß Trinkwasserverordnung. Maßnahmen bei Überschreitung des technischen Maßnahmenwertes für Legionellen. Dessau: Umweltbundesamt, 14. Dezember 2012, Download: www.bit.ly/tga1076

[3] Gefährdungsanalyse für Trinkwasser-Installationen. Ein Leitfaden für Praktiker und Betreiber. Bonn: Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung (BTGA), 2015.

Dieser Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Jörn Krimmling erschien zuerst in TGA Fachplaner 03/2017. Jörn Krimmling ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, Fakultät Bauingenieurwesen/Architektur.

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