Trinkwassererwärmung: Weniger Energieverbrauch und trotzdem hygienisch?
„Die nachhaltige Bereitstellung einer jederzeit ausreichenden Menge von sauberem Trinkwasser ist auch in Deutschland nicht selbstverständlich“, sagt Prof. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und wissenschaftlicher Leiter der Studie „Zukunftsstrategie Trinkwasser“. Rürup betont zugleich: „Um die hohe Trinkwasserqualität auch in Zukunft sicherzustellen und damit unsere Gesundheit zu schützen, müssen jetzt die entsprechenden Weichen gestellt werden.“
Vor allem der Klimawandel und die damit verbundenen Klimaziele stellen Herausforderungen für ein gesundes Trinkwasserangebot dar. Momentan sieht das von der Trinkwasserverordnung referenzierte Regelwerk vor, dass die Trinkwassertemperatur entweder unter 25 °C (Kaltwasser, empfohlen unter 20 °C) oder über 60/55 °C (Warmwasser; bei Großanlagen) liegen muss. Hintergrund: Im Temperaturbereich zwischen 25 und 55 °C können sich – ohne weitere Maßnahmen – Keime und Bakterien so stark vermehren, dass dann beim Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit zu besorgen ist.
„Zielkonflikt muss aufgelöst werden“
Die Erwärmung und Verteilung von Trinkwarmwasser mit einer Mindesttemperatur von 60/55 °C hat energetische Konsequenzen – erhebliche Verteilverluste sowie einen Heiz- und Nachheizbedarf, insbesondere im Zirkulationsbetrieb, auf hohem Temperaturniveau. Für die Wärmeerzeugung bedeutet dies eine geringere Energieeffizienz, speziell beim Einsatz von Wärmepumpen.
Auch für den Betrieb warmer Wärmenetze sind hohe Vor- und Rücklauftemperaturen ungünstig, verursachen hier einen höheren Energieaufwand und erschweren die Integration erneuerbarer Energien. Zudem können Wärmeverluste auch ganz direkt zum Problem werden, beispielsweise wenn sie dazu führen, dass im Kaltwasser die Temperatur über 25 °C steigt.
Dr. Sven Jung, der die Studie beim HRI maßgeblich begleitet und vorgestellt hat: „Nach der Gebäudehülle ist die Trinkwassererwärmung der wichtigste Hebel zur Energieeinsparung in den Gebäuden von morgen.“ Und mit jeder energetischen Gebäudesanierung wird er in der Relation etwas länger. Weil die Optionen zur Einflussnahme auf die Trinkwarmwassermenge begrenzt sind, steigt die Bedeutung energieeffizienter, treibhausgasarmer und netzdienlicher Möglichkeiten zur Trinkwassererwärmung.
Damit der Gebäudebestand in Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann, gibt es also viel zu tun. Jung zufolge muss dabei der Zielkonflikt zwischen Energieeffizienz und Klimaschutz auf der einen und einem hochwertigen Trinkwasserangebot auf der anderen Seite aufgelöst werden. „Es werden technische Lösungen gebraucht, die Trinkwasserhygiene bei niedrigerem Energieverbrauch sicherstellen“, so Jung. Relevant sind damit insbesondere Alternativen zur Trinkwassererwärmung auf 60/55 °C.
Lösungen sind auf dem Weg
Dass Energiesparen nicht zu Lasten von Trinkwasserhygiene führen darf, zeigt ein Blick in die Statistik: Schon heute führen Bakterien wie Legionellen in Deutschland jährlich zu schweren Erkrankungen von bis zu 30.000 Menschen. Alarmierende Fakten, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Denn mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, an einer Legionellose, einer schweren Form der Lungenentzündung, zu erkranken.
Es sind also Lösungen erforderlich, die den Zielkonflikt entschärfen. „Mit entsprechend innovativer Technologie können wir beispielsweise den Einsatz von Energie zur Wassererwärmung deutlich reduzieren und gleichzeitig höchste Trinkwasserqualität erhalten“, sagt Ralf Baginski, bei Viega in der Geschäftsführung für den Bereich Innovation verantwortlich.
Aus heutiger Sicht wird es jedoch nicht „die eine Lösung“ geben, sondern auf das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen ankommen. Beispielsweise kann eine Absenkung der Warmwassertemperatur mit hygienischer Stabilisierung potenziell über vier Faktoren erreicht werden:
- Systemaufbau: Möglichst einfach, unvermascht, schlanke Dimensionierung
- automatische Spülungen überall dort, wo nicht sicher gewährleistet ist, dass regelmäßig Wasser entnommen wird
- Ultrafiltration in der Warmwasserzirkulation
- digitale Überwachung des Systems, um Stagnation, kritische Temperaturen und den Ausfall von Anlagenteilen sofort zu erkennen
Hygienekonzept und Digitalisierung
Um Klima- und Gesundheitsschutz unter einen Hut zu bringen, empfiehlt die Studie u. a. für Bauherren und Betreiber ein verpflichtendes Trinkwasserhygienekonzept analog zum Brandschutzkonzept. Vorbild hierfür könne die 2017 in Kraft getretene Verordnung über Verdunstungskühlanlagen, Kühltürme und Nassabscheider – 42. BImSchV („Legionellenverordnung“) sein. Mit der Vorlage eines Trinkwasserhygienekonzepts beim Bauantrag könnte bereits in der Planungsphase sichergestellt werden, dass die Trinkwasser-Installation so gestaltet wird, dass nachhaltig Beeinträchtigungen der Trinkwasserqualität vermieden werden.
Auch die Digitalisierung bzw. die Förderung einer Erhöhung des digitalen Reifegrads adressiert die Studie und nennt die Bezuschussung des freiwilligen Einbaus digitaler Lösungen oder eine Pflicht zum Einbau dieser. Über Digitalisierung können bereits im Planungsprozess hygienekritische Beeinträchtigungen vermieden (BIM), im Betrieb hygienekritische Zustände erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Auch Systeme zur automatischen Wasseranalyse befinden sich in der Entwicklung.
Digitale Technologien könnten auch der Schlüssel dafür sein, den Aufwand behördlicher Kontrollen zu verringern bzw. die vom Gesetzgeber vorgesehene Überwachung ohne zusätzliche Ressourcen zu erreichen.
Anpassung des Regelwerks
Ein Förderprogramm zur Hygienesicherung energieeffizienter Trinkwassersysteme könnte ebendiesen den Markteintritt vereinfachen, den Wettbewerb fördern, Innovationen beschleunigen und das Ziel Energieeffizienz im Gebäudesektor nachhaltig unterstützen. Eine entsprechende Empfehlung in der Studie dürfte schon wegen der Verbindung zur Effizienz von Wärmepumpen große Aufmerksamkeit erhalten. Einer Realisierung steht dennoch eine große Hürde im Weg:
Die Trinkwasserverordnung ist alles andere als technologieoffen. Sie basiert auf einem einfachen (und bisher bewährten) Prinzip: Die Anforderungen an die Beschaffenheit von Trinkwasser („rein und genusstauglich“) gilt als erfüllt, wenn bei der Wassergewinnung, der Wasseraufbereitung und der Wasserverteilung (dazu gehört auch die Trinkwasser-Installation) mindestens die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden und mikrobiologische und chemische Anforderungen sowie die Grenzwerte und Anforderungen für Indikatorparameter eingehalten werden.
Um Alternativen zur Erwärmung auf 60/55 °C zu etablieren, müssen also die normgeben Institutionen – auch im Hinblick auf die ihnen über die Trinkwasserverordnung übertragene Verantwortung – überzeugt und die Regelwerke angepasst und erweitert werden. Ohne solche Änderungen ist eine Breitenförderung unrealistisch.
„Derzeit wird sehr viel an klimafreundlichen und nachhaltigen Lösungen für Trinkwasserhygiene geforscht und gearbeitet“, erläutert Baginski und weist auf damit verbundene Chancen hin: „Mithilfe der Politik kann Deutschland bei diesen Technologien eine Vorreiterrolle einnehmen. Damit kann Trinkwasser zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor werden. Das sind echte Chancen für den Standort.“
Weitere Informationen zu der Studie „Zukunftsstrategie Trinkwasser“, die in weiteren Kapiteln auch Trinkwasserthemen vor der Gebäudegrenze beinhaltet, gibt es auf: www.viega.com/de/kompetenzen/competence-drinking-water/survey-furture-strategy-drinking-water.html
Fachberichte mit ähnlichen Themen bündelt das Dossier Trinkwasserhygiene des TGA Fachplaners.