Neue Lösungen für den Umbau der Stromnetze
Die Bundesregierung hat mehrere Ziele für die Photovoltaik bis 2030. Von den geplanten 215 Gigawatt Solarleistung werden fast alle Anlagen in den unteren Netzebenen ins Verteilnetz einspeisen. Aber nicht nur das, es wird auch jede Menge neuer Verbraucher geben. „Bis 2030 wird die Anzahl der Ladestationen für Stromer um das 30-Fache auf 15 bis 20 Millionen wachsen“, erklärt Professor Jochen Kreusel auf der Tagung „Zukünftige Stromnetze“ in Berlin. Er leitet die Abteilung für Marktinnovationen bei Hitachi Energy (früher die Netzsparte von ABB). Zudem werden Wärmepumpen in diesem Zeitraum auf 12 bis 15 Millionen Geräte anwachsen.
Dies bedeute allein für die beiden Verbrauchergruppen E-Autos und Wärmepumpen eine installierte Leistung von rund 700 bis 900 Gigawatt. Zum Vergleich: Derzeit sind nur 45 Gigawatt installiert. Das zeige die Herausforderungen, vor denen die Verteilnetzbetreiber stünden, meint Kreusel. Hinzu kommt die geringe Transparenz und fehlende Digitalisierung auf dieser Netzebene. Es entsteht also ein echtes Gedränge, das künftig effizient gesteuert werden muss.
Netzbetreiber regeln neue Verbraucher
Die nun vom Bundeswirtschaftsministerium erarbeitete Roadmap Systemstabilität ist eine gute Grundlage für den weiteren Prozess. Man müsse die Flexibilität im Netz, wie sie durch den Paragrafen 14a im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ermöglicht wird, jedoch erst mal in der Praxis üben. Die Bundesnetzagentur hat darin Regeln für die Netzbetreiber festgelegt, um steuerbare Verbraucher wie Wärmepumpen und Wallboxen für E-Autos zügig ins Stromnetz zu integrieren. Eine vollständige Abschaltung der Geräte ist demnach nicht erlaubt, wohl aber eine temporäre Reduzierung der elektrischen Anschlussleistung auf bis zu 4,2 Kilowatt. Die Grundversorgung von Wärmepumpen und Ladesäulen bleibt jedoch sichergestellt.
Gleichzeitig muss der Netzausbau weiter forciert werden. Das Risiko eines verzögerten Netzausbaus sei in dieser Transformation weitaus größer als das von Überinvestitionen, mahnt Kreusel. „Die Netze, die wir ab 2030 brauchen, gilt es jetzt zu bauen.“
50 Gigawattstunden rollende Speicher
Das Potenzial für Strompuffer im Netz ist bereits da, allerdings noch ungenutzt: In E-Autos auf den Straßen hierzulande sind Batteriespeicher mit etwa 50 Gigawattstunden installiert. Das ist fast das Fünffache der Kapazität der in Deutschland installierten stationären Batteriespeicher. Wie die rollenden Speicher für den eigenen Haushalt genutzt werden, hat das Fraunhofer ISE im Leitfaden „Bidirektionales Laden“ untersucht. Denn private Autos stehen im Schnitt 23 Stunden am Tag ungenutzt rum.
Zumindest E-Fahrzeuge können in dieser Zeit sinnvoll zur Steuerung des Stromverbrauchs genutzt werden: Mit einer mittleren Speicherkapazität von 40 bis 100 Kilowattstunden haben sie eine rund zehn Mal größere Kapazität als normale Heimspeicher. Auf deutschen Parkplätzen steht also eine Gesamtkapazität von etwa 50 Gigawattstunden. In Zukunft, wenn bis zu 40 Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland unterwegs sein werden, steigt diese Kapazität auf zwei Terawattstunden, etwa ein halbes Prozent des aktuellen deutschen Jahresstromverbrauchs.
Um ein E-Fahrzeug als Batterieheimspeicher nutzen zu können, muss es jedoch über bidirektionale Ladetechnik und eine geeignete Wallbox mit Stromfluss in beide Richtungen verfügen. So kann in Zeiten hoher Produktion aus der eigenen Solaranlage und gleichzeitig geringen Verbrauchs der Strom in der Fahrzeugbatterie zwischengespeichert werden.
Abends oder nachts wird er wieder ins Haus gespeist. Anhand eines Einfamilienhauses mit Solaranlage und Wallbox untersuchten die ISE-Forscher, unter welchen Bedingungen sich Fahrzeugbatterien als Speicher lohnen und wie gut dies sich mit einer eigenen Solaranlage abdecken lässt.
Betrachtet haben die Forscher unterschiedlich große Haushalte mit verschiedenem Nutzungsverhalten (Homeoffice, Senioren, Im-Büro-
Arbeitende), unterschiedliche Jahresfahrleistungen sowie verschieden große und unterschiedlich ausgerichtete Solaranlagen. Daneben wurde das klassische unidirektionale Laden mit dem bidirektionalen verglichen.
Das Resultat des Pilotprojekts: Das bidirektionales Laden erhöht aufgrund des erhöhten Energiebedarfs durch das E-Fahrzeug die Eigenversorgungsquote, insbesondere bei großen Solaranlagen ab einer Größe von zehn Kilowatt. Dies senkt in allen drei Fallbeispielen gleichzeitig die Stromkosten. Auch die Einspeisung ins öffentliche Netz oder die Nutzung als Notstromversorgung sind technisch möglich.
Erwartungsgemäß sind die Haushaltsprofile Homeoffice sowie Senioren prädestiniert für die Eigenstromnutzung. Besonders bei Haushalten mit geringer Eigenversorgung (Typ Büro) kann mit einem bidirektionalen E-Fahrzeug gegenüber einem unidirektionalen die Quote des eigenen Verbrauchs um bis zu sechs Prozentpunkte erhöht werden. Die Studie wurde durch das Förderprogramm Sonnencent der Elektrizitätswerke Schönau ermöglicht.
Regulatorischer Rahmen fehlt
Die für die praktische Umsetzung des bidirektionalen Ladens nötigen Technologien und Standards sind bereits weitestgehend vorhanden. Allerdings sei momentan nur sehr wenig bidirektionale Ladeinfrastruktur verfügbar, berichten die Forscher. Aktuell mangele es noch an der Regulatorik, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verwendung von bidirektionalem Laden festlegt.
Betrachtet man die Wirtschaftlichkeit, bietet sich nur ein marginaler Vorteil für bidirektionales Laden gegenüber unidirektionalem Laden. Eine Ursache: Die Wallbox befindet sich bei der Speisung des Hauses aus dem Fahrzeug in einem niedrigen Teillastwirkungsgrad.
Dieses Thema ist bereits bekannt von stationären Batteriespeichern – die Hersteller arbeiten daran. Um die ermittelten Potenziale zu erreichen, müssen die Stromflüsse über ein Energiemanagement gesteuert werden. Hierfür ist die Überwachung des Leistungsflusses am Netzverknüpfungspunkt nötig.
Dafür werden entweder Stromsensoren oder perspektivisch auch Smart Meter eingesetzt. Letztere dienen dabei nicht nur als moderne Messeinrichtung, sondern auch als Kommunikationsmodul, welches als Schnittstelle zwischen Stromverbrauchern und -erzeugern agiert. Die Kommunikation vom Energiemanagementsystem zur Wallbox muss dafür kompatibel sein. Meist kommen hier internetbasierte Kommunikationsprotokolle wie Modbus-TCP oder OCPP (Open-Charge-Point-Protokoll) zum Einsatz.
KI-gestützter Ladepark in Mainz
Das Start-up Lade aus Mainz hat eine neue Plattform mit künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt. Als derzeit einziges System am Markt erstellt Ladegreen laut Hersteller bis zu fünf Tage im Voraus Prognosen zu Bedarf und Verfügbarkeit von Ökostrom. Beispielsweise um den eigenen Stromer zu laden. Der Vorteil: Das System ermöglicht es etwa in Unternehmen oder Mietshäusern, den Ökostrom genau dann zu verwenden, wenn er verfügbar ist. Das Komplettsystem aus Hard- und Software optimiert den Verbrauch unter Berücksichtigung des individuellen Bedarfs der Nutzer automatisch – sowohl bei der lokalen Erzeugung als auch beim Bezug des Ökostroms aus dem Netz. Die Technologie besteht im Kern aus einer KI-basierten Cloud-Plattform sowie einem Hardware-Controller. Über Schnittstellen können Verbindungen zu weiteren Systemen hergestellt werden.
An einem Mainzer Co-Working-Space hat das Start-up nun 36 Ladepunkte in Betrieb genommen. Die Steuerung der Ladevorgänge übernimmt die eigene Plattform, die den Strombedarf der Ladepunkte automatisch auf den vor Ort verfügbaren Strom abstimmt. Die Energie aus einer Solaranlage mit 85 Kilowatt Leistung wird so effizient genutzt, was sowohl günstiger ist als auch den Bezug von Graustrom aus dem Netz reduziert. Der Mainzer Bürogebäudekomplex bietet jedoch nicht nur Ladepunkte für die eigenen Mieter, sondern auch für öffentliches Laden. Beispielsweise können Angestellte anderer Unternehmen während der Arbeitszeit Strom tanken.
Energiemanagement ist komplex
Für den Gründer von Lade Dennis Schulmeyer erfordert die Energiewende ein neues Denken darüber, wann und wie Energie verbraucht wird. Strom sollte etwa möglichst dort erzeugt werden, wo er benötigt wird. Gleichzeitig gelte es, die Verfügbarkeit von Sonne und Wind zu berücksichtigen. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen. „Das Energiemanagement in einem solchen System ist derart komplex, dass es von Menschen eigentlich nicht zu bewerkstelligen ist“, erklärt Schulmeyer. „Denn wir sprechen von Millionen E-Autos, Wärmepumpen, Solaranlagen und Batteriespeichern.“
Dahinter liegen die individuellen Bedürfnisse all der Menschen, die diese Infrastruktur nutzen, betreiben und instand halten wollen. Die KI bringt alle Faktoren zusammen und erstellt den individuellen Plan, wann das Fahrzeug am besten geladen wird, um möglichst viel Grünstrom zu nutzen. „Wenn sich etwas ändert, kann der Ladeplan in der App angepasst werden“, sagt der Gründer. Flexibilität ist eine sehr wichtige Ressource im künftigen Energiesystem. Sie sollte gut genutzt werden, um einen drohenden Stau im Verteilnetz zu verhindern.