Darauf müssen Sie bei der Entsorgung von WDVS achten
Niemand kann behaupten, es gäbe keine Langzeiterfahrungen über das Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS). Bereits vor 60 Jahren hat in Berlin ein Malerbetrieb das erste Wohngebäude mit Styropor (EPS) gedämmt, lange bevor daraus der Systemgedanke erwuchs. Denn es bedurfte der Ölkrise in den 1970er-Jahren, um zu begreifen, dass fossile Energie endlich und es daher ratsam ist, sparsam damit umzugehen. Zögerlich und noch mit vergleichsweise geringen Dämmplattendicken begannen die Eigentümer, die Fassaden ihrer Häuser zu dämmen, zunächst allein mit dem Fokus, Heiz- und Energiekosten einzusparen.
Ab 1978 entstanden die ersten gesetzlichen Regelungen zum Wärmeschutz von Gebäuden, die im Laufe der Jahre weiterentwickelt und novelliert wurden. In der Folge nahm die Fläche an gedämmten Fassaden ebenso zu wie die mittlere Dämmstoffdicke. Zugleich haben die Forschungsabteilungen der Hersteller ihre Systeme weiterentwickelt (Dämmstoffe, Putzsysteme, Farben usw.) und Detaillösungen erarbeitet, wie zum Beispiel wärmebrückenoptimierte Befestigungselemente für Anbauteile.
Studie untersucht Langzeitbewährung von Wärmedämmstoffen
Anfänglichen Zweifeln an der „wundersamen“ Technik ist die Branche mit einer Langzeitstudie begegnet. Das Fraunhofer Institut für Bauphysik inspiziert regelmäßig WDVS aus den 1970er-Jahren. Der letzte Bericht aus dem Jahr 2015 bestätigt die Dauerhaftigkeit der Dämmsysteme. Die vielen inspizierten Gebäude haben die Langzeitbewährung in der Praxis unter Beweis gestellt. Der Studie zufolge stehen WDVS-Fassaden hinsichtlich der Lebensdauer einer klassisch verputzten Außenwand in nichts nach. Lediglich in einem Fall (Objekt 54, Bild unten) gab es anfangs Probleme, die auf eine falsche Materialauswahl zurückzuführen waren. Die Sanierung mit einem geeigneten Fassadenanstrich beseitigte die Mängel dauerhaft.
Obschon diese positiven Langzeiterfahrungen mit solchen Fassaden bestehen und eine erste Studie zum Rückbau und Recycling von WDVS mit dem bis heute am häufigsten eingesetzten Dämmstoff Polystyrol (EPS) die Erkenntnis hervorbrachte, dass bislang kein großer Rückbaubedarf besteht, beschäftigt sich die Branche seit Längerem mit der Thematik der Entsorgung. Und spätestens seit dem verwirrenden Hin und Her im letzten Jahr um die korrekte Abfalldeklaration von Styropor („Sondermüll – ja oder nein?“) stellen sich Planer, Handwerksbetriebe und nicht zuletzt die Eigentümer die Frage, was mit den EPS- und XPS-Dämmstoffplatten passiert, wenn ein Gebäude abgerissen wird oder im Zuge von Sanierungs- und Umbauarbeiten an einem bereits gedämmten Gebäude das WDVS entfernt werden muss?
Die fünfstufige Pyramide der Abfallhierarchie
Nachdem in unserer Gesellschaft das Bewusstsein angekommen ist, dass unsere natürlichen Ressourcen endlich sind und möglichst effizient genutzt werden sollten, legt auch das Abfallrecht verstärkt Wert auf eine umweltgerechte Entsorgung und einen möglichst hohen Wiederverwertungsanteil. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) hat das Ziel, den Umwelt- und Klimaschutz nachhaltig zu verbessern, Ressourcen innerhalb der Abfallwirtschaft effizient zu steigern und dabei die Abfallvermeidung als auch das Recyceln von Abfällen zu forcieren. Dieser Gedanke spiegelt sich in der Pyramide der fünfstufigen Abfallhierachie wider (Bild).
Schlüssel unterscheidet zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen
Vorrang hat somit eindeutig die jeweils beste Option aus Sicht des Umweltschutzes. Je nach Abfallart wird durch abfallspezifische Verordnungen die jeweils beste Verwertungsoption festgelegt. Generell steht jedoch an der „Spitze der Abfallhierarchie“ die Abfallvermeidung. In Bezug auf die Fassadendämmung ist demnach im ohnehin anstehenden Sanierungsfall stets eine Aufdoppelung älterer Wärmedämmstoff-Verbundsysteme mit geringeren Dämmwerten einem kompletten Abriss vorzuziehen. Das Altsystem wird somit schlicht weiter genutzt, sein Lebenszyklus verlängert.
Kommt es dennoch zu einem Rückbau, wird die jeweilige Abfallart auf Basis der Abfallverordnung (AVV) einer sechsstelligen Schlüsselnummer zugeordnet. Dieser sogenannte EAK-Abfallschlüssel entstammt dem europäischen Abfallkatalog und differenziert zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen. Er regelt auch die Einstufung und Entsorgung von Dämmstoffen im Bauwesen (WDVS, Dachdämmung usw.). Dämmstoffe aus Polystyrol wurden seit den 1970er-Jahren mit einem Flammschutzmittel versehen, um die bauaufsichtlich geforderte Schwerentflammbarkeit zu gewährleisten. Dabei wurde bis 2015 das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) verwendet. Dieses zählt inzwischen zu den persistenten organischen Schadstoffen (POP) und muss aus der Wertschöpfungskette ausgeschleust werden.
Wie ist das nun mit HBCD-haltigen Dämmstoffen?
Mit Inkrafttreten der Verordnung zur Überwachung von nicht gefährlichen Abfällen mit persistenten organischen Schadstoffen (POP-Abfall-ÜberwV) am 1. August 2017 sind HBCD-haltige EPS- bzw. XPS-Abfälle dauerhaft als nicht gefährlich eingestuft worden. Das erleichtert im Gegensatz zur ursprünglich vorgesehenen Regelung die Handhabung in der Praxis für das Handwerk und die Entsorgungswirtschaft. Dennoch sind Nachweise zur fachgerechten Entsorgung zu führen. Derzeit ist die thermische Verwertung in Müllheizkraftwerken der einzige zulässige Weg, um HBCD sicher zu zerstören. Auch wenn diese Form der Entsorgung kein Recycling hervorbringt, so wird dennoch die Heizenergie des Dämmstoffs beispielsweise für die Fernwärmeversorgung genutzt.
EPS- und XPS-Abfälle, die vor 2015 produziert wurden und das Flammschutzmittel HBCD enthalten, sind daher auf der Baustelle als Monofraktionen (ohne Verunreinigungen durch Kleber- oder Mörtelanhaftungen) in separaten Containern zu sammeln und mit dem Abfallschlüssel 17 06 04 zu deklarieren. Kann aus Platzmangel kein eigener Container auf der Baustelle aufgestellt werden, lässt der Gesetzgeber die gemeinsame Entsorgung mit anderen Bauabfällen in einem Container als „gemischte Bau- und Abbruchabfälle“ zu. Gleiches gilt, wenn bei einem Abbruch oder einer Sanierung nur geringe Mengen HBCD-haltige EPS-/XPS-Abfälle als Monofraktion anfallen.
Jedes Bundesland hat eigene Durchführungserlasse bei der Entsorgung von Wärmedämmstoffen
Weil die Abfallwirtschaft in Deutschland in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, hat jedes Bundesland eigene Durchführungserlasse verabschiedet, die bundesweit nicht einheitlich in ihren Angaben sind. Die Aktionsgemeinschaft für eine sichere und fachgerechte Entsorgung von HBCD-haltigen Dämmstoffabfällen (AG EHDA) hat auf ihre Internetseite agehda.de die aktuelle Rechtslage übersichtlich zusammengestellt.
Der für die Entsorgung von HBCD-haltigen Abfällen beauftragte Betrieb muss elektronische Registrier- und Nachweispflichten erfüllen, die eine geregelte und fachgerechte Entsorgung der Wärmedämmstoffe dokumentieren. In der Praxis ist daher zu empfehlen, Container von einem autorisierten Entsorger auf der Baustelle aufstellen und auch abholen zu lassen. Dann braucht der die Abbrucharbeiten ausführende Handwerksunternehmer lediglich darauf zu achten, dass er den Entsorgungsnachweis ausgehändigt bekommt. Diesen muss er zum Nachweis der Entsorgung aufbewahren. Er braucht dann selbst nicht am elektronischen Nachweissystem angeschlossen zu sein. Die Verordnung lässt auch sogenannte Bringsysteme zu (Abbruchunternehmer liefert selbst beim Entsorger an), die aber mit einem höheren formalen Aufwand verbunden sind.
Abfälle aus EPS- oder XPS-Dämmplatten hingegen, die heute aus dem Verschnitt beim Anbringen der Fassadendämmung anfallen, enthalten als neues Flammschutzmittel Polymer-FR. Dieses fällt nicht unter die POP-Stoffe. Ob die EPS-/XPS-Dämmplatten tatsächlich frei von dem Zusatzmittel HBCD sind, lässt sich am Etikett ablesen (Bild unten). Aber auch der Rollen- oder Prägestempel sowie Farbpartikel in den Dämmplatten geben einen entsprechenden Hinweis.
HBCD-freie Dämmstoffe gelten als nicht gefährlich und unterliegen nicht den zuvor beschriebenen Nachweispflichten. Im Regelfall werden diese Abfälle gemäß der Abfallhierarchie einem Recyclingverfahren zugeführt. Dazu bieten Systemanbieter und Dämmstoffhersteller spezielle Säcke an, um die Rest- und Verschnittmengen auf den Baustellen einzusammeln. Daraus lässt sich durch Zerkleinern und Extrusion ein Polystyrol-„Re-Granulat“ gewinnen.
Kreislaufwirtschaft durch das Creasolv-Verfahren
Um in der Zukunft sowohl HBCD- als auch Polymer-FR-haltige EPS-Dämmplattenabfälle stofflich recyceln zu können, entsteht derzeit eine Pilotanlage in den Niederlanden, die in der zweiten Jahreshälfte 2018 in Betrieb gehen soll. Die genossenschaftlich organisierte Initiative PolystreneLoop will dabei Erfahrungen mit dem CreaSolv-Verfahren in der Praxis sammeln. Mit diesem chemischen Verfahren lassen sich Anhaftungen und Fremdstoffe wie zum Beispiel das Flammschutzmittel HBCD von den EPS-Abfällen mit nicht kennzeichnungspflichtigen organischen Lösungsmitteln abtrennen. Das Flammschutzmittel HBCD wird zerstört und das darin enthaltene Brom zurückgewonnen Nach dem Reinigen und chemischen Ausfällen erhält man hochwertiges PS-Granulat, aus dem sich unter anderem neue Dämmplatten herstellen lassen.
Pilotprojekt soll Logistik optimieren
Das Pilotprojekt hat zum Ziel, die betrieblichen Prozesse, aber auch die Logistikwege mit den in der Praxis gewonnenen Erkenntnissen weiter zu optimieren. Diese Erfahrungen sind perspektivisch wichtig, um darauf vorbereitet zu sein, wenn die Abfallmengen künftig zunehmen und weitere Anlagen in Europa entstehen (Bild oben).
Sowohl der neue Verband für Dämmsysteme, Putz und Mörtel e.V. (VDPM) als auch der europäische WDVS-Verband EAE sowie zahlreiche weitere Partner unterstützen das Pilotprojekt (www.polystyreneloop.org). Zudem werden Wege zum kreislaufwirtschaftlichen Ansatz für WDVS auch mit anderen Dämmstoffen erarbeitet.
Dieser Beitrag von Bettina Hahn ist zuerst erschienen in GEB/01-2018. Bettina Hahn ist gelernte Lacklaborantin, staatlich geprüfte Umweltschutztechnikerin und seit 10 Jahren Energieberaterin.
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