Corona: Europäischer Architektenmarkt im Sinkflug
Corona hat die europäische Wirtschaft kalt erwischt – das gilt auch für die Architekturbranche, wie die jüngste Barometerumfrage zeigt. Vor einigen Wochen waren die befragten Planer in den europäischen Kernmärkten wegen Corona noch vielfach unbesorgt, seitdem haben sich ihre Umsatzerwartungen massiv eingetrübt. Auch in Deutschland weist das Architektenbarometer zum ersten Mal seit Q2 2009 ernsthafte Disruptionen auf.
Dennoch gehören die deutschen Architekten auch nach Corona immer noch zu den zuversichtlichsten in Europa. Woran liegt das?
Befragung mit neuer Dynamik
In der Befragung zum europäischen Architektenbarometer wurden im ersten Quartal 2020 rund 900 Architekten in Europa zu ihrer Umsatz- und Auftragssituation befragt. Bereits in den Vorquartalen deutete sich in den meisten europäischen Märkten eine Verlangsamung der Architekturkonjunktur an.
Aus aktuellem Anlass ist in die Architektenbefragung im ersten Quartal 2020 die Frage mit aufgenommen worden, ob die Ausbreitung des Coronavirus zusätzlich negative Effekte auf den Umsatz der Architekten haben wird. Die Befragung, die seit Mitte des ersten Quartals erhoben wurde, hat im Verlauf des Monats März eine ganz eigene Dynamik entwickelt.
Dramatische Entwicklung
Das in der Grafik dargestellte Gesamtergebnis sieht bereits dramatisch genug aus - negative Effekterwartungen von über 50% gibt es in fünf von acht Ländern - in den übrigen Ländern ist ein Viertel bis ein Drittel Negativerwartungen (in Deutschland von 28 %) festzustellen. Doch die Einschätzung der Situation spitzt sich noch weiter zu, wenn man die Interviewergebnisse miteinander vergleicht, die vor und nach Freitag, dem 13. März, erhoben wurden. Also ab dem Wochenende, an dem das volle Ausmaß der Krise den meisten Europäern außerhalb Italiens erst richtig klar geworden sein dürfte.
Deutsche Architekten waren lange unbesorgt
Für die Architekten, die in den Wochen zuvor befragt worden waren, war das Thema Corona noch weit weg: Den europäischen Bauboom und volle Auftragsbücher im Rücken, rechneten die meisten nicht mit ernsthaften Einbußen wegen Corona. In Deutschland konnte sich nur jeder zehnte Planer überhaupt vorstellen, dass Auswirkungen von Covid-19 den eigenen Betrieb betreffen könnten.
In den meisten Nachbarländern (allen voran natürlich Italien) hatten die Architekten auch schon vor dem 13. März etwas größere Verluste durch die wirtschaftlichen Folgen von Corona befürchtet.
Anteile der Architekten, die negative Umsatzeffekte wegen COVID-19 erwarten (n=892, in Prozent)
vor dem 13. März 2020
- Belgien: 6 %
- Frankreich: 16 %
- Deutschland: 10 %
- Italien: 59 %
- Niederlande: 20 %
- Polen: 50 %
- Spanien: 25 %
- Großbritannien: 34 %
nach dem 13. März 2020
- Belgien: 70 %
- Frankreich: 58 %
- Deutschland: 43 %
- Italien: 88 %
- Niederlande: 69 %
- Polen: 61 %
- Spanien: 86 %
- Großbritannien: 70 %
Danach griffen die Regierungen weltweit zu tiefgreifenden Maßnahmen, die seitdem fast überall verschärft oder verlängert worden sind. Spätestens seitdem ist den befragten Architekten klar, dass erhebliche Auswirkungen der Situation auf ihren Umsatz zu erwarten sind.
Dies gilt vor allem für Spanien und Italien – dort gehen seit dem 13. März vier von fünf Planern von negativen Effekten aus. In Deutschland rechnen die seit dem 13. März befragten Architekten zu 43 Prozent mit Einbußen durch Corona – hierzulande gibt es demnach im 8-Länder-Vergleich erstaunlich viele Optimisten.
Umsatzerwartungen der Architekten erheblich gedämpft
Auch die konkreten Erwartungen der europäischen Architekten, wie sich ihr Umsatz 2020 entwickeln wird, haben sich seit dem Stichtag 13. März bedeutend eingetrübt. Vorher hatten z. B. in Spanien und Großbritannien noch etwa ein Fünftel der Planer 2020 Umsatzverluste befürchtet, mittlerweile muss in beiden Ländern jeder zweite Architekt damit rechnen.
Geschätzter durchschnittlicher Umsatzverlust bei den Architekten in 2020 (n=892, in Prozent)
vor dem 13. März 2020
- Belgien: -1 %
- Frankreich: -4 %
- Deutschland: -6 %
- Italien: -29 %
- Niederlande: -10 %
- Polen: -36 %
- Spanien: -16 %
- Großbritannien: -20 %
nach dem 13. März 2020
- Belgien: -25 %
- Frankreich: -31 %
- Deutschland: -29 %
- Italien: -36 %
- Niederlande: -31 %
- Polen: -44 %
- Spanien: -50 %
- Großbritannien: -49 %
Deutsche Planer immer noch unter den zuversichtlicheren
Der Umsatzbarometerwert der deutschen Architekten hat seit Beginn der Barometermessungen Mitte 2009 von Quartal zu Quartal zugenommen. Auch vor dem 13. März konnten sich die meisten befragten Architekten hierzulande auf volle Auftragsbücher und eine hohes Hochbauniveau verlassen: Im Schnitt hatten die deutschen Architekten vor Mitte März sich bestenfalls um Umsatzrückgänge in einer Größenordnung von 6 Prozent Sorgen gemacht. „Seit Corona“ werden im Schnitt jedoch 29 Prozent Umsatzverluste von den Planern befürchtet.
Das ist der stärkste Einbruch in der deutschen Barometermessung seit über 10 Jahren und gehört im Vergleich mit den meisten Nachbarländern bei aller Schärfe immer noch zu den moderateren Ergebnissen. Dass die deutschen Architekten trotz allem einigermaßen zuversichtlich bleiben, dürfte zum einen an den eilig verabschiedeten Sofortmaßnahmen und Konjunkturhilfen der Regierung liegen. Zum anderen trifft Corona die deutsche Baubranche in einer Boomsituation – Auftragspolster und Umsatzreserven aus dieser Zeit helfen den Architekten zumindest kurzfristig die Nerven zu bewahren.
Die große Stornierungswelle bei den Aufträgen bleibt vorerst aus
Auch weitere Daten aus der Befragung sind zunächst beruhigend: So gibt es auch nach dem 13. März nicht mehr verschobene oder ganz abgesagte Projekte bei den Architekten als in den Quartalsbefragungen zuvor. Allerdings sind mehr befragte Architekten als sonst von Projektaufschüben betroffen, was natürlich darauf hindeutet, dass es bereits jetzt zu erheblichen Ablaufverzögerungen kommt.
Im Grunde haben die Architekten den Vorteil als „Schreibtischtäter“ einen großen Teil ihrer bisherigen Arbeit auch unter Home-Office-Bedingungen weiter abwickeln zu können. Das Neubaugeschäft muss ohnehin langfristig geplant werden, sodass Projekte für die Zeit „nach Corona“ auch aktuell auf den Schreibtischen der Architekten landen können.
Doch natürlich würde ein langfristiger Nachfrageeinbruch infolge der Krise die deutsche Architekturbranche hart treffen – hier wird die nächste Konjunkturmessung im zweiten Quartal für mehr Klarheit sorgen.