Legionellenwachstum: Warum über neue Grenzwerte nachgedacht werden muss
Trinkwasser ist ein natürliches Lebensmittel. Stagniert es zu lange, kann es ungenießbar werden. Die wenigen Nährstoffe, die nach der Aufbereitung noch im Trinkwasser vorhanden sind, können von Mikroorganismen genutzt werden und die Mikroorganismen können sich dadurch vermehren.
Die allermeisten dieser Mikroorganismen beeinträchtigen die Trinkwasserqualität jedoch nicht und sind für den Menschen unschädlich. Einige wenige aber können Krankheiten auslösen – insbesondere die Legionellen. Sie sind die Ursache der Legionärskrankheit, an der allein in Europa jedes Jahr mehrere Tausend Menschen erkranken.
Wissenschaftler an der Universität Zürich haben systematisch untersucht, mit welcher Geschwindigkeit sich Legionellen bei unterschiedlichen Temperaturen im Trinkwasser vermehren. Die Ergebnisse bieten die Möglichkeit, Grenzwerte und Empfehlungen zu Wassertemperatur, Rohrdämmungen und Stagnationszeit im fachlichen Diskurs neu zu beurteilen Dies ist einer Studie von Prof. Dr. Hubert Hilbis Forschungsgruppe [1] zu entnehmen.
Erste detaillierte Studie zu Legionellenwachstum
Legionellen brauchen dreierlei, damit sie sich in Trinkwasseranlagen vermehren können: die richtigen Nährstoffe, die richtige Temperatur und Zeit. Bewährte Empfehlungen zum Betrieb der Trinkwasser-Installationen leiten sich heute oft aus Praxiserfahrungen ab. Die Messungen des Teams um Professor Hilbi zeichnen sich durch ihre Genauigkeit und ihren Umfang aus.
Die Wissenschaftler an der Universität Zürich haben dabei das Wachstum der Bakterien bei unterschiedlichem Nährstoffangebot und unterschiedlichen Temperaturen im Labor gemessen. Die Forschungsgruppe beschäftigt sich seit vielen Jahren eingehend mit Legionellen.
Legionellen-Grenzwerte: 50 Grad Celsius als neuer Richtwert?
Legionellen mögen es gerne warm. Bei Temperaturen um die 18 Grad Celsius konnte nur langsames Wachstum beobachtet werden. Wohl fühlen sie sich um 40 Grad Celsius. Hier kann sich die Anzahl der Legionellen im Trinkwasser in einer nährstoffreichen Umgebung innerhalb von vier Stunden verdoppeln (Bild 2). Die Vorliebe der Legionellen für Wärme hat aber eine klare Grenze, wie die Forscher der Universität Zürich herausgefunden haben. Steigt die Temperatur auf 50 Grad Celsius, stoppt das Legionellenwachstum abrupt – und das unabhängig vom Nährstoffangebot.
Warmwasser wird heute bei zentralen Trinkwassererwärmern im Zirkulationsbetrieb in der Temperaturbandbreite von 55 bis 60 Grad Celsius gehalten, um das Legionellenwachstum zu verhindern. Diese Legionellen-Grenzwerte benötigen viel Energie, und zwar womöglich mehr als nötig. Gemäß der Studie aus Zürich könnte ein Warmwassersystem mit konstanter Temperatur von 50 Grad Celsius der Vermehrung von Legionellen ebenso gut Einhalt gebieten wie die heute deutlich höheren Warmwassertemperaturen.
Wasseraustausch: Je nach Temperatur
In der Praxis wissen Betreiber von Trinkwasseranlagen nicht, wie viele Legionellen im Trinkwasser vorhanden sind oder welche Lebensbedingungen sie vorfinden. Dies hängt von der lokalen Qualität des Trinkwassers und der Nutzung der Installation ab. Basierend auf Erfahrungen geht das heutige Regelwerk TRWI davon aus, dass im Trinkwasser keine Legionellengefahr besteht, wenn die Kaltwassertemperatur unter 25 °C bleibt und das Wasser mindestens alle 72 Stunden ausgetauscht wird (Bild 3).
Auch in diesem Zusammenhang bringt die Studie neue Erkenntnisse: Anhand der temperaturabhängigen Wachstumsraten lässt sich auch berechnen, wie häufig das Wasser je nach Temperatur ausgetauscht werden sollte. Demnach ist es grundsätzlich kein Problem, wenn die Temperatur des Trinkwassers in den Bereich zwischen 25 und 55 °C gelangt. Dann sollte man das Wasser einfach häufiger austauschen.
Gemäß den Berechnungen ist ein solcher Austausch alle 24 Stunden bei allen Temperaturen ausreichend – also auch bei den für Legionellen optimalen Temperaturen um 40 °C. In täglich genutzten Wohngebäuden findet der Austausch somit häufig genug statt. Wird aber zum Beispiel ein Bürogebäude am Wochenende nicht genutzt, macht eine automatische Spüleinrichtung Sinn.
Dämmung von Warmwasserleitungen bis zur Entnahmestelle
Immer wieder gibt es Zeiten, in denen in einem Gebäude kein Warmwasser bezogen wird. In der Leitung kühlt das Wasser dann von der Temperatur des Warmwassers auf die Umgebungstemperatur ab. Wie lange das dauert, hängt von der Rohrdimension, der Wärmeleitfähigkeit der Dämmung und der Dämmstärke ab.
Eine ungedämmte Warmwasserleitung in der Dimension DN 20 kühlt innerhalb von gut vier Stunden von 55 auf 25 °C ab, unabhängig vom Rohrleitungsmaterial. Mit einer Dämmschichtdicke von 20 mm verlängert sich diese Zeit auf zehn Stunden.
In einigen Ländern verzichtet man auf die Dämmung der Warmwasserleitungen vom Anschlusspunkt der Zirkulation bis zur Entnahmestelle. Der Zweck: Das Wasser soll möglichst schnell auf die Umgebungstemperatur abkühlen. Damit würden die Bakterien weniger lang in den für sie optimalen Temperaturen verbleiben und sich weniger vermehren.
Nun zeigen die Berechnungen auf Datenbasis der Wachstumsmessungen des Teams von Professor Hilbi, dass nicht die Geschwindigkeit der Abkühlung, sondern die Höhe der Umgebungstemperatur der entscheidende Faktor ist. Denn bei einer erlaubten Stagnation von 72 Stunden befindet sich das Wasser die meiste Zeit auf Umgebungstemperatur. Steigt diese beispielsweise nur um 1 °C, ist das Wachstum der Legionellen höher. Die verkürzte Abkühlzeit durch einen Verzicht von Dämmung ist aus Sicht des Legionellenwachstums deshalb kein entscheidender Faktor (Bild 4).
Eine Dämmung der Ausstoßleitung bietet aber viele Vorteile. Sie reduziert den Wärmeverlust sowie den Wärmeeintrag in die Umgebung und in die Kaltwasserleitung. Auch spart man so Energie und erhöht gleichzeitig den Komfort der Bewohner, da sie in vielen Situationen schneller Warmwasser beziehen können. Warmwasserleitungen könnten folglich vom Wärmeerzeuger bis zur Entnahmestelle gedämmt werden.
Neue Impulse für die Trinkwasserhygiene
Die Erkenntnisse der Studie über die Legionellen-Grenzwerte könnten sich als bedeutungsvoll erweisen. Genaue Zahlen zum Wachstum von Legionellen, wie sie nun dank der Studie der Universität Zürich vorliegen, sind ein Novum für die Betrachtung der Trinkwasserhygiene. Sie könnten künftig Fragen klären, die sich in der Praxis nicht so leicht beurteilen lassen.
Im Labor wuchsen die Bakterien in einem Medium nur mit den minimal benötigten Nährstoffen. Trotzdem, derart optimale Bedingungen finden Bakterien im Trinkwasser nie vor. Dennoch lassen sich viele Ergebnisse der Studie übertragen und bilden in Bezug auf die Vermehrung von Legionellen ein Worst-Case-Szenario ab.
Die Ergebnisse bieten die Möglichkeit, bestehende Richtlinien für Legionellen-Grenzwerte neu zu betrachten, und sollen zu einer kritischen Diskussion unter Fachleuten beitragen. Für den Praktiker gilt aber natürlich: Bestehende Normen wie durch die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) sind einzuhalten, auch wenn die Forschung neue Erkenntnisse liefert.
Fazit: Die Schlussfolgerungen
- Oberhalb von 50 °C wurde selbst bei hohen Nährstoffkonzentrationen keinerlei Wachstum von Legionellen im Trinkwasser beobachtet. Diese Erkenntnis sollte in die Diskussion um die Warmwassertemperaturen als Grenzwerte eingehen. Allenfalls ließen sich diese senken und somit Energie sparen.
- Beruhend auf den Messungen lässt sich ein temperaturabhängiges Spülintervall berechnen. Dabei zeigt sich, dass auch der Temperaturbereich zwischen 25 und 55 °C möglicherweise weniger problematisch als bisher angenommen ist, solange der Rohrleitungsinhalt mit den richtigen Intervallen ausgetauscht wird.
- Das Legionellenwachstum in Warmwasserausstoßleitungen hängt stärker von geringen Änderungen der Umgebungstemperatur als von der Dämmung ab. Mit Blick auf mögliche Energieeinsparungen und Komfortgewinne wäre es erwägenswert, Ausstoßleitungen zu dämmen.
[1] Hochstrasser, R. & Hilbi, H. (2022): The Legionella Lqs-LvbR Regulatory Network Controls Temperature-Dependent Growth Onset and Bacterial Cell Density. Applied and Environmental Microbiology, 88(5), e0237021.
https://doi.org/10.1128/aem.02370-21
Die Autorin Barbara Borer ist Expertin für Hygiene und Mikrobiologie bei der Geberit International AG.