Tipp vom Anwalt: Wenn auf einmal die PV-Pflicht gilt
Einleitend ein paar Bemerkungen zum Begriff der Abnahme, die immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten ist:
Die Abnahme ist eine Hauptpflicht des Auftraggebers (§ 640 BGB) gegenüber dem Auftragnehmer. Die Abnahmeerklärung bedeutet die Entgegenahme der Werkleistung als im Wesentlichen vertragsgerecht. Darüber hinaus erlischt mit der Abnahme der Erfüllungsanspruch und der Nacherfüllungsanspruch erfüllt sich auf das abgenommene Werk. Mit der Abnahme wird die Vergütung fällig und die Verjährung von Mängelansprüchen läuft ab der Abnahme Zudem tritt mit der Abnahme eine Umkehr der Beweislast ein. Vor der Abnahme hat der Auftragnehmer die vertragsgemäße Leistungserbringung zu beweisen. Nach der Abnahme ist der Auftraggeber für Mängel beweispflichtig.
Bewertungszeitpunkt ist entscheidend
Für die Beurteilung, ob ein Werk mangelhaft ist, kommt es auf den Zustand des Werks zum Zeitpunkt der Abnahme an. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Anforderungen nach dem Stand der Technik gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses erhöht oder verringert haben.
Änderungen der a.a.R.d.T - Risiko im Bauträgergeschäft
Insbesondere im Bauträgergeschäft bedeutet dies für den Bauträger das Risiko, dass sich die allgemein anerkannten Regeln der Technik nach Vertragsschluss weiterentwickeln und demnach einen höheren als den zunächst geplanten Standard schuldet. Dies ist auch für die Erwerber wichtig zu wissen. Denn wenn sich die allgemein anerkannten Regeln der Technik nach Vertragsschluss, allerdings vor der Abnahme, ändern, ist der geänderte Standard geschuldet. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Änderung der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik bis zur Abnahme vorhersehbar war.
Weiterentwicklung des Standards bei Gebäuden – PV-Pflicht
Als ein relativ aktuelles Beispiel für eine solche Weiterentwicklung im Wohnungsbau kann die gesetzliche PV-Verpflichtung gesehen werden. Diese gesetzliche Änderung im Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg hat zur Folge, dass bei Neubauvorhaben unter Berücksichtigung der Photovoltaik-Pflicht-Verordnung (PVPf-VO) des Umweltministeriums PV-Anlagen zu planen sind. Die Verpflichtung betrifft Bauherrinnen und Bauherren. Sie müssen, wenn beim Neubau eine für die Solarnutzung geeignete Dachfläche entsteht, eine Photovoltaikanlage installieren. Sie können gleichzeitig Eigentümerin oder Eigentümer des Gebäudes oder Grundstücks sein, müssen es aber nicht.
Der maßgebliche Zeitpunkt (nach öffentlichem Recht) für die Einhaltung der Verpflichtung ist für alle Neubauvorhaben das Eingangsdatum des Bauantrags oder der vollständigen Bauvorlagen im Kenntnisgabeverfahren. Bei Dachsanierungen zählt das Datum des Baubeginns. Folgende Daten gelten:
- Neubau Parkplatz: 1. Januar 2022
- Neubau Nichtwohngebäude: 1. Januar 2022
- Neubau Wohngebäude: 1. Mai 2022
- Grundlegende Dachsanierung: 1. Januar 2023
Auswirkungen er PV-Pflicht
Im Kontext des Wohnungsbaus könnten sich Bauträger nunmehr auf den Standpunkt stellen, dass die entsprechende Verpflichtung nicht für Objekt gilt, bei denen die Bauanträge vor den o.g. genannten Terminen gestellt worden und auf dieser Basis bereits Verträge mit Erwerbern geschlossen worden sind. Hiernach würden die Neubauvorhaben ohne PV-Anlagen errichtet. Doch ist diese Argumentation im konkreten Geschäftsfeld sinnvoll?
Nach Auffassung des Verfassers ist ein solches Herangehen nicht sinnvoll und könnte für den Bauträger zusätzliche Kosten verursachen (evtl. Nachrüstungsverpflichtung).
Bei der vorgenannten Betrachtungsweise wird insbesondere außer Acht gelassen, dass eine entgegen den allgemein anerkannten Regeln der Technik geplante Bauweise insbesondere dann einen Mangel darstellt, wenn der Besteller nicht ausdrücklich und nachhaltig über die Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik und Art und Umfang möglicher Folgen aufgeklärt und belehrt worden ist. Geht man davon aus, dass die Gebäudeausstattung im Sinne der öffentliche rechtlichen Bestimmungen nur dann den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht, wenn zum Abnahmezeitpunkt auch der PV-Anlagen-Errichtungsverpflichtung entsprochen worden ist, obwohl der Bauantrag vor dem (öffentlich-rechtlichen) maßgeblichen Zeitpunkt gestellt wurde, würde das Fehlen der PV-Anlage - im Verhältnis zu den ErwerberInnen – zivilrechtlich einen Mangel bedeuten.
Abweichende Regelungen zu Maßgeblichkeit des Abnahmezeitpunkts sind kritisch
Ob dabei zur Maßgeblichkeit des Abnahmezeitpunkts abweichende Regelungen in Bauträgerverträgen möglich sind, ist offen. Allerdings wird man in Verbraucherverträgen davon ausgehen dürfen, dass die Ausführung nach den im Zeitpunkt der Bauausführung maßgeblichen anerkannten Regeln der Technik verspricht.
Vorbereitung auf die Abnahme
Je nach Komplexität der geschuldeten Werkleistung empfiehlt es sich, auf Auftraggeberseite einen Bausachverständigen und ggf. einen Rechtsbeistand zur Bewertung der Werkleistung hinzuzuziehen. Diese können, unter Beachtung der vertraglichen Regelungen und funktionalen Ansprüche an das Werk, die Abnahmereife feststellen:
- Liegen sämtliche Unterlagen (§ 650n BGB) vor, um gegenüber der Behörde den Nachweis führen zu können, dass die Leistung unter Einhaltung der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt werden wird bzw. worden ist?
- Entspricht das Bauwerk den a.a.R.d.T., sind Mängel vorhanden bzw. liegt eine funktionale Beeinträchtigung vor?
- Bekommt der Auftraggeber das, was er vertraglich bestellt hat, mithin, entspricht das Werk den Regelungen des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrags?
Wesentliche Mängel stehen der Abnahme immer entgegen (z.B. kein gefahrloser Zugang bzw. keine gefahrlose Nutzbarkeit des Objekts, insbesondere bei Brandschutzmängeln; Im bestimmten Fällen auch bei Ausfall der Heizung bzw. Warmwasserversorgung etc.).
Rechtsanwalt Matthias Scheible ist Syndikusrechtsanwalt bei einem Wohnungsbauunternehmen und verfasst Artikel zu rechtlichen Themen auf haustec.de.