Tipp vom Anwalt: Kann man ein Angebot per E-Mail widerrufen?
Zwei Vertragsparteien streiten sich über den Zugang und den „Widerruf“ einer E-Mail. In einer ersten E-Mail wurde von einer der Vertragspartei ein Angebot betreffend eines Zahlbetrags unterbreitet. Die Gegenseite nahm das Angebot mit nachfolgender E-Mail an. Mit einer weiteren E-Mail vom selben Tag wollte der anbietende Teil das Angebot wieder zurückziehen. Die andere Vertragspartei leistete jedoch auf den zuvor vereinbarten Zahlbetrag – der von der Gegenseite auch entgegengenommen wurde - und teilte mit, dass die Angelegenheit damit erledigt sei.
So entschied das Gericht
Das Gericht teilt die Auffassung wonach der Vergleich über den vereinbarten Zahlbetrag wirksam zu Stande gekommen sei. Die erste E-Mail mit dem genannten Zahlbetrag sei ein wirksames Angebot zum Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB dar. Inhaltliche Nachforderungen wurden darin ausgeschlossen. Dieses Angebot wurde von der anderen Seite durch Anweisung des Zahlbetrags angenommen (i.S.d. § 14 Abs. 2 BGB). Hieran ändere auch nichts, dass die anbietende Seite ihr Angebot mit nachfolgender E-Mail wieder „widerrufen“ wollte. Die anbietende Seite war an das unterbreitete Angebot gemäß § 145 BGB gebunden.
Danach ist derjenige, der einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, an den Antrag gebunden, außer er hat die Gebundenheit ausgeschlossen. Für letzteres war nichts ersichtlich. „Das Angebot auf Abschluss eines Vergleichs ist der Gegenseite gemäß § 130 Abs. 1 BGB wirksam zugegangen. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil v.14. Februar 2019, Az.: IX ZR 181/17 Rn. 11, u.a.).
Eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.
Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist als der Machtbereich des Empfängers anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Der Empfänger macht dies klar durch die Veröffentlichung der E-Mail-Adresse (oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr) und die Abschließung von Rechtsgeschäften mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails.
Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.
Der behauptete Widerruf des Vergleichsangebotes sei verspätet gewesen, denn das Vergleichsangebot sei wirksam zugegangen und konnte daher nicht mehr widerrufen werden.
Grundsätzliches und Fazit
In anderem Zusammenhang haben Gerichte bereits entschieden, dass grundsätzlich den Absender einer E-Mail gemäß § 130 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen ist. Ihm kommt keine Beweiserleichterung zugute, wenn er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhält. Die Absendung der E-Mail begründe keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger. Ob nach dem Versenden einer E-Mail die Nachricht auf dem Empfängerserver eingeht, sei nicht gewiss. Wie auch bei einfacher Post sei es technisch möglich, dass die Nachricht nicht ankommt. Dieses Risiko könne nicht dem Empfänger aufgebürdet werden. Denn der Versender wähle die Art der Übermittlung der Willenserklärung und trage damit das Risiko, dass die Nachricht nicht ankommt.
Im konkreten Fall kommt es hierauf jedoch nicht an, da der Zugang der ersten Mail dem Grunde nach nicht bestritten wurde. Der hier entschiedene Fall gilt daher nur bei „bestätigter“ Übermittlung einer E-Mail.
BGH, Urteil v. 06.10.2022, Az.: VII ZR 895/21
Rechtsanwalt Matthias Scheible ist Syndikusrechtsanwalt bei einem Wohnungsbauunternehmen und verfasst Artikel zu rechtlichen Themen auf haustec.de.