Arbeitsunfälle: Wann zahlt die Unfallversicherung?
Arbeitszeit und Arbeitsweg
Jeder Arbeitnehmer ist bei der Ausübung seiner Tätigkeit zwar nicht vor Unfällen geschützt, aber doch durch die gesetzliche Unfallversicherung gegen deren Folgen abgesichert. Gleiches gilt auch für Schüler in der Schule, Kinder im Kindergarten oder auch ehrenamtliche Mitarbeiter beim Ausüben ihrer Tätigkeit. Wichtig dabei zu beachten ist jedoch, dass nur Unfälle bzw. deren Folgen versichert sind, die auch infolge der Tätigkeitsausübung geschehen. Gleiches gilt für den Arbeitsweg: Er ist laut ARAG-Experten grundsätzlich mitversichert, zumindest solange es sich bei ihm um den direkten Weg zur Arbeitsstätte handelt.
Übrigens: Verrichtet ein Arbeitsuchender in einem Unternehmen einen Probearbeitstag und verletzt sich dabei, ist er gesetzlich als sogenannter "Wie-Beschäftigter" unfallversichert (Bundessozialgericht, Az.: B 2 U 1/18 R).
In der Pause
Nutzt der Arbeitnehmer seine Pause, um sich beim Bäcker um die Ecke einen kleinen Snack oder ein Getränk für die weitere Arbeitszeit zu holen, unterliegt er auf der zurückzulegenden Strecke dem gesetzlichen Unfallschutz. Ein ausgedehnter Großeinkauf, z. B. über zwei Stunden, beendet hingegen den Versicherungsschutz nach Auskunft der ARAG-Experten.
Wer sich nur kurz auf eine Zigarette vor die Tür begibt, ist allerdings nicht geschützt. Rauchen sei im Gegensatz zur Nahrungsaufnahme nicht notwendig, um Arbeitskraft zu erhalten, sondern eine persönliche Entscheidung, die nichts mit der Arbeit zu tun habe, so die Richter (Berliner Sozialgericht, Az.: S 68 U 577/12). Somit ist ein Unfall in der Raucherpause auch kein Arbeitsunfall. Der Weg zur Kantine wiederum fällt unter den gesetzlichen Unfallschutz – allerdings nur, wenn kein Umweg eingeschlagen wurde. Und: In der Kantine ebenso wie im Restaurant endet der Unfallschutz. So konnte beispielsweise ein Mann, der in der Werkskantine auf Salatsoße ausrutschte und sich den Arm brach, keine Unterstützung von seiner Unfallversicherung erwarten. Schließlich stehe die Nahrungsaufnahme nicht in einem direkten Zusammenhang zu seiner Arbeit (Sozialgericht Heilbronn, Az.: S 5 U 1444/11).
Im Home-Office
Die Arbeitswelt ist im Wandel. Denn der Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden liegt nicht erst seit der Corona-Pandemie voll im Trend. Immer häufiger müssen Richter entscheiden, ob Unfälle zu Hause auch Arbeitsunfälle sein können. So hat sogar ein Versicherungsmakler, der nachts um 1.30 Uhr auf der Kellertreppe gestürzt war, Anspruch darauf, dass sein Sturz als Arbeitsunfall überprüft wird. Die Berufsgenossenschaft hatte zunächst eine Entschädigung abgelehnt. Der Mann hatte daraufhin geklagt und vor dem Bundessozialgericht (BSG) Recht bekommen. Der Unfallschutz könne "nicht schon deshalb verneint werden, weil die Treppe nicht überwiegend dienstlichen Zwecken dient", heißt es in dem Urteil. Auch auf die Uhrzeit kommt es nach Auskunft der ARAG-Experten nicht unbedingt an. Der Unfall war passiert, als der Makler nach eigenen Angaben nachts ein Softwareupdate auf den Firmenserver aufspielte. Der Server stand im Keller, das Büro des Mannes befand sich im ersten Stock (Az.: B 2 U 8/17 R).
Auch in einer zweiten Entscheidung stärkte das BSG die Rechte von Arbeitnehmern im Home-Office. Hier war eine Arbeitnehmerin nach einem Arbeitstag auf der Messe auf dem Weg in ihr heimisches Büro. Von dort sollte sie über die firmeneigene Software den Geschäftsführer in den USA anrufen. Bepackt mit Notebook, Drucker und Messematerialien stürzte sie auf dem Weg in den Keller, wo sich das Büro befand. Dabei wurde ein Wirbel im Lendenbereich schwer und dauerhaft beschädigt. Auch hier hatte die zuständige Berufsgenossenschaft zunächst keinen Arbeitsunfall anerkennen wollen. Zu Unrecht! Wenn Mitarbeiter auf dem Weg zum Homeoffice verunglücken, muss nach Angaben der ARAG-Experten geprüft werden, ob der Arbeitnehmer eine berufliche Tätigkeit "subjektiv ausführen wollte". Danach müsse geklärt werden, ob die entsprechende Darstellung des Versicherten "durch objektive Tatsachen eine Bestätigung findet". Hierbei könnten Ort und Zeitpunkt des Unfalls wichtige Indizien sein. Im vorliegenden Fall gingen die Richter von einem versicherten "Betriebsweg" aus und sprachen der Frau Unfallschutz zu (Az.: B 2 U 28/17 R).
Skiheil – Bein kaputt
Traditionell im März lud der Chef alle Mitarbeiter seiner Firma für fünf Tage in den Schnee nach Österreich zu einem Betriebsausflug ein. Betriebsfremde waren nicht dabei. Damit alle Arbeitnehmer etwas von der Reise hatten, gab es – je nach Können und Ausdauer – die Möglichkeit zum Skifahren, Rodeln oder Wandern. Nach der Gruppenaktivität wurde regelmäßig gemeinsame Zeit verbracht, wobei die Gruppen sich durchmischten. In der Skifahrergruppe stürzte einer der Mitarbeiter und brach sich dabei Steißbein und Unterschenkel. Für ihn war die Reise vorbei. Als er den Unfall bei seiner Berufsgenossenschaft (BG) meldete, lehnte diese die Anerkennung als Arbeitsunfall jedoch ab, weil ihrer Ansicht nach beim Skifahren private Freizeitinteressen im Vordergrund gestanden hätten. Der Mitarbeiter zog vor Gericht und bekam schließlich im Berufungsverfahren Recht. Da mit den verschiedenen Aktivitäten vor Ort möglichst viele Beschäftigte eingebunden waren – immerhin hatte über die Hälfte der Belegschaft teilgenommen – und die Gruppen sich nach ihren jeweiligen Aktivitäten regelmäßig durchmischt haben, standen eindeutig betriebliche Zwecke wie z. B. die Förderung des Gemeinschaftsgedankens und Stärkung des Wir-Gefühls im Vordergrund. Daher sei die Reise eine versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung und als solche über die BG versichert gewesen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Az.: L 10 U 289/18).
Doch nicht immer ist ein Skiunfall ein Arbeitsunfall. Lädt eine Firma ihre Kunden beispielsweise zu einer Skireise in die USA ein und ist das Skifahren der einzige Programmpunkt der Reise, ist es bereits fraglich, ob es sich um eine Dienstreise handelt. Jedenfalls das Skifahren war aber nach Meinung des Gerichts dem Freizeitbereich zuzuordnen und daher nicht gesetzlich unfallversichert (Hessisches Landessozialgericht, Az.: L 9 U 188/18).
Auch in einem anderen Fall stand Skifahren als Freizeitaktivität auf dem Rahmenprogramm der Tagung. Die Teilnahme daran war weder verpflichtend noch verbindlich. Daher lehnte die gesetzliche Unfallversicherung eine Kostenübernahme ab, als sich einer der Führungskräfte dabei eine Schulterverletzung zuzog und diese als Arbeitsunfall deklarierte. ARAG-Experten raten Arbeitnehmern in solchen Fällen, den Kontext der Aktivitäten genau zu prüfen und sich gegebenenfalls schriftlich eine verpflichtende Teilnahme bestätigen zu lassen (Landessozialgericht Hessen, Az.: L 9 U 69/14).