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Brexit: Das kommt 2021 auf Betriebe zu

Dörte Neitzel
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Noch verhandelt das Vereinigte Königreich mit der Europäischen Union (EU) zwar über ein Handelsabkommen für die Zeit nach dem 31. Dezember 2020. Dann jedoch endet die Übergangsfrist, in der der Handel nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU noch nach den bisherigen Regeln abläuft.

Doch ob bis Jahresende eine Einigung erzielt wird, ist fraglich. EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen scheint den Glauben daran aufgegeben zu haben. „Ich kann Ihnen heute immer noch nicht sagen, ob es am Ende ein Abkommen geben wird“, erklärte sie Ende November.

Will Großbritannien überhaupt noch ein Handelsabkommen mit der EU?

Die Skepsis ist nicht unbegründet. Denn Johnson hat offensichtlich überhaupt kein Interesse an einem Handelsdeal. Mitte November erklärte er, wenn die EU bei den Verhandlungen weiter versuche, die Hoheitsrechte Großbritanniens zu untergraben, könne dieses auf ein Abkommen verzichten. Er sei zuversichtlich, dass das Land künftig auch ohne einen Deal „gedeihen“ werde, so der britische Premier.

Wenn sich der Populist in Downing Street 10 da mal nicht irrt. Die renommierte London School of Economics hat errechnet, dass die britische Wirtschaft ohne ein Handelsabkommen bis 2030 um sechs Prozent weniger wachsen wird als mit einer Einigung. Dabei kostet sie schon die Covid-19-Pandemie 2,1 Prozent Wachstum. Wie das Londoner Institute for Employment Studies meldet, gehen in Großbritannien durch beide Krisen über 650.000 Arbeitsplätze verloren.

Der Brexit bietet keinen Grund zur Schadenfreude

Wer nun schadenfroh den Kopf über die Dummheit der Brexiteers schüttelt, freut sich zu früh. Auch deutsche Unternehmer kommt ein Ausstieg Großbritanniens ohne Handelsvertrag teuer zu stehen. Insgesamt gehen in diesem Fall EU-weit Ausfuhren in Höhe von 33 Milliarden Euro verloren. Mit 8,2 Milliarden Euro entfällt ein Viertel des Verlusts auf deutsche Unternehmen.

„Dies entspricht 11,2 Prozent der Ausfuhren ins Vereinigte Königreich und 0,6 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhren“, stellt Ron van het Hof, Geschäftsführer des Kreditversicherers Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz, fest. Seine Kollegen haben jüngst in einer Studie untersucht, wie sich der Brexit auf die deutsche Wirtschaft auswirkt.

Ein Brexit ohne Handelsabkommen kostet das Handwerk Milliardenumsätze

Die Einbußen im Geschäft mit Großbritannien werden auch Handwerksbetriebe treffen, befürchtet der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH). Denn 60 Prozent ihres Auslandserlöses erwirtschaften Handwerker mit Zulieferungen für den Maschinenbau sowie elektrotechnische und medizintechnische Geräte.

„Den größten Auslandsumsatz erzielen dabei die Feinmechaniker und Metallbauer“, heißt es beim ZDH. Ihre Kunden sind genau die Branchen, die der Euler-Hermes-Studie zufolge am stärksten unter einem Brexit ohne Handelsabkommen leiden werden. So gehen dem deutschen Maschinenbau einschließlich der Medizintechnik dadurch 1,4 Milliarden Euro an Exporten flöten. Die metallverarbeitende Industrie verliert 540 Millionen Euro Umsatz.

Großbritannien ist der viertwichtigste Auslandskunde schwäbischer Baubetriebe

Auch für viele Bauunternehmen gehörten Auftraggeber aus Großbritannien bislang zu den wichtigsten Auslandskunden. England hat den ältesten Gebäudebestand Europas. Doch gibt es dort kaum Handwerksbetriebe, die diesen modernisieren können, erklärt die Handwerkskammer Düsseldorf.

Die Außenwirtschaftsorganisation des Handwerks in Baden-Württemberg, Handwerk International, bestätigt das. Ihr zufolge war Großbritannien bislang nach der Schweiz, Frankreich und Österreich der viertwichtigste Exportmarkt für Handwerksbetriebe im Ländle. Wie Bauunternehmen anderswo haben sie bis zum Beginn der Corona-Krise unter anderem vom Baumboom im Großraum London profitiert.

Dort schätzen private Bauherren die Arbeit deutscher Sanitär- und Heizungsinstallateure. Auch Einbaumöbel deutscher Schreiner sind in Londoner Luxuswohnungen gefragt.

Aufträge aus dem Vereinigten Königreich lohnen sich nach einem No-Deal-Brexit kaum mehr

Diese Betriebe werden ab dem 1. Januar nicht nur Umsatz im Vereinigten Königreich einbüßen. Aufträge, die sie noch für britische Kunden erledigen, sind dann auch mit erheblich mehr bürokratischem Aufwand und damit Kosten verbunden.

Mancher Auftrag wird dadurch nicht mehr interessant sein. „Wenn ich heute einen Auftrag für das kommende Jahr erhalte, würde ich den Vertrag nur unterzeichnen, wenn mich eine Sonderklausel vor möglichen höheren Kosten nach dem Brexit absichert“, erklärt etwa Klaus Schurig, Geschäftsführer des Spezialisten für Laden- und Innenausbau, Schurig GmbH in Bönnigheim.

„Aufträge im Ausland müssen grundsätzlich lukrativer sein als im heimischen Markt“, bestätigt auch Frank Hermann, Geschäftsführer der Spittelmeister GmbH & Co. KG in Pforzheim. Sonst lohne sich der Mehraufwand nicht. Das mittelständische Familienunternehmen liefert seine Stahl- und Alubalkone, Geländer sowie Aufzugsschachtgerüste auch nach Großbritannien.

WTO-Recht regelt künftig deutsch-britische Wirtschaftsbeziehungen

Bislang konnten die deutschen Monteure der Schwaben zur Montage ihrer Produkte frei nach Großbritannien einreisen. Doch die EU-Entsenderichtlinie, die dies ermöglichte, verliert am 31. Dezember 2020 ihre Gültigkeit. Arbeitnehmer eines deutschen Unternehmens dürfen im Vereinigten Königreich dann ohne Visum nur noch Urlaub machen.

Werden sie für ihren Betrieb tätig, brauchen sie eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, wenn die EU und Großbritannien bis Jahresende nicht noch ein Handelsabkommen schließen. Passiert dies nicht, gilt für einen Arbeitseinsatz deutscher Handwerker und Monteure im Vereinigten Königreich künftig das Recht der Welthandelsorganisation WTO. „Dienstleistungserbringer werden dann nachweisen müssen, dass sie einschlägige Vorschriften und Verfahren des Vereinigten Königreichs einhalten und über alle nötigen Genehmigungen verfügen“, warnt der ZDH.

Gewaltiger Aufwand für die Zollabwicklung

Außerdem müssen sie das für einen Auftrag benötigte Material und die Werkzeuge nach dem „UK global tariff“-Zollsystem deklarieren. Dieses setzt Großbritannien zum 1. Januar 2021 in Kraft.

Bis zum 30. Juni 2021 reicht es dabei, für die mitgeführten Güter eine EORI-Zollnummer des Vereinigten Königreiches zu haben. Diese können Handwerker online unter gov.uk/eori beantragen. Eine vollständige Zollerklärung müssen sie an der Grenze erst ab dem 1. Juli 2021 abgeben. Für Maschinen und Werkzeug brauchen Unternehmen außerdem ein Zollcarnet, wenn sie die Geräte nach Großbritannien ein- und zollfrei wieder ausführen wollen.

Entlastet werden Unternehmer an der Grenze allenfalls bei technischen Produktanforderungen und Zertifizierungen. Die britische Regierung führt zwar eine eigene Kennzeichnung für Waren ein. Dieses „UKCA“-Label belegt künftig, das Produkte die im Vereinigten Königreich geltenden technischen Anforderungen erfüllen. Diese entsprechen jedoch denen der EU, da Großbritannien deren einschlägige Gesetze in britisches Recht überführt hat.

Britische Regierung rechnet mit bis zu zwei Tagen Wartezeit an der Grenze

Eine Garantie, dass Handwerker die britische Grenze künftig zügig überqueren können, haben sie allerdings selbst dann nicht, wenn sie alle vom Zoll geforderten Dokumente vollständig und korrekt ausgefüllt vorlegen können. Denn einem internen Bericht der britischen Regierung zufolge, erwartet diese ab dem 1. Januar Warteschlangen von mehr als 6500 Lkw in der Grafschaft Kent. Dort liegt der wichtige Fährhafen Dover. Die Wartezeiten an den Grenzen werden dadurch bis zu zwei Tage betragen.

Sicher verlassen können sich Handwerksbetriebe, die im kommenden Jahr noch Aufträge in Großbritannien erledigen nur auf Mehraufwand bei der Mehrwertsteuerrückerstattung. Eigene Produkte dürfen sie gemäß Paragraf 6 Umsatzsteuergesetz zwar abgabenfrei ausführen. Vorsteuer, die sie selbst entrichtet haben, um Werklieferungen und Werkleistungen erbringen zu können, müssen sie sich künftig aber von einem britischen Finanzamt erstatten lassen. Dazu müssen sie sich bei diesem aufwändig anmelden. Das gilt wie die Zollvorschriften für den Export selbstredend auch für Betriebe, die Produkte in Deutschland herstellen und lediglich nach Großbritannien liefern.

Brexit kommt Inhaber von Limited-Gesellschaften teuer zu stehen

Der Brexit bereitet sogar Unternehmern Probleme, die gar nicht mit Kunden im Vereinigten Königreich Geschäfte machen. Davon kann jeder Handwerker ein Lied singen, der seinen Betrieb bislang in der Gesellschaftsform einer britischen Limited geführt hat. Denn wenn kein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zustande kommt, genießen britische Gesellschaften ab 2021 nicht mehr das Recht, sich in jedem Mitgliedsland der Gemeinschaft niederzulassen.

Da in Deutschland niedergelassene Unternehmen aber nur nach deutschem Recht firmieren können, werden aus hierzulande ansässigen britischen Limiteds am 1. Januar 2021 automatisch Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Es sei denn sie treiben Handel. Dann werden aus ihnen offene Handelsgesellschaften. Bisherige Ein-Mann-Limiteds werden zu nicht im Handelsregister eingetragenen Einzelunternehmen. Insgesamt betrifft dieses Problem Zahlen der Bundesregierung zufolge in Deutschland bis zu 10.000 Inhaber einer Limited.

Sie alle haften künftig auch mit ihrem Privatvermögen für geschäftliche Verbindlichkeiten. Die britischen Populisten, die ihnen dies durch den Brexit eingebrockt haben, zieht dagegen niemand zur Rechenschaft.

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