Wie wirkt eigentlich der hydraulische Abgleich: Was unter der Haube passiert
Wer von Ihnen jetzt schon die Lösung hat, kann wirklich getrost diesen Bericht überspringen. Wer jedoch auch nur den Hauch eines Zweifels hat, liest diesen Bericht bis zum Ende und kann danach seinem fachlichen Umfeld auf den Zahn fühlen.
Was allseits zum hydraulischen Abgleich bekannt ist
Mit „Doc Google“ auch nur halbwegs vertraut, bekommt man schnell eine Antwort auf die Frage, wozu der hydraulische Abgleich taugt. Auszüge aus den tausendfachen Antworten sind dort beispielsweise:
- … erhöht die Energieeffizienz
- … sorgt für eine Heizenergieeinsparung
- … niedrigere Rücklauftemperatur
- … Stromeinsparung bei der Umwälzpumpe
Wenn nun ein Laie diese Argumente liest, kann er fast glauben, er habe den Durchblick beim Sinn und Zweck des hydraulischen Abgleichs.
Lesen Sie bei Bedarf nochmals die Argumente, die beispielhaft genannt sind. Prüfen Sie diese auf den sinnhaften Inhalt. Da steht eigentlich: „Mach das mit dem hydraulischen Abgleich, weil es besser ist.“ Da steht dann nicht, wie sich die Effizienz durch den Abgleich erhöht oder warum es konkret besser sein soll, die Rücklauftemperatur zu senken.
Lassen Sie uns daher an Beispielen diesen Fragen auf den Grund gehen.
Erklärung am Beispiel zweier EFH
Die folgenden Beispiele beziehen sich auf ein übersichtliches Einfamilienhaus mit insgesamt zehn Heizkörpern. Davon befinden sich jeweils vier Heizkörper (HK) in Erd- und Obergeschoss und zwei HK im Dachgeschoss. Die beiden Strangschemen (unten) zeigen die schlichten Strömungsverläufe.
Dieser Haustyp ist damals in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts zigfach gebaut worden. Zwei identische Häuser stehen in einer Siedlung und sind damit denselben klimatischen Bedingungen ausgesetzt. Sämtliche Heizkörper in diesen beiden Häusern sind exakt gleich. Beiden Häusern wurde vor 10 Jahren eine Brennwerttherme des gleichen Herstellers spendiert. Die unterschiedlichen Szenarien beziehen sich einmal auf eine hydraulisch abgeglichene Anlage bei den Schlaumis (oben, links) und im krassen Kontrast dazu auf eine nicht abgeglichene Anlage bei den Schlichtis (oben, rechts).
Am frühen Morgen
Für ein Haus dieses Typs und Baujahrs lohnt sich die Nachtabsenkung immer. Wird der Heizbetrieb am frühen Morgen und bei Minusgraden wieder fortgesetzt, unterscheiden sich die beiden Häuser im Aufheizverhalten erheblich. Bei Schlaumis werden sämtliche Heizkörper gleichmäßig und zeitgleich erwärmt. Die Temperaturen der Heizkörper scheinen dabei moderat und angepasst. Bei Schlichtis hingegen werden die Räume nacheinander warm. Je weiter diese Räume vom Heizraum entfernt sind, desto später lässt sich eine Erwärmung spüren. Ganz zum Schluss nimmt auch der letzte Heizkörper im Dachgeschoss seinen mäßigen Betrieb auf.
Das kleine WC über dem Heizraum
Das Gäste-WC über dem Heizraum kommt mit 300 Watt Heizleistung aus. Der Heizkörper ist daher klein in den Ausmaßen.
- Sitzt man bei den Schlaumis auf dem WC, hört man nichts vom durchströmten Heizkörper. Dieser wird warm, erreicht dabei eine angemessene Temperatur und erwärmt den kleinen Raum auf 20°C.
- Sitzt man bei den Schlichtis auf dem WC, kriegt man die Strömungsgeräusche der Heizung deutlich mit. Man hört also, dass hier geheizt wird. Stößt man versehentlich mit dem nackten Knie an den Heizkörper, wird es schmerzhaft. Der Heizkörper ist deutlich überhitzt.
Bei Volllast
Soll die Hütte vollständig beheizt werden, sind auch sämtliche HK in Funktion gefordert. Bei Schlaumis erreichen die ordentlich dimensionierten HK sämtlich die Wunschtemperaturen in den Räumen. Bei Schlichtis bleiben viele Wünsche offen. Die fetten Heizkörper im Wohn- und Esszimmer schwächeln ein wenig. Das Arbeitszimmer im Dachgeschoss ist im Winter nicht ohne Weiteres nutzbar. Dort muss man zusätzlich zu dem HK noch einen elektrisch betriebenen Strahlungsschirm unter dem Schreibtisch und einen Heizlüfter einsetzen, um sich einigermaßen wohlzufühlen.
Die Bilanz
Beide Häuser sind identisch ausgestattet, die jeweiligen Wärmeerzeuger sind identisch und werden mit derselben Leistung betrieben. Trotzdem verbraucht das Haus der Schlichtis mehr Gas. Und gerade weil wir Menschen unterschiedliche Wärmeempfinden an den Tag legen, schieben die Schlaumis und Schlichtis diese Differenz im Verbrauch eventuell darauf, dass die Schlichtis mehr Wärme benötigen, um sich wohlzufühlen.
Der feine Unterschied: Voreingestellte Thermostatventile
Während man als Laie keinen Unterschied in den Häusern finden wird, der wohl für diese Differenzen im Heizverhalten verantwortlich sein könnte, können wir Profis gewissermaßen unter die Haube schauen, um den Spartrick der Schlaumis erklären zu können. Der feine Unterschied liegt darin, dass bei den Schlaumis sämtliche Thermostatventile voreingestellt sind. Das zeigt sich beim Blick unter die Thermostatköpfe. Die eingestanzten Zahlen auf dem Metallkörper des Ventils, nicht des Thermostatkopfes, weisen unterschiedliche Werte von 1 bis 7 auf, bis sogar zur Einstellung N für voll geöffnet.
Am frühen Morgen
Bei Schlaumis werden morgens, nach der Nachtabsenkung, die voreingestellten, also abgeglichenen Ventile das Heizwasser gewissermaßen dirigieren. Heizkörper in der Nähe der Heizungsumwälzpumpe sind gedrosselt, entfernte HK weit aufgerissen. Heizkörper mit großer Leistung sind offene Scheunentore, jene mit kleiner Leistung Mauselöcher. Die Nachtabsenkung bei Schlaumis endet um 07:00 Uhr und um 07:30 Uhr sind sämtliche Räume auf Wunschtemperatur erwärmt.
Bei den Schlichtis reißen alle HK ohne Ordnung den gierigen Schlund weit auf. Die ungeregelte Hydraulik versorgt also nach und nach die HK in den Räumen mit Heizwasser, bis dann irgendwann auch der letzte hoffentlich sein Quantum abbekommt. Gemütlich warm ist es am schnellsten im Gäste-WC. Ob im Dachgeschoss etwas ankommt, hängt auch davon ab, ob die bevorzugten HK im Ober- und Erdgeschoss irgendwann schließen und somit Heizwasser abgeben. Die Nachtabsenkung bei den Schlichtis endet um 06:30 Uhr und selbst bis um 08:00 Uhr sind immer noch nicht sämtliche Räume auf Wunschtemperatur erwärmt.
Kleines WC über dem Heizraum
Bei den Schlaumis ist der winzige HK im Gäste-WC in seiner Durchströmung extrem gedrosselt. Die Stellung 2,5 auf dem Ventil macht dies deutlich. Bei den Schlaumis wird also aufgrund der Nähe zur Umwälzpumpe wenig von dem Pumpendruck „aufgebraucht“ sein. Dann ist auch noch die Leistung des Heizkörpers sehr gering. Da kann man tüchtig drosseln und das Heizungswasser zu einem erheblichen Teil weiterfließen lassen zu Heizkörpern, die dieses heiße Medium dringender benötigen.
Bei den Schlichtis steht die Einstellung des Thermostatventils so, wie in jedem anderen Raum auf „N“ für „komplett offen“. Daher rauscht das heiße Wasser ungedrosselt und mit hoher Geschwindigkeit durch den winzigen HK. Der wird folgerichtig ordentlich heiß. Beim Austritt aus diesem HK hat das Heizwasser noch eine sehr hohe Temperatur, die dann zum Heizkessel zurückströmt. Ein Protokoll würde sich so lesen: Schlaumis mit leisem, angemessenen Betrieb, weil der Durchfluss gedrosselt ist. Schlichtis mit Getöse, Überhitzung und heißem Rücklauf.
Bei Volllast
Sollen tatsächlich sämtliche Räume des Hauses versorgt werden, führt das bei den Schlaumis zu einem geregelten Betrieb. Die HK mit den angepassten Drosselungen im Thermostatventil sorgen für eine planmäßige Durchströmung. Jeder bekommt die Menge, die er benötigt, überschüssiges Heizwasser wird zu den Heizkörpern geleitet, die es tatsächlich brauchen.
Bei den Schlichtis vagabundieren Strömungen durch die Leitungen, die dem Zufall überlassen sind. Leider sorgt das auch dafür, dass beim letzten HK im Dachgeschoss kaum noch etwas ankommt.
Ist das denn so schlimm?
Naja gut, morgens läuft es bei den Schlichtis nicht so rund und die HK werden verzögert warm. Im Gäste-WC der Schlichtis ist es etwas laut, aber da hockt man ja auch hoffentlich nur zu einer kurzen Sitzung. Und sind wir doch mal ehrlich: Wann wird ein Einfamilienhaus schon mal voll beheizt? Wann in der Heizperiode werden sämtliche Heizkörper maximal gefordert? Wenn es in dem Zusammenhang mal zu einer Unterversorgung kommt, ist das doch wohl zu verkraften. Und im Dachgeschoss ist es vielleicht auch ganz gemütlich, wenn da ein Strahlungsschirm unterm Schreibtisch die Füße wärmt. Soll denn immer alles so perfekt sein, so durchgeplant, so sparsam, fast knauserig?
Die einfache Antwort lautet: „Ja, es soll schon annähernd perfekt sein und zumindest den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen.“
Fließgeräusche werden als sehr störend empfunden. Unterversorgung von Räumen und eventuell sogar Frieren im Winter wird allgemein nicht toleriert. Eine Raumheizung elektrisch zu unterstützen, gilt als Energieverschwendung, zumindest dann, wenn es eigentlich nur mit der Zentralheizung reichen könnte.
Ganz klar: Die Schlaumis haben den besseren Standard und Wärmekomfort. Am Ende zahlen die Schlaumis sogar weniger für die laufenden Energiekosten.
Der große Unterschied
Der Mehrverbrauch an Energie bei den Schlichtis ist in den Kompensationsmaßnahmen zur Beheizung des Hauses begründet. Die Frage, wie man ohne hydraulischen Abgleich jeden HK warm bekommt, ist leicht zu beantworten und keine Raketentechnik. Anstatt die Anlage hydraulisch abzugleichen, werden auch schon mal folgende, billige Tricks angewendet.
Hohe Pumpenleistung
Wenn Wasser nur langsam durch HK fließt, ergibt sich eine starke Abkühlung beim Durchlauf. Beispielsweise mit 60°C rein und mit 40°C wieder raus macht eine mittlere Temperatur von 50°C der Heizkörperoberfläche. Prügelt man das Wasser ungleich schneller durch den HK, beispielsweise 60°C zu 50°C, ergibt sich eine mittlere Temperatur von 55°C. Das leuchtet ein und führt dazu, dass bei den Schlichtis die Umwälzpumpe auf höchster Stufe betrieben wird. So hofft man, dem Defizit im Dachgeschoss begegnen zu können.
Mit wenigen Handgriffen, also nur dem Hochregeln der Pumpe, konnte bei den Schlichtis die umlaufende Wassermenge gegenüber den Schlaumis erheblich erhöht werden. Dieser Vorgang dauerte für den Anlagenmechaniker 12 Sekunden zuzüglich des Nachschauens, wie man denn wohl die Pumpenleistung erhöht.
Anheben der Heizkurve
Meistens reicht die erhöhte Pumpenleistung nicht aus, um den Heizkörper im Dachgeschoss des Hauses ausreichend zu beheizen. Der nächste Kunstgriff ist der nach der Heizkurve.
Bei den Schlaumis werden die eben schon zitierten 60°C im Vorlauf der Anlage nur an sehr kalten Tagen, bei –10 °C Außentemperatur benötigt. Bei den Schlichtis hat man bei diesen Bedingungen bereits schon die 70°C-Marke geknackt.
Das Umstellen der Heizkurve bei den Schlichtis dauerte 43 Sekunden, zuzüglich des Nachschauens, wie man denn wohl die Heizkurve anpasst.
Frühes Ende der Nachtabsenkung
Bei den Schlaumis wird die Nachtabsenkung erfolgreich um 07:00 Uhr beendet, bei den Schlichtis mit mäßigem Erfolg bereits um 06:30 Uhr. Die Umstellung kostet ebenfalls nur wenige Handgriffe und war bei den Schlichtis in weiteren 10 Sekunden erledigt.
Summe der Maßnahmen
Für die drei Maßnahmen zusammen, also das Hochregeln der Pumpe, Frisieren der Heizkurve und Verkürzen der Nachtabsenkung, braucht man, wenn man die jeweiligen Handgriffe kennt, zusammen 65 Sekunden. Selbst wenn man die Betriebsanleitungen noch dazu befragen muss, sind diese Maßnahmen zusammen in 15 Minuten erledigt.
Wie entsteht der Mehrverbrauch?
Man könnte jetzt argumentieren, dass die an das Haus abgegebene Energie sich ja irgendwo wiederfinden lässt, also nicht gänzlich verpufft. Aber das ist zu kurz gedacht.
Vorlauftemperatur
Die identischen Brennwertanlagen in beiden Häusern laufen natürlich effizienter, je geringer die Vorlauftemperatur ist, die diese erzeugen müssen. Man erkauft sich eine höhere Vorlauftemperatur innerhalb eines Brennwertgerätes immer mit höheren Abgastemperaturen. Das liegt daran, dass die Flammen eben nicht so intensiv gekühlt werden. Im eben genannten Beispiel sorgen „kühle“ 60°C im Vorlauf für mehr Abkühlung der Flammen als „heiße“ 70°C.
Übrigens: Auch eine Wärmepumpe erzeugt niedrige Vorlauftemperaturen effizienter und damit kostengünstiger als hohe Temperaturen. Bei einer Außentemperatur von 7°C schaffen moderne Wärmepumpen einen COP von 5, wenn diese nur 35°C im Vorlauf erzeugen muss, gegenüber einem COP von 2,6, wenn beispielsweise 55°C im Vorlauf zu liefern sind.
Es ist also systemübergreifend sinnvoll, die Vorlauftemperaturen von Heizungsanlagen einzuschränken.
Rücklauftemperatur
Die im Beispiel beschriebene extrem schnelle Durchströmung des Heizkörpers im Gäste-WC und der übrigen HK in pumpennaher Position bei den Schlichtis führt zu einer geringen Temperaturspreizung. Das Heizwasser tritt also sehr heiß zurück in die Brennwerttherme. Das sorgt dann nochmals für einen geringeren Kühleffekt in Bezug auf das Abgas dieser Anlage. Anstatt also die im Abgas enthaltene Energie maximal zu nutzen, wird diese gering ausgenutzt. Das teuer über fossilen Brennstoff aufgeheizte Abgas wird nur gering abgekühlt nach draußen in die Umgebung entlassen. Ein maximaler Nutzen am Brennstoffeinsatz sieht anders aus.
Pumpenleistung
Die unnötig angehobene Pumpenleistung ist nicht nur hörbar, sondern verursacht natürlich auch einen höheren Stromverbrauch. Wer jetzt diesen erhöhten Stromverbrauch bagatellisieren möchte, kann diesen gerne für sich selbst im eigenen Heizsystem akzeptieren. Über die Energieverbräuche und damit über die Kosten zu bestimmen, die ein Kunde zahlen muss, sollte man jedoch nicht leichtfertig entscheiden.
Nachtabsenkung verkürzen
Klar, wenn man den Heizbetrieb nach einer nächtlichen Pause früher aufnehmen muss, um überhaupt akzeptable Bedingungen zu schaffen, kostet das mehr Energie.
Zusammenfassung
Wir Fachleute bezweifeln natürlich nicht den Sinn des hydraulischen Abgleichs. Das, was anhand des Beispiels von Schlaumis und Schlichtis geschildert wurde, lässt sich hochskalieren und natürlich auch auf Mehrfamilienhäuser und riesige Wohnblocks übertragen. Das Einsparpotenzial ist erheblich und es lässt sich mit relativ geringem finanziellen Aufwand erreichen. Und daran scheitert es wohl derzeit noch. Zwei Anlagenmechaniker einen Tag mit dem hydraulischen Abgleich einer Heizungsanlage zu beschäftigen, bringt im schlimmsten Fall für den Handwerksbetrieb nur den Aufwand für die aufgewendeten Stunden der beiden Monteure.
In der gleichen Zeit lässt sich ein Kessel tauschen und damit neben dem Stundeneinsatz auch ein erheblicher Anteil Material abrechnen. Kaufmännisch ist es wesentlich attraktiver, die zwei Monteure für den Kesseltausch einzusetzen. Wer will es den SHK-Betrieben krumm nehmen, wenn diese die Arbeiten zum hydraulischen Abgleich nicht bevorzugt annehmen?
Die derzeit steigenden Energiepreise werden eventuell dazu beitragen, dass der hydraulische Abgleich besser bezahlt wird. Denn wenn dann der Effekt des Energiesparens auch noch große Summen Geld spart, relativiert sich der Preis für den Aufwand der Profis.
Dieser Artikel erschien zuerst in SBZ Monteur-Ausgabe 09/2022.