Markise befestigen: Der Chef hat nicht immer recht
Eine typische Situation auf der Baustelle: Der erfahrene Monteur legt los und montiert die ersten Konsolen auf dem WDVS mit Unterfütterungsrohren. Der neue Kollege, dessen Abschlussprüfung zum R+S Mechatroniker noch gar nicht so lange her ist, wagt es die Montageart zu hinterfragen und auf die nicht ausreichende Stabilität hinzuweisen. Was folgt, kennen wir alle: Das mache ich schon 30 Jahre so. Was nun? Ist das der Weg für eine sichere Montage?
Alter schlägt Erfahrung?
Diese Dispute auf der Baustelle enden meist sehr schnell und in den allermeisten Fällen setzt sich das Alter durch. Bedeutet Alter denn auch Erfahrung? Selbstverständlich immer dann, wenn man aus der Erfahrung lernt und sein Wissen durch wiederkehrende Weiterbildung ergänzt.
In dieser Kombination erlangt man eine fast unschlagbare Kombination aus Erfahrung und Wissen, die sich sozusagen ständig mit den sich weiterentwickelnden allgemein anerkannten Regeln der Technik synchronisiert.
Das mache ich schon 30 Jahre so, kann aber im Umkehrschluss auch bedeuten, dass ich es schon 30 Jahre falsch mache. Entweder weil man es sich selbst durch Probieren oder falsches Abschauen falsch bzw. nie von jemanden richtig beigebracht hat.
Egal wie man es dreht, erst die Kombination mit Weiterbildung macht die Erfahrung zu einem Erfolgsmodell.
Das Befestigen von Markisen entwickelt sich weiter
Weiterentwicklungen finden immer mehrgleisig statt. Dass Markisen sich verändern, wird vom Fachhandel meist schnell akzeptiert. Neue Formen und Farben finden rege Zustimmung und auch die Erweiterung auf 4 m Markisenausfall wurde schnell akzeptiert und im Verkauf umgesetzt.
Gleichzeitig ändert sich stetig die Bauweise von Häusern und damit auch die korrekte Befestigung und Montage von Markisen. Waren es in den 70er-Jahren noch die Betonbauten und Kalksandsteine, kam danach der Gasbeton, gefolgt von den Hochlochziegeln und WDVS.
Heute entwickeln die Mauersteinhersteller fragile Steinelemente, die auf der einen Seite hervorragende Dämmwerte produzieren, man auf der anderen Seite aber keine hohen Auszugskräfte pro Befestigungspunkt mehr realisieren kann, wenn es um auskragende Lasten wie z. B. bei Markisen geht.
Und dann gibt es noch die Ständerbauwerke und die Fertighäuser, die mehr und mehr in Mode kommen. Und „Last but not least“ das Thema Gesetze, Normen, Vorschriften und Richtlinien etc., wie z. B. die EnEV, die ständig geändert und verschärft wird.
Auf den Punkt gebracht: Was vor 30 Jahren für das Befestigen von Markisen gültig war, kann man heute (fast) vergessen, wenn man an einen aktuellen Neubau mit Passivhausbauweise kommt.
Schnell übersehen, noch schneller ein Problem. Die Nichteinhaltung von Rand- oder Bohrlochabständen führt unweigerlich zu Reduzierung der berechneten Lasten und damit zu fehlerhaften oder gar gefährlichen Montagen von Markisen. Ein Detail, das viele Fachbetriebe leider nicht sehr ernst nehmen.
Weiterbildung findet meist nicht im Internet statt
Während sich die Gebäude und Vorschriften stetig weiter entwickeln, bleiben diese Steps im Bereich der Handwerker leider zu oft aus. Reden wir mal nicht von den oberen 20 Prozent der Fachbetriebe, die das Thema Weiterentwicklung im Griff haben und auf der Höhe der Zeit sind.
Es geht um die restlichen 80 Prozent, die leider zu oft der Meinung sind, dass gepflegtes Halbwissen ausreicht, was das Befestigen von Markisen angeht. Das führt in vielen Fällen zur Selbstüberschätzung von eigenen Fähigkeiten und verleitet zur Annahme von Aufträgen, die dann nicht hundertprozentig abgewickelt werden können.
Betrachtet man die derzeitige Entwicklung in verschiedenen Internetforen, so kann man hier zwei unterschiedliche Vorgehensweisen feststellen.
Die einen nehmen an Diskussionen teil. Sie murren zwar über die erhöhten Anforderungen, nehmen aber dann Ratschläge und Empfehlungen, die aus einer Mischung von Erfahrung, Normen und Richtlinien resultieren an und setzen diese dann mehr oder weniger um.
Die anderen finden eine gemeinsame Lösung, die allen zusagt und verweisen auf die bisherigen Erfahrungen. Regelwerke wie Normen und Richtlinien werden hier eher als Behinderung oder Bedrohung gesehen, denn es hat ja schließlich die letzten 30 Jahre auch funktioniert.
Gezielte Weiterbildung findet beim Suchen einer gemeinsamen Lösung also nicht unbedingt statt. Dabei ist Wissen eine wichtige Voraussetzung für die korrekte Montage von Markisen.
Die Auszugslasten müssen berechnet werden
Ein klassisches Thema ist die Wahl und die Menge der Befestigungsmittel. Würde man alle Markisenbestellungen in Deutschland analysieren, könnte man schnell auf die Idee kommen, dass fast 90 Prozent der Markisen auf Beton montiert werden sollen. Warum ist das so? Die Lösung ist eigentlich ganz einfach.
Die vielfältigen Hilfen der Hersteller werden zu oft nicht genutzt und das Nachrechnen von statischen Kräften wie Auszugslasten werden als zu kompliziert empfunden. Leider setzen sich viele der Fachbetriebe erst gar nicht mit dem Thema auseinander und entscheiden lieber „Pi mal Daumen“, und da ist es wieder, dieses „das machen wir seit 30 Jahren so“.
Setzt man sich mit den Beispielen in der Montagerichtlinie des ITRS/IVRSA auseinander und folgt den Rechenbeispielen, zeigt sich sehr schnell wie einfach es eigentlich ist, eine Markise sauber zu berechnen oder Befestigungspunkte so anzupassen, dass man mit den niedrigen Auszugskräften der heutigen Mauersteine auch gut hinkommt.
Bei Sonderkonsolen sollte generell darauf geachtet werden, dass diese beim Hersteller mitbestellt oder von einem nach Eurocode zertifizierten Unternehmen hergestellt werden.
Der Monteur der Markise gerät schnell zwischen den Fronten
Das große Dilemma zeigt sich beim Monteur. Ungeachtet seiner Ausbildung befindet er sich in einer eigentlich unangenehmen Situation, da er weisungsgebunden arbeitet, aber auch für sein Handeln selbst verantwortlich gemacht werden kann.
Wenn es zum Schaden kommt, gilt die Ausrede, „das hat mein Chef so gesagt“ leider nicht und der Monteur muss die Konsequenzen seines Handelns mittragen.
Ganz abgesehen davon, kann man bei vor Gericht verhandelten Schadensfällen immer wieder feststellen, dass die Monteure zu oft mit einem mulmigen Gefühl nach Hause gehen, weil sie Angst haben sich den Vorgaben ihrer Chefs zu widersetzen und andere Vorschläge ins Spiel zu bringen.
Leidtragender ist in vielen Fällen natürlich auch der Kunde, weil er nach Jahren eine teure Neumontage bezahlen muss. Aber genau dieses Dilemma muss gar keines sein, wenn die Monteure weitergebildet werden.
Dann kann sich der Chef sicher sein, dass bei einem Einwand des Monteurs diesem auch zu folgen ist.
Dieser Artikel von Olaf Vögele ist zuerst erschienen im Glaswelt Sonderheft Montagepraxis 2019.