Auf der Höhe: Spenglerbetrieb arbeitet ein Jahr über den Wolken
Peter Trenkwalder kein Unbekannter. Der engagierte Spenglermeister war von 2011 bis 2018 Präsident des Internationalen Interessenbunds Baumetalle (iib). Der Netzwerker aus Sterzing in Südtirol leitet den dort ansässigen Spenglerfachbetrieb Trenkwalder und Partner, betreibt einen Kletterpark und war noch bis vor Kurzem mit seiner Produktionsfirma im Filmgeschäft aktiv. Dann kam Corona und der Herzblutspengler erweiterte sein Leistungsspektrum. Abermals!
Fortan stattete er mit seinem Team Supermärkte, Apotheken und zahlreiche andere öffentliche Einrichtungen mit selbst produzierten Plexiglas-Schutzwänden aus. Als einer der wenigen Handwerksbetriebe Südtirols arbeitete Trenkwalder trotz Lockdown in der ersten großen Coronawelle fast rund um die Uhr. „Der Auftrag zur Sanierung des Becherhauses kam damals wie gerufen“, erinnert sich der heimatverbundene Spenglermeister. Im Gespräch schildert Trenkwalder, wie er in den Bergen Kraft tankt, neue Ideen sowie Strategien entwickelt und gemeinsam mit seinem Team Aufgaben bewältigt, bei denen jedes Teammitglied förmlich über sich hinauszuwachsen scheint.
Das Abenteuer beginnt
„Unsere Arbeit auf fast 3.200 m über dem Meeresspiegel und über einen Zeitraum von einem Jahr ist durchaus mit einer Expedition gleichzusetzen“, beginnt Peter Trenkwalder mit seiner Erzählung. Klar: Wer mit dem Bergsteigen nichts am Hut hat, ist hier falsch aufgehoben. Dennoch sind bergsteigende Spengler eine seltene Spezies und so ist Trenkwalder froh, sich auf sein leistungsfähiges Team verlassen zu können.
„Wir kannten das Ziel. Was uns aber auf dem Weg dorthin erwartete, war uns nur zum Teil bekannt. Also überlegten wir gemeinsam, wie wir es am besten hinbekommen würden. Wir, das war zunächst das vierköpfige Kernteam vom Becher.“
Die Aufgabe
Neben der Sanierung des alten Stahlblechdaches sollte das Becherhaus mit einer großen Dachgaube und einer neuen Gaststube samt Panoramafenster ausgestattet werden. Ferner sollte die historische Lärchenholz-Schindelfassade erneuert werden. Ersteres ist für einen Spengler eigentlich keine große Sache. Zumindest dann nicht, wenn das Bauprojekt mit dem Lieferwagen gut erreichbar ist und das Wetter mitspielt. Beides ist bei einer Schutzhütte in den Alpen aber eher selten der Fall. Folglich wurde zumindest der Lieferwagen durch einen Helikopter ersetzt. Und das Wetter? „Ist auf 3195 Höhenmetern unberechenbar, kann traumhaft sein, belohnt dich mit den schönsten Sonnenauf- und -untergängen, die du jemals gesehen hast – und bringt dich mit eiskaltem Wind, Schnee und klirrender Kälte an den Rand der Erschöpfung.“
Aber warum fasste das Kernteam vom Becher dennoch den Entschluss, die Arbeiten auch im Winter auszuführen?
„Tatsächlich stellte sich mit der Zeit heraus, dass es nicht abwegig wäre, im Winter zu arbeiten – auch weil das Alpenwetter im Winter berechenbarer bzw. beständiger ist. Je mehr wir uns mit diesem Gedanken befassten, desto wichtiger wurde aber auch die Leistungsfähigkeit unserer Mannschaft. Es war uns bewusst, dass der Schlüssel zum Erfolg einzig in der Mannschaftskompetenz liegt, und genau daran galt es zu arbeiten.“
Der Blick auf den Auftragsumfang verdeutlicht, warum die Leistungsfähigkeit des Teams auf dem Weg zum Ziel so elementar sein sollte: Außer dem Gießen von Betonfundamenten gehörten die Konstruktion und der Aufbau einer kombinierten Holz-Beton-Konstruktion samt Verglasung zum Aufgabenpaket. Das über dem Anbau liegende Stehfalzdach sollte als große Schleppdachgaube ausgeführt und als solche zunächst provisorisch an das bestehende Doppelstehfalzdach angeschlossen werden.
Die Erneuerung der Lärchenholzfassade würde das Team jedoch besonders beanspruchen. „Schon der Aufbau des Arbeitsgerüstes war sehr abenteuerlich“, erzählt Trenkwalder: „Stell dir vor, du müsstest ein Gerüst auf einem Felsen so aufbauen, dass es sturmsicher ist und sicher. Schon der Aufbau stellt ein großes Risiko dar – die entsprechende Arbeitssicherheit zu gewährleisten ist folglich überaus anspruchsvoll.“ Das Gerüst wurde so aufgebaut, dass es möglich war, die alten Holzschindeln einfach abzubauen und anschließend eine Unterspannbahn, Konter- und Querlattung sowie die neue Holzschindelhülle zu montieren. Dabei musste das Gerüstmaterial nicht nur starken Stürmen, sondern auch eisigen Temperaturen standhalten.
Ein Spenglertraum wird wahr
Die Erneuerung der Lärchenholzfassade beinhaltete zudem die Montage metallumkleideter Fensterzargen. Kritische Fassadenbereiche – etwa am Sockel, wo extreme Schneehöhen zu erwarten sind – wurden ebenfalls mit Metall bekleidet. Nach dem Motto „Das Beste kommt zuletzt“ erfolgte die Erneuerung der Hauptdachfläche des Stehfalz-Metalldaches samt Dachentwässerung im Anschluss. Zum Einsatz kam verzinkter Stahl von Voest Alpine, der in Zusammenarbeit mit Alpewa mit einer Sonderverzinkung wegen der hohen UV-Strahlung produziert und geliefert wurde. Die Vorfertigung der 0,6-mm-Scharen erfolgte im Fachbetrieb Trenkwalder.
Bei einem Zuschnitt von 400 mm wurde eine finale Deckbreite von 330 mm erreicht. Der neue Montageuntergrund bestand aus einer 30-mm-Fichtenholzschalung, die per Kreuzverschraubung befestigt wurde, sowie einer darüber liegenden Unterdeckbahn. Zur Befestigung der Stehfalzscharen wurden Edelstahl-Fest- und -Schiebehafte im Haftabstand von 150 mm verschraubt. Alle ergriffenen Maßnahmen sorgen dafür, dass die Metalldacheindeckung Winterstürmen mit Windgeschwindigkeiten bis zu 250 km/h und mehr standhält.
Im Zuge der Sanierung wurden auch einige Gauben erneuert bzw. neu aufgebaut. Alle Dachaufbauten wurden ringsum mit verzinktem Stahl von Voest Alpine bekleidet. „Verglichen mit der gesamten Aufgabe war die Erneuerung des Metalldaches nicht der größte, aber der schönste Teil der Arbeiten. Wo sonst genießt du während der Arbeit ein solch beeindruckendes Panorama?“
Wie ein Schloss in den Wolken
Die höchstgelegene Schutzhütte Südtirols ist von einer atemberaubenden Gletscherwelt umgeben. Das Haus befindet sich auf Südseite der Stubaier Alpen – genauer gesagt auf dem Gipfel des Becherfelsens. Dort ist es seit 1894 ein Zufluchtsort für Bergsteiger. Das Becherhaus wurde vom Deutschen und Österreichischen Alpenverein errichtet, mehrfach renoviert und umgebaut – zuletzt vom Sommer 2020 bis zum Sommer 2021.
In der gemütlichen Gaststube werden warme Mahlzeiten serviert. Fließendes Wasser, Brandschutzvorrichtungen, technische Anlagen und die Stromversorgung sind auf dem neuesten Stand. Bewirtschaftet wird das Becherhaus von Ende Juni bis Mitte September, und mit 100 Schlafplätzen finden Besucher selbst in der Hochsaison mit großer Wahrscheinlichkeit einen Platz. Ein besonderes Highlight ist das Panoramafenster des neuen Anbaus. Auf schlichten Holzmöbeln sitzend (Tische und Bänke wurden ebenfalls vom Becher-Team angefertigt und geliefert) können Besucher das Alpenpanorama in vollen Zügen genießen.
Das Becher-Team
Nach welchen Kriterien wählt man ein Team für einen derart schwierigen Einsatz aus? Kommen einem als Verantwortlichem nicht Zweifel bei der Planung? Die Anzahl unbekannter Faktoren ist schließlich immens.
„Jeder und jede vom Becher-Team verfügt über spezielle Fähigkeiten. Handwerkliche Begabung und die Liebe zum Berg gehören zu den Grundvoraussetzungen. Noch wichtiger sind die Persönlichkeit und die soziale Kompetenz der einzelnen Akteure. Uns war von Anfang an bewusst, dass die Sanierung des Becherhauses mit großen körperlichen und geistigen Belastungen verknüpft sein würde – besonders dann, wenn man sich vor Augen führt, dass es da oben Momente gibt, bei denen man auf sich allein gestellt ist.“
Insgesamt waren rund 50 Personen an diesem Projekt beteiligt. Vom Auftraggeber, dem Land Südtirol, dem Planungsteam oder dem Helikopterteam bis hin zu den verschiedenen Handwerkern. Spengler, Zimmerer, Glaser, Maurer und viele andere Spezialisten waren Teil des Teams, das sich vom ersten Augenblick an auf Augenhöhe und mit entsprechendem Respekt begegnete.
Dankeschön
„Ich möchte mich beim Becher-Team bedanken. Die erbrachte Leistung aller beteiligten Personen ist enorm! Aus meiner Sicht haben alle einen Platz in den Geschichtsbüchern alpinen Bauens verdient. Der Altersdurchschnitt des Teams betrug 28 Jahre. Das ist jung und das ist gut so. Großartiges geleistet hat zum Beispiel Stefan. Der 30-Jährige war meine rechte Hand am Becher. Von Beginn an war er immer vor Ort, bis zur letzten Minute. Niemand kennt den Becher, seine Wetterkapriolen und das Becher-Team so gut wie er. Seine Aufgabe war die Führung der Mannschaft vor Ort, die Logistik, die Organisation und die Sicherheit. Seine bloße Anwesenheit strahlte Sicherheit aus. Auf meine Frage ganz zu Anfang des Projektes, ob wir das wohl schaffen würden, antwortete er nach einer kleinen Bedenkpause knapp: ‚Ja, Chef, das geht!‘ Mehr brauchte ich nicht zu wissen. Immer wenn Schlechtwetterfronten im Anzug waren – es bei einem möglichen Unfall kaum Aussicht auf Rettung geben würde, das Fliegen unmöglich, die terrestrische Rettung nur bedingt möglich wäre –, stand Stefan beim Frühstück in der Stube vor der Mannschaft und sagte: ‚Heute arbeiten wir langsam und sicher.‘ Das war keine Bitte, sondern eine direkte Anweisung! Aber auch dann, wenn zum Beispiel ein Mannschaftsmitglied nicht auf der Höhe war kümmerte sich Stefan um die entsprechende Person. Er redete mit ihr und saß beim Essen neben ihr und das so lange, bis es wieder passte. Am letzten Tag auf der Baustelle (es war Freitag, der 13. August 2021) schickte er seine Mannschaft nach Hause ins Tal und er blieb noch alleine für weitere vier Tage an der Hütte. Er musste in Ruhe von ‚seinem‘ Becherhaus Abschied nehmen. Ein Haus das seine Handschrift trägt, denn Stefan hat dort deutliche Spuren hinterlassen.
Stets an Stefans Seite stand der 20-jährige Raphael. Am Becherhaus begann er sozusagen als Lehrling und verließ die Baustelle als stolzer Geselle! Raphael war für die Organisation und im Speziellen für die Flugarbeiten zuständig. Er koordinierte die Material- und Personentransporte, regelte die Logistik vor Ort und konnte, wenn die Fluggewichte nicht passten, ziemlich unangenehm werden. Flugtechniker Uli flog folglich am liebsten mit Raphael – auch, weil dessen Lebensfreude und ständig gute Laune irgendwie ansteckend waren. Sogar in kritischen und teilweise gefährlichen Situationen war Raphaels positive Energie spürbar. Raphael ist in seiner Zeit am Becherhaus über sich hinausgewachsen und hat sich zu einem großartigen, verlässlichen Menschen entwickelt.
Wenn Liebe durch den Magen geht
Von August 2020 bis Februar 2021 mussten wir uns selbst versorgen. Kochen. Den Wasserhaushalt führen. Feuer machen. Kurz: alles erledigen, was in einem Haushalt anfällt. Beim Kochen hat sich Kurt (den alle nur ‚Fuzzy‘ nennen) ausgezeichnet. Der begnadete Handwerker ist ein ebenso guter Küchenprofi. Am Ende eines sehr kalten Tages im März tischte er uns zum Beispiel eine selbst gemachte Pizza auf. Klingt jetzt einfach. Ist es in dieser Höhe aber nicht! Das Wasser kocht hier bereits bei 75 °C und nicht alles gelingt auf Anhieb. Kurt aber hat es geschafft, mit dem alten Backrohr des Holzofens die beste Pizza zu machen, die wir je gegessen haben. Außerdem hat sein musikalisches Talent als Löffelschlager die Klänge der Ziehharmonika von Elektriker Heiko oft bereichert.
Unter Strom
Für die elektrische Versorgung warten Kurt und Heiko zuständig. Die beiden Elektriker haben dafür gesorgt, dass wir immer Strom hatten, und gleichzeitig haben sie das gesamte Stromnetz des Becherhauses erneuert. Für mich grenzt ihre Leistung an ein Wunder, denn Strom ist in dieser unwirtlichen Umgebung überlebenswichtig. Die gesamte Versorgung lief über das alte Stromaggregat und alte Batterien. Kurt hatte die Lage sogar dann unter Kontrolle, wenn andere längst aufgegeben hätten. Wer heute die neue Stube des Becherhauses betritt und nach Osten blickt, kann dort meisterliche Tischlerarbeiten erkennen. Jedes Detail stimmt, jeder Anschluss ist mit Liebe ausgeführt. Man kann es förmlich spüren: Hier war Paul, unser Tischler, am Werk. Paul kennt das Becherhaus seit über 30 Jahren. Als Hüttenwart und Bergretter war er unzählige Male auf dem Becherfelsen und in der Hütte, die er liebt. Das sieht man seiner Arbeit an.
Wo, geat schu*
Ist es draußen im Schneesturm noch auszuhalten? * ‚Es geht schon irgendwie‘, lautete die Antwort von Lorenz. Lorenz bildete gemeinsam mit Tobias, David und Alois das Team der Zimmerer. Die vier waren für die Holzarbeiten im Außenbereich und die wunderbare Fassade aus Lärchenschindeln zuständig. Zu Beginn ihres Einsatzes zeigte das Thermometer minus 30 Grad, was sie nicht davon abhielt, mit den Außenarbeiten anzufangen. Lorenz und Tobias sind Brüder, 24 und 17 Jahre alt. Nach einer Weile kam ihr Vater Alois dazu. Sie haben ihn um Hilfe gebeten und Alois kam auf den Becher. Er wäre bereits in Pension, dennoch kam er und brachte uns handwerkliche Dinge bei. Schaut man die Schindelfassade an, so sieht man die Liebe zum Detail. Man sieht, mit welcher Leidenschaft es gemacht wurde. Egal wie das Wetter war, die Zimmerer haben immer weitergearbeitet. Beständig in ihrem Rhythmus und zielstrebig bis zum Schluss.
Wasser ist auf dem Becher kostbares Gut. Entsprechend bedeutsam ist die Leistung der Installateure Luis und Sonja. Luis war dermaßen versessen auf seine Arbeit, dass er den gesamten Umbau gleich zweimal im Kopf durchgespielt hat. Wenn man mit ihm darüber redete, sah man ein Funkeln in seinen Augen. Unterstützt wurde er von der 20-jährigen Auszubildenden Sonja, die unbedingt mit auf den Becher wollte und das, obwohl es auf der Baustelle kaum Wasser und keine ordentlichen WCs gab. Sonja nutzte die Gelegenheit, die es, wie sie sagte, nur einmal im Leben geben würde.“
Ein Kraftort
Peter Trenkwalder denkt nach. Oft. Dazu zieht er sich gerne in die Natur zurück. Der Aufenthalt in der Region rund um die Becherhütte bescherte dem Tausendsasa schon so manche Idee. Hier kann er Kraft tanken, sich auf Wesentliches konzentrieren und den Alltag hinter sich lassen. Dass er ausgerechnet hier ein ganzes Jahr verbringen und den Stress im Tal vergessen durfte, ist für den Alpinisten das größte Geschenk.
„Vielleicht ist es mir gelungen, Sie mit meiner Begeisterung für das alpine Handwerk anzustecken. Es gäbe noch so vieles mehr zu erzählen. Über die Beteiligten. Über die Arbeit am Becherhaus und über das Zusammensein am Feierabend. All das erfüllt mich mit Stolz. Stolz auf mein Team und Stolz darauf, ein Teil davon gewesen zu sein. Vielleicht schauen Sie ja eines Tages am Becher vorbei und wer weiß: Vielleicht treffen wir uns dann auf 3.195 m, um einen bei 75 °C gekochten Kaffee miteinander zu trinken und neue Ideen für die Zukunft unseres großartigen Handwerks zu entwickeln.“
www.becherhaus.com, www.ratschings.info/de, www.peter-trenkwalder.net
Bautafel
Projekt: Sanierung und Erweiterung des Becherhauses, Südtirol
Auftraggeber: Land Südtirol
Fachbetrieb: Trenkwalder & Partner, Südtirol, www.trenkwalderpartner.net
Dacheindeckung: Stehfalzsystem, verzinkter 0,6-mm-Stahl mit Sonderverzinkung von Voest Alpine, Deckbreite von 330 mm
Fassade: Lärchenholzschindeln auf Unterkonstruktion mit partiellen Metallverwahrungen, Einfassungen und Metallbekleidungen
Ergänzende Fotos, Videos und Links finden Sie unter www.baumetall.de/extra, www.ratschings.info/de/aktiv-in-der-natur/wandern-bergsteigen/bergerlebnis/becherhaus.html und www.kurzelinks.de/BAUMETALL-Mediathek
Dieser Artikel von Andreas Buck & Peter Trenkwalder ist zuerst erschienen in Baumetall 01/2022.