Wie serielles Sanieren Wohnraum schafft
Rund drei Viertel des 19 Millionen Gebäude umfassenden Wohnungsbestandes in Deutschland sind entweder gar nicht oder nur unzureichend gedämmt, werden mit Gas oder Öl beheizt und verbrauchen bis zu fünfmal mehr Energie als heutzutage technisch möglich ist.
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen in den nächsten 22 Jahren rein rechnerisch rund 2400 Wohngebäude pro Tag energetisch modernisiert werden. Mit herkömmlichen Verfahren ist diese Mammutaufgabe nicht zu schaffen. Gefragt sind Lösungen, die die energetische Modernisierung im Bestand auf breiter Ebene beschleunigen. Statt kleinteiliger Einzelleistungen unterschiedlicher Gewerke kombiniert serielles Sanieren digitale Planung mit industrieller Vorfertigung und standardisierten Prozessen.
Große Bestände lassen sich so mit weniger Fachkräften in kürzerer Zeit auf den klimaneutralen NetZero-Standard bringen. Laut Expertenschätzung sind rund 30 Prozent aller Bestandsgebäude prinzipiell für eine serielle Sanierung geeignet.
Bestand bietet Potenzial für zusätzlichen Wohnraum
Das Modernisierungskonzept macht ineffiziente Gebäude nicht nur zu Energiesparern (bis zu 90 Prozent geringerer Heizenergiebedarf), sondern auch zu Energieproduzenten (NetZero-Standard durch Photovoltaik-Erträge), CO2-Speichern (Verwendung nachwachsender Rohstoffe wie Holz) und Materiallagern (Planung nach zirkulären Prinzipien). Damit hat das serielle Sanieren großes Potenzial, sich zu einer Schlüsseltechnologie für die Wärmewende im Bestand zu entwickeln.
Und es kann noch mehr: „Serielles Sanieren lässt sich vielfach mit einer Aufstockung kombinieren. Im Zuge der klimaneutralen Bestandsmodernisierung kann so dringend benötigter Wohnraum zu Kosten geschaffen werden, die weit unter denen eines Neubaus liegen. Die zusätzlichen Mieteinnahmen leisten zudem einen wesentlichen Beitrag zur Refinanzierung der Sanierungsinvestition“, erklärt Uwe Bigalke, Teamleiter Serielles Sanieren bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena).
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels mit immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen ist ein verantwortungsvoller Umgang bei der Versiegelung zusätzlicher Flächen notwendig. Der Weg zu klimaresilienten Städten führt über klug nachverdichteten Bestand, Neubau mit Augenmaß sowie ausreichend Grün- und Freiflächen.
Mit weniger mehr erreichen
Laut einer Studie der TU Darmstadt bieten die Dächer von Mehrfamilienhäusern aus den 50er bis 90er Jahren Platz für 1,1 bis 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen. Wirklich gebaut werden über Dachausbau aber nur 10.000 pro Jahr. Es würde also 110 bis 150 Jahre dauern, um dieses brachliegende Potenzial auszuschöpfen.
Die Gründe für die Zurückhaltung beim Dachausbau liegen vor allem in komplexen und damit kostentreibenden regulatorischen Auflagen – vom Genehmigungsverfahren und einer ggf. notwendigen Änderung des Bebauungsplans über den Arten-, Brand-, Klima- und Schallschutz bis zur Stellplatz- und Aufzugspflicht. Vielerorts werden Aufstockungen durch die Anforderungen der jeweiligen Landesbauordnung und das geltende Planungsrecht deutlich erschwert. Teilweise wird sogar innerhalb eines Bundeslandes nach anderem Ermessen entschieden: Während beim seriellen Sanierungsprojekt der Gewobau Erlangen nicht mehr als eine eingeschossige Aufstockung möglich war, wurde die Münchner Baugenossenschaft Hartmannshofen vom zuständigen Bauamt ermutigt, statt der geplanten zwei Etagen drei zusätzliche Geschosse aufzustocken.
Die im Rahmen des Baugipfels geplanten Vereinfachungen, wie bundesweit geltende Typengenehmigungen, Genehmigungsfreiheit beim Dachausbau, Wegfall der Stellplatzpflicht sowie die Einführung von Gebäudetyp E, könnten dem seriellen Sanieren sowie der Aufstockung mehr Rückenwind geben und damit unterm Strich für mehr bezahlbaren klimaneutralen Wohnraum sorgen.
Know-how ausbauen und Wissen teilen
Auch wenn mittlerweile 20 Prozent aller Neubauten in Deutschland vorwiegend in Holzbauweise gebaut werden, sind konventionelle Bauweisen nach wie vor dominierend. Dementsprechend fehlt es Planenden, Genehmigenden und Ausführenden an Erfahrung und Know-how im Umgang mit dem Baustoff Holz.
Dies gilt insbesondere für das Marktsegment serielle Sanierung sowie das Nischensegment Dachaufstockung. Deshalb setzt man im Energiesprong-Netzwerk auf eine kooperative Innovationskultur. Von den Erfahrungen, Erkenntnissen und teilweise auch Ernüchterungen der Pilotprojekte profitiert die gesamte Branche. Die daraus gewonnenen Lessons Learned bilden die Basis für weitere Produkt- und Prozessoptimierungen und mögliche gemeinsame Qualitätsstandards.
Ein vor Kurzem erschienener Leitfaden (siehe Kasten) informiert die Bauwirtschaft über die technischen Besonderheiten der seriellen Sanierung und Aufstockung mit Holz. Weitere Leitfäden für Planer und Architekten sowie die Wohnungswirtschaft sind kurz vor der Fertigstellung.
Zudem gibt es im Partner-Netzwerk innovative Ideen, mit denen sich Aufstockungen einfacher, schneller und kostengünstiger umsetzen lassen. Das Berliner Start-up RoofUZ entwickelt einen Baukasten aus digitalen Werkzeugen, künstlicher Intelligenz und automatisierten Bauprozessen. Im Vergleich zur konventionell ausgeführten Dachaufstockung lassen sich so bis zu 70 Prozent der Arbeitszeit einsparen, wodurch auch kleinere Projekte rentabel werden.
Noch einen Schritt weiter geht das Bremer Start-up On Top Solutions. Mit architektonischer Expertise wurde eine intelligente Plug-and-Play Aufstockungslösung konzipiert. Die Module werden bezugsfertig im Werk vorgefertigt und vor Ort mit verhältnismäßig geringem Aufwand aufs Bestandsgebäude montiert.
Integrale Planung und integrierte TGA
Aufgrund seines Verhältnisses aus hoher Tragfähigkeit und geringem Gewicht eignet sich Holz ideal für Aufstockungen und Anbauten. Doch genau diese „Leichtigkeit“ macht die Konzeption und Umsetzung im Vergleich zum Massivbau anspruchsvoller. Der im Bauwesen vorherrschende lineare Planungsprozess, bei dem die Planungsphasen nacheinander erfolgen, stößt hier an seine Grenzen. Serielles Sanieren und Aufstockung erfordern einen integralen Planungsprozess, bei dem die Planungsphasen parallel verlaufen und alle Projektbeteiligten frühzeitig in den Prozess eingebunden werden. Sämtliche Gebäudeinformationen fließen in einem BIM-Modell zusammen, das die gemeinsame Grundlage für die Planung und Vorfertigung bildet.
Zu jeder Sanierung gehört auch die Erneuerung der Haustechnik. Konventionelle Sanierungslösungen sind zumeist mit einer Strangsanierung verbunden, die für die Mieterinnen und Mieter eine große Belastung darstellt. Serielles Sanieren setzt auf minimalinvasive und mieterfreundliche Plug-and-Play-Lösungen, die auch die Aufstockung erleichtern. Vielfach werden vorgefertigte Technik-Module oder Ground Cubes verbaut, unterirdische Betonkuben, in denen die gesamte Gebäudetechnik inklusive Heizungstechnik, Elektroanschluss, Trinkwasseranschluss, Telekommunikation und Internet vorinstalliert ist. Die technische Anbindung der Wohnungen erfolgt über fassadenintegrierte Versorgungsstränge, sodass sich der Eingriff in die Wohnungen und damit die Beeinträchtigung der Wohnqualität auf ein Minimum reduziert.
Zusätzlicher Wohnraum refinanziert serielle Sanierung
Laut Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen in Kiel liegen die Kosten für den Neubau von Mietwohnungen in deutschen Großstädten inklusive Grundstückskosten aktuell bei knapp 5.000 Euro pro Quadratmeter. Ein Preis, zu dem keine bezahlbaren Mieten mehr möglich sind. Urbane Nachverdichtung durch Aufstockung und Erweiterung ist vor diesem Hintergrund die sowohl ökologisch als auch ökonomisch überlegene Alternative. Zumal eine Aufstockung unter bestimmten Bedingungen im Rahmen der seriellen Sanierung mitgefördert werden kann.
Mit den Anfang 2023 eingeführten Boni für Serielles Sanieren und Worst Performing Buildings hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Weichen für eine breite serielle Sanierungswelle gestellt. Zinsgünstige KfW-Kredite (bis zu 150.000 Euro pro Wohneinheit), die zwei bis drei Prozent unter den marktüblichen Konditionen liegen und in etwa einem Finanzierungsvorteil von 15 Prozent entsprechen, summieren sich in Kombination mit Tilgungszuschüssen von bis zu 45 Prozent auf eine Gesamtförderung von bis zu 60 Prozent.
Damit ist das Verfahren bei schnellerer Umsetzung auf dem Kostenniveau konventioneller energetischer Modernisierungen. Wird die maximale Kreditsumme von 150.000 Euro pro seriell sanierter Wohneinheit nicht ausgeschöpft, lohnt es sich, die noch zur Verfügung stehenden Mittel in eine Aufstockung zu investieren. Finanziell noch attraktiver ist es, wenn die zum Ausbau vorgesehene Fläche zuvor beheizt wurde (Dachboden). Dann erhöht jede neu geschaffene Wohneinheit die förderfähigen Kosten um weitere 150.000 Euro. Die zusätzlichen Mieteinnahmen leisten im Gegenzug einen Beitrag zur Refinanzierung der energetischen Modernisierung. Somit ist das serielle Sanieren plus Aufstockung eine Lösung, die sich doppelt auszahlt.
Die Autorin Ariane Steffen ist im Energiesprong-Team der Deutschen Energie-Agentur (dena) für die Bereiche Pilotkommunikation, Publikationen und Presse zuständig.