Warum der CO₂-Fußabdruck beim Bauen immer wichtiger wird
„Macht Ihr eure Hausaufgaben, dann machen wir unsere!“ – häufig stehen Schülerinnen und Schüler freitags mit derartigen Sprüchen in vielen Städten und ernten nach wie vor ein gemischtes Echo darauf. Letztendlich führt aber am Kern der Forderungen, den CO2-Ausstoß innerhalb weniger Jahre maximal zu senken, kaum ein Weg vorbei. Die Auswirkungen daraus sind vielfältig, herausfordernd und werden für alle spürbar sein. Auch das Bauen, die Nutzung von Baustoffen, der Einsatz von Fenstern, Türen und Fassaden werden bis hin zur kleinsten Schraube ihren Beitrag leisten müssen.
Die Europäische Union (EU) und somit auch Deutschland haben sich im Rahmen ihrer internationalen Zusagen im Pariser Klimaabkommen und im Rahmen der europäischen Green Deal Initiative zu einer deutlichen Senkung der CO2-Emissionen verpflichtet. Ziel ist eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius. Dies ist nur zu erreichen, wenn im Gebäudesektor, der in Deutschland ca. 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verursacht, erhebliche CO2-Einsparungen erzielt werden. Auf europäischer Ebene kommt durch den „Green Deal“ nun auch ein großer Push in Form von finanziellen Mitteln auch für den Bausektor.
Die Ziele der Europäischen Kommission, die das Bauwesen betreffen, sind wie folgt zusammenzufassen:
In anderen Worten greift die Europäische Kommission die drei Kernthemen sommerlicher und winterlicher Wärmeschutz und Energieeffizienz unserer Produkte auf. Das „Sich-das-Heizen-nicht-mehr-leisten-können“ (= Energiearmut) ist aufgrund steigender Heizstoffpreise ein sehr aktuelles Thema, dem mit Effizienzverbesserungen in der Gebäudehülle und somit Verbrauchsreduzierung begegnet werden kann. So plant die EU:
- die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, jährlich mindestens 3 Prozent der Gesamtfläche aller öffentlichen Gebäude zu sanieren;
- einen Richtwert von 49 Prozent an erneuerbaren Energien in Gebäuden bis 2030 festzulegen und
- von den Mitgliedstaaten zu verlangen, die Nutzung von erneuerbarer Energie zur Wärme- und Kälteerzeugung bis 2030 um jährlich 1,1 Prozentpunkte zu erhöhen.
Bisher lag der Fokus im Bausektor überwiegend auf der Senkung der Energieverbräuche. Hierbei wurden Emissionen durch die Erzeugung und den Transport von Baustoffen, die Errichtung von Gebäuden und das Nachnutzungsstadium weitestgehend ausgeblendet.
Mit immer geringeren Energieverbräuchen der Gebäude und Bauelemente ergibt sich ein zunehmender Einfluss der Baustoffe auf die CO2-Emmissionen. Daher ist es an der Zeit, den Betrachtungsbereich zu erweitern und Emissionen ganzheitlich im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft zu betrachten. Damit ergibt sich für die Produzenten die Möglichkeit, Produkte ganzheitlich zu betrachten und Emissionen aus allen Lebenszyklen zu berücksichtigen. Das macht die Anstrengungen der Industrie bei der ressourcenschonenden Herstellung von Materialen, der umweltfreundlichen Produktion der Bauelemente und dem Recycling der Produkte sichtbar.
Positive Effekte wie die Energieeinsparung durch solare Gewinne der transparenten Bauteile können genauso berücksichtigt werden wie die Reduzierung der Kühlleistung von Klimaanlagen durch einen adaptiven Sonnenschutz. Auch geringe Wartungs- und Pflegeaufwände oder lange Gebrauchszyklen sowie die Möglichkeit zur sortenreinen Trennung am Ende des Lebenszyklus werden hierbei berücksichtigt.
Wie ressourcenschonend ist ein Produkt?
Der einseitige Blick auf die Energieeinsparung während der winterlichen Nutzung gehört somit der Vergangenheit an. Mit den heute zur Verfügung stehenden Kenngrößen aus physikalischen Kennwerten und einer großen Menge aus Kriterien aus den Product Category Rules (PCR) für die verschiedenen Bauprodukte fällt es den Planenden oder Investoren allerdings schwer, das ökologisch günstigste Produkt auszuwählen. Ein objektiver Vergleich in der Planungsphase benötigt stark vereinfachte Kennzahlen oder Labels. Der CO2-Fußabdruck als Maß für die Klimafreundlichkeit eines Produkts drängt sich hier auf.
Die Umweltwirkung der Produkte erschließt sich derzeit leider erst im späteren Zertifizierungsprozess der Gebäude – sofern überhaupt eine Umweltzertifizierung angestrebt wird. Dann ist es in der Regel nicht mehr möglich, auf ressourcenschonendere Produkte umzuschwenken, da diese im Baukörper fest verbaut sind. Durch eine einfach zu erfassende Kennzeichnung wie den CO2-Fußabdruck könnten die Umweltwirkungen des Produktes über den Lebenszyklus sichtbar gemacht werden. Hierdurch werden die Entscheider und Entscheiderinnen in die Lage versetzt, verschiedene Produkte miteinander zu vergleichen und sich bewusst für ein nachhaltiges Produkt zu entscheiden.
Auch die steigenden Preise für Baustoffe aller Art zeigen an, dass auf der Rohstoffseite ein Umdenken erforderlich ist. Noch immer landen viele Wertstoffe auf der Deponie oder in der Verbrennung, weil für ihren Rückbau, Trennung und Aufbereitung die Möglichkeiten fehlen. Einerseits, weil die Baustoffe speziell aus dem letzten Jahrhundert mit zweifelhaften Stoffen wie Asbest, Schwermetallen usw. belastet sein können, und dies ohne eingehende Analytik nicht zu klären ist. Andererseits liegen die Stoffe vielfach nicht in reiner Form vor, sondern sind mit Klebstoffen, Beschichtungen, Armierungsmaterialeien und vielem mehr „verunreinigt“.
Die gut funktionierenden Recycling-Systeme der Branche kümmern sich hauptsächlich um verhältnismäßig saubere Reste aus den Fertigungen. Für die Rückführung von Profilwerkstoffen aus dem Bau braucht es deutlich erweiterte Konzepte bei der Analytik und Aufbereitung.
Weiterhin müssen für Werkstoffe aus Recycling-Materialien neue Produktansätze erdacht werden. Bei der Akzeptanz des Kunden hinsichtlich der neuen Ästhetik von recycelten Werkstoffen wurde von anderen Branchen (Möbel, Fahrzeuge usw.) schon gut vorgearbeitet.
Recycelte Materialien werden heute als Kaufargument genutzt. Neue Produkte sollten natürlich schon unter dem Gesichtspunkt der leichten Trennbarkeit und Sortenreinheit bei den Werkstoffen konzipiert sein, um ein sortenreines Recycling zu ermöglichen. Zukünftig ist eine artgleiche Wiederverwendung auf gleichem Qualitätsniveau von Materialien anzustreben
Auch mit ambitionierten Zielen bei der CO2-Vermeidung muss akzeptiert werden, dass ein Wandel des Klimas nicht mehr zu vermeiden ist. Ein Ansteigen von einer Vielzahl von klimabedingten Katastrophen und Veränderungen ist bereits im vollen Gange. Ein Tornado in Kiel, die Flut im Ahrtal, Waldbrände in Brandenburg, Hagelschneisen im Chiemgau… es ist durchaus beängstigend, wie häufig derartige Ereignisse uns mittlerweile heimsuchen.
Für Fenster, Türen und Fassaden sind daher die Randbedingungen extremer und die daraus resultierenden Konstruktionen robuster auszulegen. Die Einwirkungen, die hierbei zu berücksichtigen sind, sind vielfältig. Eine stabilerere Auslegung der Komponenten, geringere thermische Längenänderungen und eine höhere Temperaturfestigkeit, helle Farben, größere Widerstandsfähigkeit gegen Starkregenereignisse bis hin zur Hochwasserbeständigkeit … ein cleverer Einsatz von Design und Material ist gefragt. Aber auch die Architektur ist gefordert. Es sind viele Stellschrauben vorhanden, die Bauteile und das Gebäude fit für den Klimawandel zu machen. Größen, Fensterteilungen, Öffnungsarten, Anordnung der Fenster – ein Umdenken wie bei den Werkstoffen wird hier stattfinden (müssen).
Vielen jungen Menschen, die in wenigen Jahren die Kunden und Kundinnen und NutzerInnen von Gebäuden und Fenstern sein werden, ist die CO2-Bilanz, der Ressourcenverbrauch und das Recycling sehr wichtig. Daher ist es sinnvoll, die Fenstertechnik mit allen Aspekten wie
- dem sommerlichen Wärmeschutz,
- den Zugewinnen,
- den Energieverlusten über Bauteile und die Lüftung,
- dem Energieeinsatz bei Herstellung, Wartung und Betrieb,
- dem Materialeinsatz
zu bilanzieren und dies leicht verständlich mit dem CO2-Fußabdruck zu kommunizieren.
Die anstehenden Veränderungen scheinen überwältigend und bedrohen bisherige Geschäftsmodelle. Dies ist aber nichts Neues. Diese Änderungen bieten dazu auch große Möglichkeiten, neue Produkte und Dienstleistungen an den Start zu bringen, die in dem neuen Klima bestehen. Für eine Branche, deren größter Antrieb in den letzten Jahrzehnten bereits die Optimierung der Energieverluste war, stehen die Chancen auf jeden Fall gut, diese Zukunft zu meistern.
Dieser Artikel von Prof. Jörn P. Lass ist zuerst erschienen in GLASWELT 01/2022. Prof. Jörn P. Lass ist ift-Institutsleiter und seit über 37 Jahren in der Fenster- und Fassadenbranche tätig. Als Glaser und Fensterbauer und Holzbauingenieur war er in leitenden Funktionen bei einem Systemgeber, Fenster- und Fassadenherstellern sowie 14 Jahre im ift in den Bereichen Forschung, Prüfung, Güteüberwachung, Normung und Zertifizierung tätig. Danach leitete er als Professor an der TH Rosenheim die Studienrichtung „Gebäudehülle“ und ist seit 2020 als Institutsleiter wieder im ift Rosenheim.