Energieautark mit erneuerbaren Energien: Plusenergiequartier in Holzmodulbauweise
Weil bezahlbarer Wohnraum auf dem regulären Wohnungsmarkt knapp ist, hat die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) für die Mitarbeitenden des Klinikums Stuttgart ein eigenes Wohnquartier gebaut. Mit insgesamt 330 Wohnungen in sechs vier- und fünfgeschossigen Gebäuden ist die Anlage am Prießnitzweg 18 in Stuttgart Bad Cannstatt schon im Hinblick auf seine Größe führend unter Deutschlands größten Wohnprojekten in nachhaltiger Holzmodulbauweise.
Moderner Holzbau ersetzt Nachkriegsbauten
Die neue Bebauung steht anstelle einer Reihe von Nachkriegsgebäuden, die zuvor auf dem Grundstück standen. Diese hatten nicht nur eine schlechte Bausubstanz, sondern waren auch städtebaulich keine Zierde. Deshalb entschied sich die SWSG für ihren Abriss und den Neubau eines Ensembles kleinteilig strukturierter, hocheffizienter Gebäude mit hoher Wohnqualität und hervorragendem energetischen Standard.
Zwischen den Gebäuden liegen großzügige Grün- und Gemeinschaftsflächen, die temperaturausgleichend und im Sommer kühlend wirken und die Wohn- und Lebensqualität im Quartier erhöhen. Gute Planung sorgt für kurze Wege, ein Wegenetz verbindet die Freiflächen. Ein Fußweg führt durch das autofreie Quartier zum oberhalb der Anlage gelegenen Grünzug „Galgenberg“. Damit der Blick von oben auf das Stuttgarter Stadtpanorama frei bleibt, wurde die Höhenentwicklung der Baukörper an die Sichtachsen angepasst.
Vier der sechs Gebäude bestehen aus zwei Gebäudehälften, die durch ein zurückgesetztes Treppenhaus miteinander verbunden sind. Jede Gebäudehälfte nimmt pro Geschoss acht Wohnungen mit identischem beziehungsweise gespiegeltem Grundriss auf: Der Eingang befindet sich zwischen der Nasszelle und dem Küchenflur, der wiederum in einen Wohn-/Essbereich mit Schlafbereich mündet. Zwei weitere Gebäude integrieren größere Zwei-, Drei- und Vier-Zimmer-Einheiten mit unterschiedlichen Grundrissen.
Die Erschließung dieser Wohnungen erfolgt über Laubengänge mit zwei Treppenanlagen und einem Aufzug, sodass jede Wohnung barrierefrei zu erreichen ist. Alle Wohnungen besitzen einen eigenen Balkon oder eine Terrasse. Große, bodentiefe Fenster versorgen die einzelnen Räume mit Tageslicht.
Nachhaltigkeit und hohe architektonische Qualität
Der erste Bauabschnitt der Anlage wurde bereits im August 2022 nach nur sechs Monaten Bauzeit an die Bauherrin übergeben. Der zweite Bauabschnitt wird ebenfalls in Rekordzeit von sechs Monaten bis Ende 2023 fertiggestellt sein. Planung und Ausführung des Gesamtprojekts basieren auf dem Leitgedanken des planenden Architekten, der AH Aktiv-Haus GmbH & Werner Sobek, nachhaltigen Wohnraum mit hoher gestalterischer, konstruktiver und funktionaler Qualität sowie einem architektonisch anspruchsvollen Konzept zu schaffen. Alle Gebäude wurden beziehungsweise werden daher in nachhaltiger Holzmodulbauweise errichtet und mit einem ausgeklügelten Energieversorgungskonzept kombiniert.
Vorfertigung reduziert den Materialverbrauch
Alle Module wurden beziehungsweise werden von einem Modulhersteller in leichter Holzständerbauweise hergestellt. Nach der seriellen Fertigung im Werk und einer Qualitätsprüfung müssen sie auf der Baustelle nur noch miteinander verbunden werden. Diese Fertigungsweise reduziert den Materialverbrauch und den Abfall in der Produktion – und ermöglicht eine durchgängige Qualitätssicherung. Gleichzeitig verkürzt die serielle Vorfertigung in Modulen die Bauzeit um sechs bis zwölf Monate und reduziert Lärm und Schmutz auf der Baustelle.
So stellt die SWSG sicher, dass der reguläre Betrieb des direkt an das Wohnareal angrenzenden Klinikums nicht durch die Bauarbeiten beeinträchtigt wird. Durch das geringe Gewicht der Baukörper verringert sich auch die Belastung der Tiefgarage und der Untergeschosse der Anlage, wodurch wiederum der Ressourcenverbrauch für den Bau von Tiefgarage und Keller reduziert werden konnte.
Drei unterschiedliche Module mit integrierter Haustechnik
Die gesamte Anlage besteht aus drei verschiedenen Modultypen: Erdgeschossmodule, Standardmodule für die Etagen eins bis drei und Dachmodule. Im Werk führte der Modulhersteller nicht nur den Abbund und die Montage von Böden und Wänden durch, er stellte dort bereits den kompletten Holzbau und die Fassaden fertig. Unter dem schützenden Hallendach wurden zudem Fliesen verlegt und Dachmodule mit Abdichtungsbahnen gedeckt, die vor Ort nur noch miteinander verschweißt wurden.
„Die Module werden auf großen Schlitten in der Fertigungsstraße oder auf Förderbändern von Montagestation zu Montagestation geschoben, ähnlich wie die Autos bei den Automobilherstellern“, erklärt Architekt und Projektleiter Max Mannschreck vom Stuttgarter Entwurfs- und Planungsbüro Werner Sobek Design, der das Projekt von A bis Z betreute, vom Entwurf über die Ausführungs- und Genehmigungsplanung bis zur Fertigungsüberwachung, Lieferung und Bauleitung. „An einer Station wird beispielsweise gefliest, an der nächsten verfugt.“ Gearbeitet wird im Werk im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr.
In die Module integriert wird die Haustechnik inklusive der Trink- und Abwasserleitungen, der Fußbodenheizung, der Sole- und Elektroleitungen sowie der Lüftung. An der Endstation des Förderbands wird das fertige Modul, das bereits mit Ab- und Anschlüssen versehen ist, auf den Schwertransporter geladen. Die Holzmodule kommen mit einem Vorfertigungsgrad von bis zu 95 Prozent auf die Baustelle und werden in 30 Minuten eingebaut. Dies ermöglicht es, ein gesamtes Stockwerk an einem Tag und die fünfstöckigen Gebäude in jeweils einer Woche aufzubauen.
Regenerative bestimmen Energiekonzept
Das Quartier erfüllt den KfW40 Plus Standard und ist darüber hinaus ein Plusenergiequartier. Es erzeugt also im Jahresmittel mehr Energie, als es selbst benötigt. Die Versorgung basiert auf einem vollständig energieautarken regenerativen Energiekonzept. Sole-Wasser-Wärmepumpen, Photovoltaikmodule und Solar-Hybridkollektoren bilden das Heizsystem. Zusätzliche Wärmepumpen auf den Dächern sorgen für eine Wärmerückgewinnung aus der Abluft und minimale Energieverluste. Die Dächer aller Gebäude sind großflächig mit PVT-Kollektoren belegt. Sie kombinieren Solarthermie und Photovoltaik und wandeln die Sonnenenergie sowohl in Wärme als auch in Strom um, sodass sie zum Heizen und zur Deckung des Strombedarfs eingesetzt werden können.
Zur Optimierung der Energieausbeute bestehen die PVT-Kollektoren aus fünf Schichten. Die mit Wärmeträgerflüssigkeit durchströmten Charger beziehungsweise Rohrregister nehmen als thermische Absorber die Abwärme der Photovoltaikmodule und die Umgebungswärme auf. Anschließend wird die Wärmeträgerflüssigkeit über Schächte zur Wärmepumpe geleitet und dient dort als Wärmequelle. Auf diese Weise nutzt die PVT 60 bis 70 Prozent der einfallenden Sonnenenergie. Durch die Ableitung der entstehenden Wärme auf der Rückseite des PV-Moduls kühlt sich dieses zusätzlich ab und der Wirkungsgrad der Stromerzeugung verbessert sich.
Über das Jahr gesehen produzieren die PVT-Kollektoren etwa viermal mehr Gesamtenergie in Form von Wärme und Strom als eine Photovoltaikanlage auf gleicher Fläche. Auf den Balkondächern wurden zusätzlich PV-Module installiert, da PVT-Kollektoren hier aufgrund des Gewichts der Verrohrung nicht eingesetzt werden konnten.
Fassaden integrieren Holz und Photovoltaik
Die Fassaden der Wohnanlage kombinieren Lärchenholz sowie fassadenintegrierte Photovoltaikmodule. Als Unterkonstruktion dienen Holzrahmenbauelemente aus 260 Millimeter dicken Holzbalken, deren Gefache mit Mineralwolle gedämmt und mit einer Dampfsperre zum Rauminneren luftdicht abgeschlossen sind. Als innere Beplankung dienen zwei Lagen Feuerschutzgipsplatten mit 50 × 50 Millimeter starker Konterlattung. Den äußeren Abschluss der Modulwände bilden 12 Millimeter OSB-Platten, gefolgt von 50 × 50-Millimeter-Konterlattung mit Mineralwolledämmung, der Windbarriere und der Hinterlüftungsebene aus einer 30 × 50-Millimeter-Lattung. Die Nord-, West- und Ostfassaden wurden mit Lärchenschalung komplettiert.
Wo die Fassaden zur Energiegewinnung genutzt werden, ersetzen schwarze PV-Elemente die Schalung. „Die Herausforderung bei den Fassaden war die Nahtstelle zwischen den Modulen. Wie beim Dach musste diese Fuge vor Ort geschlossen werden, ohne die Schalung oder die Photovoltaikmodule zu beschädigen“, verrät Mannschreck.
Material- und Energiebilanz überzeugen
„Bei der Planung eines solchen Projekts beziehungsweise der einzelnen Module darf kein Fehler passieren“, zieht der Architekt Bilanz. „Sonst addiert es sich. Aber wenn alles passt, geht es schnell.“ Im August 2021 wurde das Baufeld als grüne Wiese übergeben. Zwölf Monate später zogen die ersten Mieter ein. Neben der Kosten- und Termin- sowie Planungssicherheit im Hinblick auf die Dauer der Produktion, des Einhebens und der Übergabe der einzelnen Module zeichnet sich der seriell vorgefertigte Holzmodulbau zudem durch eine hohe Recyclingfähigkeit aus.
Mannschreck: Die einzelnen Baustoffe können komfortabel in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden, da alles aus nachhaltigen Materialien gebaut wurde.
Die Gebäude sind durch die Holzrahmenbauweise zudem sehr leicht konzipiert, sodass der Materialaufwand im Vergleich zu einer konventionellen Bauweise um 75 Prozent reduziert werden konnte. Jedes der Häuser wiegt nur ein Sechstel eines konventionellen Massivhauses mit Putzfassade, sodass beim Bau allein in den Untergeschossen 5500 Kubikmeter Beton und 1800 Tonnen CO2 gespart werden konnten. Die CO2-Einsparung wird gerade über einen Gebäuderessourcenpass ermittelt.
Demgegenüber steht eine hohe Energieproduktion: Alle Kollektoren zusammen liefern insgesamt 375.065 kWh pro Jahr. Der Beitrag der PVT-Kollektoren beträgt 66 Prozent des Gesamtertrags. Die PV-Anlagen auf den Balkondächern tragen 12 Prozent bei, die Fassaden-PV liefert 22 Prozent.
„Damit immer genügend Energie zur Verfügung steht, braucht das Wohnquartier alle drei Energielieferanten“, betont Mannschreck. „Würden wir auf einen der drei Lieferanten verzichten, kämen wir nicht auf 100 Prozent.“ So aber liefert die Anlage rechnerisch einen Energieüberschuss von sieben bis acht Prozent pro Jahr. Was im Sommer mehr produziert wird, wird in einem Batteriespeicher im Untergeschoss der Anlage gespeichert.
„Die Fassadenphotovoltaik auf der Südseite liefert zudem auch im Winter einen hohen Ertrag“, hat Mannschreck ausgerechnet. „Wir haben Wetteranalysen und -prognosen erstellt und dabei unterschiedliche Sonnenstunden und Regentage angenommen.“ Das Ergebnis fiel auch bei kritischen Annahmen eindeutig aus: Die Bewohner der Anlage müssen sich nicht über steigende Energie-, Gas- und Strompreise ärgern, denn sie sind komplett autark. Deshalb gibt es auch keinen Anschluss an das Fernwärmenetz. Klar ist natürlich: Die Anlage muss funktionieren, rund um die Uhr und durchs ganze Jahr. Sonst haben die Bewohner kein warmes Wasser und eine andere Heizung gibt es ebenfalls nicht.
Bautafel
Projekt: Neubau des Plus-Energie-Quartiers aus Holzmodulen für Klinikmitarbeiter in Stuttgart Bad Cannstatt
Bauherrnschaft: Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), 70329 Stuttgart
Architekten: AH Aktiv-Haus GmbH & Werner Sobek, 70597 Stuttgart
Tragwerksplanung, Energiekonzept, TGA-Planung, Bauphysik: Werner Sobek, 70597 Stuttgart
ARGE: AH Aktivhaus Gmbh mit
Wolff & Müller Hoch- und Industriebau GmbH & Co. KG
Modulbau: Unihouse SA
Baujahr: 2021 bis 2023
Wohnfläche: 10 057 m²
Baukosten: ca. 57 Mio. €
Dieser Artikel von Christine Ryll erschien zuerst in Gebäude Energieberater-Ausgabe 05/2023. Christine Ryll ist Architektin und Fachredakteurin. Als Baufachjournalistin schreibt sie über Architektur, Immobilien, Baukonstruktionen, Digitalisierung im Bau sowie Nachhaltigkeit und energieeffizientes Bauen.