5 Fragen zu Polystyrol: "Keine konkrete Umweltgefährdung"
Nachdem der Dämmstoff Polystyrol im vergangenen Jahr als gefährlicher Abfall eingestuft wurde, kam im November die vorübergehende Kehrtwende: Während einer Übergangsfrist von einem Jahr können Dämmstoffe aus Polystyrol unkompliziert entsorgt werden wie zuvor.
Wir haben Werner Eicke-Hennig, den Programmleiter bei der Hessischen Energiespar Aktion, als Experten zum Thema befragt.
Wie gefährlich ist das unter dem Markennamen „Styropor“ bekannte Polystyrol?
Polystyrol ist ein reiner Kohlenwasserstoff und deshalb z.B. auch als Lebensmittelverpackung zugelassen. Polystyrollacke zieren viele Einbauküchen, EPS polstert den Helm des Radlers, selbst Skistiefel sind aus Polystyrol. Eine Gefahr für das menschliche Leben geht von dem Stoff nicht aus. Die neue Einstufung wendet sich nicht gegen den Dämmstoff, sondern gegen das darin bis 2015 enthaltene Flammschutzmittel HBCD.
Also keine akute Gefahr und trotzdem eine Einstufung als „gefährlicher Abfall“ seit Oktober 2016 in der Abfallverzeichnisverordnung?
So ist es. Die Einstufung wurde vom Hessischen Umweltministerium nur aus „formalen Gründen“ in den Bundesrat eingebracht, ohne dass konkrete Umweltgefahren vom Dämmstoff ausgehen. Der zuständige Referatsleiter aus dem hessischen Umweltministerium sagte uns: „…mir sind keine Studien bekannt, die einen Austritt des HBCD aus Dämmstoffen belegen würden. Vielmehr lassen die geringe Wasserlöslichkeit des HBCDs (...) und dessen Einbindung in die Matrix des Polystyrols sowie die geringe Wasseraufnahmefähigkeit insbesondere von XPS keine Mobilisierung des HBCD aus den Dämmstoffen erwarten.“ Es besteht keine akute Gesundheitsgefahr durch EPS-Dämmstoffe.
Formale Gründe, was kann man darunter verstehen?
Das Flammschutzmittel HBCD (nicht das Polystyrol) wurde in der Genfer UN-Chemikalienkonferenz 2013 verboten. Deshalb haben die Hersteller von Dämmstoffen, Polstermöbeln, Textilien, Hartplastikgehäusen von Haushaltsgeräten usw. recht schnell auf andere Flammschutzmittel umgestellt. Schon seit 2016 gibt es keine Dämmstoffe mehr in Deutschland, die HBCD enthalten. Zusätzlich fordert die Einstufung von HBCD in die Stockholmer POP-Verordnung, die den Umgang mit persistenten Stoffen regelt, dass bei der Entsorgung HBCD-haltiger Abfälle der persistente Stoff zerstört oder unumkehrbar umgewandelt wird. Das hat die Mehrheit der Bundesländer zum Anlass genommen, ausgerechnet bei der 2016 erfolgten Novelle der Abfallverzeichnisverordnung eine Einstufung des Polystyrols als „gefährlichen Abfallstoff“ gegen den Bund durchzusetzen, quasi in Vollzug der EG-POP-Verordnung. Federführend war dabei das Hessische Umweltministerium.
Nun fallen EPS-Dämmstoffe ja heute noch nicht in größeren Mengen an. Warum hat das Bauhandwerk jetzt ein Problem mit der Entsorgung von Polystyroldämmstoffen?
EPS-Baustellenabfall und –abriss lag bisher auf Deponien und bei MVA im Promille-Bereich der jährlich hereinkommenden Tonnagen. Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Bauphysik zeigt derzeit weniger als 3.000 Tonnen Dämmstoffabriss pro Jahr für ganz Deutschland, bei 9 Mio. Jahrestonnen deponierten Massivbauabbruch. Aber Dämmstoffe sind voluminös, sie bestehen zu 98 Prozent aus Luft. Deshalb ist z.B. der Bauhof eines Dachdecker- oder Malerbetriebs schon mit dem Dämmstoffabriss eines einzigen Flachdachs oder einer Dämmfassade verstopft, wenn die Entsorger und Deponien nicht mehr annehmen. Die Handwerker baden nun die unvorbereitete und unnötige Einstufung des EPS als „gefährlicher Abfall“ aus.
Hätte es denn Alternativen gegeben?
Erstens gab es keinen zeitlichen Zwang. Zweitens haben andere EU-Staaten – Beispiel Österreich – auch ohne die Einstufung als „gefährlicher Abfall“ Lösungen gefunden. Man hätte die Beteiligten in Ruhe einbeziehen können, das ist bei anderen EU-Verordnungen auch üblich. Drittens wurden die auf dem Kreislaufwirtschaftsgesetz basierenden Anstrengungen der Dämmstoff-Industrie ignoriert, die bis 2020 mit dem CreaSolv-Verfahren in einer Pilotanlage ein Recyclingverfahren für EPS-Dämmstoffe vorlegen wird. In diesem Verfahren wird u.a. das HBCD sicher abgetrennt und beseitigt. Das Dämmstoffvolumen reduziert sich gleich an der Abbruchbaustelle durch Verflüssigung um 98 Prozent, das reduziert Transporte. Eine Pilot-Anlage ist derzeit in Planung, die Organisation der Entsorgung soll bis 2020 geschaffen werden. Bis dahin hätte man das alte Verfahren beibehalten können, es tritt ja ohnehin kein HBCD aus den Dämmplatten aus. Bleibt es hingegen bei der Einstufung des EPS als „gefährlicher Abfall“ wird auch dieses neue Recyclingverfahren erschwert.
Das Interview führte: Herr Norbert Hain, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes der Dachdecker Hessen, Weilburg
Die „Hessische Energiespar-Aktion“ ist ein Projekt des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung.