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HBCD & Co.: Belastete Dämmstoffe sinnvoll verwerten

Bettina Hahn

Die Frage der Dämmstoffentsorgung aus expandiertem Polystyrol (EPS) und extrudiertem Polystyrol (XPS) ist am 1.10.2016 kompliziert geworden. Denn für einige Wochen hat ab diesem Zeitpunkt die gesetzliche Änderung der Verordnung (EU) 2016/460 der Europäischen Kommission vom 30.3.2016 gegolten, die sich auf die Anhänge IV und V der Verordnung (EG) Nr. 850/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über persistente organische Schadstoffe (POP-VO) bezieht.

Übergangslösung bis Ende 2017

Das bedeutete zunächst: HBCD-haltige Abfälle, die eine Konzentrationsgrenze von 1.000 mg/kg erreichten oder überschritten, galten fortan gemäß der Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis als „gefährliche Abfälle“. Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz sind gefährliche Stoffe (erkennbar am „*“ im Abfallschlüssel, siehe Abb. 1 und 2 in der Bildergalerie) bereits auf der Baustelle zu trennen.

In der Praxis führte dies aber dazu, dass seit dem 1.10.2016 Dämmstoffabfälle von Müllverbrennungsanlagen nicht mehr angenommen wurden – sogar unabhängig davon, ob sie HBCD-haltig waren oder nicht. Diese Änderung der Abfallbewertung löste in allen 16 Bundesländern unmittelbar einen Entsorgungsnotstand hinsichtlich der Entsorgung von EPS- und XPS-Dämmstoffen aus, die vor allem beim Rückbau von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) und Flachdachdämmungen anfallen.

Um dem entgegenzuwirken, ist kurze Zeit später - genauer: am 28.12.2016 - ein Moratorium als Übergangslösung in Kraft getreten, das den Status "gefährlicher Abfall" zunächst bis Ende 2017 wieder aufhebt. Dennoch bleibt die Frage nach der richtigen Dämmstoffentsorgung.

Abfallschlüssel unterscheidet zwischen neuen und alten Dämmstoffen

EPS-Dämmstoffplatten wurden und werden in unterschiedlichen Qualitäten und Farben angeboten: überwiegend weiß oder grau, teilweise auch mit farbigen Kugeln versehen. EPS-Dämmstoffe der Mitglieder des Industrieverbands Hartschaum (IVH) enthalten seit Ende 2014 das neue Flammschutzmittel Polymer-FR, welches das inzwischen verbotene HBCD ersetzt hat. Diese neueren Dämmstoffe fallen nicht unter die Änderung des Abfallschlüssels, da sie kein HBCD mehr enthalten. Bei der Entsorgung von Dämmstoffen ist zu unterscheiden zwischen

  • Dämmstoffen aus dem Verschnitt, der beim Anbringen neuer WDVS anfällt (Neuanwendungen) und
  • Dämmstoffen aus dem Rückbau älterer WDVS (Altanwendungen), in der Regel aus der Zeit vor 2015.

Derzeit entstehen im Zusammenhang mit WDVS mehrheitlich Dämmstoffabfälle aus dem Verschnitt. Der Grund dafür liegt in der wesentlich längeren Lebenserwartung der Systeme als das heute fälschlicherweise vielfach noch angenommen und behauptet wird.

WDVS-gedämmte und verputzte Fassaden sind vergleichbar

Das Fraunhofer-Institut untersucht seit den 1970er-Jahren in regelmäßigen Abständen Gebäude, deren Fassaden mit WDVS versehen sind. Der letzte Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2015 (HTB-06/2015) bestätigt die Langzeitbewährung von WDVS und kommt zu dem Fazit, dass mit WDVS gedämmte Fassaden in puncto Wartung und Lebensdauer vergleichbar sind mit verputzten Fassaden. Die Erfahrungen aus der Praxis unterstreichen das, und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass das taufrische Jahr 2017 ein Jubiläumsjahr für WDVS ist: 1957 wurde in Berlin die erste Immobilie mit einem WDVS versehen.

Die Deklaration „gefährlicher Abfall“ trifft bei Dämmstoffen aus EPS und XPS nur auf Produkte zu, die vor 2015 hergestellt wurden. Verschnitt beim Anbringen eines neuen WDVS enthält kein HBCD-Flammschutzmittel.

Reiner Dämmstoff oder gemischte Abfälle?

Sowohl bei Dämmstoffabfällen aus Verschnitt wie auch beim Rückbau ist zusätzlich zu unterscheiden, ob diese

  • als reiner Dämmstoff (Monofraktion) oder
  • als gemischte Abfälle (Dämmstoffe mit anhaftenden Kleber-/Putzresten, Dämmstoffe gemischt mit weiteren Bauabfällen)

gesammelt und bei den Müllheizkraftwerken angeliefert werden. Aus diesem grundlegenden Unterschied leiten sich die jeweiligen Abfallschlüssel und Entsorgungshinweise ab (Abb. 1 in der Bildergalerie). Weil nun aber Abfallentsorgung Ländersache ist, bestehen derzeit in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen. Welches Land welche Hinweise und Erlasse aufgestellt hat, kann man auf der Homepage des Industrieverbands Hartschaum (IVH) unter www.ivh.de nachlesen.

Abfallvermeidung: Aufdoppelung gewinnt an Bedeutung

Gemäß Kreislaufwirtschaftsgesetz steht in der fünfstufigen Abfallhierarchie die Vermeidung an erster Stelle. Für WDVS kann das z.B. das Aufdoppeln eines bestehenden Systems mit einer weiteren Lage WDVS bedeuten. Eine Methode, die in Zukunft ganz bestimmt zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Dabei wird nach entsprechenden Vorprüfungen und Untersuchungen auf eine gedämmte Fassadenfläche ein zusätzliches WDVS aufgebracht. So wird die Dämmleistung des Gesamtsystems ertüchtigt und gleichzeitig – sofern gewünscht – das Aussehen der Fassade verändert bzw. erneuert. Diese Form der Fassadensanierung besteht mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-33.49-1505 des Fachverbands WDVS schon länger.

Eine Alternative zu Abriss und Entsorgung eines alten WDVS ist die Aufdoppelung mit neuen Dämmstoffplatten, wofür es sogar eine Zulassung gibt.

Die Studie „Nachdämmung („Aufdoppelung“) alter Wärmedämm-Verbundsysteme an Wohngebäuden“ von Dr.-Ing. Klaus-Dieter Clausnitzer (Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung, Bremen) zeigt das Potenzial sowie die mit einer Aufdoppelung verbundenen Möglichkeiten auf - insbesondere im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Die Untersuchung ergab, dass bei knapp 500 Mio. m² Wandfläche der Wärmeschutz des Alt-WDVS aus heutiger Sicht unzureichend ist. Dies betrifft somit rund ca. 47,5% aller Wandflächen, die bis 2015 mit einem WDVS gedämmt wurden. Da nicht bei jedem Gebäude das WDVS aufgedoppelt werden kann, gehen die Autoren der Studie von einem realistischen Potenzial von rund 417 Mio. m² aufdoppelbarer Wandfläche aus.

Der EPS-Müllberg ist immer noch kleiner als die Verbrennungskapazität

Sofern eine Aufdoppelung nicht möglich ist und die gedämmte Wandfläche rückgebaut werden muss, gibt es verschiedene Vorgehensweisen und Verwertungsmöglichkeiten von EPS- Dämmstoffen. Da das Flammschutzmittel HBCD gemäß EU-POP-Verordnung nicht mehr in den Verkehr gebracht werden darf und somit auch keine Chance mehr besteht, die Dämmstoffe als Recycling-Zugabestoff für verschiedene Zwecke zu verwenden, ergeben sich nur eingeschränkte Verwertungsarten – je nach Dämmstoffart und dessen Abfallschlüssel (Abb. 2 in der Bildergalerie).

Bei vorangegangenen Untersuchungen in der Abfallverbrennungsanlage für kommunale Abfälle der Stadt Würzburg wurde die Mitverbrennung von HBCD-haltigem EPS und XPS ausführlich analysiert und dokumentiert. Aus dem technischen Bericht der PlasticsEurope (Verband der Kunststofferzeuger: „Verwertung von Polystyrol Schaumstoffabfällen mit HBCD“) geht hervor, dass bei der thermischen Verbrennung das HCBD-Flammschutzmittels und damit seine toxische Wirksamkeit vollständig zerstört werden. Die energetische Verwertung wird auch im Bericht Nr.: BBHB 019/2014/281 des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP beschrieben.

Erläuternd hierzu führen die Autoren bereits Ende 2014 dazu aus, dass bei einer Jahreskapazität aller Müllverbrennungsanlagen in Deutschland von rund 20.000 kt und einer zugrunde gelegten Mitverbrennungsquote an EPS-/XPS-Dämmstoff- Abfällen von 1 Gew.-% bis 2 Gew.- % jährlich zwischen 200 kt und 400 kt energetisch verwertet werden könnten – gleichgültig, ob HBCD-haltig oder nicht.

Dem gegenüberzustellen ist die Menge des Abfallaufkommens an EPS- und XPS-Dämmstoffen, die laut der Studie des Fraunhofer Instituts in Deutschland im Jahr 2012 basierend auf den Angaben des statistischen Bundesamtes anfielen (Abb. 3 in der Bildergalerie). Diese beinhalten auch andere Dämmstoffabfälle als WDVS, z. B. Flachdachdämmungen. Trotz vergleichsweise geringer Abfallmengen sind dennoch in der Baupraxis umsetzbare Lösungen erforderlich. Diese werden von den einzelnen Bundesländern derzeit im Wege von Erlassen geregelt.

Stoffliches Recycling als Alternative zur energetischen Verwertung

Neben der energetischen Verwertung der Dämmstoffabfälle steht auch das stoffliche Recyceln zeitlich absehbar in den Startlöchern. Bereits vor mehr als zehn Jahren beschlossen das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising und die CreaCycle GmbH in Grevenbroich ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen in Sachen Kunststoff-/Wertstoff-Recycling zu bündeln und eine Kooperation zu gründen.

Daraus hervor ging ein vielversprechendes Verfahren, das darauf basiert, dass auf den Abfall abgestimmte, umweltverträgliche Lösungsmittel die einzelnen Bestandteile extrahieren und dabei gleichzeitig Fremdmaterialien wie z. B. das HBCD- oder auch Polymer-FR-Additiv und sonstige Störstoffe separieren (Abb. 4 in der Bildergalerie). Anschließend wird die vorbereitete Lösung mittels weiterer chemischen Vorgänge ausgefällt und getrocknet.

Bei diesem Verfahren kann aus den EPS- und XPS-Abfällen das ursprüngliche Styrol-Acrylat in hoher Qualität zurückgewonnen werden, um daraus wieder neue Dämmplatten zu produzieren. Darüber hinaus werden die dabei gewonnenen Flammschutzmittel in einer gesonderten Anlage ebenfalls aufbereitet. Dabei kann das enthaltene Brom zurückgewonnen werden.

Pilotanlage für Recycling-Verfahren

Im Oktober 2015 wurde von einem Konsortium, in dem Personen der gesamten EPS-Wertschöpfungskette vertreten sind, der gemeinnützige Verein PolyStrene Loop gegründet. Ziel ist es, in den Niederlanden die erste Pilotanlage für das CreaSolv-Verfahren zu errichten. Der Fachverband WDVS sowie sein europäischer Dachverband EAE unterstützen das Projekt. Die Anlage soll Mitte 2018 betriebsbereit sein und eine Recycling-Kapazität von ungefähr 3000 t pro Jahr aufweisen. Sobald erste praktische Erfahrungen mit den technischen und logistischen Abläufen vorliegen, können „praxiserprobte“ Angaben über Arbeitsabläufe und Kalkulationsgrundlagen für einen WDVS- oder IDS-Rückbau gemacht werden.

Mit diesen Erfahrungen und den erforderlichen Rückbaumengen können schließlich europaweit weitere Werke entstehen und ihren Beitrag zum Umweltschutz und zur Nachhaltigkeit leisten. Der IBP-Bericht BBHB 019/2014/281 prognostiziert mittel- bis langfristig zunehmende Rückbaumengen, da die Sanierungsquote alter gedämmter Gebäude zunehmen wird.

Im Vorgriff darauf engagiert sich der Fachverband WDVS bereits seit vielen Jahren und mit unterschiedlichen Teilaspekten für den Lebenszyklusgedanken. Ziel ist es, frühzeitig für die verschiedenen WDVS-Varianten und in Abstimmung mit den Partnern entlang der Prozesskette geeignete Lösungen für das Ende des Lebenszykluses bereitzuhalten.

Dieser Beitrag von Bettina Hahn ist zuerst erschienen in Gebäude-Energieberater/01-2017. Bettina Hahn ist gelernte Lacklaborantin, staatlich geprüfte Umwelttechnikerin und seit zehn Jahren Energieberaterin.

Weitere Artikel zum Thema Fassadendämmung/Außendämmung finden Sie im Dossier der Fachzeitschrift Gebäude-Energieberater (Webcode 1284).

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