5 Fehler bei der Gefährdungsanalyse von Trinkwasser
Was sind die 5 häufigsten Fehler/Mängel, die bei der Gefährdungsanalyse von Trinkwasser in der Praxis begangen werden? Wir befragten den VDI-Experten Arnd Bürschgens. Bei seiner Analyse zu dem, was in der Praxis zur Gefährdungsanalyse gemacht und deklariert wird, stellt er fest, dass das nötige Fachwissen häufig nicht oder nur unzureichend vorhanden ist.
Die Herausforderung Trinkwasserhygiene stellt sich nicht nur im Warmwasserbereich, sondern auch im Bereich Kaltwasser - was nur auf den ersten Blick erstaunlich ist. Denn es ist hier mittlerweile sogar das größere Problem, was u. a. auf höhere Dämmstandards von Gebäuden, die Verlegung von Warm- und Kaltwasserleitungen in einem Schacht oder die wachsende Komplexität von Installationen zurückzuführen ist. Das Thema Legionellen bleibt in der Trinkwasserversorgung leider ein Dauerbrenner. Gefährdungsanalysen durchzuführen verlangt heute umso mehr Kompetenz und Sachkenntnis.
Der VDI-Experte Arnd Bürschgens ist ö.b.u.v. Sachverständiger für Trinkwasserhygiene im Installateur- und Heizungsbauerhandwerk, 1. Vorsitzender des DVQST e.V., Vorsitzender im RiLi-Gremium VDI 6023-2, Mitglied im Fachausschuss Sanitär des VDI e.V. und Fachreferent im Bereich Technik und Hygiene nach VDI 6023. haustec.de befragte ihn, um von ihm zu erfahren, was die häufigsten Fehler und Mängel sind, die bei der Gefährdungsanalyse von Trinkwasser in der Praxis begangen werden. Hier seine Top fünf:
1. „Kleine“, oberflächliche Ermittlungen
Für Arnd Bürschgens sind in seinen Worten „kleine“ bzw. „oberflächliche“ Ermittlungen, die relevante Bereiche oder Betriebsparameter missachten, ein echtes Übel. „Eine „kleine“ Gefährdungsanalyse (GefA) betrachtet – wenn überhaupt – nur technische Mängel, die zu einer Kontamination mit Legionellen geführt haben könnten. Weitere Mängel, die ebenfalls zu einer Gesundheitsgefährdung führen können, werden schuldhaft außer Acht gelassen“, berichtet er. Dazu zähle auch, dass man bei „kleinen GefA“ oftmals gar keine systemische Ermittlung von Mängeln durchführen würde, weil der Gefährdungsanalyst glaubt, die Ursache bereits zu kennen, insbesondere bei offensichtlichen Mängeln, und dann übersieht, dass auch offensichtliche Mängel (wie Leerstand) nicht der alleinige Grund für eine Kontamination sein müssen.
Warum das so gemacht werde? „Das geht schnell, bedeutet wenig Aufwand, ist billig – nur leider nicht zielführend im Sinne der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) und des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Von ‚Auflistung technischer Mängel‘ oder ‚nur für Legionellen‘ steht da nichts…“, kritisiert er. In der Risikoabschätzung (Gefährdungsanalyse) seien alle Gefährdungen der menschlichen Gesundheit sowie Ereignisse oder Situationen, die zum Auftreten einer Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch die betroffene Wasserversorgungsanlage führen können, systematisch zu ermitteln und zu bewerten.
2. Keine geeignete Ausstattung und Kenntnismangel
Möglicherweise bedingt der zweite Punkt den ersten – jedenfalls tritt er in der Praxis leider (zusätzlich) auf: Der Analyst hat eine ungeeignete bzw. unzureichende Ausstattung im Gepäck. Dazu zählt laut Arnd Bürschgens z. B. das Fehlen eines Datenloggers, Bürschgens: „Ohne Datenlogger kann man eine Trinkwassererwärmung nicht bewerten. Darüber und ggf. auch grundsätzlich, aus Mangel an Kenntnis, werden falsche Informationen ermittelt, z. B. über eine Temperaturmessung nach 30 Sekunden.“ Die 30 Sekunden stünden zwar in der DIN EN 806-2 und würden auch in der DIN 1988-200 nochmals bezogen. Allerdings handele es sich hier um rein formale bzw. Komfortanforderungen.
Gemäß der Norm für Trinkwasserinstallation DIN 1988-200 Pkt. 3.1 gelte für die Hygiene grundsätzlich die VDI 6023, für Warmwasser das Arbeitsblatt DVGW W 551 (A). „Eine Temperaturmessung nach 30 Sekunden hat keinerlei übertragbare Information, ohne gleichzeitig den Volumenstrom zu kennen. An einer kleinen Waschtisch-Armatur im Gäste-WC bedeuten 30 Sekunden etwas ganz anderes als am Raindance-Duschkopf im Elternbad mit 24 l/min“, sagt Bürschgens, eine korrekte Temperaturmessung werde üblicherweise mit Durchflussdatenloggern durchgeführt und bewertet würden die Temperaturen nach 1 l (Probenahmesituation, Einzelanschluss), nach 3 l (3-Liter-Regel nach VDI 6023 und DIN 1988-200) und nach 5 l (Strang).
3. Keine (ausführlichen) Gutachten
„Das Ding heißt Gefährdungsanalyse bzw. Risikoabschätzung, nicht technische Mängelliste“, so Arnd Bürschgens über das, was er in der Praxis als Sachverständiger oft zu Gesicht bekommt. Es gebe keine ausführlichen Gutachten mit Erläuterungen und Ableitung von konkreten Gefährdungen. Er benennt, was aus seiner Sicht ein Musterbeispiel für ein ausführlich aufgeführten Gefährdungsposten ist und was im Gegenzug nur den Titel „technische Mängelliste“ verdient: „Eine ‚technische Mängelliste‘ erscheint oft in Dokumenten in Tabellen-Formaten: Da gibt es ein Bild - meist ohne konkrete Bildunterschrift, eine kurze Benennung „Temperatur zu niedrig“ und ein Regelwerksverweis „s. DIN 1988-200“. Oftmals wird das Ganze dann mit bunten Tabellen „garniert“, in denen Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensausmaß in einer Matrix bewertet werden, ohne jeden nachvollziehbaren Nutzen für den Auftraggeber.“
Ein Gutachten zur Risikoabschätzung dagegen beschreibe die Feststellungen vor Ort in Wort und Bild, gebe die notwendigen Erläuterungen („Gem. DIN 1988-200 […] soll der Hausanschluss wie folgt aufgebaut sein…“). Wesentlicher Bestandteil sei jedoch die Ableitung der Gefährdungen („Auf Grund der vorgefundenen Ausführung kann es zu einer Erwärmung im Kaltwasser kommen, die ideale Vermehrungsbedingungen für Mikroorganismen bietet…“) und die individuellen, zielgerichteten und verhältnismäßigen Handlungsempfehlungen, die geeignet wären, die Gefährdung für die Nutzer zu beseitigen.
Die Ableitung möglicher Gefährdungen muss inhaltlich klar, vollständig und erschöpfend die nachteiligen Folgen und die sich daraus ergebenden Gefahren einer zweifelhaften Ausführungsweise konkret darlegen, damit dem Auftraggeber die Tragweite der Nichtbefolgung der Handlungsempfehlungen ausreichend deutlich wird“, verlangt er. Schließlich solle der Kunde mit der Unterlage ja was tun.
4. Die nötige Qualifikation
„Das größte Problem ist nicht zu wenig zu wissen – das größte Problem ist zu glauben, man wisse genug.“ So beschreibt Arnd Bürschgens die unzureichende Fachkenntnis von Analysten in der Praxis. Welche Qualifikationen bzw. Zertifikate müssten sie seiner Auffassung nach mindestens vorweisen, um als fachkundig gelten zu können? Bürschgens dazu: „Im Entwurf zur neuen VDI 6023-2 haben wir das so formuliert: Die hygienisch-technische Bewertung von Trinkwasserinstallationen und die Ableitung geeigneter Handlungsempfehlungen erfordern einen umfassenden Sachverstand. Als sachverständig gilt, wer z. B.:
- aufgrund von überdurchschnittlichen Kenntnissen und zeitnahen Erfahrungen in dem erforderlichen Fachbereich,
- aufgrund seiner detaillierten Kenntnis der allgemein anerkannten Regeln der Technik und deren Anwendung,
- aufgrund seiner Befähigung, die durch seine gutachterliche Tätigkeit gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse dem Laien verständlich und nachvollziehbar zu vermitteln,
- aufgrund regelmäßiger Fortbildung, zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben befähigt ist sowie alle Anlagenkomponenten und das Zusammenwirken aller hygienerelevanten Einflussgrößen innerhalb der gesamten Trinkwasserinstallation beurteilen und mögliche Gefährdungen erkennen kann.“
Der Sachverständige sollte zudem
- die Bewertung objektiv und unbefangen durchführen,
- verschwiegen und zuverlässig sein,
- seine Gutachten und Bewertungen selbst erstellen.
Nachweislich qualifiziert zur Bewertung von Trinkwasserinstallationen seien Fachleute, die ihre individuelle, einschlägige Qualifikation im Bereich Trinkwasserhygiene objektiv nachgewiesen hätten, z. B im Rahmen einer öffentlichen Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger einer Bestellungskörperschaft (HWK/IHK), als DVQST-qualifizierter Sachverständiger für Trinkwasserhygiene oder als VDI-zertifizierter Sachverständiger für Trinkwasserhygiene. Eine ausreichende Qualifikation zur hygienisch-technischen Bewertung von Trinkwasserinstallationen könne laut Bürschgens auch dann vermutet werden, wenn die betreffende Person alternativ folgendes nachweisen könne (nicht das beauftragte Unternehmen):
- ein einschlägiges Studium (z. B. Versorgungstechnik mit Schwerpunkt Sanitär oder Umwelt- und Hygienetechnik) oder
- eine gleichwertige Berufsausbildung (z. B. Gas- und Wasserinstallateurmeister, Installateur- und Heizungsbaumeister oder staatlich geprüfter Techniker im Bereich Sanitär) sowie
- zusätzlich fortlaufende, spezielle berufsbegleitende Fortbildungen, die eine weitere einschlägige Vertiefung erkennen ließen (z. B. Fortbildung nach VDI-MT 6023 Blatt 4, Kategorie A)
Auch wichtig: Der Auftraggeber hat im Gegenzug zu prüfen, ob der von ihm beauftragte Sachverständige die vorgenannten Bedingungen erfüllt, denn ihm obliegt die Verpflichtung einen für den Sachverhalt geeigneten Sachverständigen auszuwählen und zu beauftragen.
5. Reine Vertriebsinteressen
Reine Vertriebsinteressen und Maßnahmen, mit denen der Analyst weiteren Umsatz erzielt, zählen laut Arnd Bürschgens leider auch zu den „Fehlern“, die bei der Gefährdungsanalyse in der Praxis gemacht werden. Zu den unnötigen Maßnahmen, die man als solche sofort erkennen kann, die nur dem Umsatz dienen, aber nicht der Sache, führt er eine Beispielliste an: „z. B. Desinfektionsanlagen zur Trinkwasserdesinfektion, thermische Desinfektion, ohne vorherige Beseitigung baulich/struktureller Maßnahmen, Ultrafiltrationsanlagen, usw.“
Schadensbilder
Die Schadensbilder, die entstehen bei einzelnen Fehlern und wenn gleich mehrere dieser Fehler auf einmal gemacht werden, sind mannigfach. Sie reichen von Korrosionsschäden an Leitungen und Armaturen durch falsche Desinfektionsmittel, anhaltende Desinfektion etc., Materialschäden durch Temperaturbelastung („Legionellenschaltung“), Verbrühungsgefahr durch zu hohe Betriebstemperatur oder die Erwärmung von Kaltwasser durch zu hohe Temperaturen PWH/PWH-C. Besonders anfällig sind Anlagen, in denen sich schutzbedürftige oder geschwächte Personen als Nutzer aufhalten, z. B. Altenpflegeheime, Kindertagesstätten etc., da sich die Mängel an der Gefährdungsanalyse bzw. deren Auswirkungen hier besonders gravierend auswirken können.
Fazit: Erschreckend aktuell
Das Umweltbundesamt UBA ging 2018 noch davon aus, dass 70 % aller Unterlagen mit dem Titel „Gefährdungsanalyse“ nicht dem Schutzziel der TrinkwV entsprechen. Seitdem hat sich leider nicht viel getan. „Aus meiner Arbeit beim DVQST sehe ich, dass es anhaltend so ist“, berichtet Bürschgens. Um die weiterhin so schlechte Quote abzustellen bräuchte es aus seiner Sicht eine verpflichtende Mindestqualifikation, die objektiv nachgewiesen werden müsse. „Dazu muss aber aufgeklärt und ausgebildet werden, zwei der satzungsgemäßen Ziele z. B. des DVQST.“
Ein verpflichtender Qualifikationsnachweis würde seiner Überzeugung nach viele unzureichende Gefährdungsanalysen vermeiden und Auftraggebern ein Stück Sicherheit geben, die hier in der Verantwortung stehen. „Das war und ist das Ziel der VDI-Richtlinie 6023 Blatt 2 „Bewertung von Trinkwasserinstallationen“ (ehem. Gefährdungsanalyse), an deren Überarbeitung wir im Moment aktiv arbeiten“, schließt er.
Dittmar Koop ist Journalist für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Links und Publikationen zum Thema
https://www.beuth.de/de/publikation/hygiene-in-trinkwasser-installation…
https://www.dvqst.de/ueber-uns
https://technikaufsohr.podigee.io/162-trinkwasserverordnung-gesundheit