Tipp vom Anwalt: Wann ist eine Mangelbeseitigung unverhältnismäßig?
Der Fall
Verlegt der Auftragnehmer unter der tragenden Bodenplatte statt der vereinbarten XPS-Dämmung eine EPS-Dämmung, ist seine Leistung mangelhaft.
Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung ist nur gerechtfertigt, wenn das Bestehen auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung im Verhältnis zu den dafür erforderlichen Aufwendungen unter Abwägung aller Umstände einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt. Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit einer Mangelbeseitigung führt nicht dazu, dass der Auftraggeber im Rahmen der Nacherfüllung ein vertraglich nicht geschuldetes Werk akzeptieren muss.
Kann mangelhaftes Dämmmaterials unter der Kellerbodenplatte nur durch einen vollständigen Rückbau und die Neuerrichtung des Gebäudes ausgetauscht werden, ist die Mangelbeseitigung jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig, wenn der Auftragnehmer seine Verpflichtung zum Einbau des vertraglich vereinbartes grob fahrlässig verletzt hat (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 09.07.2019, Az.: 10 U 14/19; mit Beschluss v. 15.04.2020, Az.: VII ZR 164/19 hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)
Der Sachverhalt
Der Auftraggeber beauftragt den Auftragnehmer mit der Erstellung eines Einfamilienhauses mit Garage und Carport. Gemäß der vertraglichen Vereinbarung war der Keller als "WU-Keller", also wasserundurchlässig als "weiße Wanne" auszuführen. Laut Leistungsverzeichnis war unter der Bodenplatte des teilunterkellerten Hauses und seitlich an den Fundamenten eine Dämmung aus geschlossenzelligem, extrudiertem Polystyrol (XPS) zu liefern und mit Stufenfalz lückenlos einzubauen.
In der Folgezeit rügte der Auftraggeber verschiedentlich Mängel, jeweils unter Aufforderung zur Beseitigung mit Fristsetzung, so insbesondere nach Wassereinbruch im Keller infolge von Starkregen, dass die "weiße Wanne" wasserdurchlässig sei, dass unter der statisch tragenden Bodenplatte und im Streifenfundament sich keine XPS-Dämmung befinde, und, dass es sich bei der doppellagig verlegten EPS-Dämmung unter der statisch tragenden Bodenplatte um das falsche Material handele.
Tatsächlich wurde unter der Bodenplatte eine Dämmung aus expandiertem Polystyrol (EPS) eingebaut, nämlich das Produkt swisspor Peridämm 3000, für das laut dem Datenblatt des Herstellers keine bauaufsichtliche Zulassung für die Verwendung unter tragenden Bodenplatten sowie bei drückendem Wasser vorgelegen hat. Der Auftraggeber fordert Kostenersatz für die Mängelbeseitigung nachdem der Auftragnehmer den Aufforderungen zur Mängelbeseitigung nicht nachkommt. Der Auftragnehmer verteidigt sich unter anderem mit dem Argument, dass die Mangelbeseitigung nur mit einer Neuerrichtung des Gebäudes möglich wäre und dies insgesamt unverhältnismäßig sei.
Die Entscheidung
Der Auftragnehmer unterliegt vor Gericht. Das Gericht gibt dem Auftraggeber Recht.
„Ein Anspruch auf Mangelbeseitigung, der Voraussetzung für den Kostenvorschuss für die Selbstvornahme ist, bestehe nach den Regelungen der VOB/B und des BGB dann nicht, wenn die Mangelbeseitigung einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordert. Das kann dann der Fall sein, wenn Mängel nur durch Neuherstellung des Werkes zu beseitigen sind und das Interesse des Auftraggebers an der Neuherstellung im Verhältnis zu den durch die Neuherstellung entstehenden Kosten unverhältnismäßig ist.
Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Bestehen auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung im Verhältnis zu den dafür erforderlichen Aufwendungen unter Abwägung aller Umstände ein Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt. Das ist in der Regel nicht der Fall, wenn der Auftraggeber objektiv ein berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung hat, z.B. weil die Funktionsfähigkeit des Werkes erheblich beeinträchtigt ist (vgl. BGH, Beschluss v. 15.04.2020, Az.: VII ZR 164/19, Rdn. II, Ziffer 1, (2), lit. a), cc)).“
Es kommt insoweit darauf an, ob bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der für die Mangelbeseitigung erforderliche Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Interesse des Auftraggebers an der Mangelbeseitigung steht. Nicht hinzunehmen ist ein Werk, dass mit erheblichen Nachteilen behaftet ist (z.B. erhöhte Wartungskosten etc.)
Sofern der Mangel nicht beseitigt werden kann und es danach bei erheblichen Nachteilen (insbesondere funktionale Beeinträchtigung) für den Erwerber bzw. den Bauherrn verbleibt, greift der Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht. Der Mangel muss dann – egal mit welchem Aufwand – behoben werden.
Fazit
Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit hat in der Regel nur bei geringer Funktionsbeeinträchtigung Erfolg. Bei Beeinträchtigungen der Funktion ist der Einwand der Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich ausgeschlossen (z.B. auch bei gerissenen Fliesen im Bad – wenn u.a. Risiko von Feuchteschäden besteht).
Nachdem Bauträger und Bauunternehmen oftmals eine Mangelbeseitigung unter Verweis auf die Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung verweigern, sollten ImmobilienkäuferInnen und Bauherren sich nicht zu schnell damit abspeisen lassen.