Qualitätssiegel Nachhaltige Gebäude: Probleme und Zukunftsaussichten
Nachdem wir im ersten Beitrag zum Qualitätssiegel Nachhaltige Gebäude (QNG) zunächst das Siegel vorstellten und erste Einordnungen zur praktischen Umsetzung vornahmen, soll Teil 2 die Materie nun weiter vertiefen. Teil zwei zum QNG befasst sich mit folgenden Themen:
- Wie begründet das BMWSB aus seiner Sicht die Notwendigkeit der QNG-Zertifizierung?
- QNG-Bewertungssysteme: Das Problem des Durchblicks.
- Mit welchen Kosten für die QNG-Zertifizierung zu rechnen ist.
- Führt das QNG ggf. zum freiwilligen Verzicht auf die KfW-40-Förderung?
Ein Baufachmann, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagte mir vor kurzem auf meine Frage, wohin sich das Thema energetische Gebäudeeffizienz entwickle, als erstes dieses: „Wir produzieren hier nur Sondermüll.“ Gemeint war mit dieser plakativen Aussage, dass Energieeinsparung und Energieeffizienz auf dem Papier sich sehr gut darstellen lassen, es aber völlig außen vorließe, welche Baustoffe dafür konkret eingesetzt würden, außerdem würden viele Verbundstoffe verbaut, die sich später nie wieder trennen ließen. Die Haltbarkeit heutiger Häuser auf viele Jahre bzw. Jahrzehnte sei außerdem dahingestellt.
Effizient, aber nicht nachhaltig?
Man kann dies als Einzelmeinung abtun; und sicher gibt es Gegenmeinungen, die das ganz anders sehen. Aber sie trifft doch einen wunden Punkt, ob wir, wenn wir auf immer effizientere Gebäudestandards zielen, zu kurz zielen, wenn sich das nur auf Planzahlen bezieht und Themen wie z.B. welches Material dafür verwendet wird, aber offenlässt. Wenn unterm Strich die Gesamt-Bilanz eines solchen Hauses schlechter ausfiele als das eines, welches mehr Energie im Betrieb benötigt, dann wäre das ein Bärendienst für den allgegenwärtig bemühten Klimaschutz, zu dem auch der Wohnsektor beitragen muss.
BMWSB: QNG ist ein unabdingbarer Schritt
Das Bundesbauministerium (BMWSB), stellvertretend für die aktuelle Koalition, sieht das QNG deshalb als unabdingbaren Schritt. Es gehe um nicht weniger als das Ziel einer Bauwende, die das Bauen notwendigerweise deutlich ganzheitlicher und von Anfang bis Ende konsequenter sehen müsse, als es heute der Fall ist: „Mit Blick auf die großen Herausforderungen, vor denen das Bauwesen und die Bauwirtschaft stehen, muss ein in weiten Teilen unbedachter Umgang durch effizientes Vorgehen ersetzt werden“, so das Ministerium.
Die seit dem 21. April 2022 bestehende Verpflichtung, für eine KfW-40-Förderung nach Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) eine QNG-Zertifizierung erstellen und nachweisen zu müssen, verkompliziert objektiv gesehen aber das Bauen. Selbst das BMWSB gibt das, wenn auch positiviert, zu: „Das nachhaltige Bauen macht zahlreiche wichtige Aspekte und Wirkungen des Bauens überhaupt erst erkennbar. So ist es z.B. einfacher, ein Bauprodukt nur auf der Grundlage seiner bautechnischen Eigenschaften zu verplanen und zu verbauen, als sich zusätzlich auch mit dessen Schadstoffgehalt, Ressourcenverbräuchen und CO2-Bilanz auseinanderzusetzen. Es ist auch einfacher, Bauprodukte unbedacht zusammen zu fügen, als sich Gedanken über deren Kreislauffähigkeit in Hinblick auf eine zukünftige Trennbarkeit und Wiederverwertbarkeit zu machen.“ Die Prüf- und Vorgaben-Komplexität nach QNG macht die Praxis nicht einfacher. Doch ist es in der Gesamtbetrachtung ein folgerichtiger und zugleich unabdingbarer Schritt.
Verschiedene Bewertungssysteme, kaum Erfahrungen
Die QNG-Zertifizierung ist sehr detailliert und sie stellt hohe Anforderungen an Bauherren, Planer, Bauträger, SHK und TGA, den Anforderungen zu entsprechen und am Ende einen Bau hinzubekommen, der das Siegel erhält. Im Detail geht es dabei auch um Fragen der Orientierung: Es gibt bereits verschiedene Bewertungssysteme zum Erhalt von QNG am Markt. Andererseits gibt es bisher kaum oder nur wenige Erfahrungswerte, weil das System erst am Marktanfang steht. Wie sollen Bauleute da durchblicken, welches das für sie Beste ist?
Das BMWSB räumt auch hier eine noch relativ offene Situation ein: So sehr diese vornehmlich privatwirtschaftlichen Entwicklungen zu begrüßen wären, bedürften die im Detail mitunter stark differierenden Bewertungsansätze einer Qualitätssicherung. Auch räumt das BMWSB ein, dass interessierte Personen vor dem Hintergrund der bislang geringen Verbreitung von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen nur eingeschränkt auf belastbare Erfahrungsberichte und unabhängige Veröffentlichungen zurückgreifen könnten. Es sei aber zu erwarten, dass sich dies mittelfristig ändere. Bis dahin sei eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Systemen aber unabdingbar.
Das BMWSB weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass das QNG nicht alleinig auf registrierte Bewertungssysteme verweist, sondern mit den Anforderungen der Anlage 3 zum QNG-Handbuch auch konkrete Mindestanforderungen definiert. Eine derzeit unbefriedigende Situation, die sich, wie bei allen neu eingeführten Systemen, mit der Zeit aber entspannen dürfte.
Blick auf die Mehrkosten
Mit welchen Mehrkosten muss der Bauherr aufgrund der Zertifizierung rechnen? Bezahlt werden müssen ja die begleitenden Beratungs- und Planungsleistungen und die Leistungen der Zertifizierungsstellen im Rahmen der am Schluss anstehenden Konformitätsprüfung und zur Vergabe des Siegels. Dazu kommen dann ggf. natürlich auch Mehrkosten, wenn andere Bauprodukte verwendet werden (müssen).
Auch wenn die individuellen Rahmenbedingungen es schwer machen, für die QNG-Zertifizierung sowie den daraus resultierenden Mehrbaukosten konkrete Angaben zu machen – eine Bandbreite angeben lässt sich aber schon.
Laut BMWSB ist über Erfahrungen der Anwendung von Bewertungssystemen des nachhaltigen Bauens im Wohnungsneubau bekannt, dass die Bandbreite der Steigerung der Baunebenkosten mit etwa 20 bis 80 Euro je m2 Wohnfläche angenommen werden kann. Bei kleineren Baumaßnahmen wird vorwiegend davon ausgegangen, dass sie im oberen Bereich der Bandbreite liegen, sofern hier die Vorteile von Mehrfach- und Serienzertifizierung keine Anwendung finden können. Bei größeren Baumaßnahmen wird von der Umlage der Kosten auf eine große Fläche profitiert. Sie sind daher vorwiegend im unteren Bereich der Bandbreite einzuordnen.
Zertifizierung wird sich durchsetzen
Die QNG-Zertifizierung ist komplex und es verteuert das Bauen. Aber mit der QNG-Pflicht für die KfW-40-Förderung wurde ein wichtiger Schritt getan, in Zukunft ganzheitlicher zu bauen.
Denn über den Aspekt der Reduzierung des Energieverbrauchs und der Minimierung von Treibhausgasemissionen aus dem Gebäudebetrieb hinaus müssen Gebäude nach dem Willen der QNG-Geber zur Verringerung von sonstigen unerwünschten Wirkungen auf die Umwelt und zur Schonung von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen beitragen. Außerdem soll eine hohe Aufenthaltsqualität mit guter Raumluftqualität und überdurchschnittlichen thermischen, visuellen und akustischen Komfort geboten werden.
Das BMWSB ist optimistisch, dass es jetzt nicht dazu kommen wird, dass Bauleute wegen QNG auf eine KfW-Förderung verzichten könnten. Das Gegenteil wäre der Fall: Seit Einführung am 1.7.2021 und insbesondere seit dem Beginn der 2. Stufe der Neubauförderung am 21.4.2022 sei die Anzahl der Bauvorhaben mit dem Ziel Nachhaltigkeitszertifizierung massiv angestiegen.
Das BMWSB sieht weitere Gründe, warum sich die Nachhaltigkeitszertifizierung am Markt durchsetzen wird: Durch die zunehmende Anzahl an Nachhaltigkeits-Beratern und die absehbare Umstellung der Fertighausbranche auf das QNG. Über die materialneutralen und technologieoffenen Formulierungen nachzuweisender Kennwerte bleibe die Entscheidungsfreiheit der Planungsbeteiligten und Bauherren erhalten und durch die Schaffung einer Nachfrage nach Bauprodukten mit geringer CO2-Bilanz werde auch die Baustoffindustrie angereizt, geeignete Produkte und Produktinformationen anzubieten.
Dittmar Koop ist Journalist für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.