Grüner Deal: Das plant die EU für mehr Klimaschutz bis 2050
Die Vorschläge der EU-Kommission sollen das Tempo bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren beschleunigen. Sie kombinieren folgende Maßnahmen:
- Emissionshandel: Die Kommission schlägt vor, die Obergrenze für alle Emissionen noch weiter zu senken und die jährliche Kürzung zu erhöhen. Zudem sollen die kostenlosen Emissionszertifikate für den Luftverkehr schrittweise wegfallen und in den Emissionshandel aufgenommen werden. Ein separates neues Emissionshandelssystem für die Treib- bzw. Brennstoffversorgung in den Sektoren Verkehr und Gebäude wird eingeführt.
- Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sollen für klima- und energiebezogene Projekte bereitgestellt werden. Ein Teil der Einnahmen aus dem neuen Emissionshandelssystem für den Straßenverkehr und den Gebäudesektor sollte zur Abfederung etwaiger sozialer Auswirkungen auf sozial schwächere Privathaushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsteilnehmer vorgesehen werden.
- In der Lastenteilungsverordnung werden den Mitgliedstaaten neue strengere Emissionssenkungsziele zugewiesen für Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und kleine Unternehmen. Dabei wurde den unterschiedlichen Ausgangssituationen und Kapazitäten in den einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung getragen und das jeweilige Pro-Kopf-BIP zugrunde gelegt sowie Anpassungen aus Gründen der Kosteneffizienz vorgenommen.
- Die Mitgliedstaaten sind auch gemeinsam für die Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre verantwortlich. Deshalb ist in der Verordnung über Landnutzung, Forstwirtschaft und Landwirtschaft ein EU-Gesamtziel für den CO2-Abbau durch natürliche Senken im Umfang von 310 Millionen Tonnen CO2-Emissionen bis 2030 festgelegt. Nationale Zielvorgaben sorgen dafür, dass die Mitgliedstaaten ihre Senken pflegen und vergrößern, damit das Gesamtziel erreicht wird. Ziel der EU sollte sein, bis 2035 Klimaneutralität in den Sektoren Landnutzung, Forstwirtschaft und Landwirtschaft – auch bei den landwirtschaftlichen Nicht-CO2-Emissionen aus z. B. dem Einsatz von Düngemitteln oder der Viehhaltung – zu erreichen.
- Die EU-Waldstrategie soll die Quantität, Qualität und Resilienz der Wälder in der EU verbessern. Sie unterstützt Forstwirtschaftsbetriebe und die forstbasierte Bioökonomie, sorgt gleichzeitig für Nachhaltigkeit bei Holzeinschlag und Nutzung von Biomasse sowie den Erhalt der biologische Vielfalt und beinhaltet einen Plan zur Pflanzung von drei Milliarden Bäumen in ganz Europa bis 2030.
- Erneuerbare Energien: Die Zielvorgabe für die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen bis 2030 wird auf 40 % erhöht. Alle Mitgliedstaaten werden zu diesem Ziel beitragen, und es werden spezifische Ziele für die Nutzung erneuerbarer Energien in den Sektoren Verkehr, Heizung und Kühlung, Gebäude und Industrie vorgeschlagen.
- Energieverbrauch senken: Der öffentliche Sektor muss jährlich 3 % seines Gebäudebestands renovieren, damit die Renovierungswelle vorankommt, Arbeitsplätze geschaffen werden und der Energieverbrauch und die Kosten für den Steuerzahler sinken.
- Strengere CO2-Emissionsnormen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge: Sie sollen den Übergang zur emissionsfreien Mobilität beschleunigen, da die durchschnittlichen jährlichen Emissionen neuer Fahrzeuge ab 2030 55 % und ab 2035 100 % niedriger sein müssen als 2021. Damit Fahrzeuge in einem verlässlichen EU-weiten Netz aufgeladen oder aufgetankt werden können, sollen die Mitgliedstaaten die Ladekapazität nach Maßgabe der Absatzmengen emissionsfreier Fahrzeuge ausbauen und entlang der großen Verkehrsstraßen in regelmäßigen Abständen Tank- und Ladestationen installieren, und zwar alle 60 km für das Aufladen elektrischer Fahrzeuge und alle 150 km für die Betankung mit Wasserstoff.
- Gemäß der Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe müssen Flugzeuge und Schiffe in großen Häfen und Flughäfen Zugang zu sauberem Strom haben. Kraftstoffanbieter werden verpflichtet, dem an Flughäfen in der EU angebotenen Turbinenkraftstoff nach und nach mehr nachhaltige Flugkraftstoffe beizumischen, einschließlich synthetischer CO2-armer Kraftstoffe, die E-Fuels genannt werden. Die Initiative "FuelEU Maritime" wird ihrerseits die Nutzung nachhaltiger Schiffskraftstoffe und emissionsfreier Technologien fördern im Wege einer Obergrenze für den Treibhausgasgehalt des Energieverbrauchs von Schiffen, die europäische Häfen anlaufen.
- Besteuerungssystem für Energieerzeugnisse: Es sollen saubere Technologien gefördert und überholte Steuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze abgeschafft werden, die zurzeit die Nutzung fossiler Brennstoffe fördern.
- CO2-Grenzausgleich: Es wird ein CO2-Preis für Einfuhren bestimmter Produkte eingeführt, damit die ehrgeizige Klimapolitik in Europa nicht zu einer Verlagerung von CO2-Emissionen führt. Dies wird sicherstellen, dass europäische Emissionssenkungen zu einem weltweiten Emissionsrückgang beitragen, statt dass CO2-intensive Produktionskapazitäten aus Europa abwandern. Außerdem soll dies Industrieunternehmen in Drittländern und unsere internationalen Partner dazu motivieren, Schritte in dieselbe Richtung zu unternehmen.
Ein sozialverträglicher Übergang
Es besteht die Gefahr, dass sozial schwächere Haushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsteilnehmer kurzfristig aufgrund von Klimastrategien stärker unter Druck geraten. Die Strategien in dem heute vorgestellten Paket sind daher so ausgestaltet, dass die Kosten der Bekämpfung und Anpassung an den Klimawandel gerecht verteilt werden.
Außerdem werden durch die CO2-Bepreisung Einnahmen erzielt, die wieder in Innovation, Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze investiert werden können. Aus einem neuen Klima-Sozialfonds erhalten die Mitgliedstaaten eigens Mittel, die sie Bürgerinnen und Bürgern für Investitionen in Energieeffizienz, neue Heiz- und Kühlsysteme und sauberere Mobilität gewähren können.
Finanziert wird der Klima-Sozialfonds mit einem Betrag aus dem EU-Haushalt, der 25 % der erwarteten Einnahmen aus dem Emissionshandel für Brenn- bzw. Treibstoffe im Gebäudesektor und Straßenverkehr entspricht. Nach einer entsprechenden Änderung des mehrjährigen Finanzrahmens werden dann aus dem Fonds für den Zeitraum 2025 bis 2032 72,2 Mrd. Euro für die Mitgliedstaaten bereitgestellt. Da vorgeschlagen wird, dass die Mitgliedstaaten Mittel in derselben Höhe bereitstellen, könnte der Fonds 144,4 Mrd. Euro für einen sozialverträglichen Übergang mobilisieren.
Das sagen Stimmen aus der Branche
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: "Der angestrebte Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Dekarbonisierung des Gebäudesektors stellen uns wirtschaftlich und sozial vor immense Herausforderungen. Es ist richtig, dass die EU-Kommission das Potenzial der Energieeffizienz von Gebäuden beim Klimaschutz mit einem eigenen Maßnahmenpaket für den Gebäudesektor ambitionierter angeht", so Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Es komme nun darauf an, sich die Vorschläge im Detail anzuschauen und darauf zu achten, dass die Regelungen vor allem den Aspekt der Technologieoffenheit beherzigten und das Innovationspotenzial der Industrie maximal fördern. Wenn wir die Sanierungsziele schaffen wollen, müssen wir industrielle Arbeitsweisen – also auch serielles Sanieren – endlich in die Fläche bringen.
BDEW: "Es ist gut, dass die EU-Kommission mit dem 'Fit for 55'-Paket nun wichtige Leitlinien für einen Transformationsprozess vorgelegt hat. Die Vorschläge müssen dabei auch die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Europa unter Wahrung der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit im Blick behalten. Das Schlüsselinstrument für kosteneffiziente und marktgetriebene CO2-Minderung ist die CO2-Bepreisung", so BDEW-Vorsitzende Kerstin Andreae. "Daher ist es positiv, dass das bestehende EU-Emissionshandelssystem vorerst als separates System erhalten bleibt. Richtig ist auch, dass die Treibhausgasminderungsziele im Energiesektor und der energieintensiven Industrie durch eine ambitionierte, aber angemessene Anhebung des linearen Reduktionsfaktors auf 4,2 Prozent an den neuen Klimazielen ausgerichtet werden. Das geplante neue Emissionshandelssystem für das Inverkehrbringen von Brennstoffen in den Bereichen Gebäude und Verkehr weist ebenfalls in die richtige Richtung, allerdings gibt es hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung noch einige Fragezeichen. Unklar ist beispielsweise die genaue Abgrenzung der erfassten Sektoren. Der Ausbau wird allerdings nur gelingen, wenn Planungs- und Genehmigungsverfahren zukünftig spürbar beschleunigt werden. Hier hätten wir uns von der EU-Kommission mehr Unterstützung gewünscht, um dieses zentrale Hemmnis beim Erneuerbaren-Ausbau aus dem Weg zu räumen."
ZDH: "Für das Handwerk als Gestalter der Nachhaltigkeitswende ist das 'Fit für 55-Paket' von großer Bedeutung. Gleichzeitig kommen in der jetzigen Ausgestaltung zusätzliche Herausforderungen und Kosten auf viele Handwerksbetriebe zu. Damit Handwerksbetriebe die energetische Sanierung des Gebäudebestandes und damit auch die Energiewende vorantreiben können, brauchen sie angemessene Rahmenbedingungen. Das bedeutet insbesondere: marktbasierte Instrumente, Abbau bürokratischer Lasten, Planungssicherheit und die Wahrung der Balance des energiepolitischen Dreiecks aus Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Ökologie. Die Vorschläge der Europäischen Kommission sind vor diesem Hintergrund aus Handwerkssicht nachzubessern: Das betrifft zum Beispiel die für die energetische Sanierung wichtige Fachkräftesicherung. Bei Bildungsangeboten den Schwerpunkt auf Zertifizierung zu setzen, ist der falsche Weg. Denn Zertifizierungen können nicht der steigenden Komplexität technologischer Energieeffizienz- und Klimaschutzlösungen Rechnung tragen. Wirksamer und besser wäre es, das System der dualen Ausbildung weiter zu stärken. Grundsätzlich durchaus sinnvoll ist es, die betriebliche Einführung von Energieaudits künftig am Energieumsatz zu orientieren. Hierbei sind jedoch die besonderen Bedürfnisse der Handwerksbetriebe zu berücksichtigen und KMU-taugliche Instrumente zur Steigerung der Energieeffizienz zu fördern. Im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren müssen zudem die Wirkungen von Vorschriften auf Handwerksbetriebe belastbar untersucht und berücksichtigt werden. Die heute veröffentlichten Folgenabschätzungen sind in dieser Hinsicht unzureichend und bedeuten für viele Handwerksbetriebe ein Mehr an Unsicherheit in Corona-bedingt ohnehin schon unsicheren Zeiten. Vor allem aber erwarten wir, dass der Green Deal seinem Anspruch als Strategie eines nachhaltigen Aufschwungs gerecht wird und wichtige Innovations- und Wachstumsimpulse auslöst. In den folgenden Gesetzgebungsprozessen werden wir darauf aufmerksam achten", so Holger Schwanneberg, ZDH-Generalsekretär.
Brancheninitiative Zukunft Gas: "Mit dem 'Fit for 55'-Paket hat die EU-Kommission die Klimaziele deutlich verschärft. Besonders wichtig ist nun, dass die ambitionierten Ziele auch industrie- und sozialverträglich in der gesamten Europäischen Union umgesetzt werden können. Gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten, müssen wir jeden Bürger Europas in Sachen Klimaschutz mitnehmen. Die Verschärfung des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) und die Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) werden die Gaswirtschaft vor neue Herausforderungen stellen, gleichzeitig aber die Transformation der Branche hin zu grünem Gas wie Wasserstoff vorantreiben. Die aktualisierten CO2-Flottengrenzwerte für Pkw schöpfen jedoch noch nicht das gesamte Klimaschutzpotenzial aus. Erneut wird der Tank-to-Wheel-Ansatz angewendet, wobei die Emissionen lediglich am Auspuff gemessen werden. Damit werden die Potenziale von klimaneutralen Kraftstoffen, wie Bio-CNG (compressed natural gas) außer Acht gelassen. Hier muss nachgebessert werden: E-Autos die mit Kohlestrom geladen werden dürfen auf dem Papier nicht weniger CO2-Emissionen vorweisen als Pkw mit Bio-CNG. Daher schlagen wir einen Well-to-Wheel-Ansatz vor, der alle Emissionen misst."
Deutsche Energie-Agentur (dena): "Das 'Fit for 55'-Paket der EU weist den Weg zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele. Es ist ein wahrhaft umfangreiches Paket, das den Versuch unternimmt, die ambitionierten und auch erforderlichen Klimaschutzziele mit einer insgesamt stimmigen Architektur zu verbinden. Das Paket beeindruckt durch die Vielschichtigkeit der angegangenen Maßnahmen-Vorschläge. Es wird die Debatte über die europäische und auch die jeweiligen nationalen Klimapolitiken in den kommenden Jahren bestimmen. Es ist ganz eindeutig, dass die EU in diesem Fragenkomplex die Richtung vorgibt und das ist auch sehr zu begrüßen. Die vielleicht spannendsten Aspekte sind die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die Sektoren Verkehr und Wärme und die geplante Einführung einer CBAM. Von der konkreten Ausgestaltung und dem Gelingen vor allem dieser Aspekte wird viel abhängen für die europäische Industriepolitik aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf dem Weg zur Klimaneutralität."
Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung (ifo): "Die Reform des Klimaschutzgesetzes (im Juni 2021, Anmerkung der Redaktion) war überhastet. Deutschland hätte die europäische Klima- und Energiepolitik stärker in den Fokus nehmen müssen", sagt Pittel. Derzeit wird die Einführung eines zweiten effektiven Emissionshandels für Wärme und Verkehr auf EU-Ebene diskutiert. Sollte er in Kraft treten, macht die Festlegung auf jahresgenaue Emissionsziele für einzelne Wirtschaftssektoren in Deutschland wenig Sinn, da sich sektorale Emissionsminderungen dann als Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf europäischer Ebene ergeben. Die Sektorenziele seien zudem nur wenig zielführend für nachhaltigen Klimaschutz. Erreicht ein Wirtschaftssektor das Ziel in einem Jahr nicht, muss die Politik innerhalb von drei Monaten durch Sofortmaßnahmen gegensteuern. Dies führe zu Planungsunsicherheit bei Unternehmen und Investoren, insbesondere wenn Minderungsziele aufgrund kurzfristiger äußerer Einflüsse nicht erreicht wurden. "Im Fall einer weiteren Revision des Gesetzes sollte der Gesetzgeber die Sektorenziele komplett abschaffen oder wenigstens durch Korridore für sektorale Emissionsminderungen ersetzen. Die Bundespolitik sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene für eine Stärkung der Wirksamkeit von CO2-Preissignalen einsetzen. Dies umfasst eine grundlegende Reform der Energiesteuern ebenso wie Emissionsminderungen im Stromsektor durch den Ausbau erneuerbarer Energien."