Aus der Praxis: Planung und Installation einer Kälteanlage in Katar, Teil 2
Doha bedeutet “Die Bucht”. Die Hauptstadt des Emirats Katar formte sich um eine natürliche Küstenlinie, an der heute die Al-Corniche entlangführt. Diese sechsspurige Straße verbindet die West-Bay mit ihren Hotels und Einkaufszentren mit den Wohn- und Gewerbegebieten im Osten der Bucht. Die Namensgebung der Stadt ist wieder einmal das Gesprächsthema im weißen Pickup, während wir auf eben dieser Al-Corniche Richtung Osten unterwegs sind.
Ein halbes Jahr ist es her, dass wir mit der unflexiblen Verwaltung der Baustelle zum ersten Mal in Berührung kamen. Mittlerweile können wir mit den meisten bürokratischen Fallstricken umgehen, oder ihnen zumindest für eine Weile ausweichen. Unterstützung bietet unter anderem ein neuer Kollege, der aus einem anderen Projekt hinzu kam und bei seiner früheren Tätigkeit genau die Papierberge bewältigte, die wir ihm nun mit Freude überlassen. Und nun weiß auch er, was Doha bedeutet.
Die Kälteanlagen versorgen die Kühlstellen im Gebäude über ein Edelstahl-Rohrnetz mit Kaltsole. Das Rohrnetz selbst wurde aufgrund der Größe von einem asiatischen Partnerunternehmen installiert. Manpower lässt sich über große Leiharbeitsfirmen schnell und in großer Menge bestellen und einsetzen. Diese Personalunternehmen, aber auch die Industrie-Installateure haben Zugriff auf eine große Anzahl von Arbeitern. Diese werden in Crash-Kursen für die nötigsten Tätigkeiten praktisch ausgebildet und dann in kürzester Zeit verlegt. Ein gängiger Anblick sind hunderte Helfer mit Schaufeln anstelle eines einzelnen Baggers.
Noch 180 Tage bis zur Eröffnung
Wir müssen tanken. Da der katarische Rial an den Dollarkurs gebunden ist und der Euro seit Januar schwächelt, steigen damit auch die Betriebskosten für die alltäglichen Dinge. An der Tankstelle müssen wir nun umgerechnet satte acht Euro für eine Tankfüllung mit Diesel hinblättern. Im Januar war es noch knapp einen Euro günstiger. Zwar lachen wir über die “Wucherpreise”, sind aber nach wie vor erstaunt darüber, wie unverschämt günstig hier die Rohöl-Erzeugnisse sind. Ein Liter Kraftstoff kostet einen Rial, egal welche Sorte. Das sind ungefähr 20 Cent und es drängt sich der Gedanke auf, dass es dabei nicht um einen angemessenen Preis geht, sondern um eine möglichst einfache Buchhaltung. Immerhin können wir im klimatisierten Auto sitzen bleiben und über die Spritpreise scherzen, während der Tankwart bei laufendem Motor auffüllt.
Auf der künstlichen Insel angekommen, zeigen wir unsere Ausweise am Eingangstor und fahren vorbei am Pförtner, seinem Fenster-Klimagerät, welches sein Glashäuschen erträglich machen soll und an einer großen, roten Digitalanzeige: 180 Tage bis zur Eröffnung. Die Anzeige selbst ist nicht neu und das Fertigstellungsdatum in sechs Monaten erschien uns bisher schon etwas optimistisch. Neu ist allerdings, dass sich die Zahl nicht mehr ändert. Seit einigen Tagen steht sie still. Die Verschiebung des Termins hat jedoch Tradition, denn ursprünglich sollte der Flughafen seinen Betrieb schon 2008 aufnehmen. Unzählige Änderungen wie die Möglichkeit, den Airbus A380 abzufertigen oder das Privatterminal des Emirs ließen Bauzeit und -kosten anwachsen.
Klimatische Verhältnisse wie in einer Sauna
Wir erreichen die “Burg”. Den Spitznamen hat der Bürocontainer bekommen, nachdem er um Werkstatt-, Lager- und Sanitärcontainer erweitert wurde und aus Platzgründen oben drauf gesetzt werden musste. Wir steigen aus dem Auto und sind nass. Eine Eigenheit des Klimas in Katar ist, dass Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Sommer einen gewöhnungsbedürftigen Effekt haben: Kommt man aus einem klimatisierten Bereich heraus, dann unterschreiten die eigene Haut und Kleidung den Taupunkt der Umgebungsluft. Dann klebt alles am Körper, Brillenträger stehen im Nebel und Handys leben nicht besonders lange, wenn sie nicht wasserdicht sind. Eine Gratis-Sauna für alle. Diese ständigen Wechsel von Temperaturen und Luftfeuchtigkeit haben außerdem noch den Nebeneffekt, dass sich eine Art Dauer-Erkältung einstellt. In der Wüste gibt es daher mehr Schnupfen als daheim.
Die Halbinsel Katar ragt in den Persischen Golf hinein. Somit wechselt das Klima im Sommer zwischen zwei Arten. Trockener, 50 °C heißer Wind aus der Wüste und feuchter, 40 °C warmer Wind vom Meer. Beide Szenarien haben sowohl für die Kältetechnik als auch für die Arbeiten vor Ort eine besondere Bedeutung. So können die Verdunstungsverflüssiger bei trockenem Wüstenwind besser arbeiten. Jedoch wird es für Menschen schwieriger, Werkzeuge und Maschinen zu benutzen. Jede Oberfläche ist dann 50 °C heiß, einschließlich Schraubenschlüssel, Leitern, Gerüstgeländer oder Rohrleitungen. Handschuhe bieten zwar Schutz vor Verbrennungen, lassen aber die Hände mehr schwitzen und sich am Textilstoff aufreiben. Das führt zu Hautirritationen und Infektionen. Auch Mobiltelefone und andere elektronische Geräte fallen öfter aus und müssen ersetzt werden.
Zwei Schritte vor, einen zurück
Nach einer kurzen Lagebesprechung geht es dann wieder in den inzwischen vertrauten Rohbau. Die Maschinen und Komponenten haben mittlerweile ihren Platz gefunden, der Rohrleitungsbau ist in vollem Gange und auch die Soletanks haben es an ihren Bestimmungsort geschafft. Prima, endlich kommen wir voran. Wenngleich auch nicht so schnell wie wir wollten, denn an der Bürokratie hat sich nichts geändert. Noch immer müssen wir in dem Minenfeld aus Anträgen, Formblättern und überzogenen Sicherheitsregelungen navigieren, um das Arbeiten überhaupt erst zu ermöglichen. Und selbst wenn alle Dokumente korrekt vorbereitet sind, können sie immer noch an der Realität scheitern.
So wie heute. Demnächst soll der Frachtcontainer mit den Schaltschränken vom Zoll freigegeben und zur Baustelle geliefert werden. Sie werden dann in einer langen Reihe an der Ostseite des Maschinenraums auf einem Betonsockel stehen. Den Sockel gibt es aber noch nicht. Zwar ist dieser auf einer seit langem freigegebenen Zeichnung vorgesehen und bemaßt, jedoch besteht der Tiefbauer darauf, dass wir die Umrisse auf den Boden zeichnen. Es gäbe keine eindeutigen Bezugspunkte und so könne er nicht wissen, wo genau der Sockel beginnt. Wir erklären, dass alle nötigen Maße eingezeichnet sind und der Rest sich über einfache Grundrechenarten wie den Satz des Pythagoras herleiten lässt. Er schaut uns mit einem fragenden Blick an. Wir sind uns nicht sicher, ob er mit dem Begriff etwas anfangen kann. In der Vergangenheit haben wir jedoch gelernt, dass es mehr Zeit kostet, jetzt weiter zu diskutieren und so entscheiden wir uns für das Bodengemälde. Gemeinsam mit unseren philippinischen Helfern zeichnen wir Umrisse und sprühen Signalfarbe. Dabei nutzen wir die Gelegenheit, die durchaus motivierten Jungs über das korrekte Interpretieren einer Bauzeichnung aufzuklären.
Verbotenes R 22
Kälteanlagen sind toll. Vor allem die beiden schon etwas in die Jahre gekommenen Verflüssigungssätze und Verdampfer, die auch schon frühere Baustellen in heißen Regionen begleitet hatten. Sie dienen als temporäre Klimaanlagen, um die Arbeiten im Maschinenraum halbwegs erträglich zu machen und im Fall der Schweißer überhaupt erst zu ermöglichen. Die beiden Kapselverdichter laufen jedoch mit R 22. Das ist normalerweise nicht mehr so einfach zu bekommen, jedoch ist der katarische Umweltschutzgedanke auf unserer Seite. Wir fahren in die Industrial Area im Süden der Stadt. In dem mehrere Quadratkilometer großen Gewerbegebiet mit einem Straßenlayout direkt vom Reißbrett gibt es Shops für nahezu alles, was das Handwerkerherz begehrt, einschließlich Kältemittel. Nach 20 Minuten Fahrt sind wir da: Street 31, Gate 173. Richtige Straßennamen wollte man scheinbar nicht vergeben. Wir betreten den Shop und ein kurzes Gespräch und ein paar Minuten später sind wir um zwei Einwegflaschen mit R 22 reicher und um 160 Rial ärmer. Das sind ungefähr 35 Euro für 20 Kilogramm verbotene Substanz. Guter Deal.
Im Auto diskutieren wir kurz darüber, dass Katar bald den höchsten Pro-Kopf CO2- Fußabdruck haben wird und woran das wohl läge. Dann geht es zurück zur Baustelle, die beiden Hilfsanlagen wollen gefüllt und in Betrieb genommen werden. Da es mittlerweile Außentemperaturen von bis zu 50 °C gibt, werden die kleinen Verflüssiger jedoch etwas Hilfe gebrauchen können. Wir entscheiden uns für die Kreislauf-Variante: Die Verdampfer müssen in dieser Umgebung einen unverhältnismäßig großen Teil ihrer Leistung für das Entfeuchten aufbringen und erzeugen damit jede Menge Wasser. Das muss irgendwo hin abgeführt werden, also warum nicht auf die Verflüssiger rieseln lassen? Aus einem 18er Kupferrohr basteln wir mit einem dünnen Bohrer und ein paar Kabelbindern eine brauchbare Berieselungsanlage. Der Plan geht auf. Die auf Anschlag hoch gedrehten Druckschalter bleiben ruhig und der Maschinenraum wird kühler. 32 °C - Immerhin besser als vorher.
Wir verstehen uns
Drei Wochen später stehen die Schaltschränke bereits auf dem Sockel. Eine lange Reihe aus hellgrauem Blech, Kontrolllampen und Displays erstreckt sich über die Längsseite des Raums. Darüber werden gerade Kabelpritschen verlegt. Wir verbringen einen Teil unserer Zeit damit, immer wieder den anderen Gewerken zu erklären, dass Schaltschränke nicht als Arbeitsgerüst dienen und sie doch bitte nicht darauf klettern sollen. So oder jedenfalls so ähnlich formuliert es der Lauteste aus unserem Team. Situationen wie diese treten mittlerweile regelmäßig auf und sorgen für Reibungspunkte.
Die Kommunikation ist an sich schon schwierig genug, denn nicht jeder kann gutes oder zumindest brauchbares Englisch, einschließlich dem deutschen Team. Selbst ausgezeichnete Englischkenntnisse werden von einem Dialekt des Gegenübers auf die Probe gestellt. Dazu gesellen sich die körperliche Belastung einer Sechstagewoche auf der Baustelle, die hohen Außentemperaturen und die Bürokratie des Projekts. Das Team ist sichtlich angespannt. Eine bis zum anderen Ende des Maschinenraums hörbare Auseinandersetzung ist fast schon eine tägliche Erscheinung. Auch heute findet gegen Spätnachmittag wieder ein Austausch mehr über Lautstärke als über Argumente statt.
Ein neuer schottischer Projektingenieur verlangt nach einem bestimmten Dokument, von dem wir noch nichts gehört haben und wird dabei ausfallend. Er droht damit, die Arbeiten zu stoppen und alle nach Hause zu schicken, wenn wir seiner Bitte nicht nachkommen. Jemand vermutet, dass er damit nur sein Revier markieren und sich im sozialen Gefüge etablieren möchte. Bingo. Ein Kollege aus dem Team setzt Helm und Schutzbrille ab, ballt dann die rechte Hand zur Faust, den Blick auf das Gegenüber fixiert. Der Schotte versteht das Zeichen und deeskaliert. Kommunikation findet scheinbar auf vielen Ebenen statt. Darauf folgen ein paar Emails am nächsten Morgen und die Situation ist erledigt. Und das Dokument? Das gab es nicht.
Insgesamt ist dieses Ereignis zwar nichts Neues mehr für uns, dennoch trägt es nicht zu einem dauerhaft harmonischen Arbeitsverhältnis bei. An irgendeinem kritischen Punkt wird dann jemand anderes am längeren Hebel sitzen und sich an so einen Tag wie heute erinnern. Mit sechs Monaten Bauzeit sind wir aber noch weit von diesem Punkt entfernt und können uns erst einmal auf die wichtigen Dinge konzentrieren.
Zum Beispiel auf die nächsten 180 Tage.