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Regelungslücken in der Fernwärmeversorgung: Warum Handlungsbedarf besteht

Werner Dorß, Miriam Fritsche
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1 Bisher kann die Kommunikationsstrategie nur bei wenigen FVU als zeitgemäß oder fortschrittlich bezeichnet werden. Positive Beispiele finden sich etwa in Bremen, Frankfurt/Main und Hanau.

Die aktuelle krisenbedingte Situation auf den Energiemärkten führte in den vergangenen Monaten zu teils extremen Preisanstiegen und zu einer Preisvolatilität, welche die Praxis seit der Ölkrise in Westdeutschland zu Beginn der 1970er Jahre nicht mehr kannte. Von diesen signifikanten Preissprüngen blieben auch die Fernwärmekunden nicht verschont. Nachdem die rechtlichen Rahmenbedingungen der Fernwärmeversorgung in Gestalt der AVBFernwärmeV in den wesentlichen Bestandteilen über mehr als 40 Jahre nicht reformiert wurden, erfolgte die längst überfällige Aktualisierung schließlich im Oktober des Jahres 2021. Die damalige Reform diente zunächst allein dazu, rechtliche Vorgaben der EU in das deutsche Recht zu überführen, und es war bereits vor 15 Monaten erkennbar, dass es bei diesen Reformschritten nicht bleiben wird.

Eine weitere Novellierung der AVBFernwärmeV ist daher in Kürze zu erwarten, verbunden mit der Gefahr, dass wesentliche Kundenrechte wieder reduziert werden. Vor diesem Hintergrund – Energiepreisentwicklung und erneute Novellierung der Rahmenbedingungen – sind Fernwärmekunden gut beraten, die Option zu wahren und möglichst umgehend ihre Kosten für die Raumheizung und ­gegebenenfalls Trinkwarmwasserbereitung zu senken. Zahlreiche Beispiele aus der immobilienwirtschaftlichen Praxis zeigen aktuell, dass diese Potenziale oftmals nicht hinreichend ­genutzt werden und zudem viele Fern­wärmeversorgungsunternehmen (FVU) rechtlich verbindliche Vorgaben nicht beachten.

2 Der Preisindex für Braun- und Steinkohle blieb bis 2020 relativ stabil – ab 2022 ging der Preis für Steinkohle u. a. wegen hoher Lieferkosten und knappem Angebot buchstäblich durch die Decke.

Mehr als die Hälfte der FVU missachtet ­geltendes Recht

Im Unterschied zur leitungsgebundenen Versorgung von Endkunden mit Strom und Gas bestehen bei der Fernwärmeversorgung in Deutschland nach wie vor erhebliche Regelungslücken. Aufsichtsbehörden wie etwa das Bundeskartellamt oder die Bundesnetzagentur sind für diesen bedeutsamen Wirtschaftssektor nach wie vor nicht zuständig. An diesem Umstand ändert auch die letzte Reform des Kartellrechts (§ 29 GWB) nichts, da das Bundeskartellamt grundsätzlich nur zuständig ist, wenn Sachverhalte die Grenzen eines Bundeslandes überschreiten, und diese Anforderung ist bei Wärmenetzen gegenwärtig nicht gegeben. Aktuell fällt darüber hinaus noch auf, dass sich zahlreiche Unternehmen bei der Fernwärmeversorgung nicht einmal an die bestehenden Vorschriften halten.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) veröffentlichte im Oktober 2022 eine breit angelegte Stichprobenuntersuchung auf der Grundlage der Analyse der Internetseiten von 330 Fernwärmeversorgungsunternehmen. Immerhin 18 % der untersuchten Fälle wiesen unter Missachtung verbindlich geltender rechtlicher Rahmenbedingungen keine Informationen über Preise und Lieferkonditionen aus und 34 % veröffentlichten entsprechende Daten unvollständig oder sogar fehlerhaft. Die Addition beider Prozentzahlen dokumentiert in bedenklicher Weise, dass somit Regelverstöße gegen bestehende Transparenzvorschriften keine Ausnahme sind, sondern sich vielmehr sogar bei der Mehrheit der untersuchten Unternehmen nachweisen lassen [1].

Bei den verschieden genutzten Wohn- und Nichtwohngebäuden mit einer eigenen Heizungsanlage wissen die Eigentümer in der Regel, welche Brennstoffe und Energieträger eingesetzt werden und können den Verbrauch eigenverantwortlich prüfen, bewerten und bei Bedarf das Heizkonzept verändern. Zudem liegen Prüf- und Messergebnisse des Schornsteinfegers vor (Wirkungsgrad, Emissionen und Alter der in Betrieb befindlichen Anlagen).

Bei fernwärmeversorgten Immobilien fehlen jedoch derartige Kenntnisse regelmäßig. Überdies können der Gebäudeeigentümer bzw. der letztverbrauchende Kunde (Mieter) in der Regel mangels belastbarer Zahlen und Werte nicht wissen, wie die konkret von ihm genutzte Wärme erzeugt wird und welche Brennstoffe bzw. Energieträger in welchem Verhältnis tatsächlich zueinanderstehen. Diese Thematik und die damit verbundenen Probleme bestehen seit Jahrzehnten – gewinnen jedoch aufgrund der momentanen Lage auf den Energiemärkten nochmals signifikant an Bedeutung.

So zeigen sich in der Praxis aktuell zahlreiche Fallkonstellationen, in denen – bedingt durch die versorgerseitig einseitig vorgegebenen Preisformeln – die Versorger Brennstoffe abrechnen, die zur Wärmeerzeugung tatsächlich nicht verwendet werden bzw. deren Anteil bei der Wärmeerzeugung vor Ort sich deutlich von den jeweiligen Anteilen in den Preisformeln unterscheiden. Oftmals nutzen die FVU hierbei vergleichsweise günstige Energieträger, stellen in der Abrechnung jedoch aktuell wesentlich teurere in Rechnung. Aus einer prinzipiell unzulässigen Kopplungsmodalität wird somit eine unzulässige zusätzliche Gewinnmarge generiert – ohne dass der Kunde dies erkennen oder nachvollziehen kann.

Fortschrittliche FVU zeigen jedoch seit Jahren in der Praxis, dass es auch heute schon anders geht. Innovative Fernwärmeversorgungskonzepte, etwa in Frankfurt am Main (Mainova AG), Hanau (SWH GmbH) und nicht zuletzt in Bremen (swb AG), berücksichtigen angemessen die Interessen ihrer Kunden, veröffentlichen entsprechende Daten und unterstützen ihre Kunden aktiv bei der Optimierung der Gebäudeanschlusswerte. Hier zeigt sich ein systemrelevanter Vorteil der Fernwärmeversorgung gegenüber konventionellen Heizungsanlagen, da diese, einmal eingebaut und ebenfalls oftmals überdimensioniert, über 20 Jahre nicht an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden können. Freiwerdende Fernwärmekapazitäten hingegen können zeitnah zur Versorgung anderer Immobilien genutzt werden. In diesen Fällen steht dann hinter einem Gebäudeanschlusswert auch ein tatsächlicher Wärmebedarf.

"Fernwärme wird von der Politik als klima­freundliche Art der Wärmeerzeugung ­gefördert. Diese Privilegierung bedeutet im Gegenzug, dass die Fernwärmeerzeugung zu mehr Nachhaltigkeit, aber auch zu ­größerer Transparenz im Wärmemarkt verpflichtet werden muss. Die Umsetzung der bestehenden Transparenzvorschriften ist nicht ausreichend. Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist es in vielen Fällen ­immer noch nicht nachvollziehbar, warum sie wieviel für ihre Fernwärme zahlen und ob das Wärmenetz, mit dem sie versorgt werden, wirklich effizient betrieben wird. Hier müssen die Anbieter zeitnah Abhilfe schaffen", sagt Dr. Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen beim Bundesverband Verbraucherzentrale (vzbv). [3]

Gebäudeanschlusswerte anpassen, Nebenkosten reduzieren

Die Wärmeversorgung von Gebäuden unterschiedlicher Nutzung mittels Fernwärme wird – auch politisch gewollt – neben der Fokussierung auf Wärmepumpen in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. In diese Richtung zielen auch bereits die aktuellen Förderprogramme ab – etwa Effiziente Wärmenetze BEW.

Die momentane Gesamtsituation – Energiekrise, Inflation, Lieferkettenengpässe – verstärkt die Bedeutung dieser Themen für die immobilienwirtschaftliche Praxis. Wenn es gelingt, einen deutlich überdimensionierten Gebäudeanschlusswert anzupassen, ohne dass es zu einer Unterversorgung kommt, lassen sich gerade in der aktuellen Situation Nebenkosten deutlich reduzieren – ohne dass es hierzu wesentlicher Investitionen bei den Gebäuden bedarf. Wird etwa ein Anschlusswert halbiert und Arbeitspreis und Leistungspreis prägen den Rechnungsbetrag für die Fernwärmeversorgung je zur Hälfte, lassen sich die gesamten Wärmekosten kurzfristig um etwa 25 % reduzieren. Die erforderlichen Investitionen beschränkten sich hierbei auf eine Anpassung der Mess- und Zählstrecke und eventuell den Austausch des Wärmemengenzählers

Wie FVU teilweise mit ihren Kunden umgehen, zeigen die vier nachfolgenden aktuellen Beispiele.

Zu teuer abgerechnet

Im ersten Fall rechnet ein FVU deutlich teurere Brennstoffe ab als die bei der Wärmeerzeugung vor Ort tatsächlich anteilig verwendeten Energieträger. Die ARD berichtete hierüber am 12.10.2022 – der Beitrag findet sich aktuell noch in der Mediathek tagesschau.de [2]. Nach Angaben des FVU wird 60 % der Wärme mit dem Brennstoff Holz erzeugt – auf der Abrechnung für die Kunden findet sich jedoch eine 70-prozentige Preisbindung an den Gaspreis. Salopp formuliert: Verbrenne den günstigen Anton und rechne den teuren Meier ab. Gebäudeenergieberater werden künftig im Interesse ihrer Auftraggeber die Strukturen der tatsächlichen Wärmeerzeugung vor Ort analysieren müssen.

Nicht geliefert

Im zweiten Fall [4] erhält eine Wohnsiedlung nebst Schule und Kita seit über viereinhalb Monaten keine Fernwärme - ohne Begründung des privaten Versorgers, der für die Kunden zudem nicht erreichbar ist bzw. auf entsprechende Nachfragen einfach nicht reagiert. Der Fall liegt bei dem hessischen Ministerpräsidenten auf dem Tisch. Zwischenzeitlich wurde eine hessische Initiative im Bundesrat angekündigt mit dem Ziel, seit Jahrzehnten bestehende Regelungslücken zu schließen und eine erforderliche staatliche Aufsicht über Fernwärmeversorgungsunternehmen endlich einzuführen. Wenn Gebäudeenergieberater im Einzelfall auch keine Rechtsberatung leisten, können sie ihre Auftraggeber trotzdem in solchen Fällen unterstützen – etwa durch entsprechende Beschwerden oder Öffentlichkeitsarbeit.

Fernwärmeversorgung ersatzlos eingestellt

Im dritten Fall wurde ein größeres Quartier – Technologie- und Gewerbeareal – über mehr als 50 Jahre von einem Stadtwerk mit Fernwärme versorgt, jedoch hat das Unternehmen das Umsetzen möglicher Versorgungsalternativen stets behindert. Aktuell wurde dort die Fernwärmeversorgung verbindlich zum Mai 2023 gekündigt und der Versorger teilte mit, dass er die Fernwärmeversorgung endgültig einstellen wird. Die Wärmeerzeugung erfolgte seit Jahrzehnten ausschließlich durch ein erdölbasiertes Heizwerk – und somit ohne Kraft-Wärme-Kopplung. Die Fernwärmeleitungen wiesen nach über 50 Jahren zudem signifikante Netzverluste auf. Nach Auffassung des aktuellen Versorgers ist eine Netzsanierung und eine zeitgemäße Anpassung der Heizzentrale nicht wirtschaftlich darstellbar. Zugleich wurden jedoch seit Jahren konstruktive Angebote der benachbarten Stadtwerke kategorisch abgelehnt.

Die historisch über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen führten im Ergebnis dazu, dass die Gebäude weder über Schornsteine noch über Heizungskeller oder Brennstofflager verfügen. Eine zur künftigen Wärmeversorgung geeignete Gasleitung gibt es auch nicht. Wie soll künftig/zeitnah die Wärmeversorgung sichergestellt werden, wie wird die Wärme erzeugt und welche Brennstoffe können eingesetzt werden? Weiterhin stellt sich die Frage, welche konkreten Kosten mit den erforderlichen Maßnahmen verbunden sind und ob man gegebenenfalls auf Förderprogramme der öffentlichen Hand zurückgreifen kann? Die Gebäudeeigentümer sind mit diesen Fragestellungen regelmäßig überfordert und bedürfen der seriösen Beratung durch qualifizierte Dienstleister.

Abschläge extrem erhöht

Im vierten Fall – hierüber berichtete der Hessische Rundfunk vielbeachtet im Radio – betrugen die Abschläge für die Fernwärmeversorgung bisher in konkreten Einzelfällen für Wohneinheiten 100 Euro pro Monat. Aktuell sind diese kurzfristig ohne nachprüfbare Begründung für die letztverbrauchenden Kunden, auf 560 Euro pro Monat angehoben worden. Hinzu kommt eine einmalige rückwirkende Zahlung in Höhe von 1200 Euro. Somit hat sich in diesem Extremfall der Fernwärmepreis mehr als versechsfacht. Hier stellt sich nicht nur die Frage nach der Rechtmäßigkeit der extremen Preiserhöhungen, sondern auch nach Möglichkeiten, den Wärmeverbrauch zu reduzieren bzw. Versorgungsalternativen aufzuzeigen. Es besteht in derartigen Fällen der begründete Verdacht, dass zweifelsfrei deutlich gestiegene Kosten für Energieträger nicht angemessen weitergeleitet werden, sondern FVU im Zusammenhang mit der momentanen Krisensituation unangemessene Gewinne erwirtschaften.

3 Volatilität der Preisentwicklung am Spotmarkt für Erdgas der vergangenen elf Monate (Stand: 8.12.2022, 16:33 h)

Energiepreisentwicklung aktuell

Im Fokus der Berichterstattung standen zuletzt die Entwicklungen auf dem Gas- und dem Rohölmarkt (Benzin-/Dieselpreise). Wenig beachtet wurden hingegen die extremen Preisanstiege bei Importsteinkohle. Bereits vor dem Ukrainekrieg zeigten sich deutliche Preissteigerungen im letzten Quartal 2021. Infolge des Einfuhrstopps für russische Steinkohle in der Jahresmitte 2022 hat sich der Preis mehr als vervierfacht (Abb. 2). Über die Hälfte der in Deutschland verwendeten Steinkohle stammte in den vergangenen Jahren aus Russland. Andere Importländer erreichten nur geringe Anteile.

Zu unterscheiden ist weiterhin zwischen Kraftwerkskohle und der Steinkohle für die industrielle Produktion (Stahlherstellung). Nach dem Ende der Steinkohleförderung in Deutschland besteht hier im Unterschied zur heimischen Braunkohle eine absolute Importabhängigkeit. Verschärft wird die Situation durch den Umstand, dass aktuell die Kohleverstromung wieder an Bedeutung gewinnt, um den Gaseinsatz auf diesem Sektor zu reduzieren. In der Folge muss Deutschland – importabhängig – die seit Jahrzehnten aus Russland eingeführte Menge an Steinkohle sowohl für die Kohleverstromung als auch für die industrielle Versorgung zu aktuellen Konditionen auf dem Weltmarkt kaufen. Dieser Umstand führte zu Preisanstiegen von mehr als 400 % (!).

Hinzu kommen erheblich längere Lieferwege und Transportzeiten. Während Steinkohle aus Russland seit vielen Jahren innerhalb von Tagen über die Ostsee bzw. den Nord-Ostsee-Kanal nach Bremerhaven angeliefert wurde, dauert der Transport – etwa aktuell aus Australien – vier bis fünf Wochen. Zeitgleich wurden in den vergangenen Jahren die Kohlevorräte erheblich reduziert – mit der Folge, dass bei der verstärkten Kohleverstromung jetzt auch längere Transportzeiten zu berücksichtigen sind und die Lagerstättenplanung nicht mehr den derzeitigen Lieferfristen entspricht. Auf diese krisenverursachten Marktentwicklungen verweist auch der gemeinsame Monitoringbericht von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt vom 30.11.2022. Auf die Besonderheiten im Zusammenhang mit der Kohlepreisentwicklung hatte auch die Deutsche Welle bereits am 6.4.2022 hingewiesen.

4 Volatilität der Preisentwicklung am Spotmarkt für Erdgas der vergangenen fünf Jahre (Stand: 8.12.2022, 16:38 h)

In den Fällen, in denen die Fernwärme tatsächlich als Nebenprodukt der Kohleverstromung zum Tragen kommt, wirken sich diese historisch einmaligen Preissprünge auch auf den jeweiligen Fernwärmepreis vor Ort aus. Diese Preisentwicklungen gelten jedoch ausdrücklich nicht für die Verwendung heimischer Braunkohle. In der Konsequenz dürften Fernwärmeversorger maximal 10 % Preisaufschlag bei braunkohlebasierter Erzeugung berechnen.

Werner Dorß (Ass. iur.) ist Lehrbeauftragter für Gebäudeenergierecht an der HTWK Leipzig und der FSU Jena. Miriam Fritsche arbeitet als wissenschaftliche ­Mitarbeiterin für das Büro ejur.

Literatur und Quellen

[1] Transparenzvorschriften bei Fernwärme - Untersuchung, Oktober 2022,

www.t1p.de/GEB230130

[2] www.t1p.de/GEB230131

[3] www.t1p.de/GEB230137

[4] www.t1p.de/GEB230138

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