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Kalte Nahwärme: Eine Alternative zu Gasanschlusszwängen?

Dittmar Koop
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Wer mit fossilen Brennstoffen wie Erdgas oder Heizöl heizt, bekommt ab 2021 neben den allgemeinen Kostensteigerungen die von der Politik über das Klimaschutzgesetz beschlossene, stufenweise CO2-Bepreisung im Wärmesektor zu spüren. Jene, die im Vertrauen auf die politischen Aussagen in den letzten Jahren einen alten fossilen Heizkessel gegen einen modernen tauschten werden sich Gedanken darüber machen müssen, nun die Effizienz eines neuen Heizsystems weiter zu optimieren. Aber es betrifft auch die Installation von Hybrid-Heizungssystemen auf Basis von z.B. Erdgas in Neubauten.

Im Neubau ist derzeit die Kombi aus Erdgas plus Solarthermie die Standardlösung. Vermehrt werden aber Häuser in KfW-Qualität von Bauherren und Bauträgern mit Wärmepumpen ausgestattet. Diese Entwicklung gibt es bereits seit einigen Jahren – die Installations-Zahlen des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP) sprechen hier eine deutliche Sprache. Noch selten ist aber, ganze Baugebiete für das Heizsystem Wärmepumpe auszulegen, indem darin ein kaltes Nahwärmenetz geplant und installiert wird.

Die angeschlossenen Häuser profitieren von einem solchen „Vorlauf“, weil sich dieser positiv auf die Jahresarbeitszahl (JAZ) ihrer Wärmepumpen auswirken kann. Umgekehrt können solche Ringleitsysteme z.B. im Sommer auch Wärme aus den Gebäuden zur Klimatisierung und Kühlung abführen. Die aus den Gebäuden abgeführte Wärme kann zur energetischen Regeneration der angezapften Wärmequelle (z.B. Erdreich oder Grundwasser) beitragen. Ein „Netzbetreiber“, ein Stadtwerk, pumpt z.B. 10°C „warmes“ Grundwasser durch ein Leitungssystem. Die angeschlossenen Abnehmer entziehen ihm die Wärme an einer definierten Übergangsstelle, bevor das kühlere Grundwasser in den Rücklauf fließt und über Schluckbrunnen wieder versickert.

Was ist ein kaltes Nahwärmenetz? Definition, Vor- und Nachteile

Klassische Wärmenetze bewegen sich in einer Temperatur-Größenordnung zwischen 70 und 100°C. Als kalte Nahwärmenetze werden Wärme-Verteilnetze bezeichnet, die in die angeschlossenen Gebäude Vorlauftemperaturen von etwa 8 bis 20°C liefern können. Die Wärme wird über Rohrleitungen verteilt, in denen eine Sole zirkuliert. Der große Vorteil dieser Systeme ist, dass sie wegen ihrer niedrigen Temperaturen auf dem Weg wenig Energie verlieren, ggf. solche sogar noch aufnehmen können, z.B. aus dem Erdreich, was sie energetisch sehr effizient macht. Zudem können die Rohre ungedämmt sein.

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich kalte Nahwärmenetze wegen ihrer geringen Vorlauftemperaturen vieler Quellen bedienen können: Umweltwärme ist möglich, z. B. Wärme aus Grundwasser oder dem Erdreich, aber genauso auch Abwärme oder Wärme aus solarthermischen Anlagen. Man kann über diese Systeme sehr gut alternative Energiequellen einbinden. Sie sind außerdem gut erweiterbar bzw. sehr anpassungsfähig, was sie für Baulagen prädestiniert, die bezüglich ihrer Entwicklung und ihres Verbrauchs mit Unsicherheiten behaftet sind – und das sind Neubaugebiete.

Nachteilig ist, dass aufgrund des niedrigen Temperaturniveaus größere Volumenströme benötigt werden – was sich ggf. in den Betriebskosten niederschlägt, diese Volumina kontinuierlich durchs System zu fördern.

Für den Gebäudebesitzer sind sie eine Frage der Kalkulation: Einerseits sorgt die gelieferte Vorlauftemperatur dafür, dass die eigene Wärmepumpe das Temperaturniveau weniger heben muss und sie somit weniger Strom benötigt. Außerdem können solche Systeme im Sommer ggf. dazu dienen, im Gegenzug Wärme aus den Gebäuden abzuführen. Auf der anderen Seite stehen die anteiligen Kosten für die Nahwärmeversorgung.

 

Kalte Nahwärme im Beispiel: Projekt Sohnius-Weide

Ein Beispiel für ein solches Konzept ist das kalte Nahwärmenetz im Neubaugebiet „Sohnius-Weide“ in der Gemeinde Nümbrecht im Oberbergischen Land (Nordrhein-Westfalen). Das Baugebiet wurde seit 2012 bebaut und umfasst heute abschließend 25 Wohnhäuser. Die Gemeinde, die das Projekt kalte Nahwärme über ihre Gemeindewerke entwickelte (Gemeindewerke Nümbrecht, GWN), ging das Risiko ein, sich bezüglich der Wirtschaftlichkeit der kalten Nahwärmeversorgung in Kombination mit dezentralen Wärmepumpen in den jeweiligen Häusern mit anderen Systemen messen zu lassen: Es bestand kein Anschluss- oder Benutzungszwang für die Bauleute. Die Wärmepumpen wurden im Contracting angeboten, 17 der 25 Bauherren machten von dem Angebot Gebrauch.

Blick ins Detail

Im Neubaugebiet Sohnius-Weide besteht das Nahwärmenetz aus insgesamt rund 1.200 m PE-Rohren, die in 1,5 bis 2 m Tiefe verlegt wurden. Darin zirkuliert eine Sole, die Erdwärme aufnimmt. Die Nennweite der Rohre beträgt DN65 (ein ungefährer Innendurchmesser also von 65 mm bei einem Rohr-Außendurchmesser von 75 mm). Der Durchmesser ist knapp bemessen, aber er geht. Neben den Gewinnen über die oberflächennahe Geothermie bringt eine solarthermische Anlage Wärme in das Netz ein (ca. 43 qm Kollektorfläche in Form von Vakuum-Röhrenkollektoren). In den Gebäuden sind Sole/Wasser-Wärmepumpen installiert. Laut Energie-Agentur NRW erzielten die in den ersten Jahren eingebauten 13 Wärmepumpen im mehrjährigen Mittel eine JAZ von durchschnittlich 4,23 in der Praxis. Die Wärmepumpen selbst werden monovalent betrieben. Der Einsatz des Elektroheizstabs als zweitem Wärmeerzeuger beschränkt sich auf den Notbetrieb bei Betriebsstörungen. Das Projekt wird am Ende auch darüber konsequent, weil das System mit Ökostrom läuft.

Betriebskosten

Die Häuser, welche an dem System in Sohnius-Weide teilnehmen, zahlen aktuell (Stand Ende 2019) einen Arbeitspreis von 7,5 ct/kWh brutto und dazu einen Grundpreis für das Contracting bei der GWN für die Wärmepumpe. Die Höhe des Grundpreises hängt von der Größe der Wärmepumpe ab. In der Summe bspw. fallen bei einer von Seiten der GWN bereitgestellten Wärmeleistung von 8 kW rund 165 Euro/Monat brutto an. Der Vertrag läuft über 10 Jahre und beinhaltet auch alle Instandhaltungs- und Betreuungskosten. Das sind im Vergleich zu Contracting-Angeboten am Markt sehr moderate Kosten, zumal eine Rundum-Betreuung inbegriffen ist.

Fazit

Kalte Nahwärmenetze können unterschiedlich aufwändig gestaltet werden, was sich dann natürlich in den Kosten niederschlägt. Meist wird ein Zweileiternetz mit Vorlauf- und Rücklauf installiert. Ein solches System kann sowohl zum Heizen als auch zum Kühlen verwendet werden. Im Heizbetrieb ist der Vorlauf höher als der Rücklauf, im Kühlbetrieb ist es umgekehrt.

Man sollte die möglichen investiven Einsparungen gegenüber konventionellen Wärmenetzen nicht überschätzen, z.B. weil die Dämmung der Rohre entfällt, doch die Aushubarbeiten vergleichbar bleiben, außerdem größere Rohrinnendurchmesser benötigt werden und mehr Hilfsenergie, um die größeren Volumenströme wegen der niedrigeren Temperaturen im Netz zu bewältigen. Dennoch sind sie eine interessante Entwicklung und echte Alternative zu den oft üblichen Gasanschlusszwängen vor dem Hintergrund der notwendigen Abkehr von fossilen Brennstoffen auch in der häuslichen Wärmeversorgung. Es setzt allerdings voraus, dass diese Form der Wärmeversorgung konsequent dann nur mit Ökostrom betrieben wird.

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