VDI 6202 Blatt 3: Das bringt die neue Asbestrichtlinie
Mit der Neuauflage der Gefahrstoffverordnung erwartet die Asbest-Akademie eine große Nachfrage nach Experten, die Probenahmen und Bewertungen zum Vorkommen von Asbest in diversen Bauprodukten vornehmen.
Die erste technische Regel zur Erkundung und Bewertung von Asbest in baulichen und technischen Anlagen wurde im September 2021 als Weißdruck veröffentlicht. Bereits 2015 startete ein Gremium des VDI mit der Arbeit an dieser Richtlinie. 6 Jahre später, nach vielen Entwürfen und entsprechenden Korrekturen konnte die Asbestrichtlinie VDI 6202 letztlich im September 2021 der Fachwelt vorgestellt werden.
Hintergrund der Asbestrichtlinie VDI 6202 Blatt 3
In der Asbestwelt zeichnete sich spätestens seit Veröffentlichung des VDI Diskussionspapier 2015 zum Thema "asbesthaltige Putze, Spachtelmassen und Fliesenkleber" ab, dass hier in absehbarer Zeit eine VDI Asbestrichtlinie zur Thematik erscheinen würde.
Auch fast 23 Jahre nach dem generellen Asbestverbot (Oktober 1993) ist der Umgang mit diesem hochkrebserzeugenden Mineral in Gebäuden zwar mittlerweile in immer mehr Kreisen des Bausektors angekommen. Jedoch fehlten bisher leider klare Regelungen bzgl. der Erkundung, Bewertung sowie insb. auch der Zuständigkeiten aller am Baubeteiligten. Letzteres wird übrigens derzeit im Rahmen eines Referentenentwurfs der Bundesregierung (Stand: März 2022) zur Neufassung der Gefahrstoffverordnung hoffentlich alsbald klarer strukturiert werden. Hier wird der Veranlasser einer Baumaßnahme wie bei einer Sanierung deutlich stärker in die Pflicht genommen werden, wenn eine bloßer Anfangsverdacht hinsichtlich einer historischen Vorerkundung besteht.
Das Grundproblem hinsichtlich der Erkundung und Bewertung von asbesthaltigen Bauteilen sind nicht die üblichen Verdächtigen wie beispielsweise Wellplattendächer, AZ-Rohre oder Spritzasbest. Diese und einige andere "Klassiker" sind in aller Regel in Gebäuden gut zu erkennen und hinsichtlich Ihres Gefährdungspotenzials hinreichend beschrieben.
Was sind die "neuen Fundstellen"?
Kompliziert wird es bei den sogenannten "neuen Fundstellen" in Gebäuden wie z.B. Putzen, Spachtelmassen oder Fliesenklebern. Hier ist es nahezu unmöglich, anhand von äußeren Merkmalen festzustellen, ob Asbest diesen Produkten zugesetzt wurde oder nicht. Verschiedene Studien aus den vergangenen Jahren kommen zu dem Schluss, dass in mindestens 25% des Gebäudebestandes (Baujahr vor 1993) Asbest in derartigen, bauchemischen Produkten verwendet wurde. Eine neue, noch nicht veröffentlichte Studie kommt sogar auf weit über 50% (wir halten Sie hier natürlich auch auf dem Laufenden). Die TRGS 519 hat in einem "ersten Versuch" hierauf mit einer Neufassung im Oktober 2019 reagiert.
Die entscheidende, erste Frage bei diesen Produkten lautet zwangsläufig: Wie werden diese Fundstellen systematisch identifiziert und bewertet?
Idee und Anwendungsbereich der Richtlinie VDI 6202 Blatt 3
Die Idee der Richtlinie basiert auf einer Art Standarduntersuchungsumfang zu potenziellen Asbestvorkommen in baulichen und technischen Anlagen. So wird in Abhängigkeit der Motivation der Erkundung mit Hilfe von Verdachtsmomenten ein definiertes Vorgehen konzipiert, beispielsweise für die Sanierung von Gebäuden. Ziel dieser strukturierten Gebäudeerkundung nach der Asbestrichtlinie soll es sein, insbesondere Hinweise auf systematische Verwendung von Asbest zu erhalten.
Die Erkundung ist dabei ausgerichtet auf Produkte, denen Asbestfasern absichtlich zum Erreichen bestimmter technischer Eigenschaften zugesetzt wurde, wie etwa dem Asbestdach. Sie gilt jedoch nicht für Erdbauwerke, Deponien und kontaminierte Böden. Die VDI 6202 Blatt 3 richtet sich grundsätzlich an Bauherren, Sachverständige, Planer, Ausführende und die weiteren Baubeteiligten gleichermaßen.
Wie man bei Erkundung und Probenahme vorgehen sollte
Die Asbestrichtlinie VDI 6202 Blatt 3 schreibt im Rahmen des Untersuchungsablaufs, dass die Erkundung und Bewertung durch einen Schadstoffgutachter zu erfolgen hat. Hinweise zur fachlichen Eignung von Gutachtern gibt in diesem Zusammenhang die Richtlinie VDI/GVSS 6202 Blatt 1.
Nach dem Klären der Motivation zur anstehenden Erkundung mit dem Auftraggeber grenzt der Schadstoffgutachter, basierend auf den Ergebnissen einer historischen Erhebung (Stichjahr 1995 im Rahmen der Richtlinie) und einer Ortsbegehung mit Lokalisierung von Verdachtsstellen, Verdachtsmomente ab und erstellt für die technische Erkundung einen Probenahmeplan gemäß Richtlinie VDI/GVSS 6202 Blatt 1.
Asbestprodukte: Verdachtsstellen abgrenzen
Der Abgrenzung der Verdachtsstellen in Gebäuden (an einem Bauteil lokalisiertes, möglicherweise schadstoffhaltiges Material oder Produkt) bzw. der daraus resultierenden Verdachtsmomente (Material oder Produkt, das an einem oder mehreren Bauteilen gleichartig lokalisiert wird) kommt hierbei eine entscheidende Rolle zuteil.
Ist es doch die Kernfrage, mit welcher Aussagesicherheit mehrere Stellen gleichartiger Bauteile (z.B. Fliesenkleber, Fensterkitt, Estrich, Abdichtung Flachdach, usw.) das gleiche Ergebnis (Positiv- oder Negativbefund) zur Folge haben. Diese Problematik beantwortet die Asbestrichtlinie VDI 6202 Blatt 3 mit der zuvor erwähnten Aussagesicherheit in Abhängigkeit der Anzahl von Proben pro Verdachtsmoment (bei einer Fläche von "x" m² Bodenbelag führen "y" Proben zu einer Aussagesicherheit von "z" %).
Variabel bei der ganzen Betrachtung bleibt die "Trefferwahrscheinlichkeit" für Asbestprodukte. Diese beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Entnahme einer Probe eine asbesthaltige Fundstelle überhaupt getroffen wird. Der Begriff der Trefferwahrscheinlichkeit kann somit auch als "Gutachterfaktor" bezeichnet werden, da dieser im erheblichen Maße unter anderem von den örtlichen Gegebenheiten und der Erfahrung des Gutachters abhängig ist. Er ist letztlich derjenige, der Verdachtsmomente überhaupt bemisst und "Wahrscheinlichkeitshypothesen" aufstellt.
Herzstück der Asbestrichtlinie VDI ist die Tabelle zum Standarduntersuchungsumfang asbestverdächtiger Materialien/Produkte. Hier werden konkrete Materialien und Produkte systematisch strukturiert und mit den vorgenannten Variablen zu einer Probenahmeanzahl pro Verdachtsmoment zusammengefügt. Beigefügt ist der VDI Richtlinie auch ein hilfreiches Excel-Tool, womit Variablen angepasst werden können und so die Auswirkung auf die Anzahl der Probenahmen direkt zu sehen ist.
Folgen für die Probenahme und Bewertung von asbesthaltigen Bauteilen
Die Asbestrichtlinie VDI 6202 Blatt 3 ist das erste technische Regelwerk, welches die Probenahme und Bewertung von potenziell asbesthaltigen Bauteilen in den Fokus nimmt. Besonders bei der Sanierung kann dies hilfreich sein. Sicherlich werden hier zukünftig diverse Anpassungen notwendig sein, um Erkenntnisse aus der praktischen Anwendung einfließen zu lassen. Im Rahmen der Neuauflage der Gefahrstoffverordnung, welche wohl in den nächsten Monaten zu erwarten ist, wird es ggf. zu einer explodierenden Nachfrage nach derartigen Leistungsbildern (Beprobung, Bewertung und Schadstoffkataster) kommen.
Um eine standardisierte Qualität hinsichtlich dieser Leistungen zu gewährleisten, ist die Richtlinie ein geeignetes Werk und sollte Bestandteil jeder Leistungsausschreibung werden. Der Satz "Probenahmeplanung in Anlehnung an die VDI 6202 Blatt 3" bringt 1. eine Vergleichbarkeit und 2. einen einheitlichen Qualitätsstandard mit sich.
Mehr Informationen zur Thematik erhalten Sie bei den Lehrgängen der Asbest Akademie.