EEG 2023: Zu viel Bürokratie oder Neuanfang?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B90/Grüne) hat dieser Tage alle Hände voll zu tun. Ein Fluch scheint sich zu bewahrheiten: Wenn die Grünen in die Bundesregierung gehen, müssen sie Krieg führen. So war es 1998 mit dem Krieg in Jugoslawien. Und 2022 war die Ampelkoalition gerade eingeschworen, da marschierte Kremlchef Putin in der Ukraine ein. Niemand möchte jetzt in der Haut des neuen Bundeskanzlers und seiner Ministerriege stecken.
Wir nehmen vorweg: Bisher haben sich die grünen Ministerinnen und Minister wacker geschlagen, ebenso die Mannschaft von SPD und FDP. Haben sich bemüht, den Konflikt zu entschärfen und seine Eskalation zu vermeiden. Zum Glück ist die Frontlage klarer als 1998: Damals unterstützte der grüne Außenminister Joschka Fischer die Entscheidung, Bomben auf Belgrad zu werfen. Heute beschränkt sich der deutsche Eingriff auf Sanktionen gegen Russland und Hilfe für die Ukraine.
Ein Krieg um Energie
Und noch etwas ist anders, grundsätzlich anders: Russlands Einmarsch in die Ukraine ist ein Krieg um fossile – und nukleare – Brennstoffe. Hier geht es um die Dominanz im lukrativen Geschäft mit Öl, Gas und Uran, die Russland an den Westen verscherbelt. Und da könnte man meinen, dass die Grünen – allen voran die Grünen – bessere Antworten finden. Denn der Krieg in der Ukraine hat noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig die Energiewende für Deutschland, den Westen und die demokratische Zivilisation überhaupt ist.
Das Thema ist nicht neu, aber es kommt mit neuer Dringlichkeit auf die Tagesordnung. Mit aller Schärfe: Deutschland – seine Wirtschaft, sein Wohlstand – muss sich, so schnell es geht, von fossilen und nuklearen Importen befreien. Nur die vollständige Versorgung durch Sonnenstrom und Windkraft – was Speicher wie Batterien und grünen Wasserstoff impliziert – sichert uns mittelfristig und langfristig ab, legt Aggressoren wie Putin das Handwerk. Ein Entwurf wie Altpapier So gesehen, liest sich der erste Entwurf zum EEG 2023 aus dem Bundeswirtschaftsministerium wie, sagen wir: Altpapier. Er flatterte Mitte März auf unseren Schreibtisch.
Wenn wir ihn an dieser Stelle als Altpapier bezeichnen, so ist nicht Makulatur gemeint. Denn einige Vorschläge weisen durchaus in die richtige Richtung. Es ist die Lesart gemeint, wie das neue EEG grundsätzlich angegangen wird. Der Entwurf zum EEG 2023 trägt eindeutig die Handschrift der Bürokraten im Ministerium, die uns schon zu Zeiten der Großen Koalition – glücklicherweise abgewählt – mit ihrem Kauderwelsch genervt haben. Denn wir brauchen keine Trippelschritte „in die richtige Richtung“, sondern einen politischen Neuanfang in der Energiewende, die Befreiung der Akteure von der Bürokratie und die Entfesselung des Zubaus in beiden Sektoren: Photovoltaik und Windkraft. Wir brauchen die beschleunigte Elektrifizierung aller Sektoren der Energieversorgung, das schließt die Elektrifizierung der Bundeswehr übrigens ein.
Die Entscheidung fällt auf dem Dach
Zwar werden die Ausbauziele für die Photovoltaik im neuen Gesetz erhöht. Das war zu erwarten. Aber wann hören wir endlich auf, hehre Ziele als politische Erfolge zu verkaufen? Von einem grünen Bundeswirtschaftsminister ist zu erwarten, dass er den Zubau deutlich ankurbeln will. Das ist Voraussetzung seiner Politik, nicht Inhalt. Entscheidend ist, diese Ziele tatsächlich umzusetzen. Bei Solarparks, die übrigens durch PPA schon wirtschaftlich sind, sollen die Ausschreibungsmengen erhöht werden. Von mir aus. Viel wichtiger wird aber sein, Millionen Dächer und Fassaden mit Solargeneratoren zu erobern – im komplexen Umfeld von Gewerbe oder Mieterstrom.
Die Pläne für das EEG 2023 sehen vor, dass die Fördersätze für Dachanlagen nicht wesentlich steigen. „Die aktuellen Vorschläge aus dem Ministerium irritieren“, kommentiert Carsten Körnig vom Bundesverband Solarwirtschaft (BSW). „Schon ein Blick in die jüngere Vergangenheit belegt, dass sich mit vergleichbaren Marktprämien nicht annähernd die gewünschten Investitionsimpulse erzielen lassen.“ Offenbar haben weder der Minister noch seine hochdotierten Staatssekretäre bislang eine Idee, wie die Solardächer in Schwung kommen könnten. Betreiber von Solardächern, die ihren Strom anteilig selbst nutzen wollen, sollen für den ins öffentliche Netz eingespeisten Überschussstrom nahezu die gleichen Vergütungen erhalten wie bislang. Betreiber neuer Solarstromanlagen, die den Strom vollständig ins öffentliche Netz einspeisen, sollen etwas besser gestellt werden als heute. Angesichts der rasant steigenden Energiepreise stellt sich die Frage, ob wir eine Förderung nach dem Muster der Einspeisevergütung überhaupt noch brauchen. Zumal die Solarpflicht für Neubauten kommen wird, für den Gebäudebestand früher oder später auch.
Die größte Ausbaubremse für Sonnenstrom vom Dach ist nicht die fehlende Förderung. Es sind die bürokratischen Hürden, die schwarz-rote Bremser im Laufe der vergangenen 16 Jahre aufgetürmt haben. Bis heute werden die Vorgaben der Europäischen Union ignoriert, vor allem bezüglich des Eigenverbrauchs von Sonnenstrom. Gut, die Ampel hat gesprochen: Die EEG-Umlage soll abgeschafft werden. Das dürfte die Zählerkonzepte der Solaranlagen vereinfachen und die ökonomischen Vorteile der Photovoltaik erhöhen. Aber die unsinnigen Spielchen der Finanzämter wegen der Mehrwertsteuer, Einkommenssteuer und der Stromsteuer sind viel größere Hürden als die Einspeisevergütung. Nicht zu vergessen die überfrachteten Verfahren zur Genehmigung und für den Anschluss durch die Netzbetreiber. Und nach wie vor ist der Einsatz von Stromspeichern in Deutschland nur mit enormem bürokratischem Aufwand möglich. Ist ein bisschen wie bei Kindern: Man muss Enthusiast sein, um sich eins oder zwei anzuschaffen – finanziell gesehen. Das alles hat mit dem EEG nichts zu tun, das gehört ins Finanzressort, das die Liberalen innehaben. Wenn die Versorgung mit „Freiheitsenergien“ (O-Ton Christian Lindner, FDP) zu einer strategischen Aufgabe wird – was der Krieg in der Ukraine derzeit offenbart –, geht es vor allem um solche Fragen.
Das Monstrum der Bürokratie
Das von regelwütigen Beamten verunstaltete – mehr als 300 Seiten starke – EEG braucht seitenlange Steuererklärungen, Anmeldeformulare, Abrechnungen, eine Bundesnetzagentur und eine Clearingstelle, um praktisch halbwegs umsetzbar zu sein. Mit dem Entwurf für das EEG 2023 (auch mehr als 260 Seiten!) ändert sich daran nichts: Die Bürokratie füttert weiterhin sich selbst, tritt dem Bürger als Monstrum gegenüber. Nun muss sich beweisen, ob die Grünen den Auftrag der Wähler und das Gebot der Stunde politisch umsetzen wollen – und können.
Im EEG 2.0 kann es nicht darum gehen, die bisherige Praxis der Einspeisevergütung bloß fortzuschreiben. Es geht nicht darum, noch mehr Papiertiger zu züchten. Es kann nur darum gehen, den Ausbau auf möglichst einfache Weise zu beschleunigen. Wir brauchen eine Entfesselung des Bürgers: Er soll als privater Investor, als Unternehmer, als Entscheider in der Kommune handlungsfähig sein. Das Gemeinwohl ist mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu verbinden, dann klappt es auch mit neuen Solardächern und Windrädern.
Wer in Sonnenstrom investiert, handelt gemeinnützig. Aus diesem Grunde fordern wir, dass alle Investitionen in erneuerbare Energien künftig in die Vorzüge der nichtgewerblichen Gemeinnützigkeit kommen – sofern sie nicht für die Netzversorgung gedacht sind. Denn die Photovoltaik zerfällt in zwei Bereiche, die separat zu bewerten und zu fördern sind: Solarkraftwerke am Stromnetz, zum Beispiel durch Ausschreibungen und PPA. Das können auch Dachanlagen sein, freilich in der Regel mit deutlich geringeren Leistungen und höheren Kosten als auf dem Freiland. Das zweite große Segment, in dem das größte Potenzial zur solaren Energiewende steckt, ist der Eigenverbrauch von Solarstrom im Wohnhaus, im kommunalen Gebäude oder im Unternehmen. Hier sind vor allem Systeme zu fördern, die null Kilowattstunden ins Stromnetz abgeben: Nulleinspeisung. Dafür brauchen sie leistungsstarke Stromspeicher. Wer keinen Sonnenstrom ins Netz einspeist, nimmt nicht am Stromhandel teil. Ist also von der steuerlichen Bewertung des Stromhandels zu befreien. Punktum! Die Nulleinspeisung wird am Stromspeicher eingestellt oder anderweitig technisch realisiert. Dann brauchen wir auch keine Einspeisezähler mehr, keine Abregelung und so weiter.
Wohin mit dem Sonnenstrom?
Jetzt höre ich schon die Rufe: Wohin mit dem Sonnenstrom? Flankierend muss es dem Erzeuger von solarem Eigenstrom natürlich ermöglicht werden, Überschüsse an Nachbarn abzugeben (nicht: zu verkaufen!) – etwa an den Kindergarten nebenan oder an die E-Autos der Nachbarschaft über eine Ladesäule am Haus. Damit niemand auf die Idee kommt, darin einen geldwerten Vorteil oder eine Schenkung zu vermuten (Finanzamt! Steuern!), sind solche Systeme vom Gesetzgeber generell als gemeinnützig zu klassifizieren. Auch solarer Mieterstrom ist zu vereinfachen, um die wirtschaftlichen Vorteile des Solarstroms vom Dach voll auskosten zu können – gern auch im Quartier, also über Dachgrenzen hinweg. Das lässt sich mit DC-Leitungen fiskusgerecht lösen. Zwittersysteme, die sowohl Eigenstrom decken als auch ins Netz einspeisen, werden unter solchen Voraussetzungen sehr bald der Vergangenheit angehören. Sie machen ökonomisch keinen Sinn mehr, haben sie eigentlich noch nie gemacht. Sie entstanden durch den Zickzackkurs in der Solarförderung, über mehr als ein Vierteljahrhundert lang.
Netzentgelte völlig neu fassen
Einst startete die Photovoltaik als Offgrid-Technik, schon vergessen? Erst nachdem durch die Förderprogramme am Ende der 1990er-Jahre und das erste EEG im Jahr 2000 die Netzeinspeisung ermöglicht und forciert wurde, wurden Solardächer ans Stromnetz angeschlossen. Doch der Eigenstrom – getrieben durch den Wunsch nach unabhängiger Versorgung und sinkenden Energiekosten – kommt in neuer Form und mit vielfältigen technischen Lösungen zurück. Wer das Netz nutzt, muss sich an den Ausbaukosten für das Stromnetz beteiligen. Wer den Sonnenstrom selbst verbraucht, entlastet das Netz – genauso wie Stromspeicher. So sind die Netzentgelte gleichfalls völlig neu zu fassen, will man den Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich nach vorn bringen.
Worauf wartet die neue Bundesregierung eigentlich? Wir schreiben das Jahr 2022, schon den vierten Monat: April. In diesem Monat will sie das Osterpaket zur Energiewende vorlegen. Das neue EEG soll am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Dann ist es bis 2030 – bis zum Ziel von 200 Gigawatt Photovoltaik in Deutschland – wieder ein Jahr weniger.