Aus der Praxis: EFH mit autarkem Wasserstoff-Energiekonzept
Keine Frage – dieses Wohnhaus ist gleich in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich. Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier habe sich ein technikbegeisterter Photovoltaik-Liebhaber ausgetobt und dabei die Gestaltungsfrage vergessen. Vergleicht man den Gebäudezustand vor der Sanierung mit dem jetzigen Antlitz, dürfte einigen Betrachtern der Satz rausrutschen: „Also vorher war’s irgendwie schöner …“.
In der Tat bespielt dieses Wohnhaus hinsichtlich Kubatur und Gestalt in typischer Manier die 1960er-Jahre-Architektur – schräg gestellte Wände, dunkle Holzbekleidung, Panoramafenster mit Meranti-Holzprofilen und massiv erscheinende Dachvorsprünge sieht man in Baugebieten aus jener Zeit vielfach. Bei dem Wohnhaus von Andreas Schulz sind die braunen Farben einem hellen Grau gewichen, Zinkblech ersetzt die Traufschalung und die C-Profil-Holzschalung an der Fassade distanziert sich im neuen Materialkleid wohltuend vom Gelsenkirchener Barock. Wären da nicht die wie Bilderrahmen an der Fassade aufgehängten und angeschraubten PV-Module – wir würden über eine alltägliche Sanierung sprechen, die es nie im Leben, zumindest aber nicht unter meiner Feder, in dieses Heft geschafft hätte. Nicht, dass diese PV-Module von der Stange das Haus optisch aufwerten würden, wahrlich nein und weit gefehlt!
Aber sie sind die mitentscheidende Komponente des energetischen Konzeptes, das konsequent auf Autarkie ausgelegt ist. Darum - schnell rein ins Haus und runter in den Keller, wo im Technikraum die dort installierte Wasserstoffanlage für das Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung so wenig den Anspruch an die Wirtschaftlichkeit erhebt wie seine Architektur preisverdächtig wäre. Doch eins nach dem anderen.
Was tun mit dem Erbe?
Als der Pensionär das 1967 erbaute Elternhaus von seiner Mutter erbte, stand er vor der Frage, wie er damit nun am besten umgeht. Verkaufen? Interessenten dafür gab es seinen Erzählungen zufolge zuhauf - er hätte das Haus 20-mal verkaufen können. Ja, auch in Neutrauchburg, einem Ortsteil von Isny im württembergischen Allgäu, sind Immobilien wie diese sehr begehrt. Aber ein Verkauf kam nicht in Frage. Genauso wenig, wie das Haus abzureißen und ein neues, größeres an selber Stelle zu bauen. Das hätte dem Ingenieur und einstigen Abteilungsleiter bei der Bayerischen Eisenbahngesellschaft wegen der damit vergeudeten grauen Energie absolut widerstrebt, der in allen Lebensbereichen großen Wert auf Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise legt.
Ob Zufall oder Schicksal – bei einem Vortrag im Rahmen des Isnyer Energiegipfels kam Andreas Schulz mit Dieter Herz ins Gespräch. Dieser betreibt im nahegelegenen Weitnau das Planungsbüro Herz & Lang, das sich auf energieeffizientes Bauen und Sanieren spezialisiert hat. Das Büro hat sich auch überregional einen Namen gemacht - Dieter Herz gilt als Passivhaus-Pionier und ist weit über die Grenzen des Allgäus als Experte auf diesem Gebiet bekannt. Der Pensionär erzählte ihm von seinem Erbstück und gab Einblick in seine Ratlosigkeit, wie damit am besten umzugehen sei.
Keine Autarkie ohne Gebäudedämmung
Auf den Vorschlag von Dieter Herz, das solide, aber energetisch unzureichende Gebäude mit seinen 210 Quadratmetern Wohnfläche auf Effizienzhaus-100-Niveau zu sanieren, reagierte der Bauherr zunächst reserviert. Ihm war das zu wenig, zudem kam das Thema Wasserstoff in der Diskussion um eine möglichst energieautarke Zielsetzung auf. Und so wurde in der Planung nachgebessert, um die Gebäudehülle noch energieeffizienter zu machen – indem zum Beispiel in verschiedenen Bereichen Passivhaus-Komponenten der Vorzug gegeben wurde. In der Planung als auch in der Ausführung achteten Bauherr und Planer zudem sehr genau auf die Reduzierung von Wärmebrücken und eine besonders luftdichte Bauweise.
Die Hanglage des Gebäudes erlaubte die Integration einer Einliegerwohnung im Kellergeschoss, die als Zweitwohnung für den Eigentümer konzipiert ist, aber im Fall des Falles auch von den Mietern der Hauptwohnung genutzt werden könnte. Damit der zeitweilig hier wohnende Pensionär keine kalten Füße kriegt, wurde auf die alte Bodenplatte eine 16 Zentimeter dicke Dämmung gepackt. Zwar gab die Raumhöhe diese Entscheidung her, allerdings mussten Türen und Fensterstürze höher gesetzt werden.
Auch das Dach wurde dämmtechnisch auf insgesamt 24 Zentimeter aufgerüstet – davon 18 Zentimeter Zellulosedämmung zwischen den Sparren und sechs Zentimeter Holzweichfaserplatte obendrauf. Die Putzfassade ist mit 20 Zentimeter Steinwolle gedämmt, und die alten Meranti-Holzfenster wurden durch dreifach-verglaste Passivhaus-Fester ersetzt. Für ein angenehmes Raumklima sorgt zudem eine zentrale Komfortlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Aus Sicht des Passivhaus-Experten Herz ein sehr wichtiger Aspekt, denn durch die effiziente Wärmerückgewinnung der Lüftungsanlage können im Winter die Energieverluste bei der Frischluftzufuhr auf ein Minimum reduziert werden.
Solarstrom im Überfluss
Weitaus Aufsehen erregender ist jedoch das anlagentechnische Heizkonzept. Basierend auf der sehr guten Wärmedämmung und der hohen Luftdichtheit der Gebäudehülle sowie der Umstellung der Basistechnik von einem angejahrten Ölkessel auf eine moderne Erdwärmepumpe, war bereits die Voraussetzung auf ein Effizienzhaus 70 geschaffen.Die darauf aufgesetzte Wasserstofflösung macht es aber zu einem quasi energieautarken Pilotprojekt, wobei das Funktionsprinzip recht simpel zu erklären ist: Im Sommer liefern die an die Fassade und auf dem Dach montierten PV-Module mit einer Peakleistung von 32 kW Sonnenstrom im Überfluss.
Am Standort Isny können gemäß gesammelten Erfahrungswerten (REFI) mit einem kWp rund 1000 kWh elektrische Energie erzeugt werden, was heißt, dass die Anlage jährlich etwa 32.000 kWh Strom erzeugt. Da sich der Strombedarf des Hauses auf rund 10.000 kWh/a beschränkt, verbleibt ein jährlicher Überschuss von 22.000 kWh. Ein kleiner Teil dieses überschüssigen Stroms wandert in einen Kurzzeitbatteriespeicher, um das Haus nach Sonnenuntergang mit Strom zu versorgen, oder er wird zum Laden eines Elektroautos genutzt. Der restliche Sonnenstrom versorgt die beiden Elektrolyseure mit Strom, die aus Wasser den Wasserstoff produzieren.
Dabei entsteht Abwärme, die für den Brauchwasserspeicher genutzt wird. Der Wasserstoff wiederum wird über eine Leitung in Stahlbehältern gesammelt, die in einem kleinen Häuschen im Garten stehen. Auf diese Weise lässt sich die Sonnenenergie über Monate hinweg speichern und schließlich in den dunklen Wintermonaten nutzen – eben dann, wenn die Nachbarhäuser ihren Strom aus dem Netz beziehen müssen, weil ihre mit PV-Modulen gepflasterten Dächer keine nennenswerten solaren Gewinne mehr erzielen können.
Reichen auch in Schulz’ Wasserstoffhaus die solaren Erträge an Wintertagen nicht aus, um genügend Strom und Wärme zu produzieren, wird Wasserstoff aus dem Speicher den beiden Brennstoffzellen zugeführt. Diese wandeln den Wasserstoff in Strom um. Diesen Strom nutzt die Wärmepumpe, und die dabei entstehende Abwärme wird zudem über die Lüftung fürs Heizen genutzt, was für den Wirkungsgrad des Anlagenkonzepts ausgesprochen förderlich ist.
Die Erfahrungen aus dem ersten Winter zeigen, dass die Anlage für die komplette Autarkie derzeit noch ein wenig unterdimensioniert ist. „Nur 500 Kilowattstunden haben gefehlt“, gesteht Andreas Schulz seine persönliche Fehleinschätzung zu. Bevor der Wasserstoffspeicher vergrößert wird, will er aber noch den nächsten Winter abwarten – wer weiß, was sich dann noch für Erfahrungen und Erkenntnisse ergeben.
Maximale Solarstromausbeute
Egal ob die Autarkie nun vollständig erreicht wird oder nicht, stellt sich die Frage: Wie hoch ist der Preis dafür? Tatsächlich gibt Andreas Schulz freimütig zu, dass die Investitionskosten für die Wasserstoff-Technik mit rund 140.000 Euro immens waren und sich die Ausgaben derzeit und in naher Zukunft bei weitem nicht rechnen – hinzu kommen noch 60.000 Euro für die PV-Anlage. „Kostendeckend arbeitet die Anlage grob geschätzt ab einem Strompreis von etwa einem Euro für die Kilowattstunde“, erklärt der Bauherr, der sich zu Recht als Idealist und Vorreiter versteht, um den Beweis anzutreten, dass kleine energieautarke Wohngebäude keine Utopie sind.
„Davon sind wir trotz aller Preissteigerungen immer noch ein gutes Stück entfernt. Aber wer weiß, wie sich die Energiekosten weiterentwickeln? Ich habe es jedenfalls noch keine Sekunde bereut, diesen Weg zu gehen.“ Seine Mieter können sich jedenfalls glücklich schätzen: Mit monatlich 200 Euro Fixkosten für Strom und Wärme freuen sie sich über stabile Nebenkosten, wovon derzeit der Rest der Deutschen nur träumen kann.
Zweifellos lassen sich für das Konzept berechtigte Gegenargumente ins Feld führen – ja, es ist nicht ökonomisch, doch musste der Bauherr in diesem Fall glücklicherweise kein riskantes Darlehen schultern. Anstatt sich von dem Erbe ein Wohnmobil zu kaufen, das die meiste Zeit auf dem Stellplatz dahinrostet oder sich exklusive Weltreisen zu gönnen, entschied er sich, in die autarke Energieversorgung seines Wohnhauses investiert. Letzteres „rentiert sich“ monetär so wenig wie der Kauf eines Wohnmobils oder eine Weltreise, dient jedoch dem Klimaschutz weitaus mehr. Insofern hat Herr Schulz nichts falsch gemacht, denn sein energetisches Konzept nutzt den Solarstrom so effizient wie kein anderes. Im Sommer sieht die Regelung folgende Prioritäten vor:
- Solarstrom direkt verbrauchen;
- Batterie laden;
- Wasserstoff erzeugen mittels Elektrolyse;
- Trinkwarmwasser erwärmen (Prinzip Tauchsieder);
- Einspeisung ins öffentliche Netz.
Im Winter hingegen ändert sich die Prioritätenfolge:
- Solarstrom direkt verbrauchen;
- Batterie entladen;
- Wasserstoff über Brennstoffzellen in Strom umwandeln;
- Strombezug aus dem öffentlichen Netz.
Bleibt die – aus meiner Sicht – berechtigte Kritik wegen des unsensiblen Umgangs mit dem Erbe in Bezug auf die Architektur. Es ist ja nicht so, dass der Bauherr nicht wüsste, dass hier eine bessere Lösung durchaus machbar und auch angebracht gewesen wäre. Ihm ging es vorrangig um die Umsetzung des Wasserstoff-Konzeptes. Um die Kosten hierfür zu begrenzen, entschied er sich gegen maßgefertigte Dünnschichtmodule, mit denen sicher eine etwas ansprechendere Optik möglich gewesen wäre.
Allerdings begründete er seine Entscheidung gegen diese Variante auch mit dem geringeren Wirkungsgrad solcher Module. Man sieht: Architektur und Technik leben vom Kompromiss. Dass in diesem Fall die Architektur den Kürzeren gezogen hat, ist zu bedauern und eine vergebene Chance, muss aber nicht heißen, dass dies bei einem Folgeprojekt auch so laufen muss.
Bautafel und Kennwerte
Projekt: Sanierung und Umbau eines Einfamilienwohnhauses mit Einliegerwohnung
Bauherr: Andreas Schulz, 88316 Isny
Ingenieurbüro: Herz & Lang GmbH, 87489 Weitnau, www.herz-lang.de
Primärenergiebedarf: vorher: ca. 200 kWh/(m2a); nachher: 8,8 kWh/(m2a)
Endenergiebedarf: vorher: ca. 240 kWh/(m2a); nachher: 18,8 kWh/(m2a)
Tranmissionswärmeverlust H’T: 0,311 W/m2K
beheiztes Gebäudevolumen: 867 m3
wärmeübertragende Umfassungsfläche: 618 m2
Gebäudenutzfläche AN: 240 m2
Fensterfläche: 59,7 m2
Bauzeit: 2018 bis 2021 (Baujahr: 1967/1968)
Baukosten KG 300: 415.000 Euro
Baukosten KG 400: 423.500 Euro
Fördergelder: 154.000 Euro (Sanierung zum EH 70, Heizungstausch, Brennstoffzellen, Baubegleitung)
Daten zum Energieverbrauch vor dem Umbau (z. T. Schätzwerte)
Heizung: 38.000 kWh/a
Warmwasser: 2.000 kWh/a
➞ Wärmebedarf: 40.000 kWh/a
Haushaltsstrom: 5.000 kWh/a
ges. Energieverbrauch: 45.000 kWh/a
energetisches Ziel: ganzjährige Energieautonomie!
Daten Solaranlage
Peak-Leistung: 32 kWp
Erfahrung für Standort Isny (REFI): Mit 1 kWp können 1.000 kWh elektrische Energie pro Jahr erzeugt werden
ges. Energieerzeugung 32.000 kWh/a
ges. Strombedarf Haus 10.000 kWh/a
➞ Überschuss: 22.000 kWh/a