Die 6 größten Irrtümer über den Smart-Meter-Rollout
Die neue digitale Messtechnik in Deutschland kennt keine Smart Meter – diese ebenso einfache wie vielleicht überraschende Wahrheit gleich vorweg. Im Juli 2017 hat in Deutschland der Rollout von neuen Messsystemen für Strom begonnen.
Damit startete die sogenannte Digitalisierung der Energiewende. Rund um dieses Thema haben sich in den Köpfen der Menschen einige falsche Vorstellungen und Erwartungen festgesetzt. Die sechs größten Irrtümer sind hier in Kurzform zusammengetragen.
Irrtum 1: Deutschland bekommt Smart Meter
Die neue digitale Messtechnik in Deutschland kennt keine Smart Meter. Stattdessen gibt es zwei verschiedene Messsysteme:
Moderne Messeinrichtungen: Dieser Gerätetyp ersetzt eins zu eins die alten Ferraris-Zähler und kann keine Daten versenden. Moderne Messeinrichtungen werden voraussichtlich an rund 90 Prozent der Messpunkte verbaut, also rund 36 Millionen Stück bis 2032.
Intelligente Messsysteme: Hier handelt es sich um ein Messsystem, das aus zwei Geräten zusammengebaut wird – aus der modernen Messeinrichtung, welche die Messdaten bereitstellt, und einem Smart-Meter-Gateway, das als Kommunikationsgerät die Daten nach vorgegebenen Regeln versendet. Intelligente Messsysteme werden erheblich seltener verbaut, rund vier Millionen Stück in Deutschland. Sie sind verpflichtend unter anderem für Verbraucher von über 6.000 Kilowattstunden pro Jahr oder Einspeiser von über sieben Kilowatt Anlagenleistung.
Irrtum 2: Der Rollout hat noch nicht begonnen
Tatsächlich hat der Rollout bereits im Juli 2017 begonnen – aber nur für moderne Messeinrichtungen. Der Grund dafür ist relativ einfach: Die Technik für den Ersatz der Ferraris-Zähler konnte viel schneller bereitgestellt werden. Nun müssen bis spätestens 2021 zehn Prozent aller Zählpunkte in Deutschland modernisiert werden. Der Umbau soll spätestens 2032 abgeschlossen sein.
Noch nicht begonnen hat der Einbau von intelligenten Messsystemen. Die Ursache hierfür ist die wesentlich komplexere Technologie, die erforderlich ist, um die bestehende Messtechnik zu ersetzen. Auch hier gilt, dass zunächst einmal ausgereifte Technik bereitstehen muss, ehe der Austausch durchgeführt werden kann. Aktuell werden für diesen Teil des Rollouts Feldversuche in kleinen Stückzahlen bei freiwillig teilnehmenden Stromkunden durchgeführt.
Irrtum 3: Der Rollout ist eine Idee der Gerätehersteller und Energieversorger
Ursprünglich geht die Modernisierung der Messtechnik auf eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 zurück. Die Bundesregierung hat bis zum Jahr 2011 gebraucht, um eigene technische Vorgaben zu entwickeln. Erst 2016 wurde dazu ein Gesetz veröffentlicht, das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende (GDEW). Kern dieses Gesetzespaketes ist das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG), in dem die wichtigsten Anforderungen für die Digitalisierung des Messstellenbetriebs zusammengefasst sind. Die Hersteller müssen nun Geräte bereitstellen, die diesen gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Sobald neue Messtechnik marktreif verfügbar ist, dürfen die Messstellenbetreiber nur noch gemäß den gesetzlichen Vorgaben den Messstellenbetrieb durchführen.
Irrtum 4: Die digitalen Messgeräte versenden Daten
Aktuell werden lediglich moderne Messeinrichtungen eingebaut. Diese ersetzen vor allem in privaten Haushalten die dort vorhandenen Zähler. Moderne Messeinrichtungen können keine Daten versenden – sie haben noch nicht einmal eine Verbindung zu irgendeinem anderen Gerät. Wer seine Daten aus der modernen Messeinrichtung auslesen und weiterverarbeiten möchte, muss sich dazu Geräte und Software auf dem Zubehörmarkt beschaffen und diese selber installieren. Die Ablesung der modernen Messeinrichtungen erfolgt im Wesentlichen genau wie heute auch: per Postkarte, per Zählerfoto oder über den Ableser, der ins Haus kommt.
Irrtum 5: Die Datensicherung ist ungenügend
Tatsächlich handelt es sich bei dem Rollout in Deutschland um das weltweit ambitionierteste Projekt für Datenschutz und Datensicherheit in privaten Haushalten. Schon die modernen Messeinrichtungen haben Verschlüsselungstechnologien verbaut, die den aktuellen Stand der Technik sicherstellen. So ist die Ablesung am digitalen Display einer modernen Messeinrichtung mit einer vierstelligen PIN geschützt.
Noch weiter sind Datenschutz und Datensicherheit bei den intelligenten Messsystemen vorangetrieben worden. Hier wurden hohe Anforderungen umgesetzt. Insbesondere die Gerätehersteller hatten dabei Herausforderungen zu meistern, die im Bereich der Massengeräte für Endkunden in dieser Form einmalig sind. Denn Ziel dieser Anstrengungen ist es, einen Angriff auf die kritische Infrastruktur Stromversorgung durch feindliche Staaten oder kriminelle Organisationen extrem zu erschweren.
Für den Datenschutz und die Datensicherheit in Deutschland ist der Rollout von intelligenten Messsystemen Meilenstein und Leuchtturm zugleich. Die in diesem Projekt erzielten Sicherheitsstandards werden sich auf die gesamte IT-Branche auswirken und insgesamt die Sicherheit aller Geräte, die mit dem Internet verbunden sind, verbessern.
Irrtum 6: Es gibt keine Informationen über den Rollout
Ein Anheben der Standards für Gerätesicherheit in anderen Branchen, wie zum Beispiel der Unterhaltungselektronik, wird rasch erfolgen, da der Stand der Technik mit dem Rollout eine neue Qualität erreichen wird.
Das Messstellenbetriebsgesetz verlangt von den Messstellenbetreibern, dass die vom Rollout direkt betroffenen Stromkunden rechtzeitig und umfassend zu informieren sind, bevor es zu einem Gerätewechsel kommt (Paragraf 37 MsbG): Sechs Monate vor Beginn des Rollouts muss der Messstellenbetreiber unter anderem Preisblätter mit jährlichen Preisangaben für die nächsten drei Jahre veröffentlichen. Spätestens drei Monate vor einem Gerätetausch müssen die betroffenen Kunden informiert und auf die Möglichkeit zur freien Wahl eines Messstellenbetreibers aufmerksam gemacht werden.
Die Messstellenbetreiber und auch die Gerätehersteller haben auf Internetseiten zahlreiche Informationen zu den modernen Messeinrichtungen bereitgestellt. Die Verbraucherzentralen und die Bundesnetzagentur achten penibel auf eine gesetzeskonforme Umsetzung der Informationspflicht. Leider versäumt es die Bundesregierung vollständig, die Bevölkerung im Allgemeinen über ihr eigenes Projekt zu informieren. In einer kleinen Anfrage der Grünen im Bundestag vom März 2017 stellte das Bundeswirtschaftsministerium lediglich in Aussicht, deutlich vor 2020 das bisherige Onlineangebot auszubauen.
Die Energiebranche hat die Bundesregierung bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass für den Erfolg der Digitalisierung der Energiewende die Aufklärung und die Motivation der Bevölkerung von grundlegender Bedeutung sind. Dies hat leider nicht zu einer Änderung der Haltung im Bundeswirtschaftsministerium geführt.
Dieser Artikel von Jürgen Blümer ist zuerst erschienen in photovoltaik/06-2018. Jürgen Blümer ist Diplom-Physiker und arbeitet als Produktmanager für den Rollout von Messsystemen bei der Heinz Lackmann GmbH.