NT-ready: Wofür es steht und was es leisten kann
Der Öl- oder Gaskessel geht kaputt, eine neue Heizung muss her. Schaut man auf die Klimaziele ist klar, dass die neue Heizung auf erneuerbaren Energien basieren muss. Die nächste Chance zum Wechsel käme erst in 15 bis 20 Jahren. Doch in der Praxis ist längst nicht jedes Gebäude für den Umstieg auf erneuerbare Energien vorbereitet. Oft sind es die hohen Temperaturen im Heizsystem, die den Wechsel blockieren.
Dabei muss ein Gebäude gar nicht vollständig modernisiert sein, um erneuerbar beheizt zu werden. Oft genügen wenige gezielte Maßnahmen bei der Dämmung oder eine verbesserte Heizverteilung, und schon liegt die Chance zum Wechsel auf der Hand. So simpel können die Türöffner für den Einbau erneuerbarer Heizsysteme sein. Das ifeu hat im Auftrag des Verbands Dämmsysteme, Putz und Mörtel (VDPM) diese „Enabler“ untersucht und sie zu einem „NT-ready“-Standard zusammengeführt (Abb. 1). NT steht dabei für Niedertemperatur.
Wenn ein Gebäude NT-ready ist, hat es noch weitere Vorteile über die Türöffner-Funktion hinaus. Die Robustheit gegenüber Fehlern steigt, die Systemdienlichkeit im Stromnetz nimmt zu und die Gesamtbilanz ist auch unter Einbeziehung der grauen Energie positiv.
Auf die Vorlauftemperatur kommt es an
Die Vorlauftemperatur des Heizungssystems – also die Temperatur, die der Wärmeerzeuger bereitstellen muss – ist eine zentrale Größe, wenn es um den Einbau von Heizungen geht, die erneuerbare Energien nutzen. Sie wirkt sich auf die verschiedenen erneuerbaren Technologien unterschiedlich aus:
- Wärmepumpen funktionieren mit einer Vorlauftemperatur von 35 °C und sind rund 14 Prozent effizienter als bei 55 °C. Oberhalb von 55 °C ist der Betrieb in der Regel nicht sinnvoll. Ein Energieberater oder erfahrener Heizungsbauer würde in diesen Fällen von einer Wärmepumpe abraten.
- Der Kollektor-Wirkungsgrad von Solarthermie-Anlagen steigt, wenn sie bei niedrigen Temperaturen betrieben werden. Dadurch kann der Ertrag – besonders bei Flachkollektoren – um ein Vielfaches gesteigert werden.
- Die Vorlauftemperatur beeinflusst wesentlich die Verteilungsverluste von Nah- und Fernwärmenetzen und damit auch deren Wirtschaftlichkeit. Auch in Wärmenetzen lassen sich Wärmepumpen und Solarthermie bei niedrigen Temperaturen besser betreiben. Die Netztemperatur kann umso weiter abgesenkt werden, je niedriger die Temperaturanforderungen der einzelnen angeschlossenen Gebäude sind.
- In Brennwert-Heizkesseln setzt der Brennwertbetrieb erst unter 56 °C (Erdgas) bzw. 47 °C (Heizöl) ein. Bei höheren Temperaturen bleibt der effizienzsteigernde Effekt aus. Auch im Bereich fossiler Energieträger lohnt es sich also, wenn ein Gebäude NT-ready ist.
- Für Holzheizungen ist die Vorlauftemperatur nicht in erster Linie wichtig, da sie ohne Probleme hohe Temperaturen bereitstellen können. Allerdings werden die nachwachsenden Energieträger künftig vor allem im Verkehr und in Hochtemperaturprozessen gebraucht. Wenn man also Gebäude mit Holz beheizt, sollten sie möglichst effizient sein.
Beispiel Wärmepumpen
Wärmepumpen nutzen Umweltwärme aus der Luft, dem Erdreich oder dem Grundwasser mit Temperaturen zwischen -2 °C und +12 °C. Sie heben diese niedrigen Temperaturen mit Hilfe elektrischer Energie auf ein Temperaturniveau an, das für Heizung und Warmwasserbereitung geeignet ist. Je höher die Anlagen die Temperatur anheben müssen, desto mehr Strom brauchen sie dafür. Das Verhältnis von erzeugter Wärme zu eingesetztem Strom wird als Jahresarbeitszahl (JAZ) bezeichnet. Je höher die JAZ, desto effizienter läuft die Wärmepumpe.
In einem Forschungsprojekt wurden 56 installierte Wärmepumpen vermessen (Fraunhofer ISE 2020). Die Grafik in Abb. 2 zeigt die gemessenen JAZ in Abhängigkeit von der Vorlauftemperatur. Es wird deutlich, dass die höchsten JAZ bei den niedrigen Temperaturen erreicht werden. Man erkennt aber auch, dass viele Wärmepumpen technisch gesehen auch mit höheren Temperaturen betrieben werden können. Allerdings ist hierbei zu bedenken, dass eine JAZ von 2,0 einen mehr als doppelt so hohen und damit meist unwirtschaftlichen Stromverbrauch bedingt als eine Anlage mit einer JAZ von 4,0.
Beispiel Wärmenetze
In den letzten Jahren liefen Wärmenetze häufig mit Temperaturen von 95 bis 120 °C, wodurch hohe Wärmemengen und Leistungen übertragen werden konnten. Für die Wärmeerzeuger – vornehmlich fossile Heizwerke und Heizkraftwerke – war es ein Leichtes, so hohe Temperaturen bereitzustellen. Nachteil sind indes die hohen Verteilungsverluste von rund 15 Prozent.
Erneuerbare Wärmenetze werden mit solarer Nahwärme, industrieller Abwärme, Tiefengeothermie oder Großwärmepumpen betrieben. Niedrige Systemtemperaturen erhöhen bei all diesen Wärmeerzeugern die Wirkungsgrade bzw. ermöglichen erst ihren Einsatz. Die Systemtemperaturen richten sich stets nach den Temperaturanforderungen in den angeschlossenen Gebäuden. Gelingt es, die Vorlauftemperatur in den Gebäuden auf 55 °C zu begrenzen, müssen die Wärmeerzeuger nur etwa 70 °C bereitstellen. Viele erneuerbare Energiequellen können auf diesem Temperaturniveau hoch effizient genutzt werden. Die Verteilungsverluste sind in einem Niedertemperaturnetz ebenfalls geringer.
NT-ready – ein neuer Standard
Erfüllt ein Gebäude diesen Mindeststandard, kann es mit erneuerbarer Wärme beheizt werden. Prinzipiell gilt dies zwar auch für alle anderen Gebäude, aber erst NT-ready sorgt dafür, dass Technik und Energieverbräuche (Kosten) im grünen Bereich bleiben. Ist ein Gebäude auf NT-ready getrimmt, kann es den nächsten anstehenden Austausch des Heizkessels für den Wechsel zu erneuerbaren Energien nutzen. Trotzdem ist NT-ready für Gebäude nur eine Etappe auf dem langen Weg hin zu einem klimaneutralen Bestand. Unabhängig davon müssen Gebäude weiter energetisch optimiert werden, um die Vorlauftemperatur weiter abzusenken und erneuerbare Energien noch effizienter nutzen zu können.
Der NT-ready-Standard muss auf der einen Seite den einwandfreien und kostengünstigen Betrieb von erneuerbaren Heizungen gewährleisten und soll auf der anderen Seite für möglichst viele Gebäude möglichst einfach zu erreichen sein. Beide Voraussetzungen sind gegeben, wenn Maßnahmen der Wärmedämmung, Heizkreisoptimierung oder effizienten Warmwasserbereitung soweit vollzogen sind, dass eine maximale Heizwasser-Vorlauftemperatur von 55 °C die von den Raumnutzern geforderte Raumtemperatur gewährleistet. Das bedeutet, dass im Jahresmittel eine deutlich niedrigere Vorlauftemperatur zu erwarten ist. Dies erfordert womöglich auch ein Umdenken bei der Warmwasserbereitung, wofür es bereits heute technische Lösungen gibt.
Wie erreicht man NT-ready?
Die Vorlauftemperatur einer Heizung hängt von folgenden zwei Größen ab:
- Heizlast der Räume: Das ist die benötigte Leistung, damit der Raum am kältesten Tag im Jahr warm bleibt. Maßgeblich für die Berechnung ist die Raumgröße und die Dämmung der Außenflächen.
- Heizleistung der Heizkörper: Das ist die Wärmemenge, die ein Heizkörper oder eine Flächenheizung an den Raum abgeben. Sie variiert je nach Art und Größe des Wärmeübertrages.
Grundsätzlich muss die Wärmeverteilung immer an den Wärmebedarf angepasst werden – nicht andersherum. Daher ist es stets sinnvoll, den Weg zum NT-ready-Standard mit der Dämmung eines Gebäudes zu beginnen. Die grüne Kurve in Abb. 3 zeigt ein Szenario, wie die Vorlauftemperaturen an einem Beispielgebäude – einem Einfamilienhaus von 1977 – sinken, je nachdem, welche Maßnahmen am Gebäude und der Heizanlage durchgeführt werden:
1. Ist-Zustand
Dach und oberste Geschossdecke wurden bereits im Jahr 2010 gedämmt. Unter der Kellerdecke gibt es eine alte, dünne Dämmung. Die Heizkörper sind großzügig dimensioniert; eine Vorlauftemperatur von 63 °C würde ausreichen, jedoch hat das bisher niemand detailliert berechnet, und so läuft die Heizung mit 70 °C.
2. Dämmung der Außenwand
Die Fassade ist nach 44 Jahren unansehnlich und soll erneuert werden. Bei dieser Gelegenheit wird gleich ein Wärmedämmverbundsystem aufgebracht. Im Zuge der BEG-Förderung musste auch ein hydraulischer Abgleich durchgeführt werden. Eine Vorlauftemperatur von 57 °C reicht nun aus.
3. Optimierung der Wärmeverteilung
Der hydraulische Abgleich ergibt, dass der Heizkörper im Bad die Höhe der Vorlauftemperatur vorgibt. Er wird gegen einen hohen Handtuchtrockner ausgetauscht. Die Heizkörper werden an den Thermostatventilen abgeglichen, Heizungsregelung und Pumpe auf die neuen Vorgaben eingestellt. Die Vorlauftemperatur sinkt auf 53 °C; das Gebäude ist jetzt NT-ready.
4. Einbau einer Wärmepumpe
Die nächste Chance zum Umstieg auf erneuerbare Energien wird genutzt. Die Wärmepumpe läuft zwar nur mit einer JAZ von 2,8, aber stößt damit schon 30 % weniger CO₂ aus als ein Gasbrennwertkessel. Durch den zunehmenden Anteil an erneuerbarem Strom steigen die Einsparungen jährlich weiter.
5. Klimaneutrales Gebäude
In den verbleibenden Jahren bis 2045 werden weitere Instandhaltungserfordernisse genutzt, um das Gebäude vollständig zu dämmen. Nun kann die Vorlauftemperatur auf 41 °C sinken, und die JAZ der Wärmepumpe steigt auf effiziente 3,4.
Wie geht es weiter?
Der NT-ready-Standard sollte in den instrumentellen Rahmen aufgenommen werden. Dazu gehören:
- Beratung: NT-ready sollte als ein Zwischenziel formal in den iSFP aufgenommen werden.
- Förderung: denkbar ist ein NT-ready-Bonus im BEG ähnlich dem iSFP-Bonus.
- Ordnungsrecht: NT-ready könnte ein Erfüllungstatbestand für Gebäude der beiden schlechtesten Effizienzklassen G und H werden.
Langfristige Ziele wie die Klimaneutralität des Gebäudebestands erfordern langfristige Planung. NT-ready ist ein weiteres Hilfsmittel auf diesem Weg.
Grundlegende Informationen zum Thema finden Sie auch im Dossier Hydraulischer Abgleich / Heizungsoptimierung mit Beiträgen und News aus dem Gebäude-Energieberater: https://www.geb-info.de/heizungsoptimierung
Dieser Beitrag von Dr. Martin Pehnt, Peter Mellwig und Julia Lempik ist zuerst erschienen im Gebäude-Energieberater 06/2021. Alle drei Autoren arbeiten am ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (www.ifeu.de) und haben das Projekt gemeinsam bearbeitet.
Literatur und Quellen:
[1] Fraunhofer ISE (2020), Wärmepumpen in Bestandsgebäuden, Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „WPsmart im Bestand“ (siehe auch GEB 10/2020)