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Ein Fall für den Gutachter: Sind diese Isoliergläser mangelhaft?

Wolf-Dietrich Chmieleck
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Die Vario GmbH ist Bauherr eines neuen Hotelgebäudes. Mit der Durchführung und Überwachung der Baumaßnahme wird sie durch die Bauplan GmbH vertreten. Mit der Ausführung der Fassade und deren Montage wurde die Fassaden Bau GmbH beauftragt. Nach Fertigstellung der Fassade fand eine Bauabnahme statt, anlässlich der an fünf Isolierglasscheiben festgestellten optischen Verzerrungen. Die Bemängelung wurde im Abnahmeprotokoll festgehalten.

Danach fand vor Ort eine Besichtigung durch den Glashersteller H1 Glas GmbH statt. Dieser bestätigte dem Fassadenbauer gegenüber schriftlich, dass „ …es sich bei dem beschriebenen Fehlerbild um thermisch verursachte Linsenbildungen des teilvorgespannten Glases handelt.“ Das Fehlerbild sei auf eine Fertigungscharge begrenzt.

So sehen die Verzerrungen bei den hier bemängelten Isoliergläsern (aus TVG) aus.

Liegen die Roller Waves noch in der vereinbarten Toleranz?

Der Fassadenbauer lehnt den Austausch der Isolierglasscheiben ab und beschreibt das Schadensbild als örtliche Verwerfungen bzw. Roller Waves, die nur dann als optischer Mangel deklariert werden können, wenn sie sich außerhalb der vereinbarten Toleranz befinden.

Die Roller Waves befänden sich innerhalb der vorgegebenen Toleranz und seien somit laut der Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen (Hadamar) in Ordnung.

Die Bauplan GmbH sieht dies als Bauherrenvertreter jedoch anders und beauftragte einen Gutachter mit der Begutachtung der Isolierglasscheiben und der Beantwortung der Frage, ob die Isolierglasscheiben mangelhaft sind.

Was fand der Gutachter beim Ortstermin vor?

Zur Feststellung der optischen Verzerrungen war ein Ortstermin notwendig. In der Fassade befinden sich geschosshohe 3-fach-Isolierglasscheiben. Die Außen- und Innenscheibe besteht aus 10 mm bzw. 8 mm Verbund-Sicherheitsglas (VSG) aus 2 × teilvorgespanntem Glas (TVG) mit 1,52 mm Schallschutzfolie. Die Glasgröße liegt bei 2000 × 3070 mm.

An fünf Scheiben ist in Scheibenmitte ein deutlich sichtbarer vertikal verlaufender Linseneffekt erkennbar, der zu erheblichen Verzerrungen bei Durchsicht durch die Scheibe führt (siehe dazu Foto in der Mitte).

Zusammenfassung der technischen Eigenschaften

Bei den bemängelten Isolierglasscheiben handelt es sich um 3-fach Isoliergläser. Die Scheiben mit den optischen Verzerrungen bestehen aus VSG aus 2 × TVG. Das teilvorgespanntes Glas besteht wiederum aus Floatglas, welches ähnlich wie vollvorgespanntes ESG in einem Vorspannofen über den Erweichungspunkt erhitzt und danach mit kalter Luft abgeschreckt wird. Hierdurch werden künstlich Spannungen in das Glas eingebracht, die zu einer Festigkeitssteigerung gegenüber Floatglas bei jedoch ähnlichem Bruchverhalten führt. Beim Vorspannprozess läuft das Glas auf Rollen durch den Vorspannofen, was wegen der Erhitzung über den Erweichungspunkt zu einer Welligkeit des Glases führen kann.

In der Glasnorm DIN EN 1863-1 wird diese Welligkeit als „Verwerfung durch Roller Waves“ bezeichnet und mit glasdickenabhängigen Werten bis zu 0,5 mm beschrieben.

Bei diesem Fall bestätigt der Glashersteller selbst, dass „… es sich bei dem beschriebenen Fehlerbild um thermisch verursachte Linsenbildungen des teilvorgespannten Glases handelt.“

Zur Frage, ob die vorgefundenen optischen Verzerrungen einen Mangel darstellen, nimmt der Fassadenlieferant Bezug auf die DIN EN 12150-1 / DIN EN 1863-1 und die Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen: Er lehnt den Austausch der Scheiben ab, mit der Begründung, dass die optischen Verzerrungen innerhalb der zulässigen Verwerfungen seien und deshalb keinen Mangel darstellen.

Hier liegt ein Mangel vor

Aus Sachverständigensicht stellen die festgestellten optischen Verzerrungen sehr wohl einen Mangel dar. Die in der DIN EN angegebenen zulässigen Verwerfungen stellen ein Maximum dar, welches keinesfalls dem heute Machbaren und Üblichen entspricht.

Bei der Erarbeitung der Norm wurden Werte festgelegt, die der Absicherung gegenüber möglichen Reklamationen dienen. Sie entsprechen keinesfalls dem heute Machbaren und Üblichen.

Nach geltender Rechtsprechung liegt ein Sachmangel vor, wenn Fensterscheiben nicht die übliche Beschaffenheit aufweisen.

Zur üblichen Beschaffenheit eines Isolierglases gehört nicht nur die Einhaltung der technischen und physikalischen Daten, sondern auch die uneingeschränkte Durchsicht und Ästhetik. Deshalb begründen auch optische Verzerrungen in der vorgefundenen Stärke einen Mangel.

Fazit

Ein Endverbraucher hat ein Recht auf eine ungehinderte Durchsicht durch Glasscheiben. Bei Durchsicht durch die Isoliergläser bei diesem Projekt wurden optische Verzerrungen sichtbar, die über das heute Machbare und Übliche hinausgehen. Die vorgefundenen optischen Verzerrungen sind so gravierend und störend, dass sie aus Sachverständigensicht einen Mangel darstellen. Alle Scheiben mit derartigen optischen Verzerrungen müssen ausgetauscht werden.

Der Autor Wolf-Dietrich Chmieleck ist öffentlich bestellter und ­vereidigter Sachverständiger für Glastechnik am IGA Institut für Glas-Anwendung.

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