So entsprechen Fenster im Altbau energetischen Anforderungen
Fenster spielen eine entscheidende Rolle hinsichtlich der baukulturellen Bedeutung einer historischen Fassade. Beide Stilelemente machen die Architekturepoche ablesbar, sei es durch Verzierungen, Konstruktionstypologie, Materialwahl und Ornamente. Die Form, Materialität, Teilung und auch die Verglasung eines Fensters geben Hinweise auf die Datierung und stilistische Einordnung eines Gebäudes. Die Originalität eines Fensters einschließlich aller seiner Stilelemente zu bewahren (Abb. 1) ist oberstes Ziel im Denkmalschutz. Dem entgegen stehen heute in erster Linie energetische Aspekte, aber auch Fragen des Komforts wie Schallschutz, Bedienbarkeit, Sicherheit und Instandhaltungsaufwand.
Was im Neubau üblich ist, nämlich Fenster ohne Teilung oder echten Sprossen, dafür mit Isolierverglasung, Lippendichtung und thermisch getrennten Profilen in üppigen Dimensionen und Formaten, wäre für die meisten denkmalgeschützten Gebäude der ästhetisch-stilistische Supergau. Bleibt also auch beim Fenster die Frage nach dem besten Kompromiss zwischen dem Bewahren eines Kulturgutes und dessen zeitgemäßer Bewohnbarkeit. Zumal Bauherren und Planer diese Entscheidung nicht allein mit sich selbst auszufechten haben, sondern im Einklang mit einer Behörde, der die Verantwortung obliegt, mit Argusaugen die Originalität eines Bauwerks zu wahren.
Zweite Scheibe oder zweites Fenster?
Optisch bleiben bei den Fenstern kaum Spielräume, will man die schlanken Profile bewahren und die authentische Struktur historischer Zieh- oder Zylindergläser nicht dem makellosen Floatglas ohne Lufteinschlüsse und Schlieren opfern. Es ist die Summe aller Teile, die den Charakter eines historischen Fensters ausmacht, und es sind die konstruktiven Abhängigkeiten, die dem simplen Austausch Neu gegen Alt entgegenstehen. Eine gefakte Wiener Sprosse mag einer echten Sprossenteilung aus der Entfernung täuschend ähnlich sein, aber sie ist nun mal nicht echt, nicht originär. Und ein Profil, das eine handelsübliche Dreischeiben-Isolierverglasung aufzunehmen vermag, gibt im direkten Vergleich der Profildimension mit dem zierlichen historischen Original das gleiche bemühte Bild ab wie moderne Automobile im Retrodesign gegenüber ihren Vorläufern, seien es der Fiat 500, der Mini Cooper oder der Käfer. Der Nachbau eines Originals längst vergangener Epochen, der heutigen Anforderungen voll umfänglich entspricht, eine schöne Patina ausstrahlt und trotzdem nicht das Bild einer missratenen Kopie abgibt, ist problematisch bis unmöglich.
Die Kunst bei der energetischen Sanierung eines Fensters aus vergangenen Zeiten und Epochen liegt also darin, dabei nach denkmalpflegerischen Grundsätzen vorzugehen. Der Wichtigste lautet: die Fassadenarchitektur weitgehend unberührt zu lassen und stattdessen im Gebäudeinneren nach Lösungen für die energetische Ertüchtigung historischer Holz- oder Stahlfenster zu suchen. So kann zum Beispiel eine Bestandsscheibe durch eine zweite, moderne und energieeffiziente Innenscheibe ergänzt und so zu einer Isolierglasscheibe umfunktioniert werden [1] (Abb. 2, 3). Oder man geht soweit, dem Originalfenster innenseitig eine weitere Fensterebene hinzuzufügen, wodurch sich ein Kastenfenster ergibt. Aus denkmalpflegerischer Sicht ist bei dieser Lösung entscheidend, dass die Reversibilität des Einbaus gewahrt und der ursprüngliche Zustand ablesbar bleiben.
Die zweite Ebene bringt’s
In der Regel erreicht ein im Sinn des denkmalpflegerischen Anspruchs ertüchtigtes Fenster kaum die Wärmedurchgangskoeffizienzwerte (Uw) eines modernen Fensters. Dennoch ist ein vertretbarer Kompromiss in Bezug auf Komfort und Wärmeschutz möglich und sollte daher stets Priorität vor dem schlichten Austausch Alt gegen Neu haben.
Für die Sanierung von Bestandsfenstern gibt es zahlreiche Varianten, die mit wenig Veränderung und vergleichsweise geringen Kosten das ursprüngliche Erscheinungsbild erhalten und das Bauteil erheblich energetisch verbessern. Bestandsgläser weiter zu verwenden und die vorgefundenen originalen Rahmen zu reparieren, ist sowohl aus baukultureller wie auch aus Sicht des Umweltschutzes eine gute Lösung. Die größtmögliche Energieeinsparung bei gleichzeitigem Erhalt des originalen Fensters bietet ein Ausbau mit einer weiteren Fensterebene innen oder notfalls auch außen.
Einfachste Lösung ist ein Winterfenster, das außenseitig temporär vor dem bestehenden Fenster an der Fassade befestigt wird. Hinsichtlich der Funktion ist der Name das Programm: Es soll in der kalten Jahreszeit Wind und Wetter abhalten. Dass sich der äußere Fensterflügel beim Lüften zumeist nur von außen betätigen lässt, ist allerdings der Haken an der Sache. Weitaus praktischer sind hingegen feststehende Doppelfenster, die innenseitig vorgesetzt werden (Abb. 4) und das äußere Erscheinungsbild wahren. Dabei unterscheidet man zwischen Kasten-, Vorsatz- und Verbundfenster. Aufgrund der zwei entfernten Fensterebenen punkten Kastenfenster „mit Abstand“ beim Schall- und Wärmeschutz. Das Bestandsfenster wird dabei meist in einer Distanz von ca. 10 bis 12 cm durch ein weiteres Fenster (mit Isolier- oder Einfachglas, mit oder ohne Beschichtung) ergänzt und durch einen gedämmten Futterkasten aus Holz verbunden.
Vorsatzfenster hingegen werden raumseitig meist ohne Futterkasten niveaugleich in der Mauer- bzw. Dämmebene eingesetzt. Bei einem Verbundfenster wird auf den bestehenden Fensterflügel ein weiterer Flügel aufgebracht (Abb. 5). Der Scheibenzwischenraum lässt sich zum Reinigen öffnen.
Bestandsgläser wiederverwenden? Kein Problem!
Auch das Aufrüsten einer bestehenden Einscheibenverglasung zu einer Isolierglasscheibe ist möglich. Dabei wird die vorhandene Glasscheibe von einer Fachfirma vorsichtig ausgebaut und zu einem Glasveredler oder Glashersteller verbracht. Dieser verwendet das Bestandsglas als äußere Scheibe einer Isolierverglasung in Kombination mit einem innenseitigen Floatglas- bzw. einer mundgeblasene Scheibe nach historischem Vorbild. Die Dicke des neuen Glasaufbaus beträgt rund 15 mm, bei einem Ug-Wert von 0,9 W/m²K. Der historische Fensterrahmen erhält nachträglich eine Lippendichtung, und die Glasfalztiefe wird an die veränderte Glasdicke angepasst. Bestehen an Beschlag, Rahmen und Profil keine gravierenden Schäden, kann das Fenster ansonsten unverändert erhalten bleiben – durch den Fortbestand der Dimensionen von Rahmen und Flügel sowie der Anmutung des Fensterglases bleibt der Charakter eines denkmalgeschützten Gebäudes außen- und innenseitig gewahrt.
Auch das Glas selbst lässt sich ertüchtigen, indem man additiv Materialschichten aufbringt, zum Beispiel Folien oder Beschichtungen, die den Wärme-, Sonnen-, Schall- oder Brandschutz verbessern. Als Beschichtungsmaterial dienen beispielsweise Metalle und Metalloxide, die durch einen äußerst niedrigen Strahlungsemissionskoeffizienten den Strahlungswärmeverlust erheblich reduzieren können (Wärmeschutzglas). Additive Folien dagegen sorgen für eine erhöhte Materialfestigkeit oder für Lichtschutz.
Technisch möglich sind auch Kombinationen aus oben genannten Varianten wie z. B. die Erweiterung zum Kasten- oder Vorsatzfenster mit zusätzlichem Scheibenaustausch bzw. Beschichtung von Scheiben. Insofern kann man in Bezug auf die Techniken zum Erhalt denkmalgeschützter Fassaden und Fenster den Kritikern gelassen erwidern: Geht nicht, gibt’s nicht!
Die Broschüre Praxisforschung (siehe Infokasten) diente als wissenschaftliche Vorlage für diesen Fachartikel – das Zitieren von Inhalten und die Verwendung von Bildern erfolgte mit freundlicher Genehmigung der Holzmanufaktur Rottweil.
Dieser Artikel von Claudia Siegele ist zuerst erschienen in Gebäude Energieberater Ausgabe 10/2021.
Grundlegende Informationen zu diesem Thema finden Sie auch im Dossier Denkmal / erhaltenswerte Bausubstanz der Fachzeitschrift Gebäude Energieberater (GEB) unter: https://www.geb-info.de/denkmal-und-altbau