Neues Gemeindezentrum Großweikersdorf mit Velux-Fenstern
Die Entstehungsgeschichte des neuen Gemeindezentrums in Großweikersdorf ist eng an eine wohlüberlegte Entscheidung des Bürgermeisters geknüpft: Anstatt ein Grundstück für den Neubau am Ortsrand auszuweisen, entschied sich Alois Zetsch bewusst für den Standort am Hauptplatz – früher eine zentrale Anlaufstelle für die Einwohnerinnen und Einwohner der Marktgemeinde im Bezirk Tulln in Niederösterreich.
Die Ortsmitte ist in den vergangenen Jahren jedoch immer weniger besucht worden - was auch darauf zurückzuführen ist, dass der Hauptplatz schlicht an Attraktivität verloren hatte, da Geschäfte und Dienstleister immer mehr Richtung Ortsrand abgewandert sind.
Abkehr vom geschlossenen Platz
An der Ausschreibung für einen Entwurf des Neubaus nahmen vier Architektenbüros teil. Das neue Gebäude sollte neben der Gemeindeverwaltung zudem Raum für ein Vereinshaus und eine Arztpraxis bieten. Außerdem war die Aufgabe, eine Anbindung an einen bestehenden Gewölbekeller im Untergrund herzustellen. Bis auf das Büro Smartvoll aus Wien, das schlussendlich den Zuschlag bekam, setzen die Architekten auf eine traufständige geschlossene Bauweise, die der Baulinie des Platzes folgte.
Für Christian Kircher und Philipp Buxbaum von Smartvoll war das keine Option in Anbetracht der jüngeren Entwicklung österreichischer Dörfer. Laut Kircher seien seit den 1980er-Jahren viele Ortszentren immer weniger frequentiert worden, da sich das Leben in Häuser mit Gärten an der Peripherie und in große Einkaufszentren verlagerte. Er nennt es den "Donut-Effekt" – eine leere Mitte, umgeben von überdimensionierten Rändern. Also genau das, was auf Großweikersdorf zutrifft.
Eingang des Gemeindezentrums als Willkommensgeste
Das nach den Entwürfen von Smartvoll nun neu erbaute Gemeindezentrum steht senkrecht zum Platz, mit zwei Gassen auf beiden Seiten des Gebäudes, die an schmale Wege zwischen den Weinbergen auf den Hügeln rund um das Dorf erinnern. Ein gepflastertes Rechteck reicht vom Eingang des Gebäudes bis auf den Hauptplatz des Dorfes.
Es erinnert an einen ausgerollten Teppich, der die Passanten ins Innere des neuen Gemeindezentrums und in die Gassen einlädt, die zu einer Parallelstraße führen. Diese Durchlässigkeit der Fassade zum Platz bildet den besagten und gewollten Kontrast zu den langen, geschlossenen Häuserreihen, die die Straße östlich des Platzes säumen. „Der Eingang des Hauses ist eine Fortsetzung des Hauptplatzes – diese einladende Geste verbindet Innen und Außen," sagt Kircher.
Neue Räume für die Öffentlichkeit
Das gesamte, barrierefreie Gebäude ist in fünf seitlich gegeneinander verschobene Giebelhäuser sowie funktional und räumlich in drei Bereiche unterteilt, in denen sich die Verwaltungsbüros, die gemeinschaftlichen Vereinsräumlichkeiten und die Arztpraxis wiederfinden. Die Einheiten sind mit traditionellen Satteldächern niedrig gehalten, sodass die nahegelegene Kirche das einzige hohe Gebäude auf dem Platz bleibt.
Durch die besondere verschobene Bauweise stehen separate Eingänge sowie kleine Innenhöfe zwischen dem Gemeindezentrum und den alten Mauern der Nachbargebäude zum Verweilen zur Verfügung. Die Fassaden des an den Neubau angrenzenden Bestands wurden aus Respekt vor der langen Geschichte des Ortes bewusst unbehandelt gelassen. Diese kleinen Innenhöfe sollten zu Treffpunkten für alle Bürger werden, zu einem neuen Zentrum des Dorfes, umschreibt Kircher die Idee dahinter.
Einige Monate nach der Eröffnung lässt sich sagen, dass das Konzept aufging: Die Menschen treffen sich gern rund um das Gemeindezentrum. Der Hof auf der Ostseite verbindet sich mit den Straßen, die parallel zum Hauptplatz verlaufen. Im Alltag wird er zum Parken von Fahrzeugen sowie als Spielplatz genutzt, bei Messen und Festen bietet er Raum für Festzelte und Aktionen.
Offene Büros, nutzbares Vereinshaus für alle
Vom Haupteingang führt ein kurzer Durchgang in den schon fast wie ein Wohnzimmer gestalteten, doppelhohen Wartebereich des Büroabschnitts mit einer großen tribünenartigen Treppe, die in das offene Obergeschoss führt. Dort findet sich ein multifunktionaler Raum und Sitzungssaal, der über dem Vereinsheim liegt.
Die Büroräume und der Pausenraum im Erdgeschoss öffnen sich durch großzügige Glasflächen nach außen, was die gelebte Transparenzpolitik der Gemeinde unterstreicht. Auch das neue Büro des Bürgermeisters befindet sich hier, was eher unüblich ist. Der Symbolcharakter bei dieser innovativen Grundrissgestaltung ist eindeutig: Der Bürgermeister hält seine Tür immer offen. Das hat sich schon nach kurzer Zeit positiv auf das Gemeindeleben ausgewirkt und die Bindung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Gemeindeverwaltung gestärkt.
Das Vereinshaus im mittleren Bereich des Neubaus kann von jedem Gemeindemitglied gemietet werden; es gibt bewusst keine Küchenzeile, damit bei Veranstaltungen das Catering durch nahe gelegene Restaurants geschehen soll, um ebendiese zu unterstützen. Der letzte Bereich, das Ärztezentrum, ist über den Platz hinter dem Gebäude zugänglich. Auch hier verbinden sich alle Räume visuell mit dem Außenbereich, wobei die Begrünung ein wesentlicher Bestandteil der Gestaltung ist.
Spektakuläre Trag- und Dachkonstruktion aus Holz – und reichlich Licht
Das Dach des Gebäudes sowie die Verkleidung der meisten Innen- und einiger Außenwände sind aus Holz: innen Fichte, außen Lärche. Eine bewusste Entscheidung der Architekten. „Um das Jahr 2000 drehten sich die meisten Architekturdiskussionen um Design – jetzt geht es um das Eigentliche: um Nachhaltigkeit", sagt Kircher. Ganz im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens verfügt
das Gemeindezentrum über eine Wasserwärmepumpe, die sowohl Heizung als auch Kühlung über den Fußboden gewährleistet. Eine doppelte Reihe von Velux Dachfenstern sorgt in den heißen Monaten für eine optimale Belüftung. Sie sind aufgrund dieser wichtigen Funktion sowie ihrer Position hoch in der Decke automatisiert, während alle anderen Fenster und Balkontüren, die jedes Büro mit dem Hinterhof verbinden, manuell bedient werden.
Neben der Belüftung des gesamten Gebäudekomplexes und der Sicht – einige bieten etwa einen Blick auf die Uhr des Kirchturms – sorgen die vielen Dachfenster für ein einzigartiges Lichtspiel. „Die Atmosphäre im Gebäude ändert sich im Laufe des Tages: Es ist ein immerwährendes Spiel mit den aus allen Richtungen einfallenden Sonnenstrahlen, das nie langweilig wird", zeigt sich Kircher begeistert.
Diese spezielle Atmosphäre trägt zusätzlich zum einladenden, offenen Charakter des gesamten Gemeindezentrums bei. Bei der Lichtplanung griffen beide Architekten auf computergenerierte 3-D-Modelle am Bildschirm zurück. Ihre umfangreiche Erfahrung mit Tageslicht und ihr grundsätzliches Interesse an der Thematik ermöglicht es ihnen, geplante Effekte präzise zu erzielen. Die Atmosphäre eines Projekts – vermittelt nicht nur durch die Form der Räume, sondern auch durch ein Zusammenspiel von Materialien, Texturen und Licht – ist für sie ein immens wichtiger Teil des Designprozesses.