VDE-Vorschläge: Welchen Einfluss die neuen Regeln auf Mini-PV-Anlagen haben
Mit Steckersolargeräten, oft als Balkonkraftwerk bezeichnet, und weiteren Mini-Energieerzeugungsanlagen (Mini-EEA) können Verbraucher eine gewisse Menge Strom selbst erzeugen, ihre Stromkosten reduzieren und einen Beitrag zur Energiewende leisten. Bisher sind Steckersolargeräte allerdings noch eine Nische des Photovoltaikmarkts und der deutlich überwiegende Teil wird direkt an Endnutzer verkauft.
Im Auftrag der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hatte EUPD Research eine im Februar 2022 veröffentlichte Umfrage unter den Anbietern von Steckersolargeräten durchgeführt. Die Ergebnisse erlaubten erstmals eine Hochrechnung des Marktvolumens. Danach wurden in den Jahren 2020 und 2021 bis zu 128.000 Steckersolargeräte mit einer Leistung von bis zu 51 MW verkauft. Alle bis Ende 2021 verkauften 190.000 Steckersolargeräte haben eine Peakleistung von bis zu 66 MW. Die Gesamtleistung aller in Deutschland installierten (gemeldeten) Photovoltaik-Anlagen betrug zu diesem Zeitpunkt fast 60 GW, also das 1000-fache.
„Dringender Handlungsbedarf“
Bei der Veröffentlichung der Studie betonte Thomas Seltmann, zu diesem Zeitpunkt Referent Photovoltaik und Prosumer bei der Verbraucherzentrale NRW: „Das Ergebnis der Studie liegt im oberen Bereich unserer bisherigen Schätzungen. Aber es gibt dringenden Handlungsbedarf. Die Studie macht deutlich, dass Politik und Netzbetreiber endlich weitere Hürden aus dem Weg räumen müssen. Noch immer gibt es Streit über den normkonformen Anschluss und unangemessene Forderungen der Netzbetreiber.“
Grundlegende Fortschritte zur Vereinfachung gab es bisher nicht. Auch wurde mit der Studie klar, dass die Meldeprozesse für Steckersolargeräte zu komplex sind – nur 10 bis 20 % wurden überhaupt angemeldet. Einen Vorteil haben die Betreiber durch die Meldung beim Netzbetreiber und bei der Bundesnetzagentur (Marktstammdatenregister) nicht. Die EU-Kommission hat in ihrer Verordnung (EU) 2016/631 kleine Erzeuger unter 0,8 kW als „nicht signifikant“ eingestuft, weil sie „nicht systemrelevant“ seien. Trotzdem wollen aktuell die deutschen Netzbetreiber, dass alle Erzeugungsanlagen, unabhängig von ihrer Leistung, bei ihnen gemeldet werden.
Transparent wurde auch, dass aufgrund bestehender Hürden die aussichtsreichsten Anwendungsfälle Balkone und Terrassen in Mehrfamilienhäusern bis dato kaum erschlossen wurden. Nur jedes dritte Gerät war im Bereich Balkon zu finden. Die Hälfte der Geräte wurde mit einer Aufständerung auf Flachdächer oder in den Garten gestellt. Im Jahr 2022 dürfte sich daran wenig geändert haben.
Vielleicht kommt die Zeitenwende für Mini-EEA nun im Jahr 2023. Am 14. Februar endet die Einspruchsfrist zum Norm-Entwurf DIN VDE V 0126-95 / VDE V 0126-95 „Steckersolargeräte für Netzparallelbetrieb – Grundlegende Sicherheitsanforderungen und Prüfungen“. Das Dokument beschreibt grundlegende Sicherheitsanforderungen und Prüfungen für laienbedienbare, steckerfertige Photovoltaik-Systeme für Netzparallelbetrieb (Steckersolargerät), die innerhalb einer Niederspannungsinstallation an Endstromkreise angeschlossen werden.
Den Auftakt machte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, im Dezember 2022 nach einer Mailing-Aktion von MachDeinenStrom mit einer offiziellen Positionierung: „Ich würde es begrüßen, wenn die Normierungsgremien im VDE bei der aktuellen Überarbeitung der Produktnorm auch einen Schuko-Stecker bei der Inbetriebnahme eines Balkonkraftwerkes für akzeptabel erklären (wenn ein zertifizierter Wechselrichter [verwendet wird] und ein FI-Schalter vorhanden ist).“
Privat legt Müller am 29. Dezember 2002 auf Twitter nach: „Bei Balkon #Solarmodulen reicht nach @BNetzA-Einschätzung ein einfacher #Stecker, wenn zertifizierte #Wechselrichter vorhanden sind. Für 2023 gilt der #Neujahrsvorsatz: weniger Bürokratie dafür mehr Freude an der #Energiewende bei BürgerInnen & Unternehmen.“
Nach Auskunft der Verbraucherzentrale NRW ist bisher kein einziger Fall von Sachschäden oder verletzten Personen im Zusammenhang mit Steckersolargeräten bekannt geworden. Das liege daran, dass die verwendete Technik ausgereift sei und die gleichen Komponenten in professionell installierten Photovoltaikanlagen eingesetzt werden und nur normgemäß hergestellte und geprüfte Bauteile verwendet werden.
Ohnehin hat sich der Schuko-Stecker der EUPD-Research-Umfrage zufolge als Standard-Steckverbindung durchgesetzt – 77 % aller Steckersolargeräte in Deutschland nutzen ihn.
VDE-Positionspapier
Kurz nach Müllers Vorstößen hat der VDE am 11. Januar 2023 ein schon 2022 ausgearbeitetes Positionspapier vorgelegt, um die Verwendung von Mini-EEA deutlich zu vereinfachen. VDE-Chef Ansgar Hinz: „Die Grundlage für die elektrische Sicherheit der Anlagen bildet das VDE-Vorschriftenwerk. Wir wollen mit den Vorschlägen zur Vereinfachung dazu beitragen, dass sich die Verwendung von Mini-EEA in der Zukunft flächendeckend durchsetzen kann, ohne dabei Abstriche bei der Sicherheit zu machen.“
In dem Positionspapier identifizieren Expertinnen und Experten des VDE fünf Punkte, von denen ausgehend das Regelwerk weiterentwickelt werden kann:
1. Bagatellgrenze bis 800 W
Auf europäischer Ebene wurde mit der Regulation for Generators (RFG) eine Bagatellgrenze bis 800 W eingeführt. Im Rahmen der europäischen Vereinheitlichung schlägt der VDE vor, diese Bagatellgrenze auch in Deutschland zu übernehmen. Somit wären Anlagen bis 800 W aus Sicht der Netzbetreiber nicht mehr als „netzrelevant“ anzusehen.
Damit einhergehend soll auch die Vornorm für Steckersolargeräte (VDE V 0126-95) an die 800-W-Grenze angepasst und zum europäischen Standard ausgebaut werden. Diese Norm bietet Herstellern die Möglichkeit, steckerfertige Solargeräte als Gesamtsystem entwickeln und vertreiben zu können. Für Verbraucher ermöglicht diese Norm, ein Balkonkraftwerk als geprüftes steckerfertiges Gesamtsystem kaufen zu können, denn bisher sind Balkonkraftwerke eine mitunter beliebige Zusammenstellung von Einzelkomponenten.
2. Verwendung an jedem Zählertyp
Eine weitere Forderung des VDE ist, dass Mini-Energieerzeugungsanlagen bis zur Bagatellgrenze (also 800 W Systemgesamtleistung) an jedem Zählertypen verwendet werden dürfen. Zähler sollen im Rahmen der Bagatellgrenze auch rückwärtslaufen dürfen. Verbraucher, die mithilfe einer solchen Anlage Stromkosten sparen wollen, müssten so nicht bis zum von der Bundesregierung beschlossenen Wechsel des Stromzählers zum Smart Meter warten.
3. Vereinfachte Anmeldung
Um die bürokratischen Hürden auf ein Minimum zu reduzieren, sollte es in Zukunft nur noch nötig sein, die Mini-EEA bei der Bundesnetzagentur an- bzw. abzumelden oder Änderungen an der Anlage zu melden.
4. Duldung des Schuko-Steckers
Grundsätzlich bevorzugt der VDE die Installation durch das Fachhandwerk, da nur so die Möglichkeit besteht, die Installation auf Tauglichkeit zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Um die flächendeckende Verwendung von Mini-EEA zu ermöglichen, spricht sich der VDE jedoch dafür aus, den Schuko-Stecker für die Einspeisung bis zu einer Systemgesamtleistungsgrenze von 800 W zu dulden.
5. Sicherheitsvorgaben für Mini-EEA
Final fordert der VDE von den Herstellern von steckerfertigen Mini-EEA, dass sie mögliche Risiken bei deren Verwendung transparent aufzeigen. Dies betrifft unter anderem die Beschreibung der sicheren Montage und Inbetriebnahme. Auch soll der Hersteller dazu verpflichtet werden, die elektrische Sicherheit der Anlagen zu gewährleisten. Der VDE empfiehlt die Prüfung von Mini-EEA durch ein unabhängiges Prüfinstitut, damit der Kunde zu Hause ein sicheres Gerät in Betrieb nehmen kann.
Positives Echo
Der VDE-Vorschlag hatte sofort ein positives Echo. Sönke Tangermann, Vorstand der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy: „Diese Änderungen sind schon seit langem überfällig. Dass sie nun endlich kommen, ist ein echter Durchbruch. Wir haben dafür über Jahre gestritten und Verbraucher bei juristischen Verfahren unterstützt. Nun ist die Blockade endlich überwunden. Die Umsetzung der VDE-Vorschläge in der derzeit entstehenden Produktnorm für solche Module und in entsprechenden Gesetzen wird es Millionen Mietern erleichtern, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen.“
In die Freude über den Erfolg, zu dem die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) entscheidend beigetragen habe, mischt sich für Tangermann aber auch ein Wermutstropfen: „Alleine wir von Green Planet Energy setzen uns schon seit 2016 intensiv für Balkon-PV ein. Schon damals konnten Module mit zertifizierten Wechselrichtern de facto sicher über eine Schuko-Steckdose betrieben werden. Durch die massive Blockade vor allem von Netzbetreibern haben wir Jahre für die Energiewende verloren, zahllose Kilowattstunden an sauberer Energie sind uns so entgangen.“
Großes Potenzial
Bis Ende November 2022 waren in Deutschland insgesamt Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamtleistung von rund 66 GW installiert und trugen in einem besonders sonnigen Jahr voraussichtlich rund 57,6 TWh zur Nettostromerzeugung bei. Bei etwa 42 Mio. Haushalten entspricht dies rechnerisch einer Leistung von 1610 kWp/Haushalt bzw. einem Ertrag von 1405 kWh/(a ∙ Haushalt).
In Deutschland werden jährlich rund 3,3 Mio. Waschmaschinen verkauft und ab 2024 sollen mindestens 0,5 Mio. Heizungs-Wärmepumpen pro Jahr installiert werden. Die Installation von 1 Mio. Steckersolargeräte-Äquivalenten mit 650 W (DC), 600 W (AC)1), 600 kWh/a Stromerzeugung bei einem Anstellwinkel von 30° und Südwest-Ausrichtung) wäre bei der Umsetzung des VDE-Positionspapiers wohl eher ein niedriges Jahresziel. Im folgenden Jahr würden nur die neu installierten Balkonkraftwerke bei durchschnittlicher Sonnenscheindauer zusammen 0,6 TWh Strom erzeugen, die Netze entlasten und Übertragungsverluste verringern.
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Die Unterdimensionierung des Wechselrichters ist gängige Praxis. Aber durch eine Unterdimensionierung wird der Wechselrichter stärker ausgelastet und erwärmt. Nicht alle Wechselrichter sind dafür geeignet. Auch geeignete Geräte können dadurch schneller altern. Grundsätzlich müssen bei der Kombination der Solarmodule und Wechselrichter die Spannungs- und Stromgrenzen beachtet werden. Über die Neufassung der DIN VDE V 0126-95 / VDE V 0126-95 soll diese Verantwortung für Steckersolargeräte weitestgehend an die Hersteller delegiert werden.
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Hätte man einen entsprechenden Plan nach dem Tōhoku-Erdbeben 2011, das die Nuklearkatastrophe von Fukushima auslöste, gefasst und 2012 begonnen, würden bei einem bescheidenen Marktwachstum von 10 % pro Jahr ab Oktober 2022 knapp 18,1 Mio. Steckersolargeräte rund 11 TWh/a Strom produzieren – so viel wie im Mittel jedes der drei im Jahr 2022 noch am Netz verbliebenen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland.
Finanziell attraktiv
Nimmt man ein oben als Steckersolargeräte-Äquivalent definiertes Balkonkraftwerk an – die Peakleistung von zwei gleich ausgerichteten Modulen beträgt 650 W und der Mikro-(Modul)Wechselrichter hat eine AC-Leistung von 600 W –, ergibt sich bei einer mittleren Solareinstrahlung von 1.050 kWh/m2 und einem Abminderungsfaktor von 0,8 zur pauschalen Berücksichtigung der tatsächlichen Montagebedingungen eine Erzeugung von 480 kWh/a. Damit würde man schon für einen Stromverbrauch von 2.400 kWh/a das von der Bundesregierung „geforderte“ und bei der Strompreisbremse implizierte Einsparziel von 20 % erreichen.
Bei einem Stromverbrauch von 3.000 kWh/a würde die Erzeugung einer Einsparung von 16 % entsprechen und bei einer rückwärtslaufenden Messeinrichtung2) (Ferraris-Zähler mit mechanischen Drehscheiben) und Vergütungsverzicht auch die Kosten für den Strombezug (Arbeit) entsprechend senken.
2)…………
Auch wenn Steckersolargeräte nicht für die Netzeinspeisung gedacht sind, fließt zum Zeitpunkt der Erzeugung nicht verwendeter Strom ins Netz. Technisch ist das unproblematisch, und es ist auch erlaubt, wenn Wechselrichter verwendet werden, die der Norm entsprechen.
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Bei einem Brutto-Arbeitspreis von aktuell 50 Ct/kWh ergibt sich mit einer Kostenersparnis von 240 Euro/a eine schnelle Amortisation. Dies gilt auch bei einem wieder „normalisierten“ Brutto-Arbeitspreis von 32 Ct/kWh mit einer Einsparung von 154 Euro/a.
Bei einem Zweirichtungszähler und Vergütungsverzicht bzw. einer Messeinrichtung mit Rücklaufsperre ist allerdings ohne besondere Verbrauchsstrategie der Nutzer nur eine Minderung des Strombezugs von bis zu 350 kWh/a realistisch. Auch damit ist eine Amortisation innerhalb weniger Jahre möglich.
Bei realen Anlagen können die Ertragswerte in Abhängigkeit von Ausrichtung, Anstellwinkel und Verschattung deutlich nach unten aber auch nach oben abweichen. Mit dem Stecker-Solar-Simulator der HTW Berlin können individuelle Bedingungen simuliert werden, allerdings ist der Rechner zurzeit auf eine AC-Wechselrichterleistung von 600 W limitiert und sieht eine rückwärtslaufende Messeinrichtung bei der Kostenbilanz nicht vor: www.bit.ly/tga1442
Zudem fördern einige Kommunen Steckersolargeräte mit Zuschüssen von bis zu 400 Euro, ein landesweites 10-Mio-Euro-Förderprogramm in Mecklenburg-Vorpommern sieht sogar einen Zuschuss von maximal 500 Euro pro steckerfertiger PV-Anlage (Anschaffung und Installation) und Wohnungseinheit für Mietende und selbstnutzende Eigentümer vor: www.bit.ly/tga1443
„Rückwärts laufende Zähler“ als Booster
Bild 5 zeigt, dass ein erheblicher Teil der Stromerzeugung eines Steckersolargeräts in einem Haushalt ohne besondere Verbrauchsstrategie oder eine bedarfsoptimierte Anordnung der Module nicht unmittelbar genutzt werden kann. Nur bei einem Stromzähler ohne Rücklaufsperre wird der rechnungswirksame Strombezug um den tatsächlichen Ertrag (Erzeugungskennlinie) gemindert.
Zur Förderung des Zubaus von Mini-Energieerzeugungsanlagen dürften „rückwärts laufende Zähler“ aufgrund der psychologischen Wirkung vielen Fördermaßnahmen deutlich überlegen sein. In Bild 5 liegt in der Spanne des Stromverbrauchs von 2.100 bis 3.900 kWh/a die maximale Netzeinspeisung zwischen 475 und 270 kWh/a. Wenn der Gesetzgeber die Verbreitung von Steckersolargeräten boostern will, dürfte dies neben der technisch bedingten Duldung rückwärts laufender Ferraris-Zähler auch mit einer vergleichbaren vereinfachten Berücksichtigung bei Zweirichtungszählern gelingen. Grenzen für die Verringerung der vom Bezugszähler erfassten Strommenge um die vom Einspeisezähler erfasste Strommenge für die Stromrechnung könnten über einen Prozentwert des Netzbezugs und / oder einen kWh-Deckel gesetzt werden.
Das VDE-Positionspapier Steckerfertige Mini-Energieerzeugungsanlagen steht auf www.vde.de kostenlos als PDF-Dokument zur Verfügung.