Regenwasserrückhaltung vs. PV-Module: Dächer sind in Städten heiß begehrt
Weil in Großstädten die Grünflächen am Boden immer öfter der Bebauung weichen müssen, gehen damit auch wertvolle Flächen zur Regenwasserrückhaltung verloren. Auch der Kühleffekt fehlt, den das Grün für das Mikroklima im Quartier leistet.
Schließlich fehlt auch das Grün an sich und die damit einhergehende Biodiversität, der Lebensraum für Pflanzen und Insekten und nicht zuletzt der Erholungsraum für die Bewohner. Auf all diese verschiedenen Aspekte soll und darf nicht verzichtet werden. Die Dächer müssen einen Teil dieser Funktionen übernehmen. Vor allem die Regenwasserrückhaltung ist ein zentrales Thema für Stadtplaner.
Entlastung fürs Abwassernetz
Weil der Versickerungsraum fehlt und damit auch die Zwischenspeicherung von Regenwasser im Boden entfällt, wäre in manchen Fällen das örtliche Abwassernetz überfordert, überlaufende Gullys und geflutete Straßen die Folge. Deshalb sehen die Bebauungspläne bei Neubauten immer öfter die Regenwasserrückhaltung auf dem Dach vor. Eine Begrünungsschicht von mehreren Zentimetern Stärke soll das Wasser speichern und nicht alles sofort in die Kanalisation leiten.
Ist der Regen vorbei, kann das Wasser auf dem Dach nach und nach verdunsten. Das Abwassernetz ist entlastet und die verdunstende Feuchtigkeit sorgt wiederum für Kühlung. Der Nutzungsdruck auf dem Dach geht aber noch weiter: Spiel- und Erholungsflächen sollen entstehen, Dachgärten den Bewohnern Oasen der Ruhe und Entspannung bieten.
Regenwasserrückhaltung und Dachbegrünung ergänzen sich sehr gut. Beides ist relativ leicht unter einen Hut zu bringen. Wie aber sieht es mit der Energiegewinnung aus? Photovoltaikanlagen auf einer begrünten Dachfläche zu installieren erfordert Mehraufwand.
Dazu gehört eine höhere Aufständerung, weil das Grün unter den Modulen einerseits wachsen soll, andererseits aber auch gepflegt werden muss. Das heißt konkret: mehr Material und auch höhere statische Anforderungen, da durch die höhere Aufständerung die Windlasten steigen.
An die Pflege denken
Im Betrieb muss man sich entscheiden: Entweder die Begrünung wird regelmäßig gepflegt oder die Erträge der Anlagen sinken infolge der Verschattung durch die Pflanzen.
Bei schlecht geplanten Anlagen ist die Pflege oftmals unmöglich, der Solarertrag bleibt dann weit unter den Erwartungen. Für all das gibt es Lösungen, aber sie sind mit Mehrkosten verbunden und die Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen ist nur selten gegeben. Der Kühleffekt durch darunterliegende Begrünung, der zu Mehrerträgen führen kann, fängt diese Kosten nicht auf.
Stadtplaner zu Kompromissen bereit
Ein Spagat, den die Stadtplaner meistern müssen. In München beispielsweise regelt eine Satzung zur Freiflächengestaltung auch die Begrünung von Dächern. Sie stammt aus dem Jahre 1996, als speziell die Photovoltaik noch kein zentrales Thema für die Stadtplaner war.
Darin ist festgelegt, dass Kiespressdächer und vergleichbar geeignete Dachflächen ab einer Gesamtfläche von 100 Quadratmetern flächig und dauerhaft begrünt werden sollen. Anlagen zur Nutzung der Sonnenenergie sollen mit einer Dachbegrünung kombiniert werden.
Diese Begrünung wird in der Regel extensiv ausgeführt, also mit einem Schichtaufbau von acht bis 15 Zentimetern. Bei Bauvorhaben innerhalb des Geltungsbereiches von Bebauungsplänen mit Grünordnung werden standardmäßig Festsetzungen analog zur Freiflächengestaltungssatzung getroffen. Im Bebauungsplan können darüber hinausgehende Regelungen festgesetzt werden.
Die Entwicklung der letzten Jahre zeigte, dass die Vorgaben nicht in jedem Fall alle Bedürfnisse für die Nutzung solarer Strahlungsenergie ausgewogen berücksichtigen können. Deshalb wurde innerhalb der verschiedenen Referate der Stadtverwaltung ein Kompromiss erarbeitet. Er sieht vor, dass in Bebauungsplänen die Anlagen nicht mehr zwingend über einer Dachbegrünung errichtet werden müssen.
Als Ausgleich für die nicht begrünten Flächen ist auf den daneben liegenden zu begrünenden Flächen eine höhere Schichtdicke von 20 Zentimetern vorzusehen, um den Verlust des Regenrückhaltevermögens zu kompensieren und mehr Biodiversität zu erreichen.
Gisela Karsch-Frank, Landschaftsarchitektin im Referat für Stadtplanung Bauordnung, spricht von einer guten Lösung, die nun auch den Aspekt der wirtschaftlichen Energiegewinnung angemessen berücksichtigt. Je nach Nutzung und Energiebedarf des Gebäudes kann mehr Photovoltaik zum Zuge kommen. Im Bebauungsplan heißt es dann ganz konkret: Photovoltaik wird auf einem bestimmten Flächenanteil ohne darunter durchlaufende Dachbegrünung ermöglicht. Dafür muss auf dem begrünten Dachteil ein höherer Schichtaufbau erfolgen. Das kostet natürlich mehr und erfordert eine höhere Statik. „Doch es kann meist ein für alle gangbarer Kompromiss gefunden werden“, sagt Karsch-Frank.
Eine Genossenschaft als Pionier
Ein relativ neues Instrument im Rahmen der Bebauungsplanung sind die Gemeinschaftsdachgärten als ergänzende Freiflächen für die Bewohner. Auch hier kann eine Kombination mit Photovoltaikanlagen entstehen, beispielsweise integriert auf den Verschattungselementen, die bei einer Nutzung als Gemeinschaftsdachgarten unbedingt notwendig sind.
Mehrere gelungene Beispiele für ein sinnvolles Nebeneinander hat die Wohnungsgenossenschaft Wagnis realisiert. Sowohl beim Projekt Wagnis 4 als auch beim Projekt Wagnis Art wurde ein Teil der Dachflächen begrünt und ein Teil der Fläche für Photovoltaik ohne Dachbegrünung genutzt. Beides geschah im engen Austausch mit den Stadtplanern, und alle Nutzungsbegehren konnten erfolgreich unter einen Hut gebracht werden.
Andreas Horn von Energiewendeplaner hat die Anlage beim Projekt Wagnis 4 geplant. Er sagt: „Das ist wirklich eine Oase für die Menschen, die auf dem Dach Gemüse anbauen oder einfach auf der Liegewiese die Hektik der Stadt unter sich zurücklassen können.“ Bei diesem Projekt war von Anfang an im Bebauungsplan eine Dachbegrünung vorgesehen.
Sandkies speichert Wasser besser
Auf einen Teil der Begrünung konnte zugunsten der Photovoltaik verzichtet werden, nicht aber auf die Regenwasserrückhaltung. Deshalb wurde unter der Anlage erstmals ungewaschener Sandkies verwendet, der aufgrund seines hohen Sandanteils Wasser viel besser speichert als der sonst meist verwendete gewaschene Rollkies, der keinen Sandanteil enthält.
Die Anlage hat eine Gesamtleistung von knapp 60 Kilowatt, 14 Kilowatt liefert die Laubengangüberdachung, die mit Glas-Glas-Modulen von PVP realisiert wurde. Rund 45 Kilowatt Leistung hat die Anlage auf dem Flachdach mit Ost-West-Ausrichtung und monokristallinen Modulen von LG. 56 Megawattstunden Strom erzeugte sie 2016. 69 Prozent davon wurden im Haus selbst verbraucht – eine Mieterstromanlage für 56 Haushalte und eine Gewerbeeinheit.
Und für alle Architekten als Ansporn: Trotz der Photovoltaikanlage erhielt das Projekt 2017 den deutschen Landschaftsarchitekturpreis in der Kategorie Quartiersentwicklung und Wohnumfeld.
Bei langer Trockenheit kein Kühleffekt
In der Diskussion um den Kühleffekt fragt Andreas Horn jedoch kritisch nach. Seine Argumente: „Der Kühleffekt kommt durch Verdunstung des zurückgehaltenen Regenwassers zustande. Aber wenn es wie in diesem Sommer über lange Wochen eine hohe Sonneneinstrahlung und praktisch keinen Regen gibt, dann ist dieses Dach trocken, staubtrocken. Den Kühleffekt aufgrund von Verdunstungskälte gibt es in solchen Situationen gar nicht.“
Auch durch Reflexion des Lichts tritt ein Kühleffekt ein. Weiße Dachbahnen oder helle Kiesflächen reflektieren am meisten Sonnenlicht – beide speichern aber kein Regenwasser. Die Solaranlage ist zwar schwarz und sorgt aufgrund ihrer Farbe für Hitze, aber sie wandelt eben auch 20 Prozent des Sonnenlichts in elektrische Energie um.
Das sind Horns Argumente für Photovoltaik auf dem Dach. „Eine Anlage auf einer Kiessand-Schüttung ist für Regenwasserrückhaltung und Kühlung des Mikroklimas genauso gut wie eine extensive Dachbegrünung“, sagt er.
Er bedauert, als Photovoltaikplaner keinen direkten Austausch zu haben mit Menschen, die Bebauungspläne erstellen. Er kann erst am fertigen Bebauungsplan schauen, wie viel Photovoltaik möglich ist.