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BHKW und Wärmepumpe in Abhängigkeit vom Strompreis optimal betreiben

Lars Keller

Die Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland haben die gesetzliche Pflicht, das Stromnetz bei einer Mittelfrequenz von 50 Hz stabil zu halten. Bei steigender oder fallender Netzfrequenz müssen die Netzbetreiber eingreifen. Die Netzfrequenz ist abhängig von Einspeisung und Verbrauch. Überwiegt die Einspeisung ins Netz, steigt die Frequenz, überwiegt der Verbrauch, sinkt die Frequenz. Das Worst-Case-Szenario, dieser als Volatilität bezeichneten Schwankung, ist ein Stromausfall begründet durch Über- oder Unterspannung.

Damit die Stromnetzfrequenz stabil bleibt, wird die Energie im Netz gezielt geregelt. Um dies zu ermöglichen, verwalten die Übertragungsnetzbetreiber den sogenannten „Regelenergiemarkt“. Abhängig davon, ob ein Überschuss oder ein Mangel an Strom im Netz herrscht, müssen dezentrale Anlagenbetreiber in der Lage sein, diese Volatilität abzufangen. Die Abnahme überschüssigen Stroms wird „negative Regelleistung“ genannt, die Einspeisung bei Mangel nennt man „positive Regelleistung“. 

Eine weitere Unterscheidung wird in den Reaktionszeiten getroffen. Reagieren die Anlagenbetreiber praktisch umgehend auf eine auftretende Volatilität, so spricht man von „Primärregelleistung“, bei einer Reaktionszeit von bis zu 5 Minuten von „Sekundärregelleistung“ und bei bis zu 15 Minuten von „Minutenreserve“.

Die Netzbetreiber sind verpflichtet immer ausreichend Reserven zur Verfügung zu stellen, damit die Stromnetzfrequenz stabil bleibt. Allein für die Bereitstellung der Reserven zahlen die Netzbetreiber einen sognannten „Leistungspreis“. Wird dann tatsächlich eine Reserve in Anspruch genommen, bekommen die Betreiber über den „Arbeitspreis“ eine weitere Vergütung.

Power-to-Heat Anlagen können mit einem BHKW Strom erzeugen und mit einer Wärmepumpe Strom abnehmen und können somit grundsätzlich am Regelenergiemarkt eingesetzt werden.

Negative Strompreise: Ein Phänomen des modernen Energiemarktes

Negative Strompreise sind ein faszinierendes Phänomen, das in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Sie treten auf, wenn ein Überangebot an Strom im Vergleich zur Nachfrage besteht. In Deutschland, wo der Ausbau erneuerbarer Energien stark vorangetrieben wird, wurden im Jahr 2023 an 46 Tagen insgesamt 301 Stunden negative Preise auf dem Day-Ahead-Markt verzeichnet. Das entspricht etwa 3,4% der Gesamtstunden des Jahres.

Aber warum gibt es überhaupt negative Preise? Der Grund liegt in der Struktur unseres Energiesystems:

  1. Unflexible Stromerzeugung: Konventionelle Kraftwerke können nicht beliebig schnell hoch- und runtergefahren werden.
  2. Erneuerbare Energien: Wind- und Solaranlagen produzieren Strom unabhängig von der Nachfrage.
  3. Netzstabilität: Ein gewisses Maß an Grundlast muss immer aufrechterhalten werden.

Wenn nun an sonnigen und windigen Tagen viel erneuerbarer Strom produziert wird, während gleichzeitig die Nachfrage gering ist (z.B. an Feiertagen), kann es zu einem Überangebot kommen. In solchen Situationen kann es für Kraftwerksbetreiber günstiger sein, Geld dafür zu zahlen, dass ihr Strom abgenommen wird, als ihre Anlagen herunterzufahren und später wieder hochzufahren.

Day-Ahead-Auktionen: Die Planung für morgen

Day-Ahead-Auktionen sind ein zentrales Element des Stromhandels. Hier wird der Strom für den folgenden Tag gehandelt. In Deutschland müssen die Gebote für diese Auktionen bis 12 Uhr mittags abgegeben werden. Der Prozess läuft wie folgt ab:

  1. Stromanbieter geben Verkaufsgebote ab.
  2. Stromnachfrager geben Kaufgebote ab.
  3. Ein Algorithmus ermittelt den Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage.
  4. Der resultierende Preis gilt für alle akzeptierten Gebote.

Der Day-Ahead-Markt spielt eine wichtige Rolle bei der Preisbildung und der Planung der Stromerzeugung für den nächsten Tag. Er bietet eine gewisse Planungssicherheit, kann aber nicht auf kurzfristige Änderungen reagieren. Bild 1 zeigt einen typischen Preisverlauf im Day-Ahead-Markt.

Bild 1: Durchschnittliche Stromproduktion und Börsenstrompreise in einer Woche in Deutschland 2023 im Day Ahead Handel.

Intraday-Auktionen: Flexibilität bis zur letzten Minute

Intraday-Auktionen ergänzen den Day-Ahead-Markt und ermöglichen den Handel von Strom am selben Tag der Lieferung. Sie sind besonders wichtig für:

  1. Ausgleich unvorhergesehener Ereignisse (z.B. Kraftwerksausfälle)
  2. Anpassung an kurzfristige Wetteränderungen bei erneuerbaren Energien
  3. Optimierung der Stromerzeugung und -nachfrage

Der Intraday-Handel läuft kontinuierlich und ermöglicht Transaktionen bis kurz vor der tatsächlichen Lieferung. In Deutschland können sogar 15-Minuten-Slots gehandelt werden, was eine sehr feine Abstimmung erlaubt. Bild 2 verdeutlicht dies.

Bild 2: Stromproduktion und Börsenstrompreise in Deutschland in der KW 38/2024 im viertelstündlichen Intraday Handel.

Preisschwankungen nutzen: Chancen für Unternehmen

Für Unternehmen mit hohem Stromverbrauch bieten diese Preismechanismen interessante Möglichkeiten zur Kostenoptimierung. Lassen Sie uns zwei konkrete Beispiele betrachten:

Beispiel 1: Großwärmepumpe bei günstigen Strompreisen

Stellen Sie sich ein Fernwärmeunternehmen vor, das eine Großwärmepumpe mit einer Leistung von 10 MW betreibt. Diese Wärmepumpe kann flexibel eingesetzt werden, um Wärme für das Fernwärmenetz zu erzeugen. Das Unternehmen könnte wie folgt vorgehen:
1. Teilnahme an Day-Ahead-Auktionen:
•    Analyse der Wettervorhersage und erwarteten Stromerzeugung
•    Abgabe von Kaufgeboten für Stunden mit voraussichtlich niedrigen Preisen

2. Nutzung des Intraday-Marktes:
•    Kontinuierliche Beobachtung der Preisentwicklung
•    Kurzfristiger Zukauf von Strom bei unerwarteten Preissenkungen

3. Betriebsstrategie:
•    Aktivierung der Wärmepumpe bei Strompreisen unter einem definierten Schwellenwert
•    Nutzung von Wärmespeichern zur Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch

4. Reaktion auf negative Preise:
•    Maximale Auslastung der Wärmepumpe bei negativen Strompreisen
•    Füllen der Wärmespeicher für spätere Nutzung

Ein konkretes Szenario könnte so aussehen:

An einem windigen Sonntag im Frühjahr prognostiziert das Unternehmen niedrige Strompreise. Es gibt Kaufgebote für den Day-Ahead-Markt ab und sichert sich Strom zu einem Durchschnittspreis von 15 €/MWh für die Stunden von 10:00 bis 16:00 Uhr. Am Liefertag stellt das Unternehmen fest, dass die Windproduktion noch höher ausfällt als erwartet. Über den Intraday-Markt kauft es zusätzlichen Strom für die Stunden von 12:00 bis 14:00 Uhr zu einem negativen Preis von -5 €/MWh. 

Die Wärmepumpe läuft nun von 10:00 bis 16:00 Uhr auf Volllast und produziert Wärme zu extrem günstigen Konditionen. Die überschüssige Wärme wird in Speichern eingelagert und kann in den Abendstunden genutzt werden, wenn die Strompreise wieder steigen. Durch diese Strategie kann das Unternehmen nicht nur seine Betriebskosten senken, sondern auch einen Beitrag zur Netzstabilität leisten, indem es überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen nutzt.

Beispiel 2: BHKW-Einsatz bei hohen Strompreisen

Betrachten wir nun ein Industrieunternehmen, das ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit einer elektrischen Leistung von 5 MW betreibt. Das BHKW dient primär der Wärmeversorgung des Unternehmens, kann aber flexibel gesteuert werden. 
Die Strategie könnte wie folgt aussehen:

1. Analyse des Day-Ahead-Marktes:
•    Identifikation von Stunden mit voraussichtlich hohen Strompreisen
•    Abgabe von Verkaufsgeboten für diese Stunden

2. Intraday-Optimierung:
•    Kontinuierliche Beobachtung der Preisentwicklung
•    Kurzfristige Anpassung der BHKW-Fahrweise bei Preisspitzen

3. Betriebsstrategie:
•    Aktivierung des BHKW bei Strompreisen über einem definierten Schwellenwert
•    Nutzung von Wärmespeichern zur Entkopplung von Stromerzeugung und Wärmebedarf

4. Reaktion auf extreme Preisspitzen:
•    Maximale Auslastung des BHKW bei sehr hohen Strompreisen
•    Verkauf des überschüssigen Stroms an der Börse (Dazu braucht das Unternehmen eine Handelszulassung oder einen Vermarkter.)

Ein konkretes Szenario könnte folgendermaßen ablaufen:

An einem kalten Winterabend mit wenig Wind prognostiziert das Unternehmen hohe Strompreise für die Abendstunden. Es gibt Verkaufsgebote für den Day-Ahead-Markt ab und sichert sich einen Verkaufspreis von 150 €/MWh für die Stunden von 18:00 bis 21:00 Uhr. Am Liefertag fällt unerwartet ein großes Kraftwerk aus. Über den Intraday-Markt kann das Unternehmen zusätzlichen Strom für die Stunde von 17:00 bis 18:00 Uhr zu einem Preis von 250 €/MWh verkaufen. Das BHKW läuft nun von 17:00 bis 21:00 Uhr auf Volllast und produziert Strom zu sehr attraktiven Konditionen. Die dabei anfallende Wärme wird teilweise direkt genutzt und teilweise in Wärmespeichern eingelagert oder in ein Fernwärmenetz eingespeist. Durch diese Strategie kann das Unternehmen nicht nur zusätzliche Einnahmen generieren, sondern auch einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, indem es in Zeiten hoher Nachfrage zusätzlichen Strom ins Netz einspeist.

Herausforderungen und Chancen

Die Nutzung von Preisschwankungen an der Strombörse bietet große Chancen, bringt aber auch Herausforderungen mit sich:

  1. Technische Flexibilität: Anlagen müssen schnell und effizient regelbar sein.
  2. Prognoseunsicherheit: Wettervorhersagen und Marktentwicklungen sind nie 100% genau.
  3. Komplexität: Die Optimierung erfordert spezialisiertes Know-how und leistungsfähige IT-Systeme.
  4. Regulatorische Rahmenbedingungen: Netzentgelte, Umlagen und Steuern müssen berücksichtigt werden.

Trotz dieser Herausforderungen bietet die aktive Teilnahme am Strommarkt erhebliche Vorteile:

  1. Kostenoptimierung: Senkung der Energiekosten durch gezielten Ein- und Verkauf.
  2. Zusätzliche Einnahmequellen: Vermarktung von Flexibilität als neues Geschäftsmodell.
  3. Beitrag zur Energiewende: Unterstützung der Integration erneuerbarer Energien.
  4. Versorgungssicherheit: Stabilisierung des Stromnetzes in kritischen Situationen.

Ausblick und Fazit

Die zunehmende Volatilität der Strompreise, bedingt durch den Ausbau erneuerbarer Energien, wird in Zukunft noch größere Chancen für flexible Verbraucher und Erzeuger bieten. Im Jahr 2023 lag die Standardabweichung der Strompreise am Day-Ahead-Markt bei durchschnittlich 28,8 €/MWh, am Intraday-Markt sogar bei 39,8 €/MWh. Diese Schwankungen eröffnen interessante Arbitragemöglichkeiten. Gleichzeitig wird die Kopplung der europäischen Strommärkte voranschreiten. Das XBID-System ermöglicht bereits heute einen grenzüberschreitenden Intraday-Handel zwischen mehreren europäischen Ländern. Dies führt zu einer effizienteren Nutzung der Ressourcen und kann extreme Preisausschläge dämpfen. Für Planer, Ingenieure, Energieversorger und Fernwärmenetzbetreiber ergeben sich aus diesen Entwicklungen spannende Perspektiven:

  1. Innovative Anlagenkonzepte: Entwicklung hochflexibler Systeme, die schnell auf Preissignale reagieren können.
  2. Sektorenkopplung: Integration von Strom-, Wärme- und Gasnetzen zur optimalen Nutzung von Preisschwankungen.
  3. Digitalisierung: Einsatz von KI und Big Data zur Prognose und Optimierung des Anlagenbetriebs.
  4. Neue Geschäftsmodelle: Angebot von Flexibilitätsdienstleistungen für Netzbetreiber und andere Marktteilnehmer.

Die aktive Teilnahme am Strommarkt wird in Zukunft nicht nur eine Möglichkeit zur Kostenoptimierung sein, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende. Unternehmen, die frühzeitig die nötigen Kompetenzen aufbauen und ihre Anlagen entsprechend ausrüsten, werden von dieser Entwicklung besonders profitieren. 

Abschließend lässt sich sagen: Der Strommarkt der Zukunft wird dynamischer, komplexer, aber auch chancenreicher sein. Wer die Mechanismen versteht und die richtigen Werkzeuge einsetzt, kann nicht nur wirtschaftlich davon profitieren, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigen und stabilen Energiesystem leisten.

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