Interview: Hochtemperatur adé, hallo Niedertemperatur
Denn bei der Auslegung gehe es doch längst nicht mehr allein um den Betrieb während einer sogenannten Heizperiode, sondern um die thermische Aktivierung im Jahreslauf. Er empfiehlt, die thermische Wirkung von Bauteilen miteinzubeziehen, die den Menschen umgeben, und sieht die Zukunft im konsequent gestalteten Niedrigtemperaturhaus.
Herr Hartmann, lassen Sie uns über Wärme sprechen, im Fachjargon thermische Behaglichkeit genannt. Wie bringen Sie diesen Begriff Ihren Kunden nahe?
Frank Hartmann: Was dem Menschen die Kleidung, ist dem Wohnhaus die thermische Hülle. Es verlangt uns nach thermischer Behaglichkeit, insbesondere im Wohnraum. Der ist von alters her ein klimatischer Schutzraum und entsprechend den physiologischen Anforderungen als Wärmekörper zu sehen. Das bedeutet: Es bedarf eines ausgeglichenen Maßes zwischen Hitze und Kälte der äußeren Umgebung und den Temperaturen innerhalb der thermischen Hülle. Der Mensch profitiert dann im gleichen Maße von diesem Ausgleich seiner „dritten Haut“. Nur: Die thermische Hülle heutiger Gebäude besitzt eine ganz andere Qualität als noch zu den Hoch-Zeiten der feuerbasierten Heizungen.
Sie sprechen vom „Wärmekörper Haus“, um klarzumachen, dass es nicht allein Wärmeerzeuger und Heizkörper oder Fußbodenheizungen sind, die für das persönliche Wärmeempfinden verantwortlich zeichnen, sondern auch die umgebenden Bauteile/Flächen?
Hartmann: Seit der Vereinigung von Heizungsanlagenverordnung und Wärmeschutzverordnung in die Energieeinsparverordnung liegt es nahe, das Haus als Wärmekörper zu begreifen. Mit der Einführung der EnEV vor rund 20 Jahren konnte allein durch die Anforderungen an die thermische Hülle die Heizlast eines Gebäudes im Vergleich zum finalen Status der Wärmeschutzverordnung (von 1995) in Bestandsgebäuden mehr als halbiert werden. Ich finde, diese Entwicklung macht Heizmittel-Übertemperaturen von mehr als 30 K heute kaum mehr nachvollziehbar. Dennoch ist es heute doch so: Als Resultat der Hochtemperatur-Konvektion wird die Raumlufttemperatur als das Maß der Dinge betrachtet.
Dabei ist es eine physiologische Tatsache, dass nicht nur die Raumlufttemperatur, sondern eben auch zu einem wesentlichen Teil die Oberflächentemperaturen der raumumschließenden Flächen auf den Menschen und sein Temperaturempfinden einwirken. Es gilt, diese gemeinsam als operative Raumtemperatur zur Kenntnis zu nehmen und somit die Baukonstruktion an sich in die thermische Betrachtung des Raumklimas einzubeziehen und ebenso den Bereitstellungsaufwand (Primärenergiebedarf!). Mit hohen Raumlufttemperaturen werden oft nur niedrige Oberflächentemperaturen und andere Schwachstellen durch unzureichenden Wärmeschutz kompensiert.
Wenn ich Ihrer Betrachtung richtig folge, beginnt die Planung der energieeffizienten Beheizung an der Außenhülle eines Gebäudes?
Hartmann: Also, thermisch hochwertige Außenbauteile weisen unterhalb der Heizgrenztemperatur (Heizperiode) an der Oberfläche der Innenseite durch Bauart und Materialauswahl schon passiv hohe Temperaturen auf. Das wäre der optimale Zustand. Das beeinflusst positiv die gefühlte Temperatur der Bewohner. Bei einem raumflächenintegrierten Heiz- und Kühlsystem mit Wasserdurchströmung genügt eine leichte Temperaturerhöhung, um eine Übertemperatur zum Raum herzustellen – oder durch Reduzierung eine Untertemperatur –, um nicht nur das Auskühlen oder Überhitzen des Menschen über die wärmeabstrahlende Baukonstruktion zu vermeiden, sondern um die jeweiligen Heiz- bzw. Kühllasten in einem ganzjährigen Vorlauftemperaturspektrum von 18 °C bis 35 °C zu halten.
Wenn Sie das so sehen mit dem passiven Einfluss der Innenoberflächen auf das Temperaturempfinden, klingt es ja quasi wie eine Vorstufe zur thermischen Bauteilaktivierung.
Hartmann: Thermisch aktivierte Bauteile ermöglichen ein großes Potenzial an Wärmespeicherung direkt im Gebäude, auf gleichsam niedrigem Temperaturniveau. Das Prinzip kann in Kombination mit einer Flächenheizung/-kühlung kurzfristiger reagieren und damit großen Temperaturgefällen in kurzen Zeiträumen, wie sie immer häufiger auftreten, durch massebezogenen thermischen Lastausgleich effizient entgegenwirken, mit geringem Energieaufwand. Der Energieträger Wasser ermöglicht es, die klassische Zentralheizung besonders für das Heizen und Kühlen im Niedrigenergiehaus zu nutzen.
Die Schlüsseltechnologie ist in Ihren Augen die Flächenheizung/-kühlung. Im Neubau sicher einfach zu planen und umzusetzen, aber was ist mit Bestandsgebäuden?
Hartmann: Die Flächenheizung/-kühlung markiert einen Paradigmenwechsel. Von der selektiven Hochtemperatur-Konvektionsheizung hin zur flächenintegrierten Temperierung von Innenräumen, dem Jahreslauf angepasst, entsprechend dem natürlichen Wärmespektrum des „Niedrigtemperatursystems Mensch“ mit maximalen Vorlauftemperaturen von 35 °C. Besonders im Gebäudebestand bieten Wand- und Deckenflächen eine Vielzahl an Optionen, welche nicht nur Technik mit schöner Raumgestaltung verbinden, sondern auch thermische Behaglichkeit und Energieeffizienz auf den Punkt bringen.
Systemaufbauten und spezifische Materialkennwerte ermöglichen eine große thermische Variabilität im weiten Spektrum zwischen Wärmeübergabe und Wärmespeicherung durch die thermodynamische Kompensation in der Baukonstruktion. Wenn es die objektspezifische Situation erfordert, können auch Niedrigtemperatur-Konvektoren mit jeglicher Art der Flächenheizung/-kühlung kombiniert werden, z. B. im Gästebad. Denn diese können, ähnlich einer Flächenheizung, mit einer maximalen Vorlauftemperatur von 35 °C im Auslegungsfall und einer ventilatorgeführten Konvektion betrieben und – wiewohl wassergeführt – gleichfalls auch zum Kühlen verwendet werden.
Niedrigere Vorlauftemperaturen, das würde auch mit Blick auf den Klimawandel der Gebäudetechnik gut zu Gesicht stehen.
Hartmann: Die Überwindung der Hochtemperatur-Wärmeübergabe wäre ein Meilenstein der Energiewende und könnte den längst überfälligen Wechsel der Blickrichtung von der Wärmeerzeugung zur Wärmenutzung ermöglichen. Die aus dieser Konsequenz resultierenden Niedrigtemperatursysteme bestehen aus der Flächenheizung/-kühlung an Boden, Wand oder Decke mit zwei Funktionen in einem System und aus thermisch aktivierten Bauteilsystemen als baukonstruktiven thermischen Speichern.
Also, die Technik ist da. Aber mit Blick auf Planung und Verwendungsmöglichkeiten passiert doch noch zu wenig, oder?
Hartmann: Diese moderne Anlagentechnik hat das Gebäude doch längst betreten. Aber zwischen Gewerbeimmobilien und Wohngebäuden klafft noch eine große Lücke.
Werden Systeme zur Flächenheizung und -kühlung mit erneuerbaren Energien nicht doch zu selten als erste Wahl herangezogen und dort, wo sinnvoll, mit herkömmlichen Wärmeerzeugern kombiniert?
Hartmann: Die für die Wärmeübergabe in beide Richtungen notwendige Wärme-/Kältebereitstellung ist bei Niedrigtemperatursystemen fraglos einfacher, deutlich umweltgerechter und effizienter. Sie ist zudem vielfältiger im Nutzungspotenzial der Vielzahl von natürlichen und unnatürlichen Wärmequellen, die im urbanen Raum vorhanden sind, wie z. B. Abwasserkanalsysteme als Wärmequelle, aber nur selten miteinander verknüpft werden. Eine Anmerkung: Natürlich steht die Bezeichnung „Wärmebereitstellung“ nicht zwangsläufig für Wärmeerzeugung vom Kessel direkt in den Heizkreis, sondern eben auch für die Bereitstellung, welche ausdrücklich die Nutzung von Solar- und Umweltwärme voranstellt, um erst dann, wenn besondere Anforderungen anstehen, etwa Spitzenlasten, einen herkömmlichen Wärmeerzeuger zuzuschalten.
Der Begriff Wärmepumpe ist jetzt noch nicht gefallen, schwingt aber überall mit. Wäre sie in diesem Verbund nicht eine Ideallösung?
Hartmann: Obgleich die Heizungswärmepumpe aufgrund ihrer Funktionsweise nicht wirklich als „Wärmeerzeuger“ zu begreifen ist, wird diese aber dennoch im Bannkreis der Hochtemperatur in eine unselige Konkurrenz zum Heizkessel getrieben. Manchmal bin ich schon geneigt, nach dem Rauchgasstutzen am System zu fahnden – sage ich jetzt mal ironisch. Die Heizungswärmepumpe als das, was sie ist, zu erkennen, das fällt offensichtlich schwer: Es handelt sich um ein Niedrigtemperatursystem par excellence. Sie geht für mein Verständnis Hand in Hand mit der Überwindung der Hochtemperatur-Wärmeübergabe. Eine, verzeihen Sie den Ausdruck, aber er passt so schön, eine „artgerecht gehaltene“ Heizungswärmepumpe kann als Niedrigtemperatursystem hocheffizient eine wassergeführte Niedrigtemperatur-Wärmeübergabe mit realen Jahresarbeitszahlen größer 4,5 versorgen, um jegliche Heizlast im Wohnbereich abzudecken. Jenseits der Wärmequelle Außenluft können sogar deutlich höhere Jahresarbeitszahlen realisiert werden, etwa mittels thermischer Nutzung des oberflächennahen Untergrundes.
Wie steht es um die Kühlfunktion?
Hartmann: Die Wärmepumpe ist von ihrem Prinzip her in der Lage, durch ihre Doppelfunktion auch Kühllasten von Gebäuden zu kompensieren. Mit erdgekoppelten Wärmepumpen ist auch eine passive Kühlung möglich, indem die bereits für den Winter installierte Wärmequellenanlage im Sommer als Wärmesenke genutzt wird, um die Wärmeübergabe (z. B. Flächenheizung/-kühlung, thermische Aktivierung von Bauteilen, Niedrigtemperatur-Konvektoren) mit entsprechenden Untertemperaturen für die Raumkühlung zu versorgen. Ebenso steht die Kältebereitstellung nicht zwangsläufig für eine Kälteerzeugung der aktiven Kühlung, sondern gleichsam für die Nutzung bereits vorhandener Kälte, ob mit natürlichen oder unnatürlichen Wärmesenken. Ein Kälte-Pufferspeicher etwa, ob wasser- oder bauteilgeführt, kann passiv genutzte und aktiv erzeugte Kälte aufnehmen.
Das klingt jetzt aber so, als bräuchte man ausschließlich eine Wärmepumpe fürs Gebäude, sonst nix.
Hartmann: Die Flächenheizung/-kühlung eignet sich als Niedrigtemperatursystem hervorragend für die Kombination mit einer „artgerecht gehaltenen“ Wärmepumpe, die gleichsam ein Niedrigtemperatursystem ist und ähnlich wie die Solarthermie die Nutzung von vorhandener Umweltwärme ermöglicht. Analog zur Wärmepumpe (Kältekreis) bietet die Flächenheizung/-kühlung (Wärmeübergabekreis) durch Umkehr des Wärmetransportes zwei Funktionen: Heizen und Kühlen, in der Bereitstellung von Übertemperaturen (Wärmequelle) und der Bereitstellung von Untertemperaturen (Wärmesenke) zum Raum, in einem System. Mit einer solarthermischen Anlage kann jede Wärmepumpe dergestalt unterstützt werden, dass ihre jährlichen Betriebsstunden reduziert werden und somit die Gesamtbetriebszeit des Aggregats verlängert wird.
Moment mal, Solarthermie und Wärmepumpe in Kombination? Das klingt für mich jetzt nach Hosenträger und Gürtel gleichzeitig.
Hartmann: Die Solarthermie kann ebenfalls als Umweltwärme betrachtet werden, da auch diese Wärmequelle unerschöpflich und regenerativ ist. Dennoch lässt sich mit der Integration von solarthermischen Wärmequellen in das System der Anteil an Umweltwärme deutlich erhöhen . Dann reduzieren sich die Betriebszeiten der Wärmepumpe und die Regeneration von Wärmequellen wird optimiert. Nicht nur in neuen und bestehenden Wohngebäuden wird auf die Solarthermie ebenso wenig zu verzichten sein wie in Nichtwohngebäuden. Besonders in Büro- und Verwaltungsgebäuden oder Schulen kann mit einer Flächenheizung/-kühlung ebenso wie mit thermischer Bauteilaktivierung im Sommer solarthermisch gekühlt werden. Hierfür ist dann eine Adsorptions-Kältemaschine notwendig, deren Antriebsenergie mittels thermischer Energie einer solarthermischen Wärmequellenanlage (mit sehr hohem Wirkungsgrad) bereitgestellt wird. Somit schließt sich der Kältekreis der Wärmepumpe.
Wir haben unsere Unterhaltung jetzt doch ein Stück weit ausufernd geführt. Wenn Sie Kunden Ihre Ansichten darstellen, wie fassen Sie Ihre Erkenntnisse in wenigen Sätzen zusammen?
Hartmann: Also, das Temperaturspektrum der Flächenheizung/-kühlung entspricht im Wesentlichen dem des Menschen. Eine optimierte Kombination von Systemen der Flächenheizung/-kühlung mit Wärmepumpen sowie die thermische Aktivierung von Bauteilen bzw. die Einbeziehung der Baukonstruktion führen nicht nur zu einem effizienten und CO2-reduzierenden Betrieb, sondern münden auch in ein zukunftsfähiges Gesamtsystem, welches gleichsam zwei Funktionen in einer Anlage vereint: Heizen im Winter und Kühlen im Sommer, bei einem immer wohltemperierten Innenraumklima.
Effizientes Heizen und Kühlen bedeutet nicht nur, Niedrigtemperatursysteme auch und vor
allem im Gebäudebestand zu realisieren, sondern gleichsam den klimatischen Entwicklungen mit entsprechenden Regelungsstrategien zwischen Heizgrenz- und Kühlgrenztemperatur entgegenzukommen. Die Baukonstruktion und deren Bauteile sollten dabei – nicht zuletzt in der Massespeicherung – thermodynamisch miteinbezogen werden.
Das klingt immer noch sehr fachtheoretisch. Was sagen Sie denn motivierten Eigenheim-Modernisierern?
Hartmann: Die Erneuerung der Wärmeübergabe kann mehr sein als nur die Kompensation von Heizlasten. Neben thermischer Behaglichkeit und Energieeffizienz bieten die Systeme der Flächenheizung/-kühlung in Nass- und Trockenbauweise für die Erneuerung des Wohnraumes eine wichtige Motivation, vor allem, wenn das Handwerk noch etwas anderes zu bieten hat als eine Fußbodenheizung. Gerade im Gebäudebestand sind die Möglichkeiten an Wänden und Decken oft vielfältiger und bieten mannigfache Möglichkeiten der Oberflächengestaltung. Selbst die aktuellen Förderprogramme des Bundes haben berücksichtigt, dass Wärmebereitstellung und Wärmeübergabe einander bedingen, weshalb die Flächenheizung/-kühlung nunmehr ebenso als förderfähige Nebenkosten bezuschusst wird wie eine Heizungswärmepumpe in der Modernisierung bestehender Gebäude.
Darüber hinaus müssen aber auch Planer und Handwerker offener für das Thema sein und vor allem genauer hinschauen, bei jedem Kunden. Sonst klappt’s kaum mit der Energiewende.
Hartmann: Die Energiewende im Wärmemarkt entscheidet sich im Gebäudebestand. Die Erfahrungen mit Wärmepumpen und Flächenheizung/-kühlung im Neubau zeigen das enorme Potenzial an Energieeffizienz und CO2-Einsparung. Es wird höchste Zeit, dies auf den Gebäudebestand zu übertragen und ein konsequentes Niedrigtemperatursystem in einem Niedrigtemperaturhaus zu realisieren. Es ist ein fatales Missverständnis, die Wärmepumpe weiterhin zu Hochtemperaturen zu malträtieren, die längst schon obsolet sind!
Die Solarthermie bietet die Möglichkeit, den Warmwasserbedarf im Sommer vollständig zu decken und die Wärmeübergabe umso besser solarthermisch zu unterstützen, je niedriger die notwendigen Vorlauftemperaturen der Wärmeübergabe (oder Wärmespeicherung) sind.
Gleiches gilt für die Effizienz des Arbeitsprozesses einer Wärmepumpe.
Herr Hartmann, vielen Dank für den interessanten Austausch.