Insolvenzabhängige Lösungsklauseln: Finanzielle Haftungsrisiken vermeiden, das Unternehmen schützen
Im vergangenen Jahr haben in Deutschland rund 17.800 Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt. Die Zahl, die das Statistische Bundesamt Mitte März veröffentlicht hat, ist ein deutliches Signal. Und der Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen setzt sich bislang auch in diesem Jahr fort – gerade auch, da die Insolvenzantragspflicht seit dem Jahreswechsel 2023/2024 wieder in vollem Umfang greift.
„Angesichts der Entwicklung bei den Unternehmensinsolvenzen und mit Blick auf die anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen sollten sich Geschäftsleiter, so hart das zunächst klingt, regelmäßig mit der Frage befassen, ob ihr Unternehmen unter Umständen insolvenzreif ist – gerade auch, um finanzielle Haftungsrisiken für sich zu vermeiden. Dies gilt erst recht für Geschäftsleiter, deren Gesellschaft sich in einer Krise befinden oder absehbar auf eine solche zusteuern“, sagen Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke von Schultze & Braun. Die beiden Rechtsanwälte am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei sind Experten für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten.
Was ist eine Zahlung? Gesetzliche Definition fehlt
Seit dem Jahreswechsel 2020/2021 sind die insolvenzspezifischen Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter, die zuvor im GmbH-Gesetz, dem Aktiengesetz sowie im Handelsgesetzbuch und dem Genossenschaftsgesetz enthalten waren, im § 15 b der Insolvenzordnung konzentriert. Kurz zusammengefasst geht es dabei um die Haftung des Geschäftsleiters für Zahlungen, durch die einer Gesellschaft, die eigentlich insolvent ist, nach Eintritt der Insolvenzreife Vermögen entzogen wird – mit der also die Gläubiger der Gesellschaft geschädigt werden, da durch die Zahlung die Insolvenzmasse geschmälert wird. „So einfach, so klar, könnte man denken“, sagen Weber und Dömmecke. „Eine maßgebliche Besonderheit ist jedoch, dass die Frage, was eigentlich unter einer Zahlung zu verstehen ist, im Gesetz nicht definiert ist.“
Nicht in die Kontofalle tappen
Bereits vor der Konzentration der Haftungsregelungen in der Insolvenzordnung hat sich dadurch eine durchaus verwirrende Handhabung durch die Gerichte etabliert, die einem Geschäftsleiter zum Verhängnis werden kann. „Geschäftsleiter sollten zum Beispiel vermeiden, in die sogenannte Kontofalle zu tappen, die bei einem Zahlungseingang auf dem debitorischen, also im Minus befindlichen Konto als Zahlung an die Bank zuschnappen kann“, raten Weber und Dömmecke.
Wann ist ein Unternehmen insolvenzreif?
Insolvenzreif ist eine haftungsbeschränkte Gesellschaft – also etwa eine GmbH oder eine GmbH & Co. KG, wenn einer oder beide der zwingenden Insolvenzgründe vorliegen. Dabei handelt es sich um die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit sowie die Überschuldung.
„Bei der Überschuldung hat sich mit dem Auslaufen der gesetzlichen Erleichterungen zum Jahreswechsel 2023/2024 einiges geändert. So muss die Gesellschaft mit Unterbilanz seit dem 1. Januar 2024 grundsätzlich wieder für zwölf Monate durchfinanziert sein“, sagen Weber und Dömmecke. „Ist das nicht der Fall, ist die Gesellschaft in der Regel insolvenzreif und die Geschäftsleitung muss innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag stellen.“
Der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen wird aber weiterhin die Zahlungsunfähigkeit bleiben. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Gesellschaft zu einem Stichtag ihre aktuellen fälligen Verbindlichkeiten mit den vorhandenen liquiden Mitteln zu 10 Prozent oder mehr nicht bezahlen kann und sich diese Lücke innerhalb der nächsten drei Wochen nicht vollständig schließen lässt. Ob das der Fall ist und – wenn ja – ab wann, lässt sich mit einer erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen, bei der mehrere Faktoren eine Rolle spielen.
Welche Zahlungen sind erlaubt und welche nicht?
„Die gute Nachricht ist: Auch wenn eine Gesellschaft in eine finanzielle Schieflage gerät oder zu geraten droht, ist ein Geschäftsleiter angesichts der drohenden Haftungsrisiken aus § 15 b der Insolvenzordnung nicht dazu verdammt, wie das Kaninchen vor der Schlange tatenlos und gelähmt vor Angst zu verharren“, sagen Weber und Dömmecke.
Die beiden Haftungs-Experten raten dazu, sich im Fall einer Krise frühzeitig fachliche Expertise ins Unternehmen zu holen – und das nicht nur, weil durchaus nicht immer sofort ersichtlich ist, was alles unter den Begriff „Zahlung“ fällt, sondern weil der vorgelagerte Punkt „Ist meine Gesellschaft unter Umständen bereits insolvenzreif und, wenn ja, seit wann?“ von großer Relevanz ist. Denn daran lässt sich festmachen, ob und -wenn ja – welche Zahlungen in einem solchen Fall noch erlaubt wären und welche nicht.
„Gerade im Krisenfall und besonders, wenn die Insolvenzreife bei einer Gesellschaft bereits eingetreten ist, sollte daher jede Zahlung individuell überprüft werden, um auf der sicheren Seite zu sein – auch Lohnzahlungen, Mietzahlungen oder Warenbestellungen stellen dabei keine Ausnahme dar“, fassen Weber und Dömmecke zusammen. „Als Anhaltspunkt kann grundsätzlich die Rolle eines objektiv denkenden Gläubigers dienen: Hätte dieser der Zahlung im Interesse einer vorläufigen, die Werte des Unternehmens erhaltenden Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zugestimmt?“
Fakt ist: Ein Geschäftsleiter muss sich diese Frage im Krisenfall für eine Vielzahl von Zahlungen stellen. „Dabei verschärft sich der Prüfungsmaßstab nochmals, wenn die Frist zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages abgelaufen ist. Dann sind Zahlungen nur noch im absoluten Ausnahmefall erlaubt“, sagen Weber und Dömmecke. Mit der entsprechenden Vorsorge können Geschäftsleiter jedoch eine persönliche finanzielle Haftungsrisiken im Krisenfall vermeiden.
Krise oder Insolvenz eines Geschäftspartners
Angesichts der andauernden wirtschaftlichen Herausforderungen und der weiter steigenden Zahl der Unternehmensinsolvenzen wird es für Unternehmen immer wichtiger, sich auf die mögliche Krise oder Insolvenz eines Geschäftspartners vorzubereiten. Eine Option mit großem Potenzial sind dabei sogenannte insolvenzabhängige Lösungsklauseln.
„Solche vertraglichen Klauseln sind in vielen Branchen bereits gang und gäbe, jedoch kommt ihnen – gerade angesichts der Zunahme der Insolvenzen und der sich aneinanderreihenden Kette von Krisen – nun eine immer größere Bedeutung zu“, ordnen Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke von Schultze & Braun. Die beiden Rechtsanwälte am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei haben bereits zahlreiche Unternehmen im Zusammenhang mit Themen rund um die Krise oder Insolvenz von Geschäftspartnern beraten. „Unternehmen sollten bei insolvenzabhängigen Lösungsklauseln allerdings besonders die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem vergangenen Jahr zur Wirksamkeit der Klauseln beachten.“
Die Frage `Wird der Vertrag fortgeführt?´ selbst beantworten
Die BGH-Entscheidung spielt besonders bei Verträgen eine große Rolle, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht erfüllt worden sind. Denn grundsätzlich kann in solchen Fällen der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er den Vertrag, den das Unternehmen und der dann insolvente Geschäftspartner geschlossen haben, fortführt. Das kann dann die Lieferung einer Ware oder eines Rohstoffs oder auch die Produktion einer Maschine oder die Erstellung eines Bauwerks betreffen.
Im Fall vor dem BGH ging es um die laufende Bus-Beförderung von Schülern. „Allerdings möchten viele Unternehmen im Falle der Insolvenz des Geschäftspartners die Wahl `Wird der Vertrag fortgeführt?´ lieber selbst treffen“, sagen Weber und Dömmecke. „Die gute Nachricht ist: Der BGH hat entschieden, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln grundsätzlich möglich sind. Jedoch darf das in der Insolvenzordnung geregelte Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht eingeschränkt werden. Eine Klausel – vereinfacht dargestellt – `Der Vertrag ist hinfällig, wenn ein Geschäftspartner einen Insolvenzantrag stellt´ ist also meist unwirksam.“
Konkretisierung der gesetzlichen Kündigungsgründe
Eine insolvenzabhängige Lösungsklausel ist insbesondere dann wirksam, wenn darin etwa ein ohnehin bestehendes gesetzliches Recht konkretisiert wird. So ist es etwa im Bauvertragsrecht möglich, einen Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen. Die Klausel ist aber nur wirksam, wenn der Vertrag um den Zusatz konkretisiert wird, dass eine Insolvenz einen wichtigen Grund darstellt. So war es auch im Vertrag des später insolventen Busunternehmens mit seinem Auftraggeber, um den es vor dem BGH ging. In diesem Bereich gibt es jedoch – wie in vielen anderen auch – keinen gesetzlichen Kündigungsgrund, der konkretisiert werden könnte. Der Insolvenzverwalter des Busunternehmens klagte gegen die Kündigung des Beförderungsvertrages durch den Auftraggeber und forderte Schadensersatz.
Liegt ein besonderes Risiko vor?
„Der BGH hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass auch in Verträgen in Branchen, in denen es kein konkretisierbares gesetzliches Kündigungsrecht gibt, eine insolvenzbedingte Lösungsklausel wirksam sein kann“, erläutern Weber und Dömmecke. „Nämlich dann, wenn eine Vertragspartei beim Abschluss des Vertrags ein berechtigtes Interesse daran hat, sich mit der Lösungsklausel im Falle der Insolvenz des Geschäftspartners vor einem besonderen Risiko zu schützen.“
Im Fall des Busunternehmens vor dem BGH handelte es sich für den Auftraggeber das Risiko eines (kurzfristigen) Wegfalls der Schülerbeförderung, da ja nicht klar ist, inwieweit ein insolventes Busunternehmen weiter Schüler befördern kann. „Der BGH legt die Anforderungs-Messlatte für die Wirksamkeit einer insolvenzabhängigen Lösungsklausel mit seiner Entscheidung jedoch hoch an“, sagen Weber und Dömmecke. „Mit dem Blick auf die Entscheidung ist es daher wichtig, den Aspekt der Interessenslage der beiden Parteien bei jedem Vertragsabschluss individuell und realistisch zu prüfen und zu definieren.“
Das lässt sich mit einem Beispiel verdeutlichen: Wenn der Vertrag zum Beispiel im Rahmen eines bestimmten Projektes oder einer Restrukturierung geschlossen wird, könnte als Lösungsklausel – wieder vereinfacht dargestellt – in Frage kommen: „Wir wollen das Projekt gemeinsam angehen. Wenn es nicht funktioniert, kann der nicht insolvente Geschäftspartner den Vertrag kündigen, denn ohne diese Möglichkeit würden wir den Vertrag nicht schließen und das Projekt wäre von vorneherein ausgeschlossen.“
Eine erneute Prüfung der Klausel steht im Falle der Insolvenz eines Vertragspartners an, wenn sie und ihre Wirksamkeit ins Spiel kommen. Es prüfe individuell, wer sich nicht ewig binden will „In guten wie in schlechten Zeiten – so heißt es in vielen Ehegelübden. Jedoch ist ein Vertrag zwischen Geschäftspartnern keine Ehe, sodass sich eine oder beide Parteien eine Klausel als Trennungsoption für schlechte Zeiten festschreiben lassen – etwa die Insolvenz des Geschäftspartners“, fassen Weber und Dömmecke zusammen. Eine Option mit großem Potential sind insolvenzabhängige Lösungsklauseln. Jedoch sind dabei einige Besonderheiten zu beachten. Es gilt die Devise: Es prüfe individuell, wer sich nicht ewig binden will.
Über Schultze & Braun
Mit über 500 Mitarbeitern an über 30 Standorten in Deutschland und dem europäischen Ausland unterstützt Schultze & Braun Unternehmen vor Ort, bundesweit und international in allen rechtlichen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen.